Baurecht

Erfolglose Klage gegen Beseitigungsanordnung für Spielhaus – keine Abweichung von Abstandsflächen

Aktenzeichen  M 9 K 15.570

Datum:
13.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 6 Abs. 1, Abs. 5 S. 1, Abs. 9 S. 1 Nr. 1, Art. 55 Abs. 1, Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Nr. 10 lit. c, Art. 59, Art. 63 Abs. 1 S. 1, Art. 76 S. 1
VwGO VwGO § 114

 

Leitsatz

Voraussetzung für eine Abweichung von Abstandsflächenvorschriften ist, dass eine atypische und von der gesetzlichen Vorschrift nicht hinreichend bedachte Fallgestaltung vorliegt. Die im Einzelfall für eine Abweichung sprechenden Gründe müssen so viel Gewicht haben, dass die Anforderungen des Abstandsflächenrechts auch dann ausnahmsweise noch als berücksichtigt angesehen werden können, wenn sie nur eingeschränkt eingehalten werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kostenschuldner dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet, da die Beseitigungsanordnung vom … Januar 2015 rechtmäßig ist und die Kläger deshalb nicht in ihren Rechten verletzt werden, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Klageantrag war dahingehend auszulegen, dass die Klage gegen den Freistaat Bayern als Beklagten gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, vertreten durch das Landratsamt, erhoben wurde. Aus der Formulierung in der Klageschrift ist erkennbar, gegen wen sich die Klage richten soll.
Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Beseitigung von Anlagen anordnen, sofern diese in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Im vorliegenden Fall ist das Spielhaus formell und materiell rechtswidrig in Widerspruch zu den öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden. Die Beseitigungsanordnung entspricht pflichtgemäßem Ermessen, da auf andere Weise, etwa durch eine Abweichung, keine rechtmäßigen Zustände hergestellt werden können. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffende Begründung des Bescheids vom … Januar 2015 Bezug genommen. Ergänzend dazu gilt Folgendes:
Die Errichtung einer baulichen Anlage bedarf nach Art. 55 Abs. 1 BayBO einer Baugenehmigung, die nicht vorliegt. Entgegen der Ansicht der Kläger handelt es sich bei dem Spielhaus um eine bauliche Anlage i. S. v. Art. 2 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1 Satz 1 BayBO, da es aus Bauprodukten hergestellt und über die Stützkonstruktion fest mit dem Erdboden verbunden ist. Es handelt sich gerade nicht um ein von einem Baum getragenes Baumhaus ohne feste Verbindung zum Erdboden (OVG Lüneburg, U. v. 8.9.2010 – 1 KN 129/07 -; U. v. 9.3.2012 – 1 LA 140/09 -).
Das Spielhaus ist entgegen der Auffassung der Kläger auch kein verfahrensfreies Bauvorhaben i. S. des Art. 57 Abs. 1 BayBO. Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 lit. a BayBO ist nicht einschlägig, da das Spielhaus mit einer Grundfläche von ca. 18 m² und einer Traufhöhe von über 5 m einen Bruttorauminhalt von über 75 m³ aufweist. In die Berechnung des umbauten Raumes ist auch der von der Stützkonstruktion einfasste Raum unterhalb des Holzhauses miteinzubeziehen (OVG Lüneburg, U. v. 8.9.2010 – 1 KN 129/07 – und B. v. 9.3.2012 – 1 LA 140/09 -; VG Göttingen, U. v. 28.4.2015 – 2 A 826/13 -). Da es sich bei dem Spielhaus um ein Gebäude i. S. v. Art. 2 Abs. 2 BayBO handelt, kommt auch eine Verfahrensfreistellung nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 10 lit. c BayBO nicht in Betracht.
