Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen Vorbescheid für Reifenservicebetrieb (Ein-Mann-Betrieb im Nebenerwerb)

Aktenzeichen  9 ZB 14.2230

Datum:
15.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 103766
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 47, Art. 64 Abs. 2, Art. 71
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 6

 

Leitsatz

1. Den sachlichen Umfang der Bindungswirkung eines erteilten Vorbescheides für das anschließende Baugenehmigungsverfahren bestimmt der Bauherr durch seine Angaben in den Antragsunterlagen zum Vorbescheidsantrag. Ebenso bestimmt das durch den Vorbescheidsantrag gekennzeichnete Vorhaben den Gegenstand möglicher Nachbareinwendungen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein anderes Vorhaben ist unabhängig vom Vorbescheid dann genehmigungsfähig, wenn es den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht. In diesem Fall bleibt der erteilte Vorbescheid weiterhin gültig und wird nicht durch eine anderweitige, ein anderes Vorhaben betreffende Baugenehmigung aufgehoben. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Pflicht zur Herstellung einer ausreichenden Zahl an Stellplätzen (Art. 47 BayBO) soll nicht den Nachbarn schützen; die Vorschrift dient vielmehr ausschließlich dem öffentlichen Interesse an der Entlastung der öffentlichen Verkehrsfläche vom ruhenden Verkehr. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 K 14.242 2014-08-19 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten insoweit selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen den Vorbescheid des Landratsamts R.-G. vom 17. Februar 2014, mit dem dem Beigeladenen die bauaufsichtliche Genehmigung für die Nutzungsänderung einer Pkw-Garage in einen „Reifenservice mit Montage und Verkauf von Kfz-Zubehör“ unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen in Aussicht gestellt wurde. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 19. August 2014 in der Sache abgewiesen. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Klägers.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der Kläger beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
a) Der Kläger wendet ein, zwischen der Bezeichnung des Bauvorhabens im Vorbescheidsverfahren und der vom Beigeladenen im nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren (vgl. Az. 9 ZB 15.2092) eingereichten Betriebsbeschreibung vom 6. August 2014 bestehe ein Widerspruch, aus dem sich ergebe, dass es dem Beigeladenen gerade nicht allein um einen Reifenservice mit Verkauf von Kfz-Zubehör gehe.
Mit dem bereits im erstinstanzlichen Verfahren in Bezug genommenen Baugenehmigungsantrag des Beigeladenen, der über den Vorbescheid hinausgeht, hat sich das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren befasst und hierzu ausgeführt: „Streitgegenstand ist hier nur der Vorbescheid vom 17. Februar 2014, nicht eine – noch nicht erteilte – spätere Baugenehmigung“. Mit diesen zutreffenden Rechtsausführungen des Verwaltungsgerichts setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander. Hinzuzufügen ist, dass auch eine ggf. vom Gegenstand des Vorbescheids abweichende Baugenehmigung oder ein hiervon abweichend projektierter oder bereits aufgenommener Betrieb nicht Gegenstand der Anfechtungsklage gegen den Vorbescheid vom 17. Februar 2014 ist. Den sachlichen Umfang der Bindungswirkung des erteilten Vorbescheides für das anschließende Baugenehmigungsverfahren bestimmt der Bauherr durch seine Angaben in den Antragsunterlagen zum Vorbescheidsantrag (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand August 2016, Art. 71 Rn. 103). Mit dem Gegenstand des Vorbescheidsantrags wird auch Inhalt und Gegenstand des Vorbescheids bestimmt. Ebenso bestimmt das durch den Vorbescheidsantrag gekennzeichnete Vorhaben den Gegenstand möglicher Nachbareinwendungen. Eine vom Bauwerber im behördlichen Verfahren nicht offenbarte Absicht der anderweitigen Nutzung seines Vorhabens ist unbeachtlich für die Bestimmung des Inhalts des Vorbescheids (vgl. Lechner sowie Gassner in Simon/Busse, a.a.O., Art. 68 Rn. 467, Art. 64 Rn. 23 m.w.N. – jeweils zur Baugenehmigung; vgl. Art. 71 Abs. 4 i.V.m. Art. 64 BayBO).
b) Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Vorbescheid vom 17. Februar 2014 nicht deshalb gegenstandslos geworden, weil die Betriebsbeschreibung vom 6. August 2014 nachgeschoben worden ist. Denn die Betriebsbeschreibung vom 6. August 2014 wurde nicht zum Vorbescheid nachgeschoben, sondern im Baugenehmigungsverfahren eingereicht; sie liegt deshalb weder dem Vorbescheidsantrag noch dem angefochtenen Vorbescheid vom 17. Februar 2014 zugrunde.
Der Vorbescheid ist auch nicht „überholt“. Der Bauherr ist durch einen Vorbescheid nicht derart gebunden, dass er nur ein dem Vorbescheid entsprechendes Vorhaben planen und zur Baugenehmigung einreichen kann. Ein anderes Vorhaben ist unabhängig vom Vorbescheid dann genehmigungsfähig, wenn es den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht. In diesem Fall bleibt der erteilte Vorbescheid weiterhin gültig und wird nicht durch eine anderweitige, ein anderes Vorhaben betreffende Baugenehmigung, auch nicht konkludent, aufgehoben (vgl. Decker in Simon/Busse, a.a.O., Art. 71 Rn. 107).
c) Der klägerische Einwand, das Verwaltungsgericht gehe bei seiner Bewertung von Umständen aus, die nicht verbindlich im Vorbescheid festgeschrieben seien, führt nicht zur Zulassung der Berufung.
aa) Die Auffassung des Klägers, die Betriebsbeschreibung vom 20. Juni 2013 sei nicht zum Gegenstand des Vorbescheids gemacht worden, trifft nicht zu. Die Betriebsbeschreibung vom 20. Juni 2013 mit Ergänzung vom 6. September 2013 wurde vom Beigeladenen zu seinem „Antrag auf Vorbescheid“ eingereicht. Da die Betriebsbeschreibung somit Gegenstand des Vorbescheidsantrags ist, bestimmt sie auch Inhalt und Gegenstand des Vorbescheids. Der vom Kläger für seine Rechtsauffassung in Bezug genommenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg (U.v. 30.3.2011 – Au 4 K 09.1890 – juris) lag eine gänzlich andere Fallgestaltung zugrunde. Dort war im Baugenehmigungsverfahren gerade keine Betriebsbeschreibung eingereicht worden.
bb) Aus den im Vorbescheidsverfahren eingereichten Bauvorlagen ergibt sich, dass der Beigeladene einen Ein-Mann-Betrieb im Nebenerwerb zum Gegenstand seines Vorbescheidsantrags gemacht hat (Art. 71 Satz 4 i.V.m. Art. 64 Abs. 2 BayBO). Nach der Betriebsbeschreibung vom 20. Juni 2013 werden die Arbeiten „selbst ausgeführt, d.h. ohne weiteres Personal“. Aus der ergänzenden Betriebsbeschreibung vom 6. September 2013 folgt, dass der dem Vorbescheid zugrunde liegende Betrieb vom Beigeladenen im Nebenerwerb geführt werden soll. Aufgrund dieser bindenden Angaben des Beigeladenen im Vorbescheidsverfahren sind der Gegenstand des Vorbescheidsantrags und damit auch der Umfang der zur rechtlichen Beurteilung gestellten Nutzung eindeutig auf einen Ein-Mann-Betrieb im Nebenerwerb gerichtet. Einer dies wiederholenden Nebenbestimmung bedarf es deshalb nicht.
cc) Das Verwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass lediglich immer nur ein Auftrag abgearbeitet wird. Es führt auf Grundlage des Vorbescheidsantrags und der im Ortstermin getroffenen Feststellungen vielmehr aus, der 24 m² große Betriebsraum ermögliche bei funktionsgerechter Nutzung nur Arbeiten an einem Fahrzeug, nicht aber an mehreren Fahrzeugen zur gleichen Zeit. Damit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert auseinander. Im Übrigen ergibt sich aus der Betriebsbeschreibung vom 20. Juni 2013, dass die Arbeiten nur nach terminlicher Vereinbarung erfolgen; hierauf stellt das Verwaltungsgericht ebenfalls zu Recht ab.
dd) Die Annahme des Klägers, es fehle an einem ordnungsgemäßen Prüfungsgegenstand im bisherigen Verfahren, trifft nicht zu. Prüfungsgegenstand des Vorbescheidsverfahrens ist das vom Beigeladenen zur Entscheidung gestellte Vorhaben, wie es sich nach den im Vorbescheidsverfahren eingereichten Bauvorlagen darstellt. Daran gemessen lassen sich der Umfang des dem Vorbescheid zugrundeliegenden Vorhabens anhand der Bauvorlagen und die Reichweite des Vorbescheids unter Berücksichtigung der verfügten Voraussetzungen zweifelsfrei beantworten.
d) Die vom Kläger aufgeworfene Stellplatzfrage musste im Vorbescheid keiner abschließenden Lösung zugeführt werden.
