Aktenzeichen W 4 K 16.564
Leitsatz
1. Ein Nachbar, der sichere Kenntnis von der Erteilung einer Baugenehmigung erhalten hat oder diese Kenntnis hätte haben müssen, muss sich nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als sei ihm die Baugenehmigung im Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntniserlangung oder dem Zeitpunkt, in dem er diese Kenntnis hätte erlangen müssen, amtlich bekannt gegeben worden ist. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine bauliche Anlage kann auch wegen ihrer Größe gem. § 15 Abs. 1 S. 1 BauNVO unzulässig sein. Quantität kann im Einzelfall in Qualität umschlagen. Erforderlich hierfür ist aber, dass aufgrund der Dimensionierung der Anlage eine neue Art der baulichen Nutzung in ein Gebiet hineingetragen wird. (redaktioneller Leitsatz)
3. Festsetzungen im Bebauungsplan über das Maß der baulichen Nutzung haben grundsätzlich keine automatische nachbarschützende Funktion. Solche Festsetzungen vermitteln ausnahmsweise Drittschutz nur dann, wenn sie nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen. (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Nachbar kann unter dem Blickwinkel ausreichender Belichtung und Besonnung grundsätzlich keine Rücksichtnahme verlangen, die über den Schutz des landesrechtlichen Abstandsflächenrechts hinausgeht. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
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Gründe
Die Anfechtungsklage, die sich gegen die Baugenehmigung vom 10. März 2015 i.d.F. der Tekturgenehmigung vom 30. Juni 2016 richtet, ist unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
I.Es bestehen schon erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit der Klage.
1. Der Kläger hat zwar die Jahresfrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO eingehalten. Im vorliegenden Fall ist die streitgegenständliche Baugenehmigung dem Kläger nicht zugestellt worden, so dass mangels Rechtsbehelfsbelehrung:grundsätzlich die Jahresfrist für eine Klageerhebung läuft.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich ein Nachbar, der sichere Kenntnis von der Erteilung einer Baugenehmigung erhalten hat oder diese Kenntnis hätte haben müssen, nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als sei ihm die Baugenehmigung im Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntniserlangung oder dem Zeitpunkt, in dem er diese Kenntnis hätte erlangen müssen, amtlich bekannt gegeben worden (vgl. BVerwG, U.v. 25.1.1974 – IV C 2.72, BVerwGE 44, 294 – juris Rn. 25). Für den Nachbarn läuft danach ab dem Zeitpunkt, zu dem er sichere Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen, eine Klagefrist von einem Jahr.
Aus der Bauakte (BV 827/14) ergibt sich, dass mit den Baumaßnahmen Ende Mai 2015 begonnen wurde (vgl. Bildmaterial vom 27. Mai 2015; Bl. 97 d.A.). Der Nachbar konnte daher frühestens ab diesem Zeitpunkt von dem Vorhaben sichere Kenntnis erlangt haben. Mit der Klageerhebung am 27. Mai 2016 ist daher die Jahresfrist gewahrt.
Auch eine Verwirkung ist nicht zu verzeichnen. Zwar kann eine Verwirkung grundsätzlich schon vor Ablauf der Jahresfrist eintreten. Allerdings kann eine aus Treu und Glauben herzuleitende Verpflichtung des Nachbarn zu aktivem Tun lediglich dann bestehen, wenn ihm nicht nur die Tatsache der Erteilung der Genehmigung bekannt wird, sondern auch deren Umfang und Folgen für seine Rechte zumindest erkennbar sind (vgl. VGH BW, U.v. 14.5.2012 – 10 S 2693/09 – juris Rn. 38). Es bestehen hier keine Anhaltspunkte dafür, dass dies vor Ablauf der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO der Fall war.
2. Fraglich ist jedoch, ob der Kläger klagebefugt ist gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Dies bestimmt sich im Wesentlichen nach der Reichweite des baurechtlichen Nachbarbegriffs und den Auswirkungen des Vorhabens. Erfasst sind räumlich alle Grundstücke, die durch das Vorhaben in ihren öffentlich-rechtlich geschützten Belangen berührt werden können, wobei die Lage, die Art und die Auswirkungen des Vorhabens ausschlaggebend sind (Simon/Busse, BayBO, 123. EL Aug. 2016, Art. 66 Rn. 60).
