Aktenzeichen 2 B 17.1742
GG Art. 3 Abs. 1
BV Art. 118a
Leitsatz
Eine weitere Optimierung einer bereits vorhandenen großzügigen Doppelgarage rechtfertigt keine Verkürzung der Abstandsflächentiefe. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
B 2 K 15.933 2016-04-07 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth
Tenor
I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 7. April 2016 wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung der Beklagten (§ 124 VwGO) hat Erfolg.
Die Anfechtungsklage der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 12. November 2015, der sie zum Rückbau ihrer grenzständigen Garage verpflichtet, ist nicht begründet, weil dieser sie nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Demzufolge ist die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 7. April 2016 abzuweisen.
Rechtsgrundlage für die Anordnung zur teilweisen Beseitigung der Garage ist Art. 76 Satz 1 BayBO. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurden, anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.
1. Die Grenzgarage der Klägerin ist formell rechtswidrig, da sie entgegen der mit Bescheid vom 3. Februar 2010 genehmigten Planung errichtet wurde. Die Grenzgarage ist auch materiell rechtswidrig, da sie entgegen den Anforderungen des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO errichtet wurde. Die zulässige mittlere Wandhöhe von 3 m wird unstreitig überschritten. Die Grenzgarage wurde im Norden an der Grenze zum Grundstück FlNr. 374/3 mit einer Höhe von 3,60 m und im Süden zur gleichen Grundstücksgrenze hin in einer Höhe von ca. 5,50 m errichtet. Die mittlere Wandhöhe beträgt damit ca. 4,55 m anstatt der genehmigten 3 m.
2. Es können auch nicht auf andere Weise im Sinn von Art. 76 Satz 1 BayBO rechtmäßige Zustände hergestellt werden. Die seitens der Klägerin geforderte Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO von den Anforderungen der Abstandsflächenvorschriften nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO kann mangels einer atypischen Fallgestaltung nicht zugelassen werden. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass die Zulassung einer Abweichung Gründe erfordert, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die etwa bewirkte Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2002 – 2 CS 01.5 – juris; B.v. 15.10.2014 – 2 ZB 13.530 – juris). Insoweit muss es sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln. Bei der Zulassung einer Abweichung ist eine atypische Situation zu fordern. In besonderen städtebaulichen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch die Zulassung einer Abweichung rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris; U.v. 19.3.2013 – 2 B 13.99 – BayVBl 2013, 729). Soll auch in diesem Bereich eine zeitgemäße, den Wohnbedürfnissen entsprechende Sanierung, Instandsetzung, Aufwertung oder Erneuerung der zum Teil überalterten Bausubstanz ermöglicht werden, so kommt man im Einzelfall nicht umhin, Ausnahmen vom generalisierenden Abstandsflächenrecht zuzulassen (vgl. BayVGH, U.v. 7.10.2010 – 2 B 09.328 – juris; B.v. 15.10.2014 – 2 ZB 13.503 – juris).
Im vorliegenden Fall ist eine atypische Fallgestaltung nicht zu erkennen. Die Klägerin besitzt auf ihrem Grundstück eine Garage, deren Erweiterung zu einer Doppelgarage mit dem Baugenehmigungsbescheid vom 3. Februar 2010 zugelassen wurde. Eine weitere Optimierung dieser bereits großzügigen Doppelgarage rechtfertigt keine Verkürzung der Abstandsflächentiefe. Soweit sich die Klägerin auf die Hanglage ihres Grundstücks beruft, ändert dies nichts an dieser Beurteilung. Das Grundstück FlNr. 374 ist mit 684 m² ausreichend groß und ziemlich regelmäßig geschnitten. Die Bebauung in der Hanglage mit einem Einfamilienhaus sowie einer Doppelgarage ist damit ohne weiteres möglich, wie auch der Baugenehmigungsbescheid der Beklagten vom 3. Februar 2010 zeigt. Im Übrigen handelt es sich nach den Bekundungen der Beteiligten beim Augenscheinstermin des Senats hier um einen ehemaligen Weinberg, dessen Gebiet durch den Bebauungsplan Nr. 10/5 vom 25. Februar 1981 beplant wurde. Hätten sich demnach auf zahlreichen Baugrundstücken Schwierigkeiten in Bezug auf die abstandsflächengerechte Errichtung von Garagen ergeben, so hätte dies zunächst im Bebauungsplan durch entsprechende Festsetzungen geregelt werden müssen. Zudem hätte der Satzungsgeber den Bebauungsplan insoweit auch später noch nachbessern können. Abweichungen nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO vom Abstandsflächenrecht nach Art. 6 BayBO können jedenfalls nicht im großen Umfang als Ersatz hierfür herangezogen werden. Dies gilt zumindest für Bebauungspläne, die wie der vorliegende Plan in jüngerer Zeit aufgestellt worden sind.
