Baurecht

Beseitigungsanordnung wegen Verletzung von Abstandsflächen und Zustimmung des Nachbarn

Aktenzeichen  1 ZB 18.1668

Datum:
15.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15093
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6 Abs. 2 S. 3, Art. 76 S. 1

 

Leitsatz

Bei der Ermessensentscheidung über eine Abweichung von bauaufsichtlichen Anforderungen, bei der die nachbarlichen Interessen in die Abwägung einzustellen sind, sind diese objektiv zu würdigen. Ein bloßer Verzicht des Nachbarn auf die Einhaltung der Abstandsflächen kann das Bauvorhaben nicht von der Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Abstandsvorschriften freistellen, da diese ungeachtet ihres (auch) nachbarschützenden Charakters nicht zur Disposition des Einzelnen stehen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 16.5648 2018-05-17 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Kläger errichteten abweichend von der ihnen erteilten Baugenehmigung an der südlichen Grundstücksgrenze Gebäude mit einer Gesamtlänge von 22,5 m. Dabei wurde die vorhandene Garage auf ca. 4 m erhöht, der genehmigte Anbau höher und länger errichtet und ein Holzschuppen mit einer Länge von 12,75 m und Höhe zwischen 3,25 m und 3,5 m angebaut. Mit Bescheid vom 21. November 2016 verpflichtete das Landratsamt die Kläger zu einem Rückbau der Garage und des Anbaus auf das genehmigte und genehmigungsfähige Maß und zu einer vollständigen Beseitigung des Holzschuppens. Die dagegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 17. Mai 2018 ab. Der Tatbestand des Art. 76 Satz 1 BayBO sei erfüllt, da das klägerische Vorhaben formell und materiell illegal sei. Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Zulassung einer Abweichung gemäß Art. 63 BayBO von der Pflicht zur Einhaltung von Abstandsflächen, da es sich nicht nur um eine minimale, sondern eine erhebliche Überschreitung der Abstandsflächen handeln würde und jedenfalls eine Kollision mit Interessen des Eigentümers des südlich angrenzenden Gewerbegrundstücks nicht ausgeschlossen werden könne. Allein die Tatsache, dass das benachbarte Grundstück (erheblich) gewerblich genutzt werde, reiche nicht aus, um im vorliegenden Fall eine Atypik anzunehmen, die den Klägern einen Anspruch auf Erteilung einer Abweichung vermittle. Die errichteten Anlagen dienten auch nach ihrer objektiven Zweckbestimmung primär nicht einem Schall- oder Immissionsschutz, sondern dem Unter- und Abstellen von Fahrzeugen sowie der Lagerung von Holz, Garten- und sonstigen Gerätschaften.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der sinngemäß geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor bzw. ist nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz2 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 -1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Der Senat geht dabei davon aus, dass einzelne Ausführungen in dem Zulassungsantrag noch dem Darlegungserfordernis genügen. Das Verwaltungsgericht ist aber zutreffend davon ausgegangen, dass die erlassene Rückbau- und Beseitigungsanordnung rechtmäßig ist. Um Wiederholungen zu vermeiden, verweist der Senat auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil und folgt diesen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend wird folgendes angemerkt:
Soweit der Kläger auf die Zustimmung des Nachbarn zu seinem Bauvorhaben abstellt, die im Übrigen nicht belegt ist, hat eine solche keine konstitutive Wirkung für die Genehmigungsfähigkeit des konkreten Bauvorhabens. Auch wenn der Nachbar dem Bauvorhaben zugestimmt haben sollte, entfällt nicht die eigenständige Prüfung durch die Baugenehmigungsbehörde. Bei der Ermessensentscheidung über eine Abweichung von bauaufsichtlichen Anforderungen, bei der die nachbarlichen Interessen in die Abwägung einzustellen sind, sind diese objektiv zu würdigen (vgl. BayVGH Großer Senat, B.v. 3.11.2005 – 2 BV 04.1756 u.a. – BayVBl 2006, 246). Das Landratsamt hat die Kläger im Verwaltungsverfahren mehrfach auf die Möglichkeit hingewiesen, dass der Nachbar die fehlenden Abstandsflächen auf seinem Grundstück übernimmt (Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO); dazu war dieser aber offensichtlich nicht bereit. Ein bloßer Verzicht des Nachbarn auf die Einhaltung der Abstandsflächen kann das Bauvorhaben nicht von der Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Abstandsvorschriften freistellen, da diese ungeachtet ihres (auch) nachbarschützenden Charakters nicht zur Disposition des Einzelnen stehen (vgl. OVG NW, U.v. 15.5.1997 – 11 A 7224/95 – BauR 1997, 996).
Eine Beseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 BayBO setzt voraus, dass die Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden ist und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Zentraler Bestandteil des Beseitigungsverfahrens ist daher die umfassende und abschließende Prüfung, ob die betroffene Anlage materiell rechtswidrig ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.11.2015 – 1 ZB 15.1978 – BayVBl 2016, 383). Zu dieser Prüfung bedurfte es vorliegend keines Bauantrags. Es würde gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, wenn die Behörde einen Bauantrag fordert, obwohl bereits die bauordnungsrechtliche Unzulässigkeit feststeht. Die Kläger haben im Verwaltungsverfahren deutlich gemacht, dass sie nur einen Bauantrag stellen wollen, der den Bestand legalisieren soll (vgl. Bl. 14, 28 der Behördenakte).
Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG und berücksichtigt, dass im Zulassungsverfahren die Herstellung der Stellplätze nicht mehr streitgegenständlich ist.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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