Aktenzeichen 1 N 16.2071
Leitsatz
§ 1 Abs. 3 S. 1 BauGB ist u.a. dann verletzt, wenn ein Bebauungsplan aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen auf Dauer oder auf unabsehbare Zeit der Vollzugsfähigkeit entbehrt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der zulässige Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg.
1. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Der Eigentümer eines Grundstücks, für das ein Bebauungsplan Festsetzungen trifft, ist grundsätzlich nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt (vgl. BVerwG, B.v. 20.9.2005 – 4 BN 46.05 – BauR 2006, 352). Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin ist nicht dadurch entfallen, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans auf dem Grundstück der Beigeladenen durch das verwirklichte Bauvorhaben bereits umgesetzt sind. Denn die Antragstellerin wendet sich gegen die Bebauungsplanänderung auch mit dem Argument, dass das Baurecht auf ihrem Grundstück eingeschränkt worden sei.
2. Der Bebauungsplan leidet an keinen zu seiner Unwirksamkeit führenden Mängeln. Die Bebauungsplanänderung konnte gemäß § 13 BauGB im vereinfachten Verfahren erfolgen (2.1). Dem Bebauungsplan fehlt nicht die städtebauliche Erforderlichkeit (2.2) und ein Verstoß gegen das Gebot gerechter Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB liegt nicht vor (2.3).
2.1. Ein vereinfachtes Planänderungsverfahren ist nach § 13 Abs. 1 BauGB nur zulässig, wenn durch die Änderung oder Ergänzung eines Bauleitplans die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Das ist der Fall, wenn die Änderung das der bisherigen Planung zugrunde liegende Leitbild nicht verändert, wenn also der planerische Grundgedanke erhalten bleibt (vgl. BVerwG, B.v. 15.3.2000 – 4 B 18.00 – NVwZ-RR 2000, 759). Die Abweichung vom bisherigen Planinhalt muss – soll sie mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein – durch das planerische Wollen gedeckt sein; es muss – mit anderen Worten – angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Planer gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Abweichung gekannt hätte (vgl. BVerwG, U.v. 4.8.2009 – 4 CN 4.08 – BVerwGE 134, 264; U.v. 29.1.2009 – 4 C 16.07 – BVerwGE 133, 98). Die Antragsgegnerin hätte bereits bei der 19. Bebauungsplanänderung entsprechend ihrer Planungskonzeption im Umgriff der streitgegenständlichen Bebauungsplanänderung eine Hinterliegerbebauung zugelassen, wenn zum damaligen Zeitpunkt eine Grundstücksteilung vorgelegen hätte (vgl. Sitzungsniederschrift des Bauausschusses vom 7.6.2016).
2.2. Gemäß § 1 Abs. 3 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung erforderlich ist. Was in diesem Sinn erforderlich ist, bestimmt sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde. Der Gesetzgeber ermächtigt die Gemeinden, diejenige Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Entwicklungs- und Ordnungsvorstellungen entspricht. Nicht erforderlich sind u.a. Pläne, die einer positiven städtebaulichen Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuches nicht bestimmt sind. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist auch verletzt, wenn ein Bebauungsplan aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen auf Dauer oder auf unabsehbare Zeit der Vollzugsfähigkeit entbehrt. In dieser Auslegung wird der Bauleitplanung eine erste, wenn auch strikt bindende Schranke gesetzt, die lediglich grobe und einigermaßen offensichtliche Missgriffe ausschließt. Für die Einzelheiten einer konkreten planerischen Lösung ist demgegenüber das Abwägungsgebot maßgeblich, das gemäß § 1 Abs. 7 BauGB darauf gerichtet ist, die von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen und unverhältnismäßige oder gleichheitswidrige Belastungen zu vermeiden (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. B.v. 25.7.2017 – 4 BN 2.17 – juris Rn. 3; U.v. 10.9.2015 – 4 CN 8.14 – BVerwGE 153, 16; U.v. 5.5.2015 – 4 CN 4.14 – NVwZ 2015, 1537). Eine Planung, die durch hinreichende städtebauliche Gründe getragen ist, darf auch privaten Interessen dienen und durch private Interessenträger angestoßen sein (vgl. BVerwG, B.v. 30.12.2009 – 4 BN 13.09 – BauR 2010, 569; BayVerfGH, E.v. 13.7.2009 – Vf.3-VII-09 – VerfGHE BY 62, 156). Auch die Aufstellung oder Änderung eines auf ein einzelnes Grundstück beschränkten Bebauungsplans kann für die städtebauliche Entwicklung sinnvoll sein (vgl. BVerwG, B.v. 16.8.1993 – 4 NB 29.93 – ZfBR 1994, 101).
