Baurecht

Erfolgloser Eilantrag gegen eine Baugenehmigung zum Neubau von zwei Arbeiterwohnheimen und Apartementwohnhäusern mit Altenwohnungen

Aktenzeichen  RO 7 S 16.814

Datum:
22.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5, § 80a Abs. 3
BauGB BauGB § 34, § 35 Abs. 2, § 212a
BauNVO BauNVO § 12 Abs. 2, § 15 Abs. 1
BayBO BayBO Art. 47

 

Leitsatz

1 Ist eine Baugenehmigung zu unbestimmt, wird ein Nachbar hierdurch nur dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Genehmigung eine Nutzungsmöglichkeit umfasst, die dem Nachbarn nicht zumutbar ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Garagen und Stellplätze begegnen in ruhigen rückwärtigen Gartenbereichen hinter Wohnhäusern dann rechtlichen Bedenken, wenn der Nachbar infolge dieser Situierung unzumutbaren Störungen durch nächtlichen Lärm ausgesetzt wird und nach Lage und Zuschnitt des Baugrundstücks eine Konzentration von Garagen und Stellplätzen im rückwärtigen Ruhebereich vermieden werden könnte. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die bauordnungsrechtlichen Vorschriften über die Verpflichtung zur Errichtung der für eine ordnungsgemäße Nutzung notwendigen Stellplätze (Art. 47 BayBO) sind grundsätzlich nicht nachbarschützend, sondern dienen ausschließlich dem öffentlichen Interesse an der Entlastung öffentlicher Verkehrsflächen vom ruhenden Verkehr. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte baurechtliche Genehmigung.
Das Baugrundstück Fl.Nrn. 662, 662/4 und 662/5 Gemarkung … liegt im Ortskern der Gemeinde …, in einem großen bisher unbebauten Areal zwischen den spitz aufeinander zulaufenden Straßen … und Kreisstraße … Für den Bereich des Baugrundstücks, das ca. 1/3 des unbebauten Areals ausmacht, ist am 4.2.2016 der Bebauungsplan „…“ bekannt gemacht worden. Dieser setzt als Art der baulichen Nutzung ein Allgemeines Wohngebiet fest, trifft Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und zur überbaubaren Grundstücksfläche und verkürzt die einzuhaltenden Abstandsflächen innerhalb des Plangebiets auf 0,4 H. Der östliche Bereich zwischen dem Bebauungsplangebiet und der Kreisstraße ist bereits mit Wohnbebauung bebaut. Dort befindet sich auch das Wohnanwesen der Antragstellerin auf der Fl.Nr. 662/6. Daneben ist sie Eigentümerin des östlich und nördlich unmittelbar an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücks Fl.Nr. 662/11, das nur mit einem Nebengebäude bebaut ist.
