Baurecht

Einstellung von Bauarbeiten

Aktenzeichen  1 ZB 16.2186

Datum:
11.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 124693
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 57 Abs. 1 Nr. 11, Art. 75 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2 a

 

Leitsatz

Ein formeller Verstoß gegen die Baugenehmigungspflicht ist für eine Baueinstellung ausreichend. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 16.321 2016-05-12 Ent VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die fristgerechten Darlegungen des Klägers sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zu wecken (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO.
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass schon ein formeller Verstoß gegen die Baugenehmigungspflicht für eine Baueinstellung nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO ausreichend ist. Nach Art. 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung der Bauarbeiten anordnen, wenn bei der Bauausführung eines genehmigungsbedürftigen Bauvorhabens von den genehmigten Bauvorlagen abgewichen wird. Nicht erforderlich ist es, dass es sich bei dem geänderten Vorhaben gegenüber der ursprünglichen Planung um ein „aliud“ handelt, denn dieser Frage kommt nur bei der Beurteilung des von einer Baugenehmigung vermittelten Bestandsschutzes (vgl. BVerwG, B.v. 27.7.1994 – 4 B 48.94 – BRS 56 Nr. 85) oder für die Abgrenzung einer unselbständigen Nachtragsgenehmigung von einer „neuen“ Baugenehmigung Bedeutung zu. Ein die Anordnung der Einstellung der (Bau-)Arbeiten rechtfertigendes Abweichen von den genehmigten Bauvorlagen ist in jedem Fall dann gegeben, wenn die veränderte Ausführung des Bauvorhabens so erheblich ist, dass die Genehmigungsfrage erneut aufgeworfen wird (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Januar 2017, Art. 75 Rn. 58). Das ist hier der Fall. Denn der Kläger bestimmt mit seinem Genehmigungsantrag und den beigefügten erforderlichen Unterlagen das „Vorhaben“ und damit den von der Bauaufsichtsbehörde zu beurteilenden Verfahrensgegenstand. Maßgebend ist danach die Konzeption des Bauherrn, wie sie objektiv den vorgelegten Unterlagen zu entnehmen ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.1980 – IV C 99.77 – BRS 36 Nr. 158). Daran gemessen war Prämisse des Vorhabens und damit Grundlage der Baugenehmigungen vom 24. März 2010 die Errichtung von drei Reihenhäusern. Bei dem auf Veranlassung des Klägers erfolgten Verzicht auf den Rücksprung zwischen dem Reihenmittelhaus und dem östlichen Reiheneckhaus, der abweichenden Ausführung der Fenster und des Eingangs zum Reihenmittelhaus, der abweichenden Raumgestaltung im Erdgeschoss und Obergeschoss der Reihenhäuser sowie der fehlenden geschlossenen Trennwände im Kellergeschoss und im Dachgeschoss handelt es sich um Abweichungen von den genehmigten Bauvorlagen. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, es stehe in Frage, ob das Gesamtobjekt überhaupt noch als Reihenhauskomplex qualifiziert werden könne, da im Keller- und im Dachgeschoss keine durchgängig geschlossenen Wände vorhanden seien, ist nicht zu beanstanden. Die vorstehend aufgeführten Abweichungen sind in der Gesamtbetrachtung erheblich und führen dazu, dass die Genehmigungsfrage erneut aufgeworfen wird.
Diese gerichtliche Tatsachenfeststellung wird auch nicht ansatzweise dadurch in Frage gestellt, dass der Kläger behauptet, die technischen und baulichen Voraussetzungen für die Schließung der offenen Bereiche lägen vor und die Schließung würde vor der Fertigstellung der Reihenhäuser noch erfolgen. Auch durch provisorische Bauarbeiten kann von den genehmigten Bauunterlagen abgewichen werden (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2015 – 1 ZB 14.2447 – juris Rn. 3). Angesichts der zentralen Funktion einer Trennwand bei Reihenhäusern erscheint es nicht plausibel, dass die Ausführung der Trennwände im Kellergeschoss und die gänzlich fehlenden Trennwände im Dachgeschoss (nur) einer Erleichterung der Bauarbeiten geschuldet sein sollen.