Nach diesen Maßgaben liegt ein Verstoß gegen das Gebot der städtebaulichen Erforderlichkeit der Bauleitplanung nicht vor. Bei der durch hinreichende städtebauliche Gründe getragenen Planung der Antragsgegnerin handelt es nicht um eine Gefälligkeitsplanung. In der Begründung des Änderungsbebauungsplans werden als städtebauliche Ziele genannt, die Festsetzungen des Bebauungsplans der geänderten Grundstückssituation anzupassen und entsprechend der Umgebungsbebauung und den landesplanerischen Planungsvorgaben, die einer Nachverdichtung im Innenbereich einen Vorrang einräumten, eine Hinterliegerbebauung zuzulassen. Die Gemeinde darf mit ihren Festsetzungen an das jeweilige Buchgrundstück anknüpfen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1996 – 4 NB 1.96 – NVwZ-RR 1997, 83). Sie ist zutreffend davon ausgegangen, dass aufgrund der Teilung des Grundstücks der Antragstellerin durch eine rechtskräftige zivilrechtliche Entscheidung keine Veränderung des Grundstückszuschnitts mehr erfolgen wird. Bereits aus der 19. Bebauungsplanänderung ergibt sich das städtebauliche Konzept der Antragsgegnerin, soweit dies aufgrund der Bestandsbebauung und der Grundstücksgrößen möglich ist, einen zweiten Baukörper auf dem Grundstück bzw. eine Hinterliegerbebauung zuzulassen. Dies entspricht dem Gebot des § 1a Abs. 2 Satz 1 BauGB, zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der Nachverdichtung zu nutzen. Soweit die Antragstellerin einwendet, dass auch bei der bisherigen Planung drei Wohneinheiten möglich gewesen seien und es sich daher um keine Nachverdichtung handele, übersieht sie, dass mit einem zusätzlichen Baukörper bei Berücksichtigung der Maßstäblichkeit der Umgebungsbebauung insgesamt mehr Baurecht und damit auch mehr Wohnraum geschaffen werden konnte.
2.3. Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), zu ermitteln und bewerten (§ 2 Abs. 3 BauGB). Denn die Berücksichtigung aller bedeutsamen Belange in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB setzt deren ordnungsgemäße Ermittlung und zutreffende Bewertung voraus (vgl. BVerwG, B.v. 12.6.2018 – 4 B 71.17 – ZfBR 2018, 601). Gemäß § 1 Abs. 7 BauGB sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Das Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet oder in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2015 – 4 CN 4.14 – NVwZ 2015, 1537; B.v. 15.5.2013 – 4 BN 1.13 – ZfBR 2013, 573; U.v. 12.12.1969 – IV C 105.66 – BVerwGE 34, 301). Die Gemeinde darf durch ihre Bauleitplanung die bauliche Nutzbarkeit von Grundstücken ändern und dabei auch die privaten Nutzungsmöglichkeiten einschränken. Einen Planungsgrundsatz, dass das Maß der baulichen Nutzung eines Grundstücks bei einer Überplanung weiterhin zugelassen werden muss, gibt es nicht (vgl. BVerwG, U.v. 31.8.2000 – 4 CN 6.99 – BVerwGE 112, 41).
