Aktenzeichen M 1 K 16.4651
Leitsatz
Ein von landwirtschaftlicher, gewerblicher und – zu einem guten Teil aus zulässiger Umnutzung ehemaliger landwirtschaftlicher Gebäude hervorgegangener – rein wohnlicher Nutzung geprägter Weiler, wie er in vielen ländlichen Gemeinden anzutreffen ist, der in etwa einem Dorfgebiet nach der Charakterisierung in § 5 BauNVO entspricht und mindestens aus 20 für die Konstituierung als Ortsteil berücksichtigungsfähigen Bauten besteht, stellt einen Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB dar. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens der Klägerin in der den Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 16. September 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihrer durch das Einvernehmenserfordernis nach § 36 BauGB gesicherten gemeindlichen Planungshoheit, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens ist Art. 67 BayBO. Nach Art. 67 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist in den Fällen des § 36 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BauGB das rechtswidrig versagte Einvernehmen zu einer Baugenehmigung, auf deren Erteilung ein Rechtsanspruch besteht, nach Maßgabe von Art. 67 Abs. 2 bis 4 BayBO zu ersetzen. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB wird über die Zulässigkeit von Bauvorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Nach § 36 Abs. 2 BauGB darf die Gemeinde ihr Einvernehmen nur aus den sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB ergebenden Gründen versagen.
Die Klägerin hat ihr Einvernehmen zu Unrecht verweigert. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das Vorhaben der Beigeladenen gemäß § 34 BauGB bauplanungsrechtlich zulässig. Bei dem Weiler … im Gemeindegebiet der Klägerin handelt es sich um einen Ortsteil (unten Nr. 1). Das Vorhaben steht mit diesem Ortsteil im Bebauungszusammenhang (unten Nr. 2) und fügt sich in die Eigenart der näheren Umgebung ein (unten Nr. 3).
1. Der Bebauungskomplex … im Gemeindegebiet der Klägerin ist Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275 – juris Rn. 11, m.w.N.).
a. … ist ein von landwirtschaftlicher, gewerblicher und – zu einem guten Teil aus zulässiger Umnutzung ehemaliger landwirtschaftlicher Gebäude hervorgegangener – rein wohnlicher Nutzung geprägter Weiler, wie er in vielen ländlichen Gemeinden anzutreffen ist. Er entspricht in etwa einem Dorfgebiet nach der Charakterisierung in § 5 BauNVO. Er besteht mindestens aus 20 für die Konstituierung als Ortsteil berücksichtigungsfähigen Bauten. Sowohl von der Zahl der baulichen Anlagen als auch von den Bauvolumina her gesehen besitzt die Bebauung ein ausreichendes Gewicht, um einen Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB zu bilden (zu den Anforderungen an die für einen Ortsteil relevanten Bauwerke siehe BVerwG aaO. und BVerwG, B.v. 5.4.2017 – BVerwG 4 B 46.16 – juris). Im Einzelnen sind das:
Auf dem Vorhabensgrundstück FlNr. 511 im Norden die bestehende Halle, weiter südlich das ehemalige landwirtschaftliche Wirtschaftsgebäude (nunmehr als Seminarraum und als überdachter Reitplatz genutzt) sowie das im weiteren südlichen Verlauf befindliche große Gebäude der ehemaligen Hofstelle mit vier Wohneinheiten, Gewerberäumen und einem Pferdestall;
südwestlich daran anschließend auf FlNr. 571 ein Wohnhaus;
auf FlNr. 514 eine große landwirtschaftliche Hofstelle („…“) mit drei Bauten, u.a. Reithalle (teilweise mit Pferdeställen) und Reitplatz sowie Longierzirkel;
am Ortsende Richtung … auf FlNr. 518 eine ehemalige landwirtschaftliche Hofstelle mit einem größeren und einem kleineren Gebäude;
auf FlNr. 506 eine landwirtschaftliche Hofstelle mit drei Gebäulichkeiten, davon eine mit einem Wohnteil;
auf FlNr. 558 ein Wohnhaus mit Einliegerwohnung;
auf FlNr. 504 die … Nebenkirche … …;
auf FlNr. 500 und FlNr. 501 jeweils ein Wohngebäude;
auf FlNr. 502 ein unverputztes Gebäude im Rohbau, welches im Lageplan als Doppelhaus eingezeichnet ist;
auf Fl.Nr. 507 die …wirtschaft …, welche nach den Erläuterungen des Bürgermeisters der Klägerin regelmäßig geöffnet ist und auch über Gästezimmer verfügt, siehe auch den Internet-Auftritt der Gastwirtschaft;
auf FlNr. 527 eine große landwirtschaftliche Hofstelle mit drei Gebäulichkeiten;
auf FlNr. 541/3 ein Wohnhaus;
auf FlNr. 532 zwei Wohnhäuser.
b. Diese Bebauung von Gewicht ist auch Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur.
