Baurecht

Erfolgloser Eilantrag des Nachbarn (Miteigentümer) gegen Unterbringung von Asylbewerbern

Aktenzeichen  9 CE 17.1362

Datum:
17.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZWE – 2017, 425
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1 VwGO
VwGO § 42 Abs. 2 VwGO
WEG § 15 Abs. 3 WEG
GG Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG

 

Leitsatz

Das Sondereigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz schließt öffentlich-rechtliche Nachbarschutzrechte innerhalb der Gemeinschaft der Miteigentümer desselben Grundstücks (grundsätzlich) aus. Der Wohnungseigentümer muss eine behauptete Unvereinbarkeit des Gebrauchs des Sondereigentums durch einen anderen Miteigentümer auf dem Zivilrechtsweg geltend machen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 9 E 17.753 2017-06-22 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Miteigentümer der Wohnungseigentümergemeinschaft V …straße, Grundstück FlNr. … Gemarkung S … und Sondereigentümer einer Einheit in diesem Anwesen. Er begehrt bauaufsichtliches Einschreiten der Antragsgegnerin gegen die Nutzung einer vormaligen Arztpraxis in zwei Wohneinheiten zur Unterbringung von Asylbewerbern durch die Beigeladene in dem Gebäude.
Mit Schreiben vom 4. Oktober 2016 wies der Antragsteller die Antragsgegnerin darauf hin, dass die vormalige Gewerbeeinheit im Gebäude V … str. … zur Unterbringung von Asylbewerbern genutzt wird und beantragte bauaufsichtliches Einschreiten. Nach einer Baukontrolle vom 14. Oktober 2016 forderte die Antragsgegnerin den Vertreter der Beigeladenen zur Stellung eines Bauantrags auf. Mit Unterlagen vom 7. Dezember 2016 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Genehmigung zur Nutzungsänderung von Arztpraxis in zwei Wohneinheiten in dem Gebäude V …str. 1 auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung S … Die Baugenehmigung wurde der Beigeladenen von der Antragsgegnerin mit öffentlich bekannt gemachtem Bescheid vom 16. Januar 2017 erteilt; der Bescheid enthält u.a. Auflagen zum Brandschutz. Hiergegen hat der Antragsteller Klage erhoben (Az. AN 9 K 17.00358), über die noch nicht entschieden ist.
Die wiederholten Aufforderungen des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin zum bauaufsichtlichen Einschreiten lehnte diese mit Bescheid vom 19. April 2017 ab. Hiergegen hat der Antragsteller Klage erhoben (Az. AN 9 K 17.00933), über die ebenfalls noch nicht entschieden ist. Bereits mit Schriftsatz vom 20. April 2017 beantragte der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz. Das Verwaltungsgericht hat diesen mit Beschluss vom 22. Juni 2017 abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antrag sei unzulässig, weil dem Antragsteller für ein Einschreiten gegen einen weiteren Miteigentümer derselben Wohnungseigentümergemeinschaft die Antragsbefugnis fehle. Außerdem liege kein Anordnungsanspruch vor, weil im Verhältnis der Miteigentümer innerhalb einer Wohnungseigentümergemeinschaft die öffentlich-rechtlichen Nachbarrechte durch zivilrechtliche Regelungen des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) überlagert und verdrängt würden. Der Antrag wäre im Übrigen auch unbegründet, da ein Anordnungsanspruch zwischen Wohnungseigentümern ebenso wenig gegeben sei, wie ein Anordnungsgrund. Irgendwelche Anzeichen für eine ein sofortiges Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde rechtfertigende konkrete (Brand-)Gefahr durch die derzeit ausgeübte Nutzung seien weder ersichtlich noch glaubhaft gemacht worden.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Er macht geltend, die Eröffnung des Zivilrechtsweges greife nicht, wenn – wie von ihm wegen ungeprüftem bzw. fehlendem Brandschutz – eine Gefahr für Leib und Leben geltend gemacht werde. