Aktenzeichen 1 ZB 14.68
Leitsatz
1 Der Bestandsschutz deckt allein die Erhaltung des vorhandenen Bestandes; dieser Bestand muss noch funktionsgerecht nutzbar sein. Ein Wiederaufbau von Ruinen oder verfallenen Gebäuden fällt nicht mehr unter den Bestandsschutz. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Vom Bestandsschutz sind nur solche Reparaturen gedeckt, die das Gebäude vor dem vorzeitigen Verfall oder dem Eintritt der Unbenutzbarkeit vor dem Ablauf der Lebensdauer seiner Substanz schützen, nicht dagegen ein Neubau anstelle des verfallenen bestehenden Baues. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 11 K 12.820 2013-09-12 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Für das streitgegenständliche Grundstück wurde 1944 die Genehmigung für die Errichtung eines Behelfsheimes erteilt. Das errichtete einfache Holzhaus wurde 1986 vom Voreigentümer, Herrn K., erworben. Im Rahmen von Ortsbesichtigungen im Oktober 2005 und März 2006 stellte der zuständige Baukontrolleur des Landratsamtes fest, dass das ehemalige Wohngebäude durch Witterungseinflüsse so stark geschädigt sei, dass es nicht mehr standsicher sei; es sei einsturzgefährdet. Im und um das Gebäude befinde sich jede Menge Müll. Der Zustand des Gebäudes wurde mit Fotos dokumentiert. Das von der Behörde eingeleitete Beseitigungsverfahren wurde mit Bescheid vom 17. Januar 2012 an die Klägerin abgeschlossen, die das Grundstück 2008 erworben hat. Die gegen die Beseitigungsanordnung erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 12. September 2013 abgewiesen, da die Anordnung rechtmäßig ergangen sei. Es könne offen bleiben, ob das streitgegenständliche Gebäude formell und/oder materiell rechtmäßig errichtet worden sei. Jedenfalls sei ein etwaiger Bestandsschutz des Gebäudes spätestens im Oktober 2005 erloschen.
Die mit der Zulassungsbegründung geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, auf die auch in der Kommentarliteratur Bezug genommen wird (vgl. Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Art. 76 Rn. 120, 129) zutreffend ausgeführt, dass der Bestandsschutz eines Gebäudes endet, wenn ein Gebäude derart verfallen ist, dass es nur noch eine „Bauruine“ darstellt. Der Bestandsschutz deckt allein die Erhaltung des vorhandenen Bestandes; dieser Bestand muss noch funktionsgerecht nutzbar sein. Wird der geschützte Baubestand nutzlos, weil das Haus infolge Verfalls unbenutzbar geworden ist, so hat es damit sein Bewenden. Ein Wiederaufbau von Ruinen oder verfallenen Gebäuden fällt nicht mehr unter den Bestandsschutz (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1970 – IV C 119.68 – BVerwGE 36, 296/300, 301; U.v. 21.1.1972 – IV C 212.65 – DVBl 1972, 219; B.v. 18.9.1984 – 4 B 203.84 – NVwZ 1985, 184). Auch nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es darauf an, ob die Identität des wiederhergestellten mit dem ursprünglichen Bauwerk gewährleistet ist, was nach unterschiedlichen Kriterien bemessen werden kann. Bestandsschutz ist nicht mehr gegeben, wenn der mit der Instandsetzung verbundene Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv ist, dass er die Standfestigkeit des gesamten Gebäudes berührt und eine statische Nachberechnung des gesamten Gebäudes erforderlich macht, oder wenn die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen oder gar übersteigen, oder wenn die Bausubstanz ausgetauscht oder das Bauvolumen wesentlich erweitert wird ( vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2001 – 4 B 18.01 – NVwZ 2002, 92).
Das Vorliegen einer Ruine hat das Verwaltungsgericht aus der Einsturzgefährdung des Gebäudes, dem verfallenen Zustand zweier Außenwände, dem verfallenen und von der Ansammlung von Unrat gekennzeichneten Zustand im Inneren, dem in hohem Ausmaß schadhaften Dach, dem Unrat im und um das Gebäude herum und dem seit 1999 fehlenden Strom- und Wasseranschluss hergeleitet. Diese rechtliche Würdigung ist nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht war auch nicht verpflichtet, die vom Zeugen K. vorgenommenen Reparaturarbeiten zu ermitteln, die dieser getätigt hat, nachdem ihn das Landratsamt erstmals zu einer Beseitigungsanordnung angehört hatte. Vom Bestandsschutz sind nur solche Reparaturen gedeckt, die das Gebäude vor dem vorzeitigen Verfall oder dem Eintritt der Unbenutzbarkeit vor dem Ablauf der Lebensdauer seiner Substanz schützen, nicht dagegen ein Neubau anstelle des verfallenen bestehenden Baues (vgl. BVerwG, U.v. 21.1.1972, a.a.O.). Die rechtliche Würdigung, dass das ursprüngliche Behelfsheim spätestens im Oktober 2005 nicht mehr bestandgeschützt gewesen sei, konnte aufgrund einer Gesamtwürdigung der genannten Umstände getroffen werden, eine Gegenüberstellung des Reparaturaufwands und des Aufwands für einen Neubau war angesichts der offensichtlichen Baufälligkeit, die zur Einsturzgefährdung des Gebäudes geführt hat, dem Fehlen großer Mauerteile bei zwei Außenwänden, dem lücken- und schadhaften Dach, dem verkommenen Zustand im und außerhalb des Gebäudes nicht mehr erforderlich. Es handelte sich aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nach objektiven Maßstäben im Oktober 2005 um kein Wohngebäude mehr. Substantiierte Rügen gegen die rechtliche Gesamtwürdigung liegen nicht vor. Die gegen die tatsächlichen Feststellungen erhobenen Rügen führen ebenfalls nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils.