Der Kläger ist nicht unmittelbar Grundstücksnachbar, da sein Grundstück Fl.Nr. …35/13 und das Baugrundstück Fl.Nr. …35/27 nicht unmittelbar aneinandergrenzen. Auch sind unmittelbare Wirkungen auf das Grundstück des Klägers, ausgehend vom Bauvorhaben, etwa in der Form von Lärmeinwirkungen, nicht erkennbar. Soweit der Klägerbevollmächtigte sich auf die mittelbaren Auswirkungen des Bauvorhabens durch eine Vorbildwirkung beruft, die sich etwa aufgrund in der Zukunft zu erteilender Befreiungen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB auf die Nachbargrundstücke des Klägers zeigen könnte, kann er damit nicht die mögliche Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift geltend machen. Eine derartig weite Betrachtungsweise, die die Auswirkungen eines Bauvorhabens auf die Entwicklung im Baugebiet insgesamt ermöglicht, ist allenfalls im Rahmen des sog. Gebietserhaltungsanspruchs anerkannt. Dieser gewährt mit Blick auf das zugrunde liegende Verhältnis der Eigentümer im Baugebiet als Schicksalsgemeinschaft – beruhend auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses – im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung die Möglichkeit, gebietsfremde Nutzungen abzuwehren (vgl. etwa BayVGH, B.v. 22.8.2016 – 2 CS 16.737 – juris Rn. 3 m.w.N.). Ein Nachbar desselben Plangebiets kann sich mit dem Gebietserhaltungsanspruch gegen die Zulassung ihrer Art nach in dem jeweiligen Gebiet unzulässige Vorhaben wenden. Darüber hinaus ist die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO jedoch an die Möglichkeit einer Verletzung konkreter Rechtspositionen durch ein Bauvorhaben aufgrund der tatsächlich gegebenen Auswirkungen auf das Grundstück des Klägers gebunden.
An derartigen Auswirkungen fehlt es vorliegend. Vielmehr gibt es für die Bebauung der Grundstücke Fl.Nrn. …35/11 und …35/15 unter Erteilung von Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB und einer Bezugnahme auf das hier gegenständliche Bauvorhaben keinen Hinweis. Es ist dem Kläger zuzumuten, gegebenenfalls direkt gegen diese Vorhaben vorzugehen, sollte von ihnen eine Verletzung der Rechte des Klägers ausgehen.
Eine Übertragung der Grundsätze des bundesrechtlichen Nachbarschutzes und des darauf fußenden Gebietserhaltungsanspruchs scheidet vorliegend bezüglich der erteilten Befreiungen hinsichtlich Geschossigkeit und Traufhöhe auch schon deshalb aus, weil dadurch das Maß der baulichen Nutzung tangiert ist und insofern keine Ausnahmen von den allgemein geltenden Grundsätzen zum Nachbarschutz anerkannt sind.
II. Die Klage ist jedenfalls unbegründet, da der Kläger durch die Baugenehmigung vom 10. März 2015 und die Tekturgenehmigung vom 30. Juni 2016 nicht in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Als Wohngebäude ist das streitgegenständliche Vorhaben grundsätzlich im Gebiet des Bebauungsplans „Nördlicher Wingert – Teil V“ zulässig, vgl. Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO i.V.m. §§ 30 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, §§ 1 Abs. 3 Satz 2, 4 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BauNVO, da der Bebauungsplan ein allgemeines Wohngebiet festsetzt.
Dem Kläger steht gegen das streitgegenständliche Vorhaben aber auch nicht ein § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO zu entnehmender Abwehranspruch aus dem sogenannten „speziellen Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ zu. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. In seinem Beschluss vom 13. Mai 2002 (4 B 86/01, NVwZ 2002, 295 – juris) hat das Bundesverwaltungsgericht den Leitsatz aufgestellt, dass § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht nur das Gebot der Rücksichtnahme enthält, sondern auch einen Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung eines Baugebiets vermittelt. Nach dem speziellen Gebietserhaltungsanspruch wäre ein Vorhaben an sich in dem konkreten Baugebiet entweder allgemein oder ausnahmsweise zulässig, also mit den Vorgaben der Baunutzungsverordnung zur Gebietsart vereinbar, aber gleichwohl (generell) gebietsunverträglich, weil das Vorhaben der allgemeinen Zweckbestimmung des maßgeblichen Baugebietstyps widerspricht (BayVGH, B.v. 9.10.2012 – 2 ZB 11.2653 – juris Rn. 8; vgl. auch Decker, JA 2007, 55/57; Stühler, BauR 2011, 1576/1580). Erweist sich das (ausnahmsweise) zulässige Vorhaben aber (generell) als gebietsunverträglich, soll es vom Dritten, ohne dass dieser konkret und individuell betroffen sein muss, abgewehrt werden können.
Insoweit ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sowie der Literatur bereits umstritten, ob ein derartiger spezieller Gebietsgewährleistungsanspruch überhaupt existiert (zweifelnd etwa BayVGH, B.v. 9.10.2012 – 2 ZB 11.2653 – juris Rn. 8; befürwortend BayVGH, B.v. 4.11.2009 – 9 CS 09.2422 – juris Rn. 11 f.; offen lassend BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 9 CS 13.1916 – juris Rn. 13).
