Aktenzeichen M 1 K 16.4223
Leitsatz
Eine Baugenehmigung, die die Errichtung eines Ersatzbaus zulässt, umfasst ein errichtetes Gebäude nicht, wenn dessen Lage gegenüber dem ursprünglichen Bau um 2 Meter nach Norden verschoben ist und wenn die Länge des Gebäudes 10,05 Meter anstatt 9,55 Meter sowie die Giebelhöhe 4,50 Meter anstatt 3,80 Meter beträgt. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Soweit die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
1. Soweit die Parteien den Rechtsstreit – bezogen auf Nr. 2 des Bescheides vom 11. August 2016 – übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
2. Streitgegenstand des Verfahrens ist aufgrund der ausdrücklichen Antragstellung in der mündlichen Verhandlung vom 7. März 2017 nur die Nr. 3 des Bescheides des Landratsamtes vom 11. August 2016.
Der Bevollmächtigte der Kläger hat klargestellt, dass sich die Klage nicht auch gegen Nr. 4 des Bescheides richten sollte. Insofern haben die Kläger die Beseitigungspflicht anerkannt. Eine Anfechtung der Zwangsgeldandrohungen (Nr. 5 des Bescheides v. 11.8.2016) ist ebenfalls nicht erfolgt.
3. Die Klage ist zulässig.
Es kann dahinstehen, ob die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO mit der von den Klägern behaupteten Zustellung des Bescheides am 18. August 2016 oder bereits mit dem in der Postzustellungsurkunde genannten Zustellzeitpunkt (13. August 2016) zu laufen begann. Selbst wenn der frühere Zeitpunkt maßgeblich wäre und die Klagefrist damit vor Klageerhebung abgelaufen wäre würde dies nicht zur Unzulässigkeit der Klage führen. In diesem Fall wäre den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO zu gewähren.
Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, sofern der Betroffene ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Eine solche Situation ist hier gegeben.
Der durch den Klägerbevollmächtigten vorgelegte Umschlag, mit dem der streitgegenständliche Bescheid zugestellt wurde, belegt, dass dort als Hinweis für die Kläger das Zustelldatum „18.8.16“ vermerkt wurde. Damit durften die Kläger davon ausgehen, dass erst zu diesem Zeitpunkt eine Zustellung als bewirkt gilt und die Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO in Gang gesetzt wurde. Angesichts dieses Irrtums waren sie ohne Verschulden daran gehindert, rechtzeitig – bezogen auf den Zustellzeitpunkt (13.8.2016) – Klage einzureichen.
Durch den Antrag auf Wiedereinsetzung des Klägerbevollmächtigten vom … Februar 2017, mit dem die Tatsachen über den Irrtum über die Klagefrist gemäß § 60 Abs. 2 VwGO vorgetragen wurden, wurde auch die Antragsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO eingehalten. Die Klägerseite wurde über den in der Postzustellungsurkunde vermerkten Zustellungszeitpunkt erst durch den Schriftsatz des Landratsamtes vom 2. Februar 2017 informiert. Dieser Schriftsatz und die Behördenakten wurden dem Bevollmächtigten der Kläger erst mit Schreiben des Gerichts vom 9. Februar 2017 übersandt, sodass die Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO erst nach Eingang des Wiedereinsetzungsantrags vom … Februar 2017 endete.
4. Die Klage ist unbegründet.
Nr. 3 des Bescheides vom 11. August 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Beseitigungsanordnung in Nr. 3 des Bescheides kann sich in nicht zu beanstandender Weise auf Art. 76 Satz 1 BayBO stützen, da das Gebäude Nr. 2 öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Es ist weder durch die Baugenehmigung vom 21. September 2004 legalisiert (4.1) noch genehmigungsfähig (4.2). Ermessensfehler im Rahmen der Beseitigungsanordnung sind nicht ersichtlich (4.3).
4.1 Das Gebäude Nr. 2 ist in der Form, in der es derzeit auf dem Baugrundstück besteht, nicht durch die Baugenehmigung vom 21. September 2004 zugelassen worden. Es handelt sich vielmehr um eine andere bauliche Anlage.