Fehler bei der Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Antragsgegnerin ist insbesondere davon ausgegangen, dass die Antragstellerin ein Interesse an der Beibehaltung der bisherigen Nutzungsmöglichkeiten der Grundstücke hat (vgl. BVerwG, B.v. 18.5.2016 – 4 BN 7.16 – ZfBR 2016, 589). Die von der Antragstellerin gerügten Abwägungsmängel liegen nicht vor.
Soweit sich die Antragstellerin gegen die Bebauungsplanänderung mit dem Argument wendet, dass die Teilung ihres Grundstücks rechtswidrig sei, hat die Antragsgegnerin der Planung zu Recht die vorhandene Grundstückssituation, die aufgrund eines rechtskräftigen zivilrechtlichen Urteils entstanden ist, zugrunde gelegt. Sie hat, um die entstandene Grenzbebauung der Antragstellerin planungsrechtlich abzusichern, gemäß § 22 Abs. 4 Satz 2 BauNVO bestimmt, dass an die rückwärtige Grundstücksgrenze herangebaut werden darf. Damit sind nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO zum Grundstück der Beigeladenen keine Abstandsflächen einzuhalten. Die Antragsgegnerin konnte bei ihrer Abwägungsentscheidung zum festgesetzten Maß der baulichen Nutzung und den Wohnungseinheiten auf dem Grundstück der Antragstellerin berücksichtigen, dass das Grundstück der Antragstellerin durch die Teilung von 960 m² auf 432 m² um mehr als die Hälfte verkleinert wurde und der nördliche Teil des bisherigen Baufensters nicht mehr auf ihrem Grundstück liegt. Die Reduzierung der zulässigen Grundfläche von 190 m² auf 163 m² und der festgesetzten Wohneinheiten von drei auf zwei Wohneinheiten ist verhältnismäßig (vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2002 – 1 BvR 1402/01 – NVwZ 2003, 727), sie berücksichtigt die Bestandsbebauung der Antragstellerin und eine von ihr eingereichte Vorbescheidsvariante. Auch die Einwände gegen die zugelassene Bebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen haben keinen Erfolg. Eine Hinterliegerbebauung entspricht dem städtebaulichen Konzept für das Bauquartier. Die Antragsgegnerin hat hier zu Recht auf die zulässige Bebauung in der Umgebung (FlNr. …) Bezug genommen. Soweit geltend gemacht wird, dass dieser Verweis teilweise nicht nachvollziehbar sei, wird offensichtlich nur die bereits verwirklichte Planung, nicht aber die nach der 19. Bebauungsplanänderung zulässige Bebauung in den Blick genommen. Auch bei dem Grundstück FlNr. … ist eine rückwärtige Bebauung zulässig. Mit der Festsetzung einer zulässigen Grundfläche von 90 m² und einer Wohneinheit hat die Antragsgegnerin auf dem Grundstück der Beigeladenen eine maßvolle Bebauung zugelassen. Eine gleichheitswidrige Bevorzugung der Interessen der Beigeladenen ist nicht erkennbar. Das Baufenster wurde möglichst weit im Norden angeordnet, um einen ausreichend großen Abstand zum grenzständigen Wohnhaus der Antragstellerin zu erzielen. Mit einem Abstand von 10 m zwischen der zulässigen Bebauung auf den Grundstücken wird den Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse Rechnung getragen. Den der Beigeladenen aufgrund der alten Rechtslage erteilten Vorbescheid musste die Antragsgegnerin nicht berücksichtigen, da die Beigeladene zum einen mit einer veränderten Planung an die Gemeinde herangetreten ist und damit das Bauleitplanverfahren angeregt hat und zum anderen ein gültiger, verlängerter Vorbescheid nur bis zum 27. Juli 2012 vorlag.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 BauGB. Es entspricht der Billigkeit (§ 162 Abs. 3 VwGO), dass bei einer nicht notwendigen Beiladung die Beigeladene, die das Verfahren nicht gefördert hat, ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
4. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.