In jedem Fall ist davon auszugehen, dass auch der spezielle Gebietsprägungserhaltungsanspruch sich allein auf die Art der baulichen Nutzung im Sinn der Baunutzungsverordnung bezieht (BayVGH, B.v. 9.10.2012 – 2 ZB 11.2653 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 9 CS 13.1916 – Rn. 13). Im vorliegenden Fall soll eine Wohnnutzung in einem allgemeinen Wohngebiet genehmigt werden. Es ist nicht erkennbar, inwieweit die allgemein zulässige Wohnnutzung bei einer typisierenden Betrachtungsweise aufgrund ihrer typischen Nutzungsweise störend wirken könnte.
Aus dem in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO genannten Kriterium „Umfang“ folgt, dass eine bauliche Anlage auch wegen ihrer Größe gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässig sein kann. Die Bestimmung geht davon aus, dass im Einzelfall Quantität in Qualität umschlagen kann, dass also die Größe einer baulichen Anlage die Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung erfassen und beeinflussen kann (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9; OVG NRW, B.v. 18.3.2014 – 2 B 256/14 – juris Rn. 14). Erforderlich hierfür ist aber, dass aufgrund der Dimensionierung der Anlage eine neue Art der baulichen Nutzung in das Wohngebiet hineingetragen wird. Dies ist vorliegend nicht zu erkennen. Insbesondere fällt das Bauvorhaben in seinem Umfang bezogen auf die vorhandene Gebietsprägung nicht offensichtlich aus dem Rahmen (Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: 122. EL 2016, § 15 BauNVO Rn. 17). So finden sich insbesondere am Hunger Weg Gebäude, die mehrere Wohneinheiten beinhalten und in ihrer Größe dem Vorhaben der Beigeladenen vergleichbar sind.
2. Bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung ist im Übrigen eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB hinsichtlich der Geschossigkeit und der zulässigen Traufhöhe erteilt worden, so dass die Frage der Beeinträchtigung des Nachbarn über § 31 Abs. 2 BauGB erfasst wird.
2.1.Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger aufgrund der den Beigeladenen erteilten Befreiungen (§ 31 Abs. 2 BauGB) von den Festsetzungen des Bebauungsplans zur Geschossigkeit und der Traufhöhe in subjektiven Rechten verletzt wird. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – BauR 2013, 2011). Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots (§ 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung objektiv rechtswidrig ist, sondern nur, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – NVwZ-RR 1999, 8). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe verletzt die Befreiung keine Rechte des Klägers.
2.2.Vorliegend geht die Kammer wie bereits im Verfahren W 4 K 11.973 davon aus, dass die Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplans („Zwingend Untergeschoß und 1 Vollgeschoß mit Dachneigung 0 – 32°; Traufhöhe bergs. 3,50 m und talseitig 6,20 m“) nicht nachbarschützend ist. Festsetzungen im Bebauungsplan über das Maß der baulichen Nutzung haben grundsätzlich keine automatische nachbarschützende Funktion. Solche Festsetzungen vermitteln ausnahmsweise Drittschutz nur dann, wenn sie nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215.95 – NVwZ 1996, 888 = juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 29.8.2006 – 15 CS 06.1943 – juris Rn. 12; B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 24 ff.; B.v. 1.8.2016 – 15 CS 16.1106 – juris Rn. 17). Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln. Ein entsprechender Wille muss sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Bebauungsplan selbst, aus seiner Begründung oder auch aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung ergeben. Maßgebend ist, ob die Festsetzung auf Basis einer wertenden Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus städtebaulichen Gründen getroffen wurde oder (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen soll (zum Ganzen z.B. BayVGH, B.v. 29.7.2014 – 9 CS 14.1171 – juris Rn. 15; B.v. 12.7.2016 – 15 ZB 14.1108 – juris Rn. 11; VGH BW, B.v. 30.6.2015 – 3 S 901/15 – juris Rn. 10).