Mit der Baugenehmigung vom 21. September 2004 wurde ausdrücklich ein Ersatzbau für einen bestehenden Schaf- und Kleintierstall mit Heuschuppen zugelassen. Dies ergibt sich sowohl aus dem im schriftlichen Bescheid genannten Betreff des Bauvorhabens als auch aus der Bezeichnung der genehmigten Pläne. Die Baugenehmigung erging unter der Voraussetzung, dass das bestehende Gebäude beseitigt wird. Aus den genehmigen Bauzeichnungen lässt sich dies deutlich ersehen. Dort ist der bestehende Schuppen als „alter abzubrechender Schuppen“ bezeichnet und als abzubrechend dargestellt. Nach den Plänen war die Errichtung des Ersatzbaus zudem gar nicht möglich, ohne das bestehende Gebäude zu beseitigen, da sich der Standort des neu zu errichtenden Gebäudes zum Teil auf dem Standort des alten Gebäudes befindet. Das Gebäude Nr. 2 wurde tatsächlich jedoch nicht als Ersatzbau für das bestehende Gebäude, sondern neben der bestehenden Anlage erstellt. Schon hieraus folgt, dass die Baugenehmigung das tatsächlich errichtete Gebäude Nr. 2 nicht zulässt.
Darüber hinaus ist das bestehende Gebäude – unabhängig davon, dass es sich nicht um einen Ersatzbau handelt – nicht von der Baugenehmigung vom 21. September 2004 umfasst, da weder seine Lage noch seine Ausmaße mit dem im genehmigten Bauplan dargestellten Gebäude übereinstimmen. Das tatsächlich vorhandene Gebäude Nr. 2 befindet sich gegenüber der im Plan vorgesehenen Lage um etwa 2 m nach Norden verschoben. Die Länge des Gebäudes beträgt 10,05 m statt der genehmigten 9,55 m und die Giebelhöhe 4,50 m statt der zugelassenen 3,80 m. Auch hinsichtlich des Baumaterials weicht das Gebäude Nr. 2 vom genehmigten Plan ab. Während in der Baugenehmigung vom 21. September 2004 nur eine Holzständerbauweise mit Verschalung auf einem Fundament dargestellt ist, wurde das Gebäude tatsächlich mit Betonsteinen ausgeführt.
Angesichts des dargestellten Umfangs der Abweichungen von der Baugenehmigung kann nicht mehr von einer geringfügigen Änderungen gesprochen werden, die die Zulassung des Gesamtbauwerks unberührt lassen würden. Eine Baugenehmigung für das zu beseitigende Gebäude Nr. 2 ist daher nicht vorhanden.
4.2 Das Gebäude Nr. 2 ist auch nicht genehmigungsfähig. Es widerspricht öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Bauplanungsrechts (Art. 76 Satz 1 BayBO) Rechtmäßige Zustände können deshalb nicht auf andere Weise als durch die Beseitigung hergestellt werden (Art. 76 Satz 1 Halbs. 2 BayBO).
Bei dem Vorhaben handelt es sich nicht um ein nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiertes Vorhaben der Land- und Forstwirtschaft. Die Kläger behaupten selbst nicht, Landwirte zu sein. Dies ergibt sich auch aus der Stellungnahme des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Töging am Inn vom 24. Juli 2012 (Bl. 23 der Akte – Az. 41-12153/12).
Das Vorhaben ist somit als „sonstiges Vorhaben“ nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilen.
Als solches ist es bauplanungsrechtlich unzulässig, da es öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 BauGB beeinträchtigt. Das Gebäude beeinträchtigt insbesondere die natürliche Eigenart der Landschaft und deren Erholungswert (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB). Der öffentliche Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft und ihres Erholungswertes dient dem Schutz der naturgegebenen Bodennutzung und Erholungsfunktion des Außenbereichs vor dem Eindringen einer der freien Landschaft wesensfremden Bebauung. Dieser öffentliche Belang wird beeinträchtigt, wenn das Vorhaben der naturgegebenen (land- und forstwirtschaftlichen) Bodennutzung des Außenbereichs oder seiner Funktion als Erholungsraum für die Allgemeinheit widerspricht und deshalb einen Fremdkörper in der Landschaft bildet (BayVGH, B.v. 25.4.2006 – 1 ZB 05.1014 – juris Rn. 13). Eine Beeinträchtigung dieses Belangs liegt schon dann vor, wenn die im Außenbereich naturgegebene Bodennutzung in Form der Landwirtschaft durch ein Bauvorhaben gehindert ist (BVerwG, U.v. 25.1.1985 – 4 C 29.81 – juris Rn. 8)
Die Beeinträchtigung dieses Belangs ist im vorliegenden Fall besonders augenfällig. Aus den in den Akten befindlichen Lichtbildern ist zu erkennen, dass die das Baugrundstück umgebende Landschaft frei von weiterer störender Bebauung ist. Lediglich das unansehnliche Gebäude Nr. 2 und die mit diesem Gebäude einhergehende Nutzung wirken als deutlicher Fremdkörper in der Landschaft. Wegen seiner äußeren Gestalt (fehlender Außenputz, schadhafte Wände und Gebäudeöffnungen, provisorische Abstützmaßnahmen etc.) ist neben der Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft auch eine Verunstaltung des Landschaftsbildes anzunehmen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 6 BauGB).
