Aktenzeichen 9 ZB 17.882
Leitsatz
Zur Darlegung der Gründe für den Antrag auf Zulassung der Berufung ist eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes sowie eine erkennbare Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs, insbesondere eine substanzielle Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil erforderlich (hier für unzureichend erachtet im Rahmen einer Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung wegen Verletzung des Rücksichtnahmegebots). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
AN 3 K 16.1468 2017-03-08 Urt VGANSBACH VG Ansbach
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die dem Beigeladenen vom Landratsamt F* … erteilte Baugenehmigung vom 27. Juni 2016. Genehmigt wurde die „veränderte Ausführung des mit Bescheid vom 17.04.2012 genehmigten Umbaus und Nutzungsänderung der Scheune mit Nebengebäude als Lager und Garagen (veränderte Dachform)“. Hilfsweise begehrt die Klägerin vom Beklagten, bauaufsichtlich gegen das genehmigte Vorhaben einzuschreiten. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 8. März 2017 ab. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel der Klägerin.
II.
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Klägerin beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, beurteilt sich im Wesentlichen anhand dessen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
1. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin hat das Verwaltungsgericht den „vorgetragenen Sachverhalt“ zutreffend wiedergegeben.
Im Tatbestand des angegriffenen Urteils gibt das Verwaltungsgericht den Vortrag der Klägerin korrekt wieder, wonach der Abstand zwischen Nachbargebäude und Grundstücksgrenze deutlich zwischen 3 m bis zu knapp 2 m differiere (S 3 d. UA, S. 2 der Klagebegründung vom 1.12.2016). Soweit das Verwaltungsgericht im Tatbestand (S. 3 d. UA) und in den Entscheidungsgründen (S. 9 d. UA) ausführt, der geringste Abstand des Gebäudes zum Grundstück der Klägerin beträgt in etwa 2,50 m, nimmt es auf seine eigenen tatrichterlichen Feststellungen Bezug. Es wird nicht dargelegt, dass die tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts insoweit unzutreffend wären.
2. Das Vorbringen der Klägerin, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe das Vorhaben des Beigeladenen jedenfalls über die Hälfte der gemeinsamen Grundstücksgrenze eine bedrängende Wirkung, „Beweis: Einholung eines Sachverständigengutachtens“, genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Danach sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
„Darlegen“ bedeutet schon nach allgemeinem Sprachgebrauch mehr als lediglich ein allgemeiner Hinweis; „etwas darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (vgl. BVerwG, B.v. 2.11.2017 – 4 B 62.17 – juris Rn. 9 m.w.N.). Das Darlegungsgebot erfordert deshalb eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes sowie eine erkennbare Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs (vgl. BayVGH, B.v. 31.5.2017 – 9 ZB 17.703 – juris Rn. 3 m.w.N.), insbesondere eine substanzielle Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil (vgl. Happ in Eyermann, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 62 m.w.N.). Daran fehlt es.
Das Verwaltungsgericht hat eine Verletzung des nachbarschützenden Rücksichtnahmegebots verneint, weil „sich das geplante Vorhaben des Beigeladenen nur in etwa der Hälfte der Länge der gemeinsamen Grundstücksgrenze erstreckt“. Es könne daher kein „Eingemauertsein“ angenommen werden. Davon abgesehen sei das Rücksichtnahmegebot auf einen angemessenen Ausgleich im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis gerichtet. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass das klägerische Grundstück entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze zum Grundstück des Beigeladenen mit Gebäuden bebaut sei.
Mit dieser vom Verwaltungsgericht gegebenen Begründung setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht substanziiert auseinander. Der Vortrag der Klägerin, jedenfalls in dem Bereich, der mehr als die Hälfte der gemeinsamen Grundstücksgrenze umfasse, habe das Vorhaben eine bedrängende Wirkung und der Hinweis auf ein einzuholendes Sachverständigengutachten können die notwendige Auseinandersetzung mit der rechtlichen Bewertung der konkreten Umstände des Einzelfalls durch das Verwaltungsgericht nicht ersetzen, zumal die Beurteilung, ob sich ein genehmigtes Vorhaben aufgrund seines Ausmaßes dem Nachbarn gegenüber als rücksichtslos erweist, der tatrichterlichen Würdigung unterliegt, die einem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist (vgl. OVG NW, B.v. 9.7.2010 – 2 A 1263/09 – juris Rn. 35).
