Baurecht

Drittanfechtungsklage gegen Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage

Aktenzeichen  Au 5 S 18.367

Datum:
22.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7108
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34, § 35, § 212a
VwGO § 80a

 

Leitsatz

1. Erhebt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage, so kann das Gericht auf Antrag gem. § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO die gem. § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen, wobei das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber zu treffen hat, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden. Dabei stehen sich das Suspensivinteresse des Nachbarn und das Interesse des Bauherrn, von der Baugenehmigung sofort Gebrauch zu machen, grundsätzlich gleichwertig gegenüber. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Fällt die Erfolgsprognose bei der Interessenabwägung im baurechtlichen Nachbarrechtsstreit zugunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also bereits bei summarischer Prüfung gegenüber den Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hat die Anfechtungsklage eines Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der vorzunehmenden und zu Lasten des Antragstellers ausfallenden Interessenabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zum Neubau eines Wohnhauses mit Garage auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … (…).
Der Antragsteller ist Eigentümer des nordwestlich an das vorgesehene Baugrundstück angrenzenden Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung … (…), welches mit einem selbst genutzten Einfamilienhaus bebaut ist.
Die Beigeladenen sind Miteigentümer des Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung, welches südöstlich an das Grundstück des Antragstellers anschließt. Die unmittelbar nördlich und südlich des Baugrundstücks gelegenen Grundstücke mit den Fl.Nrn. … und … der Gemarkung … sind unbebaut. Westlich und östlich des in Aussicht genommenen Baugrundstücks befindet sich entlang der …gasse bzw. der …-Straße geschlossene, zusammenhängende Bebauung.
Im Flächennutzungsplan der Stadt … ist der maßgebliche Bereich als Mischgebiet dargestellt.
Am 29. März 2017 stellten die Beigeladenen beim Antragsgegner eine Bauvoranfrage hinsichtlich des Neubaus eines Wohnhauses mit Doppelgarage auf dem Grundstück Fl.Nr. ….
Mit am 19. Juni 2017 beim Beklagten eingegangenen Bauantrag haben die Beigeladenen eine Baugenehmigung zum Neubau eines Wohnhauses mit Garage auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … beantragt.
Mit Bescheid des Landratsamtes … vom 11. September 2017 wurde den Beigeladenen das Bauvorhaben „Neubau eines Wohnhauses mit Garage“ auf Fl.Nr. … der Gemarkung … nach Maßgabe der beiliegenden geprüften und revidierten Bauvorlagen erteilt.
In den Gründen ist u.a. ausgeführt, dass das Bauvorhaben nach Art. 55 Bayerische Bauordnung (BayBO) genehmigungspflichtig sei. Es widerspreche nicht öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen seien, so dass die Baugenehmigung mit den unter Ziffer 1 abgedruckten Vorgaben erteilt werden könne (Art. 68 BayBO i.V.m. Art. 36 Abs. 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG). Das geplante Bauvorhaben befinde sich innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles und sei somit dem unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) zuzuordnen. Bei einer Ortseinsicht am 10. März 2017 sei festgestellt worden, dass aufgrund der tatsächlich vorhandenen Bebauung bis zur Höhe des Nachbargebäudes auf der Fl.Nr. … der Gemarkung … von einer Innenbereichslage auszugehen sei. Das beantragte Bauvorhaben überschreite diese Höhe an der Ostseite lediglich geringfügig, weshalb die Beurteilung des Vorhabens nach § 34 BauGB erfolgt sei. Das Vorhaben befinde sich in einem faktischen Mischgebiet. Die nähere Umgebung sei geprägt durch eine offene, teilweise abweichende (halboffene) Bebauung mit vorwiegend einbzw. zweigeschossigen Wohnhäusern mit Satteldächern. Das Vorhaben sei nach der Art der baulichen Nutzung in einem faktischen Mischgebiet als Wohngebäude allgemein zulässig. Das Maß der baulichen Nutzung werde nicht überschritten. Es füge sich auch aufgrund der Bauweise ein. Die überbaubare Grundstücksfläche werde in Richtung Osten durch die vorhandene Bebauung begrenzt. Dieser Bauraum werde von dem geplanten Wohngebäude nicht entscheidungserheblich überschritten. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse seien gewahrt. Nachbarschützende Belange seien nicht beeinträchtigt. Die geplante Garage an der nördlichen Grundstücksgrenze überschreite die zulässige Grenzbebauung von 9 m je Grundstücksgrenze nicht. Sie sei nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 BayBO ohne eigene Abstandsflächen an der nördlichen Grundstücksgrenze zulässig.
Auf den weiteren Inhalt des Bescheides des Landratsamtes … vom 11. September 2017 wird ergänzend verwiesen.
Der Antragsteller hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt, den Bescheid des Landratsamtes … vom 11. September 2017 (Az.: … – Neubau eines Wohnhauses mit Garage auf Fl.Nr. … der Gemarkung …) aufzuheben (Az. Au 5 K 17.1555).