Nicht ernstlich zweifelhaft ist auch die Bewertung des Verwaltungsgerichts, eine Änderung sei im vorliegenden Fall auch nicht nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 BayBO möglich. Zwar erfährt der Grundsatz, dass sich die Genehmigungspflicht eines Bauvorhabens auch auf dessen ggf. verfahrensfreie Teile erstreckt, insoweit eine Ausnahme, als bestimmte Bauteile auch während der Errichtung eines genehmigungspflichtigen Vorhabens verfahrensfrei errichtet oder geändert werden können, ohne dass hierfür ein Antrag für eine Änderungsgenehmigung erforderlich wäre. Ob eine so große Anzahl von Änderungen wie im vorliegenden Fall (noch) von der vorgenannten Vorschrift umfasst werden, kann dahingestellt bleiben. Denn anders als in der vom Kläger aufgeführten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 5. April 2016 (2 CS 16.467), die sich auf den Einbau von Dachflächenfenstern (Buchst. d) bezieht, werden die Außenmauern – wie hier die nunmehr durchgehende südliche Außenwand und damit die Vergrößerung des Gebäudekomplexes – von der Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 a und b BayBO nicht erfasst. Dazu verhält der Kläger sich nicht. In diesem Zusammenhang kommt es entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die Änderung des Gebäudekomplexes bauplanungsrechtlich zulässig ist oder in der näheren Umgebung üblich sein sollte.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen auch nicht soweit der Kläger einwendet, die ohne vorherige Anhörung erfolgte Baueinstellung sei angesichts der ursprünglichen Genehmigungsfreistellung und der weiterhin bestehenden Übereinstimmung des Vorhabens mit dem hier maßgeblichen Bebauungsplan ermessensfehlerhaft. Denn ungeachtet dessen, dass auf eine Anhörung in der Regel nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG verzichtet werden kann, hatte der Kläger im Klageverfahren Gelegenheit zur Äußerung. Angesichts der vorstehend dargestellten erheblichen Abweichungen kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, dass die Grundstücksteilung – jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung – noch nicht vollständig erfolgt war. Im Hinblick auf die auf seine Veranlassung erteilten Baugenehmigungen für den Reihenhauskomplex kann auch nicht die Rede davon sein, dass der Kläger für die streitgegenständlichen erheblichen Abweichungen ein (erneutes) Genehmigungsfreistellungsverfahren in Anspruch nehmen kann (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.1993 – 2 CS 93.1157 – BayVBl 1994, 631). Daran gemessen liegen keine besonderen Gründe vor, um eine andere Entscheidung als die Baueinstellung zu rechtfertigen (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.1997 – 3 C 22.96 – BVerwGE 105, 55; BayVGH, B.v. 2.8.2000 – 1 ZB 97.2669 – juris Rn. 5 zum sog. intendierten Ermessen bei der Einstellung von Bauarbeiten). Der Baueinstellung steht auch nicht entgegen, dass die Stahlbetonstützen bereits im Jahr 2010 errichtet wurden, auf dem Dach eine Solaranlage installiert wurde und dies bis zur Baueinstellung unbeanstandet geblieben ist. Eine Baueinstellung, die – wie vorliegend – wegen einer veränderten Sachlage erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt (vgl. Baukontrolle vom 21. Dezember 2015), ist demgegenüber nicht zu beanstanden.
Der Baueinstellung steht ferner nicht entgegen, dass der Kläger dadurch wirtschaftliche Nachteile zu verbuchen hat. Es ist dem Bauherrn zuzumuten, mit der Fortsetzung der Bauarbeiten zuzuwarten, bis die baurechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens festgestellt ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2000 – 2 ZS 00.371 – juris Rn. 6). Er muss durch die Vorlage von Unterlagen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sein Vorhaben den formellen und materiellen Anforderungen des Baurechts entspricht.
Schließlich sind die Ausführungen des Klägers, dem Verwaltungsgericht hätten zahlreiche Unterlagen vorgelegen, die ihm unbekannt gewesen seien, insbesondere der Vermerk über die Baukontrolle im Dezember 2015, ungeachtet einer ausreichenden Darlegung weder geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zu begründen, noch kann darin ein möglicher Verfahrensmangel gesehen werden. Der Kläger hätte jederzeit im behördlichen sowie im gerichtlichen Verfahren Akteneinsicht nehmen können. Es bestand ausreichend Gelegenheit, den Vermerk über die Baukontrolle in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht zu sichten und ggf. einen Antrag auf Schriftsatzfrist zu stellen. Dies ist ausweislich der Niederschrift vom 12. Mai 2016 nicht erfolgt.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 sowie § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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