3. Das Vorbringen der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe bei der Frage, wie sich ein Abstandsflächenverstoß auf die Nachbarklage gegen die Baugenehmigung auswirke, nicht berücksichtigt, dass durch die Baugenehmigung eine neue Situation entstehe, führt nicht zur Zulassung der Berufung.
a) Das Verwaltungsgericht führt aus, dass das Abstandsflächenrecht nicht zum Prüfumfang der hier im vereinfachten Verfahren erteilten Baugenehmigung gehört und dass eine Verletzung von Abstandsflächenvorschriften nicht zugleich eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots indiziert (st.Rspr. vgl. z.B. BayVGH, B.v. 20.12.2016 – 9 CS 16.2088 – juris Rn. 16 m.w.N.). Weshalb unter Berücksichtigung der konkreten Umstände etwas anderes gelten soll, wird nicht dargelegt.
b) Im Übrigen liegt dem angefochtenen Urteil die vonseiten der Klägerin eingewandte „neue Situation“ zugrunde. Das Verwaltungsgericht hat die Zulässigkeit des Vorhabens an § 34 BauGB gemessen, ohne entscheidungserheblich auf das mit Bescheid vom 6. März 2012 genehmigte Vorhaben abzustellen, dessen Änderung mit dem gegenständlichen Bescheid vom 27. Juni 2016 genehmigt wurde.
c) Das Vorbringen, die Heranziehung des Grundsatzes von Treu und Glauben, der auch in nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnissen Anwendung findet (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2014 – 15 CS 14.1710 – juris Rn. 22 m.w.N.), sei verfehlt, weil sich die bestehende Situation verschärfe, setzt sich nicht mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinander.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass sich ein Nachbar in der Regel nicht auf die Verletzung einer nachbarschützenden Norm berufen kann, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück den Anforderungen dieser Vorschrift widerspricht und wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichwertig sind und nicht zu, gemessen am Schutzzweck der Vorschrift, schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnissen führen. Insoweit stellt es auf die bestehende Grenzbebauung auf dem klägerischen Grundstück zum Grundstück des Beigeladenen hin ab, die zumindest gleichwertig sei. Hierauf geht das Zulassungsvorbringen nicht ein.
d) Den vonseiten der Klägerin aufgestellten allgemeinen Rechtssatz, dass man demjenigen, der schon in der Vergangenheit das Abstandsflächenrecht nicht eingehalten habe, nicht erlauben könne, nun auch im nächsten Stockwerk das Abstandsflächenrecht zu missachten, gibt es nicht. Maßgeblich sind stets die konkreten Verhältnisse im Einzelfall.
4. Das Vorbringen der Klägerin im Hinblick auf die Ablehnung ihres hilfsweise gestellten Verpflichtungsantrags auf bauaufsichtliches Einschreiten führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.
Insoweit kann dahinstehen, ob der beim Verwaltungsgericht gestellte Verpflichtungsantrag wegen Nichterfüllens der Voraussetzungen des § 75 VwGO unzulässig war. Denn das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung selbständig tragend darauf gestützt, dass der Verpflichtungsantrag unbegründet ist. Ist das Urteil des Verwaltungsgerichts auf zwei selbständig tragende Begründungen gestützt (kumulative Mehrfachbegründung), kann die Berufung nur zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht ist und vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2017 – 9 ZB 15.85 – juris Rn. 6 m.w.N.). Daran fehlt es.
Nach den Rechtsausführungen des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten. Dabei hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf verwiesen, einen Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten könne es nur ausnahmsweise bei erheblichen Beeinträchtigungen rechtlich geschützter Rechtsgüter des Nachbarn geben, weil dann das Ermessen auf Null reduziert ist (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 28.8.2015 – 9 ZB 13.1876 – juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 22.10.2015 – 1 CE 15.2077 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 25.9.2013 – 14 ZB 12.2033 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 4.7.2011 – 15 ZB 09.1237 – juris Rn. 11; ebs. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Oktober 2017, Art. 75 Rn. 143 ff., Art. 76 Rn. 486 ff., jeweils m.w.N.). Solche erheblichen Beeinträchtigungen seien vorliegend jedoch nicht erkennbar.
a) Das gegen diese Rechtsauffassung gerichtete Vorbringen der Klägerin, das Rücksichtnahmegebot sei verletzt, weshalb der Beklagte einzuschreiten habe, genügt ebenso wenig den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO wie das Vorbringen zur Verletzung des Rücksichtnahmegebots aufgrund der angefochtenen Baugenehmigung vom 27. Juni 2017, auf das die Klägerin verweist.
b) Nichts anderes ergibt sich unter Berücksichtigung des inzwischen ergangenen Bescheids des Landratsamts vom 28. April 2017, mit dem der Antrag der Klägerin auf bauaufsichtliches Einschreiten abgelehnt wurde.
Die Klägerin hat zwar unter Vorlage des Bescheids vom 28. April 2017 innerhalb der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vorgetragen, dass ihr Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten nach Erlass des angefochtenen Urteils abgelehnt wurde und „jedenfalls nunmehr ein anzugreifender Bescheid vor(liegt), gegen den sich die Klage nunmehr auch richtet“. Soweit es die Feststellung des Verwaltungsgerichts betrifft, dass die Klägerin keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten hat, fehlt es aber an weitergehenden Darlegungen dazu, weshalb unter Berücksichtigung des Ablehnungsbescheids ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen. Davon abgesehen ist durch den Ablehnungsbescheid vom 28. April 2017 insoweit auch keine entscheidungserhebliche Änderung der Tatsachen- oder Rechtslage eingetreten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 und § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).