Mit im November 2015 beim Landratsamt Cham eingegangenen Unterlagen hat die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau von 2 Arbeitnehmerwohnheimen und Apartmentwohnhäusern mit Altenwohnungen beantragt. Eine weitere Beschreibung des Nutzungszwecks enthalten die Bauvorlagen nicht. Vorgesehen sind zwei im Wesentlichen identische Gebäude mit je 4 Stockwerken, die jeweils zwei im 90°-Winkel zueinander stehende Flügel mit abgeschrägter Ecke haben. In einem „Übersichtsplan Wohnungszuordnungen“ sind 76 über alle Stockwerke verteilte 1-Zimmerwohnungen mit je eigenem Bad und Kochzeile im Wohn-/Schlafzimmer der Nutzung Arbeitnehmerwohnheim zugeordnet. 20 Zweizimmerwohnungen sind als Apartmentwohnungen bezeichnet. Davon sind zwei Penthousewohnungen mit 14 m2 großem Bad, Sauna, Whirlpool und Ankleidezimmer (Wohnfläche jeweils 108,82 m2). In den Erdgeschossen und in den 1. und 2. Obergeschlossen findet sich jeweils eine 3-Zimmerwohnung mit einer Wohnfläche von 73,96 m2, die als Altenwohnungen definiert werden. Für diese Wohnungen findet sich in den Grundrissplänen für das zweite Schlafzimmer die Nutzungsangabe „Kind“. Erreichbar sind alle Wohnungen über zwei Treppenhäuser, eines davon mit Aufzug, die zu einem Laubengang auf der Nordseite der Gebäude führen. In einem Stellplatznachweis wird ein Bedarf von 47 Stellplätzen errechnet, wobei entsprechend der Garagen- und Stellplatzverordnung, die auch im Bebauungsplan als maßgebend festgesetzt wurde, bei den Altenwohnungen 0,2 Stellplätze je Wohnung und beim Arbeitnehmerwohnheim 1 Stellplatz je 4 Betten zugrunde gelegt wurden. Bei letzterem wurde von einem Bett je Wohnung ausgegangen, obwohl in den Grundrissplänen jeweils Doppelbetten dargestellt sind. Vorgesehen sind insgesamt 50 Stellplätze, davon 20 in einer Tiefgarage. Die anderen Stellplätze sind überwiegend zur östlichen Grundstückgrenze hin angeordnet. Fünf Stellplätze liegen innerhalb eines Wendekreises zwischen den beiden Gebäuden.
Mit Bescheid vom 22.2.2016 wurde die Baugenehmigung erteilt. Dabei wurde die Überschreitung der Baugrenzen durch Balkone im Nordwesten beider Gebäude und die Errichtung von Stellplätzen auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen zugelassen.
Am 18.3.2016 hat die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid erhoben, die zunächst nicht begründet wurde (Az. RO 7 K 16.426). Am 23.5.2016 wurde der Antrag gestellt,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 18.3.2016 gegen den Bescheid des Landratsamtes Ch. vom 25.2.2016 anzuordnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen folgendes ausgeführt: Der Bescheid sei formell rechtswidrig, weil er nicht begründet sei und unklar sei, ob die Abstandsflächen geprüft worden seien. Der zugrunde liegende Bebauungsplan sei nichtig, weil die Voraussetzungen für die Verkürzung der Abstandsflächen nicht gegeben seien, es geeignetere Alternativstandorte gegeben habe und er nicht ordnungsgemäß ausgelegt worden sei. Das Gebot der Rücksichtnahme sei wegen der erheblichen Zunahme von Verkehr verletzt. Die zuständigen Sachgebiete des Landratsamts hätten zu Recht Einwendungen wegen der Einfahrtssituation in die Kreisstraße erhoben. Die Zulassung einer Überschreitung der Baugrenze für Balkone sei ermessensfehlerhaft.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es wird im Einzelnen auf die Einwände der Antragstellerseite eingegangen. Bezüglich der Details wird auf den Schriftsatz verwiesen. Im Wesentlichen wird ausgeführt, dass Rechte der Antragstellerin durch die erhobenen Rügen weitgehend nicht betroffen seien. Auch eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme wegen der Stellplätze liege nicht vor. Dazu wurde eine Stellungnahme des Umweltingenieurs vom 10.6.2016 vorgelegt, der eine Lärmprognose nach der bayerischen Parkplatzlärmstudie erstellt hat. Die Zufahrtssituation zur Kreisstraße sei nicht Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens, weil die davor liegende Zufahrt zum Baugrundstück eine öffentliche Straße sei.
