Baurecht

Begriff des Doppelhauses

Aktenzeichen  1 ZB 15.1039

Datum:
10.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 484
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO § 22 Abs. 2
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, Abs. 3a

 

Leitsatz

Kein Doppelhaus entsteht, wenn ein Gebäude gegen das andere an der gemeinsamen Grundstücksgrenze so stark versetzt wird, dass sein vorderer oder rückwärtiger Versprung den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst (vgl. BVerwG BeckRS 2000, 30098169). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 14.1535 2015-03-04 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger begehrt die Baugenehmigung für die Erweiterung des grenzständig errichteten Wohnhauses.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 31. August 2012 lehnte die Beklagte die nachträgliche Genehmigung für den Umbau und die Erweiterung des Wohnhauses ab. Das gerichtliche Verfahren erklärte der Kläger nach einem Augenschein und der Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung für erledigt. Am 3. Januar 2014 stellte der Kläger erneut einen Bauantrag, den die Beklagte mit Bescheid vom 12. März 2014 ablehnte. Die erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 4. März 2015 abgewiesen. Bei der offenen Bauweise, die die Umgebung präge, seien gemäß § 22 Abs. 2 BauNVO, § 34 BauGB als Grenzbebauung nur Doppelhäuser zulässig. Bereits nach dem Ergebnis des Augenscheins im früheren Klageverfahren bestehe im vorliegenden Fall kein Doppelhaus mehr. Vielmehr habe der Kläger an die gemeinsame Grenze ein zweites Wohnhaus gebaut, das nicht als Anbau oder Verlängerung seiner Doppelhaushälfte erscheine. Der Versatz an der gemeinsamen Grenze sei doppelt so lang wie das 6,40 m tiefe Doppelhaus. Auf Seiten der Nachbarn handele es sich bei dem Grenzanbau um ein Werkstattgebäude und damit um ein typisches Nebengebäude. Auf Seiten des klägerischen Grundstücks sei ein Wohnhaus an der gemeinsamen Grenze gebaut und beantragt worden, das als selbständiger Baukörper erscheine.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, liegen nicht vor oder wurden nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel im Sinn dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
Auch im unbeplanten Innenbereich kann auf den Begriff des Doppelhauses der Baunutzungsverordnung zurückgegriffen werden, um ein Vorhaben zu würdigen. Ein Doppelhaus im Sinn des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden. Kein Doppelhaus bilden dagegen zwei Gebäude, die sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch berühren, aber als zwei selbständige Baukörper erscheinen. Ein Doppelhaus verlangt ferner, dass die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden. In welchem Umfang die beiden Haushälften an der Grenze zusammengebaut sein müssen, lässt sich weder abstrakt-generell noch mathematisch-prozentual festlegen; maßgeblich ist eine Würdigung des Einzelfalls unter Betrachtung quantitativer und qualitativer Gesichtspunkte (stRspr. vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – BVerwGE 110, 355; U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290; U.v. 19.3.2015 – 4 C 12.14 – NVwZ 2015, 1769). Kein Doppelhaus entsteht, wenn ein Gebäude gegen das andere an der gemeinsamen Grundstücksgrenze so stark versetzt wird, dass sein vorderer oder rückwärtiger Versprung den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000, a.a.O.). Auch der Unterschied in der Bautiefe zusammen mit einer abweichenden Gestaltung der Erweiterung kann den Charakter eines Doppelhauses aufheben (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015, a.a.O). Ordnet sich eine Haushälfte nach ihren Dimensionen nicht mehr dem Gesamtbaukörper unter, sondern dominiert die Grundstückssituation in erheblicher Weise, kann von einem für ein Doppelhaus notwendigen wechselseitigen Abgestimmtsein der Haushälften nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NW, U.v. 19.4.2012 – 10 A 1035/10 – BauR 2012, 1221).
Nach diesen Maßgaben ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die vom Kläger beantragte Erweiterung des Wohnhauses mit dem vorhandenen Wohngebäude der Nachbarn kein Doppelhaus mehr bildet. Die vom Kläger vorgebrachten Einwände begründen keine ernstlichen Zweifel an dieser Feststellung. Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass der Versatz zum Nachbargebäude zum Bestand gehöre und der Bestand nur in der Breite vergrößert werden solle, kann die Änderung der baulichen Anlage nicht isoliert betrachtet werden. Gegenstand der planungsrechtlichen Prüfung ist das Gesamtvorhaben in seiner durch die Erweiterung geänderten Gestalt (vgl. BVerwG, U.v. 17.6.1993 – 4 C 17.91 – NVwZ 1994, 294; B.v. 29.11.2005 – 4 B 72.05 – NVwZ 2006, 340). Ein Bestandsschutz entsteht im Übrigen nicht dadurch, dass der tatsächliche Bestand in dem Eingabeplan als solcher dargestellt wird, sondern Bestandsschutz kann eine bauliche Anlage nur genießen, wenn sie entweder genehmigt ist oder jedenfalls während eines nennenswerten Zeitraums materiell legal war. Die Beklagte hat daher in ihrem Ablehnungsbescheid vom 12. März 2014 zu Recht darauf hingewiesen, dass keine genehmigten Unterlagen für eine Grenzwand von 4,20 m vorliegen. Soweit der Kläger vorträgt, dass der Nachbar den hinteren Grenzanbau früher auch zu Wohnzwecken genutzt habe und der Versatz allein durch Nutzungsreduzierung des Nachbarn vergrößert worden sei, kann bei der planungsrechtlichen Beurteilung nicht auf eine aufgegebene Nutzung abgestellt werden. Im Übrigen liegt selbst, wenn man nur von einem Versatz von ca. 4 m im rückwärtigen Gartenbereich ausgeht, kein Doppelhaus vor, da sich die bauliche Erweiterung auf dem klägerischen Grundstück, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, als Errichtung eines selbständigen Wohnhauses darstellt. Die geltend gemachte Unterschiedlichkeit der Bauanträge hinsichtlich Dachform und Dachhöhe ist im Hinblick auf die Beurteilung, ob ein Doppelhaus vorliegt, hier nicht mehr von entscheidender Bedeutung.
Das Verwaltungsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass die nähere Umgebung des klägerischen Grundstücks durch offene Bauweise geprägt ist. Mit den vom Kläger genannten Beispielfällen wird eine grenzständige Bebauung von Wohnhäusern in der näheren Umgebung, ohne dass es sich um Doppelhäuser handelt, nicht dargelegt. So handelt es sich teilweise bereits nicht um Grundstücke in der näheren Umgebung (jedenfalls FlNr. …, … und …, …; äußerst fraglich auch FlNr. …, …*). Die nähere Umgebung ist für die in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bezeichneten Kriterien jeweils gesondert abzugrenzen. Eine Bebauung, die außerhalb des Straßengevierts und nicht mehr entlang des Straßenzugs liegt, an dem sich das klägerische Grundstück befindet, kann für das Einfügungsgebot nach der Bauweise in der Regel nicht berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – NVwZ 2014, 1246; OVG Berlin-Bbg, B.v. 15.7.2016 – OVG 10 S. 12.16 – juris Rn. 5). Im Übrigen fehlt es an einem konkreten Vortrag zu den maßgeblichen städtebaulichen Faktoren. Der Bezug auf den beigelegten Katasterplan ist nicht ausreichend, um anhand der oben genannten Kriterien eine planungsrechtliche Beurteilung vornehmen zu können. Ein derartiges Missverhältnis wie zwischen der Bebauung auf dem klägerischen Grundstück und dem Nachbargrundstück liegt bei den geltend gemachten Bezugsfällen aber offensichtlich nicht vor. Es kommt auch nicht entscheidend darauf an, ob die Doppelhäuser in der näheren Umgebung „idealtypisch“ sind, sondern Voraussetzung für eine offene Bauweise ist, dass die Grundstücke entweder mit Einfamilienhäusern, Doppelhäusern oder Hausgruppen bebaut sind.
Das klägerische Vorhaben ist auch nicht nach § 34 Abs. 3a BauGB zulässig. Ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, deren Fehlen vom Kläger gerügt wird, entsteht erst dann, wenn die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3a BauGB vorliegen. Vorliegend fehlt es an der städtebaulichen Vertretbarkeit der baulichen Erweiterung (§ 34 Abs. 3a Satz 1 Nr. 2 BauGB). Im Hinblick auf die bauplanungsrechtlichen Ziele der Steuerung der Bebauungsdichte sowie der Gestaltung des Orts- und Stadtbildes wird für ein Doppelhaus ein Mindestmaß an Übereinstimmung verlangt. Es geht um eine spezifische Gestaltung des Orts- und Straßenbildes, die darin liegt, dass das Doppelhaus den Gesamteindruck einer offenen, aufgelockerten Bebauung nicht stört, eben weil es als ein Gebäude erscheint (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290; U.v. 19.3.2015 – 4 C 12.14 – NVwZ 2015, 1769). Im Hinblick auf die Gestaltung des Ortsbildes ist die massive einseitige Bebauung auf dem klägerischen Grundstück aber nicht vertretbar. Auch der Verzicht des Klägers auf die Grenzgarage führt nicht zu einer anderen Beurteilung.
Den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung hat der Kläger nicht ansatzweise dargelegt (vgl. zu den Anforderungen Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72 m.w.N.) Auch der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) wurde weder ausreichend dargelegt noch liegt er vor. So hat der Kläger bereits nicht ausgeführt, welche konkreten Feststellungen das Gericht bei einem Augenschein getroffen hätte. Das Verwaltungsgericht konnte sich im Übrigen auf die Niederschrift über den Augenschein und die mündliche Verhandlung vom 16. Oktober 2013 beziehen (vgl. UA S. 2, 3), die auch Bestandteil der vorgelegten Behördenakte war. Eine maßgebliche Unterschiedlichkeit der Bauanträge für die rechtliche Beurteilung liegt nicht vor (vgl. oben). Weiter konnte der Umfang der rückwärtigen Bebauung im Verhältnis zur Nachbarbebauung sowie zur straßenseitigen Bebauung auch anhand der Eingabepläne beurteilt werden.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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