Aus den vorliegenden Unterlagen ergibt sich nicht, dass die o.g. Festsetzungen als nachbarschützend gewollt waren. Da aus der Zeit der Aufstellung des Bebauungsplans keine weiteren Unterlagen der Gemeinde K* … vorhanden sind (vgl. E-Mail vom 2. Januar 2012; Gerichtsakte im Verfahren W 4 K 11.973), ist auf den Bebauungsplan und seine Begründung abzustellen. Die Kammer hat bereits im Urteil vom 24. April 2012 im Verfahren W 4 K 11.973, dem eine gleichgelagerte Fragestellung im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Nördlicher Wingert – Teil V“ zugrunde lag, festgestellt, dass jedes Indiz dafür fehlt, dass die Gemeinde K* … mit der Festsetzung der zulässigen Anzahl der Vollgeschosse eine planungsrechtliche Schutzwirkung zugunsten der jeweiligen Grundstücksnachbarn begründen wollte. An dieser Einschätzung hält die Kammer fest. Die Begründungen zum Bebauungsplan sowohl aus dem Jahr 1972 als auch aus den Jahren 1987 und 2002 (Änderungen des Bebauungsplans) enthalten zwar eine Bezugnahme auf die Hanglage und die „UI“-Bebauung, jedoch keinerlei Hinweise auf eine Einbeziehung nachbarlicher Interessen bzw. die wechselseitige Verpflichtung zur Einhaltung der Festsetzungen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass es der Gemeinde bei der Festsetzung zu den Vollgeschossen wie auch zur zulässigen Traufhöhe um die Wahrung eines einheitlichen Ortsbildes und damit um ausschließlich gestalterische städtebauliche Belange ging (vgl. Überschrift zu Ziffer 5. der Begründung zur 2. Änderung des Bebauungsplans i.d.F. vom 10. September 2002: „Geplante Nutzung und städtebauliches Konzept“).
2.3.Wenn von nicht nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans gemäß § 31 Abs. 2 BauGB befreit worden ist, hat der Nachbar über die das Rücksichtnahmegebot konkretisierende „Würdigung nachbarlicher Interessen“ hinaus keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung oder Einhaltung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB (BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98, BayVBl. 1999, 26 – juris Rn. 5). Es ist folglich nicht entscheidungserheblich, ob durch die erteilte Befreiung die Grundzüge der Planung berührt werden oder eine städtebauliche Vertretbarkeit gegeben ist.
Die im streitgegenständlichen Bescheid enthaltene Befreiung wegen Überschreitung der Anzahl der Vollgeschosse und der Traufhöhe ist gegenüber dem klägerischen Anwesen nicht rücksichtslos. Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – BVerwGE 52, 122) soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Kläger aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm als Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist (Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, § 35 Rn. 78).
In der Rechtsprechung ist insbesondere anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft z.B. befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78; B.v. 20.9.1984 – 4 B 181/84; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – alle juris). Ob dies der Fall ist, hängt ganz wesentlich von der konkreten Situation im Einzelfall ab.
Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich das Bauvorhaben der Beigeladenen in seinen Auswirkungen auf das Grundstück des Klägers im Ergebnis nicht als rücksichtslos. Von einer unzumutbaren Beeinträchtigung kann offensichtlich nicht gesprochen werden. Zwischen dem Grundstück des Klägers Fl.Nr. …35/13 und dem Baugrundstück Fl.Nr. …35/27 befindet sich das bebaute Grundstück Fl.Nr. …35/14 in unmittelbarer Nachbarschaft zum klägerischen Anwesen sowie die Barbara Straße. Das Wohngebäude des Klägers ist von dem neu errichteten Gebäude der Beigeladenen etwa 50 Meter entfernt. Eine erdrückende Wirkung ist allein schon deshalb nicht zu verzeichnen. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78, DVBl. 1981, 928 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85, NVwZ 1987, 34 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770, BayVBl. 2009, 751 – juris Rn. 23; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21). Ein solcher Fall ist offensichtlich nicht gegeben.
Ebenso entfallen aufgrund der Entfernung der Anwesen wesentliche Beeinträchtigungen der Belichtung, Besonnung und Belüftung des Grundstücks des Klägers. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Nachbar unter dem Blickwinkel ausreichender Belichtung und Besonnung grundsätzlich keine Rücksichtnahme verlangen, die über den Schutz des landesrechtlichen Abstandsflächenrechts hinausgeht (BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215.96 – BRS 58 Nr. 164). Im Hinblick darauf, dass das Vorhaben die erforderliche Abstandsflächentiefe zum Grundstück des Klägers offensichtlich einhält bzw. überhaupt keine abstandsflächenrechtliche Relevanz gegeben ist, scheidet eine Unzumutbarkeit des Bauvorhabens unter diesem Gesichtspunkt aus.
Soweit eine visuelle Beeinträchtigung des Klägers durch die Solaranlage auf dem Dach des Wohngebäudes der Beigeladenen geltend gemacht wird, reicht das nicht für die Annahme eines Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Drittschutz besteht nur dann, wenn die Befreiung als rücksichtslose Zurücksetzung der Nachbarinteressen zu werten ist, weil das zugelassene Vorhaben als unzumutbar qualifiziert werden kann (vgl. OVG des Landes Sachsen-Anhalt, B.v. 12.12.2011 – 2 M 162/11 – BauR 2012, 756). Hiervon kann jedoch nicht die Rede sein, zumal eine schöne Aussicht grundsätzlich keinen bauplanungsrechtlichen Schutz genießt.
3. Die Klage war nach alldem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeitsgründen dem Kläger aufzuerlegen, denn die Beigeladenen haben einen eigenen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.