Die Beigeladene beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Sie führt ebenfalls aus, dass der Erfolg des Antrags eine Verletzung von Rechten der Antragstellerin erfordere und legt dar, dass dies bei vielen gerügten Punkten nicht der Fall sei. Der Vortrag zu den Stellplätzen sei schon treuwidrig, weil die Nachbarschaft mehr Stellplätze nachdrücklich gefordert habe. Unabhängig davon habe die Antragstellerin die Stellplätze als gebietstypisch hinzunehmen. Dennoch sei die Beigeladene bereit, auf die 5 Stellplätze in der Nähe der Grenze zum Grundstück der Antragstellerin zu verzichten und unter Verzicht auf 3 Stellplätze 2 Stellplätze an anderer Stelle auf dem Grundstück zu errichten. Es wird unter Eingehung auf Rügen der Antragstellerseite ausgeführt, dass der Bebauungsplan wirksam sei.
Auf Nachfrage des Gerichts bezüglich der tatsächlich geplanten Nutzung der Wohnungen und der Stellplätze haben die Beigeladene und der Antragsgegner Stellung genommen. Im Wesentlichen wird ausgeführt, die Vermietung von Wohnungen im Arbeitnehmerwohnheim sei nicht an ein bestimmtes Unternehmen gebunden. Sie würden an Jedermann über unbefristete Mietverträge vermietet. Die eingezeichneten Doppelbetten hätten nur der Illustration gedient, die Wohnungen würden unmöbliert vermietet. Die vorgesehen Stellplätze würden fest vermietet und entsprechend gekennzeichnet werden. Durch Schilder und evtl. Poller werde ein Parken außerhalb der Parkplätze unterbunden werden. Wegen des erwarteten Mieterkreises werde im Hinblick auf vorhandene Infrastruktur damit gerechnet, dass viele Mieter keinen Parkplatz benötigen werden. Die Beigeladene stelle aber in Aussicht bei entsprechender Forderung des Landratsamts weitere Stellplätze zu errichten oder abzulösen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der gemäß § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag ist unbegründet. Die gebotene Interessenabwägung des Gerichts ergibt ein Überwiegen des Interesses der Beigeladenen am Fortbestand des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung nach § 212a BauGB, weil die Klage der Antragstellerin voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Bei summarischer Prüfung ist nicht zu erkennen, dass der streitige Baugenehmigungsbescheid Rechte der Antragstellerin verletzt. Allenfalls bezüglich der vorgesehenen Stellplätze sind wegen eines noch bestehenden Regelungsbedarfs die Erfolgsaussichten der Klage offen (vgl. unten).
Auch wenn die Baugenehmigung dem objektiven Recht widersprechen sollte, steht einem Grundstücksnachbarn nicht schon deshalb ein Anspruch auf Versagung oder Aufhebung dieser Genehmigung zu. Nachbarn können eine Baugenehmigung nur erfolgreich anfechten, falls durch diesen Bescheid öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt werden, die (auch) ihrem Schutz dienen.
1. Soweit in der Antragsschrift der Umfang der Begründung der Baugenehmigung gerügt wird, ist nicht ersichtlich, inwieweit sich daraus eine Verletzung von Rechten der Antragstellerin ergeben könnte. Im Übrigen wäre ein entsprechender Fehler durch die Ausführungen in der Antragserwiderung geheilt (Art. 45 Abs. 1 Nr. 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz). Nicht nachvollzogen werden kann der Vortrag, es sei unklar, ob die Einhaltung der Abstandsflächen zum Umfang des Genehmigungsbescheids gehöre. Dass dies der Fall ist, ergibt sich schon aus dem gesetzlich festgelegten Prüfumfang in dem hier nicht gegebenen vereinfachten Baugenehmigungsverfahren (vgl. Art. 60 Bayerische Bauordnung) und dem fehlenden Hinweis auf die Durchführung eines solchen im Genehmigungsbescheid. Es trägt auch der Abstandsflächenplan einen Prüfvermerk und ist deshalb durch Ziff. 1 des Bescheidstenors Gegenstand der Baugenehmigung. Es wäre auch die Antragstellerin durch eine Unbestimmtheit nicht in Rechten verletzt, da die (vollen) Abstandsflächen gegenüber ihren Grundstücken tatsächlich eingehalten sind.
