Baurecht

Erfolgloser Eilantrag des Nachbarn gegen Baugenehmigung für Wohnanlage – Erhaltungssatzung

Aktenzeichen  9 CS 19.1109

Datum:
9.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19823
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BauGB § 172
BayBO Art. 68 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

1. Allein ein Verstoß der Baugenehmigungsbehörde gegen die Begründungspflicht nach Art. 68 Abs. 2 S. 2 BayBO führt nicht automatisch zur Aufhebung der Baugenehmigung zugunsten des Nachbarn. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Versagungsgrund des § 172 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 BauGB dient der Erhaltung des Ortsbildes, der Stadtgestalt und des Landschaftsbildes. Er ist damit flächenbezogen und erfasst nicht die isolierte Erhaltung baulicher Anlagen ohne prägende Wirkung auf ihre Umgebung, sondern dient vor allem dem Ensembleschutz. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 3 S 19.816 2019-05-15 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Erteilung einer Baugenehmigung durch die Antragsgegnerin für die Errichtung einer Wohnanlage mit Tiefgarage an die Beigeladene.
Die Beigeladene beantragte mit Unterlagen vom 3. Mai 2018 die Baugenehmigung zur Errichtung einer Wohnanlage mit sechs Wohneinheiten und Tiefgarage auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung Erlangen, das mit einem – mittlerweile abgebrochenen – freistehenden Wohngebäude aus den 1930’er Jahren bebaut war. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des westlich angrenzenden Grundstücks FlNr. … Gemarkung Erlangen, das mit einem vergleichbaren Wohngebäude bebaut ist. Ein weiteres vergleichbares Gebäude befand sich auf dem westlich der Antragstellerin angrenzenden Grundstück FlNr. … Gemarkung Erlangen. Sämtliche Grundstücke liegen im Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplans Nr. 335 mit integriertem Grünordnungsplan „W* …straße“ der Antragsgegnerin vom 20. Januar 2004 und der Satzung der Antragsgegnerin zur Erhaltung baulicher Anlagen im Bereich des Burgbergs (Erhaltungssatzung Burgberg – ErhS) vom 1. September 1989 in der Fassung vom 10. Dezember 2001.
Gegen die Erteilung der Baugenehmigung auf dem westlich der Antragstellerin gelegenen Grundstück FlNr. … Gemarkung Erlangen durch die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 14. Oktober 2016 erhob die Antragstellerin Klage, die vom Verwaltungsgericht mit Urteil vom 30. November 2017 (Az. AN 3 K 16.02026) abgewiesen wurde; über ihren Antrag auf Zulassung der Berufung hiergegen ist noch nicht entschieden (Az. 9 ZB 18.172). Der seinerzeit von der Antragstellerin ebenfalls gestellte Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz blieb vor dem Verwaltungsgericht und im Beschwerdeverfahren erfolglos (BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 9 CS 16.2522).
Mit Bescheid vom 12. April 2019 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung unter Befreiung von den Baugrenzen für die Tiefgaragenzufahrt und -überdachung sowie eine Genehmigung zum Abbruch des bestehenden Gebäudes und der Errichtung des geplanten Bauvorhabens nach § 3 ihrer Erhaltungssatzung. Hiergegen hat die Antragstellerin Klage erhoben (Az. AN 3 K 19.00877), über die noch nicht entschieden ist. Zudem hat sie einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Mai 2019 ablehnte. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Erhaltungssatzung gegenüber der Antragstellerin nicht drittschützend sei. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, die Erhaltungsssatzung vermittle, ebenso wie das Denkmalschutzrecht, Drittschutz. Denkmalschutz und Erhaltungssatzung dienten identischen Zwecken; Unterschiede in der Eingriffstiefe rechtfertigten keine Differenzierung im Rahmen des Drittschutzes. Durch den Abbruch der Gebäude auf FlNr. … und … Gemarkung Erlangen gehe der Ensembleschutz und die Erhaltungswürdigkeit ihres Gebäudes auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung Erlangen verloren. Dies stelle eine erhebliche Beeinträchtigung dar, weil der spezielle Charakter der Anwesen zerstört werde. Zudem gehe das Verwaltungsgericht fehlerhaft davon aus, dass in der Nachbarschaft eine Vielzahl von Grundstücken mit Reihenhäusern bebaut sei und leide die Baugenehmigung an einem Begründungsmangel hinsichtlich der fehlenden Erhaltungswürdigkeit.
Sie beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. Mai 2019 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die an die Beigeladene erteilte Baugenehmigung vom 12. April 2019 für den Neubau einer Wohnanlage (6 WE) mit Tiefgarage (Mittelgarage) auf dem Grundstück E* …straße …, FlNr. … Gemarkung Erlangen anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Erhaltungssatzung diene allein städtebaulichen Belangen. Die Antragstellerin gehe unzutreffend davon aus, dass die von der Erhaltungssatzung Betroffenen aufgrund des Genehmigungsvorbehalts gehalten seien, ihre Gebäude zu erhalten.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass sich der Erhaltungssatzung kein drittschützender Charakter entnehmen lasse.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge, der vorgelegten Behördenakten, sowie der Verfahren 9 CS 16.2522 und 9 ZB 18.172 verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Selbst wenn hinsichtlich der Frage des Drittschutzes der Erhaltungssatzung nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, die Erfolgsaussichten der Klage – wofür allerdings wenig spricht (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 9 CS 16.2522) – als offen anzusehen sein sollten, fällt die vorzunehmende Abwägung der gegenseitigen Interessen zu Lasten der Antragstellerin aus.
