Aktenzeichen M 1 K 16.1089
Leitsatz
Eine vom gegen die Baugenehmigung klagenden Nachbarn behauptete Überflutungsgefahr seines Grundstücks infolge der großflächigen Bebauung des höher gelegenen Grundstücks bezieht sich auf Fragestellungen, die insbesondere dem Wasserrecht unterliegen, insbesondere der Regelung des § 37 Abs. 1 S. 2 WHG. Eine mögliche Verletzung des drittschützenden Rücksichtnahmegebots im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens erfordert hingegen eine unzumutbare Belästigung oder Störung, die einen Bezug zur Bodenordnung im Sinne der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung hat. Dies ist bei spezifischen wasserrechtlichen Fragestellungen nicht der Fall. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Kläger haben als Nachbarn nicht schon bei objektiver Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung einen Rechtsanspruch auf ihre Aufhebung. Sie müssen vielmehr durch die Baugenehmigung gerade in eigenen Rechten verletzt sein. Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt ist, sie also drittschützende Wirkung hat (vgl. BayVGH, B. v. 2.9.2013 – 14 ZB 13.1193 – juris Rn. 11). Hier ist eine Verletzung der Kläger in drittschützenden Rechten zu verneinen.
1. Soweit sich die Kläger auf die Beeinträchtigung der Standsicherheit ihrer Gebäude infolge der Verwirklichung des Vorhabens berufen, führt dies nicht zu einer Verletzung in eigenen Rechten. Hierfür fehlt es bereits an einer ausreichend substantiierten Darlegung einer Gefahr im Sinne des Art. 10 Satz 3 BayBO. Zudem gehört die Frage der Standsicherheit im vorliegenden vereinfachten Verfahren nicht zum Prüfprogramm der Baugenehmigungsbehörde (vgl. Art. 59 BayBO). Bereits aus diesem Grund mussten die zur Genehmigung eingereichten Pläne hierzu keine zeichnerische Darstellung enthalten (vgl. § 3 Nr. 4 BauVorlV). Überdies hat die Beigeladene nach ihrem eigenen Vortrag der Nebenbestimmung Nr. 3.5 des Bescheids entsprechend einen Nachweis über die Standsicherheit vorgelegt. Im Übrigen wird Art. 10 Satz 3 BayBO durch die Erteilung einer Baugenehmigung nur dann verletzt, wenn das Vorhaben als solches zu einer Gefährdung der Standsicherheit anderer Gebäude führt, nicht dagegen dann, wenn sich – wie die Kläger aber selbst vortragen – die Gefährdung durch die Art und Weise der Bauausführung ergibt (Nolte in Simon/Busse, BayBO, Stand Jan. 2016, Art. 10 Rn. 21).
2. Auch der Vortrag, der verstärkte Abfluss von Oberflächenwasser beeinträchtige das Grundstück der Kläger zu 2) bis 4), führt nicht zum Erfolg von deren Klage. Insoweit liegt schon kein Verstoß gegen das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme vor, das sich hier aus dem Einfügenserfordernis des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ergibt. Die von den Klägern zu 2) bis 4) vorgetragene Überflutungsgefahr ihres Grundstücks infolge der großflächigen Bebauung des höher gelegenen Grundstücks bezieht sich auf Fragestellungen, die insbesondere dem Wasserrecht unterliegen. Insoweit regelt § 37 Abs. 1 Satz 2 Wasserhaushaltsgesetz (WHG), dass der natürliche Ablauf wild abfließenden Wassers nicht zum Nachteil eines tiefer liegenden Grundstücks verstärkt oder auf andere Weise verändert werden darf. Diese Vorschrift betrifft das Zivilrecht und bezieht sich insbesondere auf das Niederschlagswasser (Knopp in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG, Stand Sept. 2015, § 37 Rn. 1). Eine mögliche Verletzung des drittschützenden Rücksichtnahmegebots im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens erfordert hingegen eine unzumutbare Belästigung oder Störung, die einen Bezug zur Bodenordnung im Sinne der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung hat. Dies ist bei spezifischen wasserrechtlichen Fragestellungen nicht der Fall (vgl. BayVGH, B. v. 17.11.2008 – 15 ZB 08.2235 – juris Rn. 9; VG München, B. v. 11.8.2014 – M 8 SN 14.2742 u. a. – juris Rn. 38). Das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot ist gerade keine allgemeine Härteklausel, die über den speziellen Vorschriften des Städtebaurechts oder gar des gesamten öffentlichen Baurechts steht, sondern Bestandteil einzelner gesetzlicher Vorschriften des Baurechts (BVerwG, B. v. 11.1.1999 – 4 B 128.98 – NVwZ 1999, 879 – juris Rn. 6). Zum anderen bleibt die Anwendung der zum bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebot entwickelten Grundsätze auf den Regelungsumfang der jeweils erteilten Baugenehmigung beschränkt. Da die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung hier aber keine Regelungen über die Oberflächenentwässerung enthält, geht eine Anfechtung der Baugenehmigung mit der Begründung, durch den möglichen Abfluss von Oberflächenwasser entstünden Gefahren für das Grundstück der Kläger, deshalb von vornherein ins Leere (vgl. BayVGH, B. v. 24.7.2014 – 15 CS 14.949 – juris Rn. 15; VG München, B. v. 11.8.2014 – M 8 SN 14.2742 u. a. – juris Rn. 38). Insbesondere ist hier der Entwässerungsplan mangels Genehmigungsstempel nicht vom Umfang der Baugenehmigung umfasst. Weiter ist die Beseitigung der anfallenden Oberflächenwasser ohne Beeinträchtigung der Nachbargrundstücke aufgrund des Hinweises in der Baugenehmigung gerade von der Beigeladenen als Vorhabenträgerin eigenverantwortlich vorzunehmen.
3. Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf die in ihren Augen nicht ausreichende Zufahrt zur Tiefgarage und damit die fehlende Erschließung des Vorhabens berufen. Die Frage der Erschließung ist grundsätzlich nicht nachbarschützend, auch nicht im Hinblick auf das Gebot der Rücksichtnahme. Das planungsrechtliche Erfordernis einer gesicherten Erschließung dient grundsätzlich nur öffentlichen Interessen und hat keine nachbarschützende Funktion. Ein sich unmittelbar aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ergebendes Abwehrrecht des Nachbarn ist in der Rechtsprechung nur für den Fall anerkannt, dass „eine infolge Fehlens der Erschließung rechtswidrige Baugenehmigung für den Nachbarn eine unmittelbare Rechtsverschlechterung in Richtung auf die Duldung eines Notwegerechts im Sinne des § 917 Abs. 1 BGB“ bewirkt (BayVGH, B. v. 20.9.2010 – 2 CS 10.1842 – juris Rn. 9 ff.). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kläger tragen die Kosten dabei als Gesamtschuldner (§ 159 Satz 2 VwGO). Die Beigeladene, die keinen Antrag gestellt und sich deshalb keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf Euro 15.000,- festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung berücksichtigt den Umstand, dass die Kläger die Beeinträchtigung für zwei Grundstücke durch das Bauvorhaben geltend machen (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes Euro 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.