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts stelle eine Rechtsschutzverweigerung dar. Das Verwaltungsgericht lasse jegliche Prüfung der objektiven Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Antragsgegnerin vermissen. Die Genehmigung der Asylbewerberunterkunft dürfe nicht im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren erteilt werden, weil es sich um einen Sonderbau handle. Entgegen den gesetzlichen Bestimmungen fehle es an einem Brandschutznachweis, woraus sich zeige, dass hier eine Gefährdung von Leib und Leben vorliege. Zudem liege eine Ermessensreduzierung bei der Entscheidung über das bauaufsichtliche Einschreiten vor, weil die Antragsgegnerin zum einen nicht nur Genehmigungsbehörde, sondern durch den Abschluss eines Beherbergungsvertrages mit der Beigeladenen zugleich auch Störerin sei und zum anderen öffentlich ausgelobt habe, Asylbewerber nicht in Wohnungen unterzubringen.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 22. Juni 2017 abzuändern und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung einstweilen zu verpflichten, der Beigeladenen die Nutzung des Anwesens V … str., FlNr. … Gemarkung S … (vormalige Arztpraxis, nunmehr umgewandelt in 2 Wohneinheiten) als Einrichtung zur Unterbringung von Asylbewerbern einstweilen zu untersagen, bis die Beigeladene im Rahmen eines neuen Bauantrags einen prüffähigen Brandschutznachweis eingereicht hat und der Bauantrag genehmigt wird.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen jeweils,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
1. Es kann offen bleiben, ob der Antragsteller als Sondereigentümer entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt ist und hier ausnahmsweise unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Nutzungsänderung einer Arztpraxis in zwei Wohneinheiten in seiner Wohnanlage geltend machen kann.
Das Sondereigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz schließt öffentlich-rechtliche Nachbarschutzrechte innerhalb der Gemeinschaft der Miteigentümer ein- und desselben Grundstücks (grundsätzlich) aus (BVerwG, U.v. 14.10.1988 – 4 C 1.86 – juris Rn. 10; U.v. 12.3.1998 – 4 C 3.97 – juris Rn. 18). Dass der Wohnungseigentümer die behauptete Unvereinbarkeit des Gebrauchs des Sondereigentums durch einen anderen Miteigentümer auf dem Zivilrechtsweg geltend machen muss, verletzt auch weder die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG noch die Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG an die Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. BVerfG, B.v. 7.2.2006 – 1 BvR – 2304/05 – juris Rn. 10 ff., 14).
Ob in Fällen, in denen eine unmittelbare Gefährdung der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – worauf sich auch der Antragsteller beruft – geltend gemacht wird, etwas anderes zu gelten hat (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 42 Rn. 121; BVerwG, U.v. 14.10.1988 – 4 C 1.86 – juris Rn. 10 a.E. – offen gelassen), ist nicht entscheidungserheblich.
2. Der Antragsteller hat hier hinsichtlich eines Anspruchs auf bauaufsichtliches Einschreiten weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
a) Nach Art. 76 Satz 2 BayBO steht es im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, die Nutzung von Anlagen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden, zu untersagen. Ein Anspruch des Antragstellers auf fehlerfreie Ermessensausübung oder auf Erlass einer Nutzungsuntersagung kommt dabei nur in Betracht, wenn er durch das strittige Vorhaben in eigenen Rechten verletzt wird (vgl. BayVGH, B.v. 28.8.2015 – 9 ZB 13.1876, Rn. 13 m.w.N.). Aus Art. 54 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 BayBO folgt nichts anderes. Unter Berücksichtigung aller Umstände, die der Antragsteller vorbringt, kann er hier gegenüber der Antragsgegnerin keinen Anspruch auf Erlass einer Nutzungsuntersagung gegenüber der Beigeladenen geltend machen.