Soweit die Klägerin eine Funktionslosigkeit des Bebauungsplans Nr. 10/5 in den Raum stellt, würde dies an vorstehender Beurteilung nichts ändern. Denn die erforderliche Atypik für eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO von den Vorschriften des Abstandsflächenrechts fehlte weiterhin. Die vom Verwaltungsgericht angeführten Gründe für eine atypische Fallgestaltung führen ebenso wenig auf eine atypische Grundstückssituation beim Anwesen der Klägerin. Eine beengte Grundstückssituation wie in historisch gewachsenen städtischen Lagen ist nicht zu erkennen.
3. Die Ermessensentscheidung der Beklagten hinsichtlich der Anordnung der teilweisen Beseitigung der Grenzgarage nach Art. 76 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist nicht zu beanstanden. Sie hat hierzu ausgeführt, dass grundsätzlich ein öffentliches Interesse an der Herstellung ordnungsgemäßer baulicher Zustände bestehe. Würde dieser Zustand geduldet, würde man der Bevölkerung suggerieren, dass man im Stadtgebiet der Beklagten ohne entsprechende Genehmigung bauen könne und eine nachträgliche Genehmigung dann nur eine Art „Formsache“ darstelle. Soweit darüber hinaus auf die frühere Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin als Mitglied des Bauausschusses hingewiesen wird, handelt es sich hier wohl nur um einen Aspekt des Lokalkolorits. Im Übrigen hat die Beklagte ihre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 25. Februar 2016 noch ausreichend ergänzt (§ 114 Satz 2 VwGO). Insbesondere hat sie herausgestellt, dass hier keine geringfügige Überschreitung der zulässigen mittleren Wandhöhe durch eine Grenzgarage vorliege. In ihrer Berufungsbegründung vom 11. Oktober 2017 hat sie zudem ergänzt, dass auch im Fall eines teilweisen Rückbaus der Attika durch die Klägerin noch eine Überschreitung der zulässigen mittleren Wandhöhe um 0,95 m oder um ca. 30% vorliege. Dies sei deutlich mehr als „geringfügig“ und ein Nichteinschreiten anderen Bauherren nicht zu vermitteln.
Aus Art. 118a der Verfassung des Freistaates Bayern (BV) ergibt sich nichts anderes. Hiernach dürfen Menschen mit Behinderungen nicht benachteiligt werden (Satz 1). Der Staat setzt sich für gleichwertige Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung ein (Satz 2). Diese Verfassungsvorschrift wurde im Rahmen des Bauordnungsrechts durch Art. 48 BayBO umgesetzt. Diese Vorschrift befasst sich nur in ihrem Abs. 2 Satz 2 Nr. 9 mit Garagen. Hiernach müssen auch Garagen, die öffentlich zugänglich sind, in den dem allgemeinen Besucher- und Benutzerverkehr dienenden Teilen barrierefrei sein. Vorliegend handelt es sich jedoch nicht um eine Garagenanlage, die öffentlich zugänglich ist. Im Übrigen hat die Klägerin nicht dargetan, dass bei der Planung und beim Bau der Erweiterung ihrer Garage die Situation von Menschen mit Behinderung eine Rolle gespielt hätte. Vielmehr soll es sich nach der Klagebegründung vom 8. Februar 2016 um einen Fehler des ausführenden Unternehmens gehandelt haben, indem die Garage dann nicht – wie bescheidsmäßig vorgesehen und von der Klägerin beauftragt – mit einem dem Geländeverlauf entsprechenden „Knick“ ausgeführt, sondern gerade nach hinten gezogen worden sei.