Zweifel hinsichtlich der Bestimmtheit der Baugenehmigung bestehen allerdings hinsichtlich der tatsächlich genehmigten Nutzung. Eine nähere Beschreibung derselben, wie sie im Formblatt „Baubeschreibung“ auf S. 2 unten vorgesehen wäre, fehlt. Die beabsichtigte Nutzung ist lediglich durch die Bezeichnungen „Arbeitnehmerwohnheime“, „Apartmentwohnhäuser“ und „Altenwohnungen“ sowie den bezüglich der Zuordnung zu diesen Kategorien erstellten Plan „Wohnungszuordnungen“ konkretisiert. Selbst wenn man noch davon ausgeht, dass diese Bezeichnungen allgemein auslegungsfähig sind und deshalb die geplante Nutzung hinreichend genau umschrieben ist, ist festzustellen, dass die Darstellung in den Plänen nicht mit dem allgemeinen Verständnis solcher Wohnkategorien übereinstimmt. So gibt es für die Arbeitnehmerwohnheime keinerlei Gemeinschaftseinrichtungen. Soweit zu der dargestellten Möblierung mit Doppelbetten von der Beigeladenen vorgetragen wird, die Einzimmerwohnungen würden unmöbliert vermietet, spricht dies gegen die Typik eines Arbeitnehmerwohnheims. In den „Altenwohnungen“ ist jeweils ein Kinderzimmer vorgesehen. Auch sonst entsprechen sie von der Gesamtgröße und dem Zuschnitt, z.B. der Küche, nicht unbedingt einer Altenwohnung nach allgemeiner Vorstellung. In einem „Apartmentwohnhaus“ sind nach allgemeinem Sprachverständnis nicht unbedingt Zweizimmerwohnungen vorhanden, schon gar nicht die auch diesem Begriff zugeordneten Penthousewohnungen bei ihrer konkreten Größe und Ausstattung. Maßgeblich für eine Rechtsverletzung der Antragstellerin ist aber nur, ob die Baugenehmigung wegen ihrer Unbestimmtheit eine Nutzungsmöglichkeit umfasst, die der Antragstellerin nicht zumutbar ist. Das ist nicht der Fall. Gerade wegen des Fehlens von Gemeinschaftseinrichtungen und dem Zuschnitt der Wohnungen ergibt sich, dass eine Nutzung für Beherbergungszwecke oder ähnliche Zwecke mit gewerblicher Prägung in den Gebäuden nicht möglich ist. Die für die Zulässigkeit eines Arbeitnehmerwohnheims in einem allgemeinen Wohngebiet erforderliche auf Dauer angelegte Häuslichkeit und die Möglichkeit der Eigengestaltung der Haushaltsführung sowie des häuslichen Wirkungskreises (vgl. BayVGH, U. v. 16.2.2015 – Az. 1 B 13.648) ist nach der Gestaltung der einzelnen Wohneinheiten dagegen offensichtlich gegeben. Deckt die Baugenehmigung wegen der Darstellung in den Plänen daneben auch eine Nutzung als „normale“ Wohnungen – was wohl eher der angekündigten tatsächlichen Nutzung mit unbefristeter und unmöblierter Vermietung an Jedermann entsprechen dürfte – dann entspricht das der klassischen Nutzung eines allgemeinen Wohngebiets und kann Rechte der Antragstellerin nicht verletzen. Gleiches gilt für die Nutzung der „Altenwohnungen“ und der Penthousewohnungen.