Der Antragsteller meint, es fehle an einer objektiven Rechtmäßigkeitsprüfung und die Antragsgegnerin habe die Nutzungsänderungsgenehmigung zu Unrecht im vereinfachten Verfahren unter unzulässiger Erweiterung des Prüfungsmaßstabs erteilt. Vielmehr bedürfte es eines Brandschutznachweises nach Art. 62 Abs. 3 Satz 3 BayBO i.V.m. § 11 BauVorlV. Damit wendet sich der Antragsteller aber im Wesentlichen gegen Verfahrensvorschriften, die nicht dem Schutz von Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Auch wenn der Brandschutz nicht zum Prüfungsumfang im vereinfachten Verfahren gehört (vgl. Art. 59 Satz 1 BayBO), ergibt sich jedenfalls durch die tatsächlich erfolgte Prüfung und die Festsetzung von Auflagen durch die Antragsgegnerin im Bescheid vom 16. Januar 2017 gegenüber dem Antragsteller keine Rechtsverletzung (vgl. BayVGH, B.v. 12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – juris Rn. 6).
Hier hat die Beigeladene im Bauantragsformular angegeben, dass die Anforderungen an den Brandschutz bauaufsichtlich geprüft werden sollen (Art. 59 Satz 2 i.V.m. Art. 62 BayBO). Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass die Antragsgegnerin bei dem Bestandsgebäude der Gebäudeklasse 5 (Art. 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BayBO) entsprechend § 1 Abs. 5 BauVorlV auf Bauvorlagen sowie auf bautechnische Nachweise – wie hier erfolgt – nicht hätte verzichten können (vgl. die Prüfungsvermerke vom 4. Januar 2017 in der Bauakte Bl. 28, 29 sowie die Stellungnahme vom 24. April 2017, rote Heftung Bl. 22). Nichts anderes gilt, wenn – wofür hier allerdings wenig spricht (vgl. VGH BW, B.v. 3.6.1991 – 8 S 1170/91 – juris Rn. 6) – von einem Sonderbau i.S.d. Art. 2 Abs. 4 Nr. 11 BayBO auszugehen wäre (vgl. Art. 62 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 BayBO, § 1 Abs. 5 BauVorlV). Es wird zudem nicht hinreichend dargelegt, welche Brandschutzvorschriften hier dem Nachbarschutz des Antragstellers dienen würden und inwieweit hiervon zu seinen Lasten abgewichen wurde (vgl. BayVGH, B.v. 23.12.2013 – 15 CS 13.1445 – juris Rn. 16).
Aus dem Vorbringen des Antragstellers ergeben sich weiter keine Anhaltspunkte dafür, dass die angefochtene Baugenehmigung vom 16. Januar 2017 in das in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Abwehrrecht eingreift oder das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in seiner Schutzpflichtdimension betroffen ist. Weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Beschwerdeverfahren wird substantiiert vorgetragen, dass die dem Brandschutz dienenden Maßnahmen in den genehmigten Planunterlagen und den festgesetzten Auflagen im Baugenehmigungsbescheid vom 16. Januar 2017 gänzlich ungeeignet oder völlig unzureichend sind (vgl. VGH BW, U.v. 17.2.2006 – 5 S 1848/05 – juris Rn. 32); entsprechendes ist auch nicht ersichtlich. Die beauflagten und tatsächlich durchzuführenden Brandschutzmaßnahmen betreffen die Errichtung einer F90-Brandschutzwand innerhalb der bisher einheitlich genutzten Arztpraxis zwischen den beiden neuen Wohneinheiten, die Ausbildung mindestens eines Außenwandfensters als Notausstieg, die Ausstattung mit Rauchwarnmeldern sowie die Ausgestaltung von Türen zwischen den Wohnungen und den Treppenräumen als vollwandig, dicht- und selbstschließend. Der äußere Bestand der Nutzungseinheit wird gegenüber dem bisherigen Bestand im Übrigen nicht verändert. Sämtliche Maßnahmen sind gegenüber der Beigeladenen bestandskräftig angeordnet, so dass die geltend gemachten Belange des Antragstellers im Rahmen der Interessenabwägung nicht überwiegen.
b) Darüber hinaus fehlt es auch an einem Anordnungsgrund. Selbst wenn durch die Nutzung der Wohneinheiten eine Gefahr vorliegen sollte, könnte diese ohne Weiteres durch dem zivilgerichtlichen Verfahren vorbehaltene Maßnahmen in den Griff bekommen werden, zumal im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist, dass die beauflagten und tatsächlich durchzuführenden Brandschutzmaßnahmen nach Aktenlage und Vortrag der Beigeladenen zwischenzeitlich vollumfänglich erfüllt wurden. Eine unmittelbare Gefahr, die ein sofortiges Einschreiten der Antragsgegnerin erfordern würde, ist im Hinblick darauf nicht dargelegt oder ersichtlich (vgl. OVG NW, U.v. 3.5.2007 – 7 A 3350/06 – juris Rn. 51).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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