Aktenzeichen M 9 K 20.3069
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, da sie unbegründet ist.
Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erteilung der beantragten Baugenehmigung, da das Vorhaben den öffentlichen Vorschriften widerspricht, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (§ 113 Abs. 5 VwGO, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO, Art. 59 Abs. 1 BayBO).
1. Das Bauvorhaben ist bereits bauplanungsrechtlich unzulässig, da es sich nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Diese Überzeugung des Gerichts beruht auf dem Ergebnis des Augenscheins am 15. September 2021, den örtlichen Verhältnissen sowie der Umgebungsbebauung der Vorhabensgrundstücke.
Das streitgegenständliche Vorhaben hält sich nicht innerhalb des durch seine nähere Umgebung vorgegebenen Maßes der baulichen Nutzung und fügt sich insoweit in diese nicht ein. Ein Vorhaben fügt sich dann nicht im Sinn des § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es, bezogen auf die in dieser Vorschrift genannten Kriterien, den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen überschreitet und geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche, bewältigungsbedürftige Spannungen zu begründen oder zu erhöhen (BVerwG, B.v. 25.3.1999 – 4 B 15/99 – juris Rn. 5). Im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB ist in erster Linie auf solche Maßfaktoren abzustellen, die nach außen hin wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung in Beziehung zueinander setzen lassen, weshalb bei offener Bebauung auch deren Verhältnis zur umliegenden Freifläche als Bezugsgröße zur Ermittlung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung relevant ist (vgl. BVerwG, U. v. 23.03.1994 – 4 C 18/92 – NVwZ 1994, 1006 – juris; B. v. 14.03.2013 – 4 B 49/12 – juris; B. v. 03.04.2014 – 4 B 12/14 – juris). Damit ist eine Berücksichtigung der anderen Maßfaktoren der Baunutzungsverordnung zwar nicht ausgeschlossen – sie werden allerdings vielfach nur eine untergeordnete bis gar keine Bedeutung für die Frage des Einfügens haben, weil sie in der Örtlichkeit häufig nur schwer ablesbar sind (vgl. BVerwG, B. v. 14.03.2013 – 4 B 49/12 – juris).
Der obergerichtlichen Rechtsprechung folgend ist bei der Prüfung des Maßes der baulichen Nutzung im Innenbereich daher auf die nach außen wirkenden Größen wie Grundfläche und Höhe der baulichen Anlage in ihrer Gesamterscheinung, also der Kubatur abzustellen und nicht auf die in §§ 16 ff. BauNVO enthaltenen Definitionen bzw. Kriterien, die allenfalls eine grobe Orientierungshilfe darstellen (vgl. BVerwG, U. v. 23.03.1994 – 4 C 18/92 – NVwZ 1994, 1006 ff. – juris).
Dabei verbietet sich in einer Art „Rosinentheorie“, dass sich das Vorhaben zur Rahmenfestlegung an mehreren Gebäuden gleichzeitig orientiert, welche bezüglich eines dieser absoluten Faktoren jeweils einen Maximalwert aufweisen und diese Einzelwerte dann kombiniert werden. Ein Vorhaben kann sich also nicht gleichzeitig an der größtmöglichen Grundfläche, der höchsten Wandhöhe und/oder Firsthöhe von jeweils verschiedenen Gebäuden orientieren.