2. Mangels Erheblichkeit bei einer Verletzung von Rechten der Antragstellerin kommt es auch auf die zwischen Beteiligten strittige Frage der Wirksamkeit des Bebauungsplans nicht an. Unterstellt man zugunsten der Antragstellerin, dass dieser unwirksam ist, ist im Hinblick auf die Größe des insgesamt unbebauten Bereichs die nähere Umgebung des Baugrundstücks zwar wohl als Außenbereich gemäß § 35 Baugesetzbuch (BauGB) einzuordnen und nicht als Bereich gemäß § 34 BauGB, wie das Landratsamt und der Vertreter der Beigeladenen meinen. Es mag sein, dass dann das als sonstiges Vorhaben gemäß § 35 Abs. 2 BauGB einzuordnende Vorhaben öffentliche Belange beeinträchtigt, insbesondere das vorhandene Ortsbild stört. Daraus ergibt sich aber keine Rechtsverletzung der Antragstellerin, da dieser Belang allein öffentlichen Interessen dient und nicht dem Schutz der Nachbargrundstücke. Soweit sich aus dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB ein Drittschutz wegen der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme ergeben kann, vermittelt die Vorschrift der Antragstellerin keinen stärkeren Schutz als er sich auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Baunutzungsverordnung auch bei Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans ergibt. Es kommt auch nicht darauf an, ob die im Bebauungsplan vorgesehene Verkürzung der Abstandsflächen wirksam ist. Das Bauvorhaben hält zum nächstgelegenen Grundstück Fl.Nr.662/11 der Antragstellerin die volle Abstandsfläche ein (vgl. die nachvollziehbare Darstellung im Abstandsflächenplan „Variante mit H1 auf Ostseite“).
Rechte der Antragstellerin sind auch nicht betroffen, wenn man entgegen der von der Antragstellerseite vertretenen Ansicht die Wirksamkeit des Bebauungsplans unterstellt. Die Darstellung einer Überschreitung der Baugrenzen durch Haus A in Richtung des Grundstücks der Antragstellerin auf Blatt 12 der Behördenakte ist durch die geänderten Planunterlagen (Stand 2.2.2016) überholt. Von der Überschreitung der Baugrenzen durch die Balkone, die auf der dem Grundstück der Klägerin abgewandten Gebäudeseite liegen, ist sie nicht betroffen. Soweit die Überschreitung der Baugrenzen durch die Stellplätze außerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche zugelassen wurde, ist zwar eine tatsächliche Betroffenheit gegeben, aber keine Rechtsverletzung, weil die entsprechende Festsetzung des Bebauungsplans nicht dem Schutz der Nachbargrundstücke dient. Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und zur überbaubaren Grundstücksfläche haben regelmäßig rein städtebaulichen Charakter. Dass sie hier ausnahmsweise dem Schutz der Nachbargrundstücke dienen würden, ergibt sich weder aus der Begründung des Bebauungsplans noch aus der Anordnung der Baugrenzen. Diese zielen ersichtlich nur auf die Anordnung der Hochbaukörper ab und regeln diese unter städtebaulichen Gesichtspunkten. Bei Zulassung einer Abweichung auch von einer nicht drittschützenden Festsetzung des Bebauungsplans ist zwar das Gebot der Rücksichtnahme zu beachten. Dieses ist hier aber nicht verletzt (vgl. unten).
Die Wirksamkeit des Bebauungsplans ist weiterhin unerheblich im Hinblick auf einen Gebietsbewahrungsanspruch der Klägerin. Geht man davon aus, dass die Festsetzung Allgemeines Wohngebiet wirksam ist und zudem ausnahmsweise auch einen gebietsübergreifenden Schutz zugunsten der benachbarten bereits vorhandenen Wohnbebauung hat, ergibt sich kein Verstoß, weil die zugelassene Nutzung als Wohnnutzung die Festsetzung wahrt (vgl. oben). Aus diesem Grund wäre der Gebietsbewahrungsanspruch auch dann nicht verletzt, wenn man von einem im Außenbereich an das vorhandene Wohngebiet heranrückendem Vorhaben ausgeht.