Darüber hinaus widerspricht das Vorhaben auch den Darstellungen des Flächennutzungsplanes der Gemeinde, der für das streitgegenständliche Grundstück eine landwirtschaftliche Fläche vorsieht (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB).
Angesichts der Beeinträchtigung der vorgenannten Belange ist eine Zulassung des Vorhabens aus bauplanungsrechtlicher Sicht nicht möglich. Jeder einzelne der in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange ist – unabhängig davon, ob er durch andere noch verstärkt wird – für sich genommen geeignet, eine Zulassung zu verhindern. Die Beeinträchtigung eines Belangs lässt sich nicht dadurch kompensieren, dass andere öffentliche Belange mit dem Vorhaben vereinbar sind (BVerwG, U.v. 8.11.1999 – 4 B 85.99 – juris Rn. 10). Deshalb scheidet eine nachträgliche Legalisierung des Bestandes aus. Dies gilt unabhängig davon, dass diese Frage möglicherweise im Rahmen der Erteilung der Baugenehmigung vom 21. September 2004 anders beurteilt worden ist. Die Kläger können sich nicht auf eine unzutreffende Beurteilung der Rechtslage zu ihren Gunsten in vorangegangenen Verfahren berufen.
4.3 Die Ermessensausübung des Beklagten ist nicht zu beanstanden (§ 114 VwGO).
Der Beklagte hat im streitgegenständlichen Bescheid erkannt, dass ihm bei dem Erlass der Beseitigungsanordnung ein Ermessensspielraum zusteht und hat die privaten Interessen gegenüber den öffentlichen Interessen abgewogen. Die Beseitigungsanordnung ist nicht etwa deshalb ermessensfehlerhaft und unverhältnismäßig, da der Beklagte sich nicht auf die Anordnung einer teilweisen Beseitigung des Gebäudes Nr. 2 beschränkt hat. Eine Reduzierung des bestehenden Gebäudes auf den mit der Baugenehmigung vom 21. September 2004 genehmigten Umfang ist nicht möglich. Dies schließt schon die deutlich von dem genehmigten Plan abweichende Lage des Bauvorhabens aus. Auch die Reduzierung der Länge sowie der Höhe ist nicht möglich, ohne eine neue bauliche Anlage entstehen zu lassen.
Darüber hinaus können durch die Anordnung der Teilbeseitigung bauplanungsrechtlich keine rechtmäßigen Zustände hergestellt werden. Wie sich aus dem unter 4.2 Ausgeführten ergibt, ist die Errichtung eines Gebäudes gem. § 35 Abs. 2 und 3 BauGB nicht zulässig. Nachdem der Zustand der formal zugelassenen Anlage nicht herstellbar ist, wäre durch die Reduzierung des Umfangs des bestehenden Gebäudes kein Zustand zu erreichen, der eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vermeidet.
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 und § 161 Abs. 2 VwGO.
Die Kläger haben hinsichtlich des aufrecht erhaltenen Teils der Klage als unterlegene Partei gemäß §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
Die Kosten des erledigten Teils des Rechtsstreits haben die Kläger gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen ebenso als Gesamtschuldner zu tragen, da sie voraussichtlich unterlegen wären.
Die übereinstimmend für erledigte Klage gegen Nr. 2 des Bescheides vom 11. August 2016 hätte keinen Erfolg gehabt, da das Gebäude Nr. 1 unbestritten einsturzgefährdet war und die bloße Anordnung der Sicherung des Gebäudes als Maßnahme der Gefahrenabwehr unproblematisch auf Art. 54 Abs. 2 BayBO gestützt werden konnte.
6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.