Gemessen an diesen Grundsätzen und unter Berücksichtigung des beim Augenschein gewonnen Eindrucks der örtlichen Verhältnisse fügt sich das streitgegenständliche Vorhaben mit Blick auf das Maß der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung ein. In der maßgeblichen Umgebung finden sich keine hinsichtlich Grundfläche, Geschosszahl sowie Höhenentwicklung baulich entsprechenden Gebäude. Das streitgegenständliche Vorhaben ist mit Blick auf seine Grundfläche beispiellos. Dabei kann es dahinstehen, ob die Grundfläche, wie der Klägerbevollmächtigte meint, ca. 228 m2, oder, wie der Beklagte meint, ca. 258 m2 aufweist. Denn selbst die Angaben des Klägerbevollmächtigten zugrunde gelegt, finden sich ausweislich des Ergebnisses des Augenscheins, der in den Akten enthaltenen Fotos sowie der Berechnungen im Bayernatlas in der näheren Umgebung keine prägenden, im äußeren Erscheinungsbild mit dem Vorhaben vergleichbaren Gebäude mit einer annähernd großen Grundfläche. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten kann mit Blick auf die Grundfläche nicht die unmittelbar südlich angrenzende Bebauung auf FlNr. … in seiner Gänze als Vergleichsobjekt herangezogen werden. Zwar mag die Grundfläche des zweigeschossigen Wohngebäudes mit dem eingeschossigen Anbau zusammengerechnet mit der Grundfläche des streitgegenständlichen Vorhabens vergleichbar sein. Jedoch scheitert die Eigenschaft der Bebauung auf FlNr. … als Vergleichsobjekt bereits an dem Umstand, dass die Kubatur des gesamten Gebäudes aufgrund des eingeschossigen Anbaus schon nicht mit dem streitgegenständlichen Vorhaben vergleichbar ist. Die Gesamterscheinung der Bebauung auf FlNr. … ist eine völlig andere, mithin nicht für das geplante Mehrfamilienhaus in seiner Gänze maßstabsbildend. Die vergleichbare zweigeschossige Bebauung auf diesem Grundstück hat eine Grundfläche von ca. 125 m2. Mit Blick darauf stellt das streitgegenständliche Vorhaben mit einer Grundfläche von 228 m2 – schon die Angaben des Klägervertreters zugrunde gelegt – eine wesentliche Überschreitung es vorgegebenen Rahmens dar. Ebenso verhält es sich mit der Bebauung westlich, jenseits der B. … Straße auf FlNr. … Der eingeschossige Teil des Gewerbebaus kann entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten nicht als Vergleichsobjekt für das streitgegenständliche, zweigeschossige Vorhaben herangezogen werden. Das zweigeschossige Wohngebäude – als Vergleichsobjekt mit Blick auf die Geschossigkeit grundsätzlich denkbar – weicht betreffend die Grundfläche (ca. 150 m2) erheblich von der Grundfläche des streitgegenständlichen Vorhabens (mindestens 228 m2) ab. Auch hier sind die maßgebliche Kubatur und das Gesamterscheinungsbild nicht vergleichbar. Ebenso verhält es sich mit Blick auf die Bebauung östlich der Vorhabensgrundstücke. Auch hier bleibt die Grundfläche des Wohngebäudes (ca. 170 m2) hinter der Grundfläche des streitgegenständlichen Vorhabens in erheblichem Umfang zurück. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten ist insofern nicht entscheidend, welcher Nutzung die einzelnen Gebäude zugeführt wurden. Entscheidend sind allein die nach außen wahrnehmbaren Faktoren. Danach können eingeschossige Gebäude nicht als Vorbild für das streitgegenständliche, zweigeschossige Gebäude dienen. Allein einzelne absolute Bezugsgrößen könnten vorliegend gegebenenfalls eine Vergleichbarkeit begründen, was sich jedoch mit Blick auf die bereits erwähnte „Rosinentheorie“ und die Maßstäbe, welche die obergerichtliche Rechtsprechung mit Blick auf das Einfügen und das Maß der baulichen Nutzung setzt, verbietet. FlNr. … kann ebenfalls nicht als Vorbild für das streitgegenständliche Vorhaben dienen. Das zweigeschossige Wohnhaus hat eine Grundfläche von ca. 176 m und liegt somit deutlich unter der des beantragten Vorhabens. Ein zweigeschossiges Gebäude mit der beantragten Grundfläche ist in der maßgeblichen Umgebung beispiellos. Das Vorhaben fügt sich mit Blick auf das Maß der baulichen Nutzung nach alledem nicht in die nähere Umgebung ein.
