Baurecht

Erfolgreiche Beschwerde gegen Aussetzung des Verfahrens – Reichweite der Bindungswirkung eines Bauvorbescheids

Aktenzeichen  15 C 18.795

Datum:
30.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 18324
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 94, § 146
BayBO Art. 6, Art. 59, Art. 71

 

Leitsatz

1. Im Rahmen der Entscheidung über eine Beschwerde gegen eine Aussetzungsentscheidung hat das Beschwerdegericht grundsätzlich die Würdigung der Sach- und Rechtslage durch das aussetzende Gericht zu Grunde zu legen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine weitergehende Prüfung der Voraussetzungen einer Aussetzung erfolgt nur, wenn das Gericht die Sach- und Rechtslage offensichtlich grob fehlerhaft beurteilt hat oder seine Überzeugung erkennbar fehlerhaft nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen hat oder ein Aufklärungsmangel vorliegt. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dem Aussetzungsbeschluss muss hinreichend entnommen werden können, ob und welche Überlegungen das aussetzende Verwaltungsgericht zur Frage der Vorgreiflichkeit angestellt hat. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Beschwerde gegen eine Aussetzungsentscheidung ist auch begründet, wenn das Verwaltungsgericht beim Erlass der angefochtenen Entscheidung ausweislich der hierfür gegebenen Begründung einen wesentlichen Gesichtspunkt außer Acht gelassen hat, der dafür sprechen könnte, dem Rechtsstreit Fortgang zu geben, ohne den Ausgang des als vorgreiflich angenommenen Verfahrens abzuwarten. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 5 K 17.655 2018-03-15 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 15. März 2018 (Az. Au 5 K 17.655) wird aufgehoben.