3. Das Bauvorhaben verletzt auch nicht das Gebot der Rücksichtnahme gegenüber der Antragstellerin. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung kommt diesem drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Das gilt nur für diejenigen Ausnahmefälle, in denen – erstens – die tatsächlichen Umstände handgreiflich ergeben, auf wen Rücksicht zu nehmen ist, und – zweitens – eine besondere rechtliche Schutzwürdigkeit des Betroffenen anzuerkennen ist. Die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, sind dann gegeneinander abzuwägen. Dabei ist auch eine gegebene Situationsvorbelastung zu berücksichtigen.
Dass die Nutzung des Gebäudes selbst unzumutbare Auswirkungen für die Grundstücke der Antragstellerin auslöst, ist weder geltend gemacht noch ersichtlich.
Die aus der bestimmungsgemäßen Nutzung von Stellplätzen und Garagen erwachsenden Störungen, die bauplanungsrechtlich nach § 12 Abs. 2 BauNVO zulässig sind, sind regelmäßig hinzunehmen (vgl. BayVGH, B. v. 15.9.2008 – 15 CS 08.2123). Das Rücksichtnahmegebot gilt dennoch auch für die in § 12 BauNVO genannten Stellplätze und Garagen. Sie können dann unzulässig sein, wenn ihre Nutzung zu unzumutbaren Beeinträchtigungen für die Nachbarschaft führt. Demgemäß begegnen Garagen und Stellplätze in ruhigen rückwärtigen Gartenbereichen hinter Wohnhäusern dann rechtlichen Bedenken, wenn der Nachbar infolge der Anordnung von Garagen und Stellplätzen im rückwärtigen Gartenbereich unzumutbaren Störungen durch nächtlichen Lärm ausgesetzt wird und nach Lage und Zuschnitt des Baugrundstücks eine Konzentration von Garagen und Stellplätzen im rückwärtigen Ruhebereich vermieden werden könnte (vgl. BayVGH, B. v. 25.5.2010 – Az. 15 CS 10.982, B. v. 12.7.2007 – Az. 15 ZB 06.3088; BVerwG, U. v. 12.7.2000 – Az. 4 C 3/00). Dieser (Ausnahme-)fall ist hier nicht gegeben. Zwar finden sich fünf Stellplätze sehr nahe an der Grenze zum Grundstück Fl.Nr. 662/11 der Antragstellerin und auch die entlang der Grenze zum ihr nicht gehörenden Grundstück Fl.Nr. 662/3 angeordneten 17 Stellplätze können Wirkungen auf den Gartenbereich ihres Wohngrundstücks Fl.Nr. 662/6 haben. Es handelt sich aber nicht um eine Konzentration der Stellplätze in diesem Bereich. Mit 20 Stellplätzen ist ein erheblicher Teil der Stellplätze in einer Tiefgarage vorgesehen. Es ist auch offensichtlich die Lage der oberirdischen Stellplätze durch die gegebene Zufahrtssituation vorgezeichnet und die Stellplätze sind durch eine Begrünung von den Nachbargrundstücken zumindest optisch abgeschirmt. Zudem belegt die vom Umweltingenieur des Landratsamts auf der Basis der bayerischen Parkplatzlärmstudie erstellte Lärmprognose, nach der sich am Anwesen der Antragstellerin zu erwartende Beurteilungspegel von 40,7 dB(A) tags und 36,4 dB(A) nachts ergeben, dass die tatsächlichen Lärmauswirkungen das Maß des Zumutbaren nicht übersteigen. Die Bewertung des Umweltingenieurs, dass die zu erwartende Überschreitung bei den kurzzeitigen Geräuschspitzen (Türenschlagen) für die Frage der Zumutbarkeit wegen § 12 BauNVO unbeachtlich ist, ist korrekt.