Soweit eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gerügt wird, liegt der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur vor, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder z.B. wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 7 m.w.N.). Der Prozessbevollmächtigte macht geltend, dass der Zeuge K. in der mündlichen Verhandlung unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht habe, dass das Gebäude von ihm (sporadisch) bewohnt worden sei. Nach den Denkgesetzen könne aber ein Gebäude keine Ruine sein, wenn es funktional entsprechend seiner ursprünglichen Bestimmung nutzbar sei. Auf die vom Zeugen K. vorgetragene Bewohnbarkeit kam es für das Verwaltungsgericht aber nicht entscheidungserheblich an, da es die Frage, ob es sich um eine Bauruine handelt, richtigerweise nach objektiven und nicht nach subjektiven Kriterien entschieden hat. Soweit geltend gemacht wird, dass das Dach funktionsfähig gewesen sein müsse, da das Gebäude ansonsten nicht bewohnbar gewesen sei, hat der Zeuge K. in einem Schreiben vom 16. Januar 2006 an das Landratsamt selbst erklärt, dass er nach der Zerstörung des Daches durch einen herabfallenden Ast im Jahr 2005 das Haus nicht mehr bewohnt habe. Weiter kommt es auch nicht entscheidungserheblich darauf an, ob der Zeuge K. und andere Personen sich wieder im Haus aufgehalten haben, nachdem erste Instandsetzungsarbeiten durchgeführt wurden.
Soweit der Prozessbevollmächtigte geltend macht, das die im Behördenakt befindlichen Bilder – insbesondere die Lichtbilder Blatt 41 und 42 vom Inneren des Gebäudes – nicht oder zumindest teilweise nicht das streitgegenständliche Gebäude betreffen, liegen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht vor oder werden bereits nicht dargelegt. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B. v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/20 – juris Rn. 17). Der Rechtsmittelführer muss sich mit den Argumenten, die das Verwaltungsgericht für die angegriffene Rechtsauffassung oder Sachverhaltsfeststellung und –würdigung angeführt hat, inhaltlich auseinandersetzen und aufzeigen, warum sie aus seiner Sicht nicht tragfähig sind. Eine bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens oder eine Bezugnahme darauf genügt diesen Anforderungen nicht. Nicht ausreichend ist es auch, wenn die Richtigkeit einer Tatsachenfeststellung lediglich in Abrede gestellt oder das Gegenteil behauptet wird (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2017 – 1 ZB 14.1681 – juris Rn. 4; B.v. 5.9.2016 – 10 ZB 16.998 – juris Rn. 4). Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen dargelegt (UA S. 10 Mitte, 11 u. 12), dass es sich bei den in den Behördenakten befindlichen Lichtbildern um das streitgegenständliche Gebäude handelt und sich mit den Einwendungen des Klägerin im Klageverfahren auseinandergesetzt. Insbesondere wurde ausgeführt, dass die Bilder vom Zustand des Daches dem Gebäude zuzuordnen sind und dessen hohe Schadhaftigkeit belegen. Die bloße Bezugnahme auf das Klagevorbringen und ergänzend auf beigefügte eidesstattliche Versicherungen genügt dem Darlegungserfordernis nicht. Soweit ausgeführt wird, dass die im März 2006 aufgenommenen Bilder nicht das streitgegenständliche Anwesen betreffen, da an dem Haus nie ein Schild „B.“ angebracht gewesen sei, eine Adressumbenennung für 2 Jahre völlig ungewöhnlich sei und dem Liegenschaftskataster eine solche Neubezeichnung nicht entnommen werden könne, führt dies nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils. Das Verwaltungsgericht konnte der Auskunft der Gemeinde Berg, dass das Anwesen von 1975 bis 1977 diese Adresse hatte, eine höheren Beweiswert zumessen als der unsubstantiierten Gegenbehauptung der Klägerin und der Behauptung des Zeugen K.. Auch mit der Zulassungsbegründung werden keine neuen Umstände aufgezeigt, die eine andere Bewertung erfordern.
Mit der Rüge, dass das Verwaltungsgericht es unterlassen habe, den damaligen Baukontrolleur als Zeugen zu befragen, wird ein Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) geltend gemacht. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt aber nicht vor.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verletzt ein Gericht seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat. Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Versäumnisse eines anwaltschaftlich vertretenen Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren und insbesondere Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter zumutbarerweise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6 m.w.N.). Dass sich dem Verwaltungsgericht eine Zeugeneinvernahme des Baukontrolleurs zu der Frage, ob die Bilder vom 22. März 2006 vom streitgegenständlichen Gebäude stammen, aufdrängen musste, wird bereits nicht ausreichend dargelegt. Das Verwaltungsgericht musste auch nicht aufklären, welche Reparaturarbeiten der Zeuge K. an dem Gebäude vorgenommen hat, da es hierauf nicht entscheidungserheblich ankam (vgl. oben).
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).