Der Verweis des Klägervertreters auf die Vorschrift des § 34 Abs. 3a BauGB führt zu keinem anderen Ergebnis. Es bestehen schon keine Anhaltspunkte dafür und insofern wurde auch nichts vorgetragen, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift im vorliegenden Fall betroffen wäre. Denn insgesamt werden von § 34 Abs. 3a BauGB nur Vorhaben erfasst, die den vorhandenen Bestand unberührt lassen bzw. im Fall der Erneuerung den legalen Bestand wiederherstellen sollen (BeckOK BauGB/Spannowsky, 53. Ed. 1.8.2021, BauGB § 34 Rn. 74). Die vormals auf dem Grundstück bestehende Bebauung ist bereits nicht mehr vorhanden. Wenngleich eine Erneuerung im Sinne dieser Vorschrift mit einer Erweiterung grundsätzlich verbunden werden kann, so ist im vorliegenden Fall weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der vormals legale Bestand in irgendeiner Form (teilweise) wiederhergestellt werden soll (vgl. in diesem Zusammenhang und zu dem Umstand, dass durch den Neubau kein „aliud“ im Vergleich zu dem früheren Bestand entstehen darf BayVGH, B.v. 30.3.2015 – 2 ZB 13.1962 m.w.N.). Auch inwiefern der Altbestand die Umgebungsbebauung mit Blick auf eine „Privilegierung“ nach § 34 Abs. 3a BauGB geprägt haben soll und inwiefern es sich bei dem streitgegenständlichen Sachverhalt um einen Einzelfall im Sinne von § 34 Abs. 3a Satz 1 bzw. Satz 3 BauGB handeln sollte ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Das Vorhaben fügt sich auch nicht – trotz Rahmenüberschreitung – ausnahmsweise nach dem Maß seiner baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Vielmehr wäre es geeignet, bodenrechtlich beachtliche und ausgleichsbedürftige Spannungen zu begründen. Hierfür reicht die mögliche Vorbildwirkung des Vorhabens für andere Bauvorhaben auf Nachbargrundstücken in vergleichbarer Lage aus (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 15 ZB 14.1542 – juris Rn. 17 m.w.N.). Eine solche Wirkung ist hier gegeben. Die Zulassung einer Hauptnutzung in der vorgenannten Größenordnung auf dem klägerischen Grundstück hätte eine Vorbildwirkung für ähnliche Bauwünsche auf den umliegenden Grundstücken und damit eine deutliche bauliche Verdichtung zur Folge. Besondere Grundstücksverhältnisse oder sonstige Umstände, die dies ausschließen würden, sind nicht ersichtlich. Eine Nachverdichtung und bauliche Entwicklung, wie sie mit dem streitgegenständlichen Vorhaben beabsichtigt ist, kann nicht mit den Instrumenten des § 34 Abs. 1 BauGB gesteuert werden, sondern bleibt der Planungshoheit der Gemeinde bzw. des Marktes vorbehalten.
2. Dem Vorhaben steht im Übrigen § 3 Abs. 2 der Satzung über die Herstellung und Ablösung von Garagen und Stellplätzen vom 23. März 2018, entgegen (Art. 59 Satz 1 Nr. 1c) BayBO). Danach sind für ein Vorhaben wie das streitgegenständliche insgesamt 14 Stellplätze nachtzuweisen. Zwar hat der Klägerbevollmächtigte nach eigenen Angaben geänderte Pläne mit insgesamt 14 Stellplätzen bei dem Beklagten eingereicht und insofern den Bauantrag ergänzt. Jedoch liegen dem Gericht insofern zum einen keine ordnungsgemäßen, unterschriebenen Bauvorlagen vor. Insbesondere enthält der der Klageschrift angefügte geänderte Plan, datiert vom 28. Juni 2020, schon keine Unterschriften. Zum anderen hat der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung am 15. September 2021 den Antrag aus der Klageschrift vom 10. Juli 2020 gestellt. Dieser lautet ausdrücklich auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit sechs Wohnungen und sechs überdachten Stellplätzen auf den Vorhabensgrundstücken. Eine Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der insofern beantragten Baugenehmigung mit sechs Stellplätzen scheidet mithin schon aufgrund des Widerspruchs zu den Vorgaben der Stellplatzsatzung des Marktes Burgheim, welche für das streitgegenständliche Vorhaben insgesamt 14 Stellplätze fordert, aus.
Die Kostenentscheidung fußt auf §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, sodass es mangels Kostenrisiko nicht der Billigkeit entspricht, seine außergerichtlichen Kosten dem Kläger aufzuerlegen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.