Mit Schriftsatz vom 8. März 2018 hat der Antragsteller darüber hinaus im Verfahren einstweiligen Rechtsschutz beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 11. September 2017 (Az.: …) anzuordnen.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 80a Abs. 3 VwGO sei ohne weiteres zulässig. Mit dem Bauvorhaben sei bereits begonnen worden, allerdings sei es noch nicht soweit umgesetzt, dass durch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Entstehung faktischer Verhältnisse nicht noch verhindert werden könne. Es finde derzeit der Aushub des Kellers statt. Die Klage gegen die Baugenehmigung habe keine aufschiebende Wirkung (§ 212a Abs. 1 BauGB). Der Antrag sei auch begründet. Im Rahmen einer originären Ermessenentscheidung seien die Interessen des Antragstellers, des Antragsgegners und der Beigeladenen gegeneinander und untereinander abzuwägen. Ergebe die Prüfung der Erfolgsaussichten des in der Hauptsache erhobenen Rechts-behelfes, dass dieser offensichtlich erfolgreich sei, so sei dem Antrag auf Ge-währung vorläufigen Rechtsschutzes zu entsprechen. Die Anwendung dieser Grundsätze ergäbe im vorliegenden Fall ein Überwiegen des Aussetzungsinteresses des Antragstellers, hinter welchem das Vollzugsinteresse der Beigeladenen zurück zutreten habe. Bei der gebotenen Interessenabwägung sei zudem maßgeblich, dass die angefochtene Baugenehmigung öffentliche Nachbarrechte des Antragstellers und Antragstellers verletze. Hierzu werde auf die Ausführungen zur Begründetheit der Klage in der Hauptsache verwiesen.
Mit Gerichtsbeschluss vom 8. März 2018 wurden die Bauherren zum Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes notwendig beigeladen. Ein Antrag wurde nicht gestellt.
Das Landratsamt … hat für den Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2018 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das Gericht hat durch den Berichterstatter am 13. März 2018 im Klageverfahren Au 5 K 17.1555 einen nichtöffentlichen Augenscheinstermin am Baugrundstück und dessen näherer Umgebung durchgeführt. Auf die Niederschrift und die gefertigten Lichtbilder wird verwiesen.
Am 22. März 2018 fand mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vom Antragsgegner vorgelegten Verfahrensakten verwiesen.
II.
Der Antrag des Antragstellers gemäß § 80a Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 12. Oktober 2017 (Au 5 K 17.1555) gegen die vom Antragsgegner mit Bescheid vom 11. September 2017 den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohnhauses mit Doppelgarage, ist zulässig, aber unbegründet und hat daher in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Baugenehmigung verletzt keine nachbarschützenden Vorschriften, die im Prüfumfang der Baugenehmigung enthalten sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 59 Satz 1 BayBO).
Nach § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber zu treffen, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden. Dabei stehen sich das Suspensivinteresse des Nachbarn und das Interesse des Bauherrn, von der Baugenehmigung sofort Gebrauch zu machen, grundsätzlich gleichwertig gegenüber. Im Rahmen einer Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Fällt die Erfolgsprognose zugunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also bereits bei summarischer Prüfung gegenüber den Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.1991 – 1 CS 91.439 – juris). Hat dagegen die Anfechtungsklage von Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der vorzunehmenden und zu Lasten des Antragstellers ausfallenden Interessenabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 18).
Dies zugrunde legend ergibt sich vorliegend Folgendes. Das Gericht hat mit Urteil vom 22. März 2018 im Verfahren Au 5 K 17.1555 die Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 11. September 2017 in vollem Umfang mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger durch den streitgegenständlichen Baugenehmigungsbescheid, der den Beigeladenen erteilt wurde, nicht in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Auf die Entscheidungsgründe des Urteils im Verfahren Au 5 K 17.1555 wird verwiesen.
Da das Vorbringen des Antragstellers nicht geeignet ist, eine Verletzung in ihn schützenden subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten zu begründen, war der Antrag folglich abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da die Beigeladenen sich ohne Antragstellung keinem Prozesskostenrisiko aus § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt haben, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst zu tragen haben (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG), § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 9.7.1 der Empfehlungen des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (BayVBl – Sonderbeilage Januar 2014). Danach hat das Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Hälfte des im Klageverfahren gebotenen Streitwertes in Höhe von 7.500,- EUR festgesetzt.

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