Dem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen kann, dass im Hinblick auf die Unbestimmtheit der Baugenehmigung (vgl. oben) offen ist, ob die vorgesehenen Stellplätze ausreichend sind. Selbst bei Zugrundelegung eines festgelegten Nutzungszwecks als Arbeitnehmerwohnheim allein durch die Bezeichnung des Bauvorhabens kann das Gericht die vom Antragsgegner behauptete Festlegung der Bettenzahl durch den Stellplatznachweis nicht erkennen. Dieser muss seinerseits vom Genehmigungsumfang ausgehen; die Behauptung, dass er diesen festlegt, ist eher originell als zutreffend. Es sind aber grundsätzlich die bauordnungsrechtlichen Vorschriften über die Verpflichtung zur Errichtung der für eine ordnungsgemäße Nutzung notwendigen Stellplätze (Art. 47 BayBO) nicht nachbarschützend, sondern dienen ausschließlich dem öffentlichen Interesse an der Entlastung öffentlicher Verkehrsflächen vom ruhenden Verkehr. Ausnahmsweise kann ein deutlicher Mangel an Stellplätzen Rechte eines Nachbarn dann verletzen, wenn nach den örtlichen Verhältnissen zu erwarten ist, dass ein etwaiger Mangel an Stellplätzen zu einem dem Nachbarn unzumutbarem Park- oder Parksuchverkehr im Wohngebiet oder spürbarem Mehrverkehr auf den Zufahrtsstraßen führen würde ((BayVGH, B. v. 25.8.2009 – Az. 1 CS 09.287). Im Hinblick auf die Lage ihres Grundstücks und die Tatsache, dass wegen der vorgesehen Begrünung auch ein fussläufiges Erreichen des Baugrundstücks von der Straße vor dem Haus der Antragstellerin nicht möglich ist, wäre die Antragstellerin von einem Parksuchverkehr auf den öffentlichen Straßen nicht betroffen. Betroffen wäre sie allerdings von einem Parksuchverkehr auf dem Baugrundstück, insbesondere weil die Anordnung der Stellplätze 26 bis 30 zu ihrer Umfahrung anlässlich einer Parkplatzsuche geradezu einlädt. Die Beigeladene hat dazu erklärt, dass die Stellplätze auf dem Baugrundstück fest vermietet werden sollen und das Befahren durch Mieter ohne Stellplatz unterbunden wird, weshalb es nicht zu einem Parksuchverkehr auf dem Grundstück kommen könne. Grundsätzlich ist Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung zwar die Baugenehmigung, der mangels entsprechender Betriebsbeschreibung in den Bauvorlagen eine derartige Einschränkung der Nutzbarkeit des Baugrundstücks nicht entnommen werden kann. Es ist aber lebensnah, dass die Beigeladene zwecks Vermeidung von Konflikten unter den Mietern eine entsprechende Regelung tatsächlich zu treffen beabsichtigt. Auch ist eine entsprechende Ergänzung der Baugenehmigung während des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens ohne weiteres möglich. Mit der Errichtung der Häuser werden daher bezüglich des Fahrverkehrs auf dem Baugrundstück keine vollendeten Tatsachen geschaffen. Es ist in absehbarer Zeit auch überhaupt nicht mit einer Nutzung der Stellplätze zu rechnen (nach den Angaben der Beigeladenen erst in der zweiten Jahreshälfte 2017). Bei dieser Ausgangslage ergibt trotz der beim derzeitigen Genehmigungsstand wegen dieses Punktes offenen Erfolgsaussichten der Klage die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung, dass die mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung verbundene Baueinstellung unverhältnismäßig wäre und das Interesse der Beigeladenen am Beginn der Bauarbeiten das Interesse der Antragstellerin, bis zur Entscheidung in der Hauptsache von den Auswirkungen des Vorhabens verschont zu bleiben, überwiegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Es entsprach der Billigkeit, die Kosten der Beigeladenen, die unter Eingehung eines Kostenrisikos (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO) einen eigenen Antrag zur Sache gestellt hat, gemäß 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus §§ 52, 53 Gerichtskostengesetz.

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