Bei der Interessenabwägung ist zunächst zu berücksichtigen, dass das Vorbringen der Antragstellerin, die angefochtene Baugenehmigung vom 12. April 2019 leide an einem Begründungsmangel, keine Verletzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften aufzeigt, die zumindest auch dem Schutz der Antragstellerin zu dienen bestimmt sind. Denn allein ein Verstoß gegen Art. 68 Abs. 2 Satz 2 BayBO führt nicht automatisch zur Aufhebung der Baugenehmigung zugunsten des Nachbarn (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2019 – 9 ZB 16.2615 – juris Rn. 6). Abgesehen davon, hat das Verwaltungsgericht darauf verwiesen, dass der Antragstellerin die Tatsache, dass die Antragsgegnerin selbst vom Nichtbestehen eines Drittschutzes ihrer Erhaltungssatzung ausgeht, aus dem Verfahren betreffend das westliche Nachbargrundstück bekannt war (vgl. Art. 68 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BayBO i.V.m. Art. 39 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG). Dem kann das Beschwerdevorbringen nichts entgegensetzen.
Unabhängig von der Frage des Drittschutzes hat das Verwaltungsgericht ferner das Gebäude auf dem Baugrundstück unter Hinweis auf die Einschätzung der Antragsgegnerin als Normgeberin nicht als schutzwürdig i.S.d. Erhaltungssatzung eingestuft und bereits den Anwendungsbereich der Erhaltungssatzung verneint (vgl. BA S. 11). Die Antragsgegnerin hat hier ihrer Bewertung zum Abbruch des bestehenden Gebäudes und der Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit der Erhaltungssatzung Burgberg vom 14. Februar 2019 (Bl. 79 der Behördenakte) den gesamten Straßenzug E* …straße zugrundegelegt. Sie ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass der Straßenzug E* …straße eine dichtere Bebauung aufweist als der nach dem Sinn und Zweck der Erhaltungssatzung Burgberg unter Schutz stehende Typus eines Villenviertels des ausgehenden 19. und des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts mit einzelnstehenden, in großflächigen Gärten mit wertvollem Baumbestand eingestreuten Gebäuden gem. §§ 4, 5 der Erhaltungssatzung Burgberg. Dieses Vorgehen dürfte nicht zu beanstanden sein. Der Versagungsgrund des § 172 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 BauGB dient der Erhaltung des Ortsbildes, der Stadtgestalt und des Landschaftsbildes. Er ist damit flächenbezogen und erfasst nicht die isolierte Erhaltung baulicher Anlagen ohne prägende Wirkung auf ihre Umgebung, sondern dient vor allem dem Ensembleschutz (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2019, § 172 Rn. 145). Demgegenüber dürfte die Betrachtung der Antragstellerin, die allein die ursprünglich drei gleichartigen Gebäude auf den Grundstücken FlNrn. …, … und … Gemarkung Erlangen als maßgebend ansieht, zu kurz greifen. Das Beschwerdevorbringen zeigt insoweit nicht auf, dass die (ursprüngliche) Bebauung dieser drei Grundstücke entgegen der Bewertung der Normgeberin – unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 172 Rn. 155) – eine eigenständige prägende Wirkung in diesem Beurteilungsbereich aufgewiesen hat. Der Verweis der Antragstellerin auf die stadtgeschichtliche Bedeutung der Bauweise des Bauunternehmens N* … ändert hieran nichts, zumal die Normgeberin von der Möglichkeit des § 172 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 BauGB in der Erhaltungssatzung Burgberg offenbar keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. § 3 Abs. 2 ErhS).
Im Übrigen kann bei der Interessenabwägung nicht außer Betracht bleiben, dass die von der Antragstellerin zur Begründung ihrer Beeinträchtigung und eines Ensembleschutzes angeführten freistehenden Wohngebäude aus den 1930’er Jahren sowohl auf dem von ihrem Grundstück westlich gelegenen Grundstück FlNr. … Gemarkung Erlangen, das bereits mit drei Reihenhäusern neu bebaut wurde, als auch auf dem hier verfahrensgegenständlichen östlich gelegenen Grundstück FlNr. … Gemarkung Erlangen zwischenzeitlich vollständig abgebrochen wurden. Damit ist das maßgebliche Ziel der Antragstellerin, die Gesamtheit dieser Gebäude zur Abbildung eines Teils der Stadthistorie entgegen der Bewertung der Antragsgegnerin und Normgeberin zu erhalten, nicht mehr erreichbar. Das Suspensivinteresse der Antragstellerin fällt gegenüber dem Interesse am Vollzug der Baugenehmigung geringer aus, zumal eine Beeinträchtigung des bestehen-bleibenden Gebäudes der Antragstellerin durch den genehmigten Baukörper – selbst bei Zugrundelegung eines Drittschutzes der Erhaltungssatzung – weder ersichtlich noch dargelegt ist, sondern von der Antragstellerin vor allem in der Beseitigung des von ihr angenommenen Ensembleschutzes gesehen wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladene im Beschwerdeverfahren einen rechtlich die Sache förderlichen Beitrag geleistet hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§ 163 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sie entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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