Das Vorhaben ist nicht genehmigungsfähig und die Herstellung rechtmäßiger Zustände auf andere Weise ist ebenfalls nicht möglich. Dabei gilt, dass die Beschränkung der bauaufsichtlichen Prüfung nach Art. 59 BayBO nicht von der Verpflichtung entbindet, Anforderungen, die durch andere öffentlich-rechtliche Vorschriften an die Anlage gestellt werden, einzuhalten. Vorliegend widerspricht das Spielhaus der Abstandsflächenregelung des Art. 6 Abs. 1 BayBO. Das Spielhaus wurde unmittelbar an der Grundstücksgrenze errichtet. Dabei wurde die nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO zu beachtende Abstandsfläche von mindestens 3 m nicht eingehalten. Eine Befreiung von der Abstandsflächenpflicht nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO besteht nicht, da die mittlere Wandhöhe von 3 m deutlich überschritten wird.
Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung von den abstandsflächenrechtlichen Bestimmungen liegen nicht vor. Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO können Abweichungen zugelassen werden, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere der Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO vereinbar sind. Voraussetzung für eine Abweichung von Abstandsflächenvorschriften ist, dass eine atypische und von der gesetzlichen Vorschrift nicht hinreichend bedachte Fallgestaltung vorliegt. Die im Einzelfall für eine Abweichung sprechenden Gründe müssen dabei so viel Gewicht haben, dass die Anforderungen des Abstandsflächenrechts auch dann ausnahmsweise noch als berücksichtigt angesehen werden können, wenn sie nur eingeschränkt eingehalten werden (BayVGH, B. v. 8.5.2008 – 14 B 06.2813 -). Abstandsflächen haben den Zweck, nicht nur eine ausreichende Belichtung und Belüftung der Gebäude sicherzustellen, sondern auch im Interesse des gegenseitigen Nachbarschutzes eine Mindestentfernung sich gegenüberliegender Gebäude sicherzustellen. Vorliegend besteht keine atypische Fallgestaltung. Das Grundstück der Kläger ist ca. 800 m² groß. Ohne weiteres hätte das Spielhaus deshalb auch an einer anderen Stelle errichtet werden können. Die Einbeziehung der vorhandenen Baumstümpfe in die Stützkonstruktion ist nicht von solch wesentlicher Bedeutung, dass deren Ersetzung durch Holzbalken an anderer Stelle den Charakter des Spielhauses ändern würde. Unter Berücksichtigung der Ausmaße und der Höhe des Spielhauses ist es für die Nachbarschaft unzumutbar, dass dieses auf Höhe ihres ersten Obergeschosses in kurzer Entfernung zu den Fenstern steht. Gründe dafür, warum ein Spielhaus mit Veranda und Glasfenstern den Sozialabstand zum Wohnhaus des Nachbarn nicht einhalten sollte, sind keine erkennbar, wenn wie hier, die Einhaltung von Abstandsflächen problemlos möglich ist.
Im Rahmen des gerichtlichen Prüfungsrahmens des § 114 VwGO sind Ermessensfehler bei Erlass der Beseitigungsanordnung nicht feststellbar. Das Landratsamt hat von dem ihm in Art. 76 Satz 1 BayBO eingeräumten Ermessen in rechtmäßiger Weise Gebrauch gemacht und dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften Vorrang vor den privaten Interessen der Kläger eingeräumt. Das Interesse der Kinder an kindgerechtem Spielraum wurde vom Landratsamt in die Abwägung eingestellt. Angesichts der Massivität und der Situierung des Spielhauses wiegt hier jedoch die Verletzung der Nachbarrechte schwerer. Durch das Spielhaus unmittelbar an der Grundstücksgrenze ist eine erhebliche Beeinträchtigung für das Nachbargrundstück FlNr. … entstanden. Dies gilt umso mehr, als insbesondere von dem Fenster an der Nordseite des Spielhauses, das sich auf gleicher Höhe wie die Fenster im Obergeschoss des Nachbarwohnhauses befindet, direkt dort Einsicht genommen werden kann. Ein milderes Mittel als die Beseitigung ist nicht ersichtlich. Die Kläger haben über sechs Jahre hinweg abgelehnt, das Spielhaus von der Grenze zu ihrem Nachbarn abzurücken. Deshalb war zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände der Erlass einer Beseitigungsanordnung erforderlich und angemessen.
Die Klage war mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 f. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 2.500,00 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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