Ein Ermessensfehler der Beklagten ergibt sich auch nicht aus einem behaupteten Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet die Behörde grundsätzlich nicht, in einem Bereich, in dem sie baurechtswidrige Zustände beobachtet hat, schlagartig gegen alle Schwarzbauten vorzugehen. Dazu wäre die zuständige Bauaufsichtsbehörde schon in personeller und sachlicher Hinsicht regelmäßig nicht in der Lage. Die Behörde darf sich vielmehr auf ein Vorgehen gegen einzelne Störer beschränken, sofern sie hierfür sachliche Gründe hat (vgl. Decker in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand: Mai 2017, Art. 76 Rn. 232). Einen solchen sachlichen Grund kann es auch darstellen, zunächst gegen neu errichtete Schwarzbauten vorzugehen. Die Klägerin hat nicht aufzuzeigen vermocht, dass die Beklagte insoweit willkürlich vorgegangen wäre. Die von ihr beim Augenscheinstermin des Senats sowie in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen angeblichen Bezugsfälle eignen sich hierfür nicht. Die von ihr herangezogenen Garagenanlagen liegen zum Teil bereits nicht im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 10/5. Dieser Bebauungsplan kann aufgrund seines erheblichen Umgriffs als Begrenzung für mögliche Bezugsfälle herangezogen werden. Für weiter auseinanderliegende Bauvorhaben fehlt es an dem gebotenen Zusammenhang. Das Anwesen der Klägerin liegt auch nicht am Rand des Bebauungsplangebiets.
Bei den als mögliche Bezugsfälle genannten Garagen fehlt in den meisten Fällen zudem die Vergleichbarkeit. Es handelt sich bei zahlreichen der vom Senat beim Augenschein festgestellten Anlagen um Einzelgaragen, die nicht mit der massiven Doppelgarage der Klägerin verglichen werden können. Einige der Garagen sind nicht direkt an der Grundstücksgrenze errichtet oder deckungsgleich mit der Nachbargarage errichtet worden. Einige der Garagen sind mit ihrer Rückseite in den Hang hineingebaut worden, so dass die zulässige mittlere Wandhöhe augenscheinlich eingehalten ist. Zudem sind die meisten vom Senat in Augenschein genommenen Garagen wesentlich älteren Errichtungsdatums als die Doppelgarage der Klägerin.
Hinsichtlich der danach noch für mögliche Bezugsfälle verbleibenden Garagenanlagen, in deren diesbezügliche Bauakten in der mündlichen Verhandlung des Senats am Richtertisch Einblick genommen wurde, wurden mit einer Ausnahme Baugenehmigungen erteilt. Hierbei lag überwiegend eine zulässige mittlere Wandhöhe von maximal 3 m vor. In einem Fall wurde ein gegenseitiges Grenzanbaurecht durch eine Grunddienstbarkeit gesichert. Zudem liegen die Baugenehmigungsverfahren bzw. Freistellungsverfahren sowie Abweichungen und Befreiungen wesentlich länger zurück. Bei den klägerseits angeführten möglichen Bezugsfällen ist demnach keine Garagenanlage mit einer mittleren Wandhöhe von über 3 m vorzufinden, die von der Beklagten in den letzten 20 Jahren genehmigt worden wäre. Eine vergleichbar massive Doppelgarage findet sich darunter ohnehin nicht. Es ist von daher nicht zu beanstanden, dass die Beklagte hier dagegen vorgeht, um eine deutliche negative Vorbildwirkung zu verhindern.
Bezüglich des einzigen in der mündlichen Verhandlung des Senats nicht näher aufklärbaren möglichen Bezugsfalls beim Nachbaranwesen auf der FlNr. 378/1 ist folgendes festzustellen: Es handelt sich bereits nicht um eine vergleichbar massive Garagenanlage wie im Fall der Klägerin. Es liegt vielmehr lediglich eine unterkellerte Einzelgarage vor. Das Wohnhaus auf dem Anwesen wurde am 30. März 1973 genehmigt und im Jahr 1973 errichtet, eine Baugenehmigung für die grenzständige Garage findet sich nicht. Nach dem Eindruck des Augenscheins geht der Senat jedoch nicht davon aus, dass die Garage wesentlich jüngeren Errichtungsdatums als das Wohnhaus ist. Hierzu wurde seitens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erklärt, es werde beim Eigentümer des Nachbaranwesens wegen der Baugenehmigung nachgefragt werden. Dadurch ist die Beklagte jedoch nicht gehindert, gegen die wesentlich neuere und massivere Garagenanlage der Klägerin vorzugehen. Zudem würde ein einziger nachgewiesener Bezugsfall das Vorgehen der Beklagten nicht in Frage stellen. Daraus würde sich keinesfalls ergeben, dass die Beklagte weitgehend nicht gegen Schwarzbauten bei Garagenanlagen vorgeht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.