Der Weiler ist ein für das Gemeindegebiet der Klägerin typischer Bebauungskomplex, der aus der Ergänzung und Umnutzung ursprünglich rein landwirtschaftlicher Bauten gewachsen ist. Er stellt keine rein zufällige Ansammlung von Bauten dar, sondern hat eine eigenständige siedlungsstrukturelle Bedeutung. Das wird beispielsweise durch die Existenz eines zentralen Punkts deutlich, der bei der …wirtschaft auf FlNr. 507 zu verorten ist. Von diesem Bereich ausgehend und hierauf ausgerichtet ist die übrige Bebauung orientiert. Hier findet auch eine gewisse Verdichtung durch die Ergänzung der großflächigen landwirtschaftlichen Anwesen mit kleinflächigeren Wohnbauten statt.
2. Mit diesem Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB steht die streitgegenständliche Halle in einem Bebauungszusammenhang.
Ein Bebauungszusammenhang nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt (BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275 – juris Rn. 11, m.w.N.). Darüber, wo die Grenze des Bebauungszusammenhangs verläuft, ist nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigenden Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden (BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275 – juris Rn. 13 ff., m.w.N.).
Vorliegend wird der Bebauungszusammenhang der Halle mit dem Ortsteil … jedenfalls durch die Wohnbebauung auf FlNr. 571 vermittelt. Sie bildet eine bauliche Brücke zu dem im Süden des Vorhabensgrundstücks befindlichen Gebäude der ehemaligen Hofstelle. Unschädlich für diesen städtebaulichen Zusammenhang ist der größere Freiflächenumgriff um das ehemalige Hofstellengebäude. Wie der Vergleich mit anderen Grundstücken zeigt, ist diese Baustruktur nicht untypisch für … (siehe etwa die Grundstücke FlNr. 518, 527 und 506). Vor Ort bestand optisch der Eindruck der Zusammengehörigkeit und Geschlossenheit der Gebäulichkeiten; irgendwelche topographischen Besonderheiten, die eine Zäsur mit dem restlichen Weiler hätten erkennen lassen, waren nicht feststellbar. Das ehemalige Hofstellengebäude steht seinerseits in einem Bebauungszusammenhang mit dem sich unmittelbar nördlich anschließenden ehemaligen landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäude, in dessen östlichem Teil sich ein kleiner überdachter Reitplatz, nach Osten eine aufgekieste Parkfläche sowie ein großer offener Reitplatz befinden. Über den aufgekiesten Parkplatz im Norden schließt sich dann unmittelbar die streitgegenständliche Halle an. Dieser Baukörper besitzt nach dem Eindruck vor Ort eine die bauliche Situation auf dem Vorhabensgrundstück abschließende und organisch abrundende Riegelfunktion und nimmt am Bebauungszusammenhang teil.
3. Das Vorhaben der Beigeladenen fügt sich nach der Art der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein, § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Da wie erwähnt die Eigenart der näheren Umgebung hier in etwa einem Dorfgebiet nach § 5 BauNVO entspricht, ist gemäß § 34 Abs. 2 BauGB zu prüfen, ob das Vorhaben in einem solchen Dorfgebiet allgemein zulässig wäre. Das ist nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO (allgemeine Zulässigkeit von Wohngebäuden) und § 5 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO (allgemeine Zulässigkeit von sonstigen nicht störenden Gewerbebetrieben) hier ohne weiteres der Fall. Da die Halle bereits steht, sind auch die übrigen Einfügenskriterien des § 34 Abs. 1 BauGB erfüllt.
Somit war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladenen eigene Sachanträge gestellt und sich damit dem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt haben, entspricht es der Billigkeit, deren außergerichtliche Kosten der Klägerin aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.