Da ein Vorbescheid die Vereinbarkeit eines Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften nur zu einzelnen Fragen feststellt, müssen nicht schon alle für die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens erforderlichen Voraussetzungen abschließend geklärt werden. Da die erforderlichen Stellplätze in den Bauvorlagen nicht dargestellt wurden, hat das Landratsamt in Nr. I.1 des Vorbescheids die Erteilung der bauaufsichtlichen Genehmigung deshalb nur unter der Voraussetzung in Aussicht gestellt, dass die Stellplätze in der Eingabeplanung zeichnerisch und rechnerisch nachgewiesen werden. Davon abgesehen lässt sich aus dem Stellplatzerfordernis (Art. 47 BayBO) grundsätzlich kein nachbarrechtliches Abwehrrecht ableiten. Die Pflicht zur Herstellung einer ausreichenden Zahl an Stellplätzen soll nicht den Nachbarn schützen, die Vorschrift dient vielmehr ausschließlich dem öffentlichen Interesse an der Entlastung der öffentlichen Verkehrsfläche vom ruhenden Verkehr (vgl. BayVGH, B.v. 29.04.2015 – 2 ZB 14.1164 – juris Rn. 13 m.w.N.).
e) Die Ausführungen des Klägers zum Störpotential des Vorhabens führen nicht zur Zulassung der Berufung.
Nach seinen Ausführungen hat das Verwaltungsgericht keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür gefunden, dass der gegenständliche Ein-Mann-Betrieb die im Vorbescheid enthaltenen Inhalts- und Nebenbestimmungen zur Einhaltung der Immissionsrichtwerte für ein Dorfgebiet nach der TA Lärm nicht sicherstellen kann. Diese Bewertung ist in Anbetracht der konkreten Umstände, insbesondere eines Ein-Mann-Betriebs plausibel (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2001 – 1 ZS 01.34 – juris Rn. 8 ff.). Auch der technische Immissionsschutz beim Landratsamt hat gegen das Vorhaben keine grundsätzlichen Bedenken vorgebracht, sofern bestimmte Auflagen beachtet werden; diese Auflagen wurden als Voraussetzungen für die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens in den Vorbescheid aufgenommen. Die lediglich pauschale Aufzählung der im Betrieb zum Einsatz kommenden Maschinen durch den Kläger, die die angegebenen Lärmwerte nicht einhalten könnten bzw. erheblichen Lärm verursachen würden, lässt ebenso wenig ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Bewertung durch das Verwaltungsgericht aufkommen wie die Darstellung eines Betriebsgeschehens, das durch einen „fortlaufenden Zu- und Abgangsverkehr einschließlich Rangierfahrten, den Personenlärm, das Öffnen und Schließen der Schwingtore sowie den Warteverkehr vor dem Anwesen“ geprägt sei.
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die im Vorbescheid enthaltenen Inhalts- und Nebenbestimmungen könnten in einer noch zu erteilenden Baugenehmigung eine weitere Konkretisierung erfahren, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der gegenständliche Vorbescheid stellt die Erteilung der bauaufsichtlichen Genehmigung in Aussicht, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Soweit es die Lärmwirkungen des Vorhabens betrifft, dürfen u.a. nach Nr. I.4 des Vorbescheids die Immissionsrichtwerte der TA Lärm für ein Dorfgebiet nicht überschritten werden. Die Bindungswirkung des Vorbescheids schließt deshalb konkretisierende Nebenbestimmungen zu einer nachfolgenden Baugenehmigung nicht aus, sofern sich solche zur Erfüllung der Voraussetzungen als notwendig erweisen sollten.
f) Der in Erwiderung auf die Stellungnahme des Beklagten vorgetragene Einwand des Klägers, der Betrieb des Beigeladenen sei nicht auf Leistungen abgestellt, die im Wesentlichen auf den örtlichen Bereich zugeschnitten sind, zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils auf.
Das Verwaltungsgericht wertet das Vorhaben schon nicht als einen der Versorgung des Gebiets dienenden Handwerksbetrieb (§ 5 Abs. 1 BauNVO), sondern als einen nicht wesentlich störenden „sonstigen Gewerbebetrieb“ (§ 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 6 BauNVO). Sonstige Gewerbebetriebe sind auch solche Handwerksbetriebe, die nicht der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienen (vgl. Roeser in König/Roeser/ Stock, BauNVO, 3. Auflage 2014, § 5 Rn. 28; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, § 5 BauNVO Rn. 45, jeweils m.w.N.; BVerwG, B.v. 4.12.1995 – 4 B 258.95 – BauR 1996, 218 = juris Rn. 6).
2. Die Ausführungen des Klägers zu der seiner Ansicht nach inhaltlich fehlerhaften Beurteilung des Bauvorhabens durch das Verwaltungsgericht führen auf keinen Verfahrensmangel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO hin; einen Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen eine Vorschrift, die den Verfahrensablauf regelt, hat der Kläger nicht dargelegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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