Gründe

I.
Die Beigeladene wendet sich gegen die Aussetzung eines verwaltungsgerichtlichen Nachbarklageverfahrens.
Die Beigeladene beantragte unter dem 7. Dezember 2016 einen Bauvorbescheid für das Vorhaben „Neubau einer Wohnanlage mit 39 Wohnungen und einer Tiefgarage“ auf FlNrn. …, …, …, … und … jeweils der Gemarkung A. (Baugrundstück). Das geplante Gebäude verfügt laut Bauvorlagen über zwei Tiefgaragengeschosse sowie fünf Vollgeschosse sowie über eine Wohnfläche mit insgesamt ca. 3.000 bis 3.100 m² Wohnfläche inkl. 50% Terrassenfläche), hat eine Höhe von 15,20 m und überragt ein auf dem nördlich angrenzenden Grundstück (FlNr. …) stehendes, als Parkhaus genutztes Gebäude, zu dem es einen Abstand von lediglich 1 m aufweist (Belüftungsfuge), um ca. 6 m. Im Antragformular wurde nicht angekreuzt, dass das Bauvorhaben einer Abweichung gem. Art. 63 Abs. 1 BayBO bedürfe. Gemäß Beiblatt wurden zum Vorbescheidantrag insgesamt fünf Fragen gestellt (vgl. hierzu unten). In den Akten befindet sich als Bauvorlage zum Antrag ein Abstandsflächenplan, in dem Abstandsflächen des Bauvorhabens von 1 H nach Süden und ½ H nach Westen / Südwesten (jeweils in Richtung von Grünflächen) sowie ½ H nach Osten (in Richtung der I.straße) dargestellt sind.
Das Baugrundstück liegt ebenso wie das Grundstück FlNr. … im Geltungsbereich des von der Beklagten am 10. Februar 2017 bekannt gemachten Bebauungsplans Nr. … „Zwischen S. und E.straße“. Der Bereich des Bestandsgebäudes auf FlNr. … ist im Bebauungsplan als Fläche für Gemeinschaftsgaragen (GGa) festgesetzt. Laut § 6 Abs. 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans werden die überbaubaren Grundstücksflächen durch Festsetzungen von Baulinien und Baugrenzen in der Planzeichnung bestimmt. Das Baugrundstück situiert in einem durch diesen Bebauungsplan als Allgemeines Wohngebiet (§ 4 BauNVO) festgesetzten Bereich „WA 2“. Unmittelbar entlang der Nordostgrenzen der FlNrn. … sowie … und damit an der Grenze zum Nachbargrundstück FlNr. … verläuft die nordöstliche Baugrenze für das Baugrundstück. Laut § 6 Abs. 4 der textlichen Festsetzungen finden die „Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BayBO (…) keine Anwendung, d.h. die einzuhaltenden Abstandsflächen werden durch die festgesetzten Baulinien und Baugrenzen sowie die Festsetzungen zu der Anzahl der Vollgeschosse und der Gebäudehöhe bestimmt“.
Unter dem 3. April 2017 erteilte die Beklagte den beantragten Vorbescheid. Das Bauvorhaben sei – so Nr. 1 des Bescheidtenors – im Rahmen der Voranfrage nach Maßgabe dieses Bescheids baurechtlich möglich. In den Gründen des Bescheids werden die einzelnen Fragen des Vorbescheidantrags wie folgt beantwortet:
„Frage 1: Ist das Gebäude lt. beiliegenden Plänen in der dargestellten Länge, Höhe und Tiefe planungsrechtlich zulässig?
Antwort: Ja. Gemäß Planzeichnung liegt das Vorhaben innerhalb des Baufensters des seit 10.02.2017 rechtskräftigen Bebauungsplanes Nr. … „Zwischen S. und E.straße“ und überschreitet nicht die Maximal-Oberkante von 16 m, bezogen auf die angrenzende I.straße. Bei der Ausarbeitung der Gebäudeplanung ist im Erdgeschoss ein ausreichender Abstand der Südostecke zum angrenzenden Fuß- und Radweg zu wahren.
Frage 2: Sind wie dargestellt fünf Vollgeschosse planungsrechtlich zulässig?
Antwort: Ja. Fünf Vollgeschosse sind gemäß Bebauungsplan Nr. … planungsrechtlich zulässig.
Frage 3: Können die Abstandsflächen, wie im Plan dargestellt, auf städtischen Grund fallen (öffentliche Grünflächen) oder über die Straßenmitte reichen?
Antwort: Im Bebauungsplan Nr. … ist festgesetzt, dass die Baugrenzen Vorrang vor den regulären Abstandsflächen des Art. 6 BayBO (Bayerische Bauordnung) haben. Damit fallen zu den angrenzenden öffentlichen Grün- und Verkehrsflächen gar keine Abstandsflächen an. Das Vorhaben befindet sich innerhalb der Baugrenzen und der Bauhöhe.
Frage 4: Erfüllt die Lage und Anzahl der im Plan dargestellten Stellplätze die Anforderung der städtischen Stellplatzsatzung?
Antwort: Nein. Das zukünftige Bauvorhaben würde mit 39 Wohnungen gem. Art. 47 BayBO i.V. mit § 3 der Stellplatzsatzung der Stadt A. vom 23.04.2016 (StPlS) einen Stellplatzbedarf von insgesamt 43 Kfz-Stellplätzen auslösen. Davon müssen 10% der erforderlichen Stellplätze, also 4 Besucherstellplätze, oberirdisch, bzw. frei anfahrbar nachgewiesen werden.
Frage 5: Kann die Zufahrt zur Tiefgarage (KFZ-Aufzug) an der geplanten Stelle verwirklicht werden?
Antwort: Ja. Im Bebauungsplan Nr. … sind an der Ostseite des Baufensters bereits Ein- und Ausfahrt für eine Tiefgarage festgesetzt. Die Lage der Ein- und Ausfahrten im Umfeld des angrenzenden Parkhauses wurde bei der Planaufstellung mit dem Tiefbauamt abgestimmt. Die Frage der konkreten bauordnungsrechtlichen Erschließung ist einem ggf. nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren vorbehalten. Ebenso gilt es für einen späteren Bauantrag zu berücksichtigen, dass die TG-Zufahrt soweit zurückverschoben werden muss, damit ein ausreichender Stauraum auf dem Privatgrundstück vorhanden ist.“
Am 5. Mai 2017 erhob die Klägerin unter Berufung auf einen Miteigentumsanteil an dem nördlich an das Baugrundstück angrenzenden Grundstück FlNr. … Klage beim Verwaltungsgericht Augsburg, mit der sie beantragt, den am 7. April 2017 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemachten Vorbescheid vom 3. April 2017 aufzuheben. In der Klagebegründung vom 15. September 2017 wird u.a. ausgeführt, der Bebauungsplan Nr. …, in dessen Geltungsbereich das Vorhaben der Beigeladenen liege und der für das Nachbargrundstück FlNr. … ausschließlich Garagen- bzw. Gemeinschaftsgaragennutzung zulasse, sei unwirksam. Im Rahmen der Abwägung sei ein gem. § 34 BauGB bestehendes Baurecht auf der FlNr. … nicht hinreichend berücksichtigt worden, obwohl hierfür eine Baugenehmigung für eine Wohnbebauung als Aufbau auf das bestehende Parkhaus erteilt worden sei. Dieses Baurecht werde ihr – der Klägerin – als Miteigentümerin vollständig genommen. Aufgrund der hieraus folgenden Unwirksamkeit der Festsetzung des Baufensters auf dem Baugrundstück finde das bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht Anwendung. Gegenüber dem Grundstück FlNr. … würden aber die Abstandsflächen bei weitem nicht eingehalten. Unabhängig von der Frage der Wirksamkeit des Bebauungsplans liege u.a. aufgrund der von der Parkgarage ausgehenden Lärmimmissionen und Brandgefahren auch ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO vor.
Mit Beschluss vom 15. März 2018 setzte das Verwaltungsgericht nach Anhörung der Beteiligten das erstinstanzliche Klageverfahren aus. Gestützt wurde die Entscheidung auf eine analoge Anwendung des § 94 VwGO. Der streitgegenständliche Vorbescheid sei auf Grundlage des Bebauungsplans Nr. … erteilt worden, gegen den ein Normenkontrollverfahren anhängig sei, in welchem über die Wirksamkeit der Satzung mit allgemeinverbindlicher Wirkung entschieden werde. Die mit dem Vorbescheid eingereichten Pläne, die u.a. die Lage des Bauvorhabens unmittelbar entlang der Grundstücksgrenze zur FlNr. … festlegten, seien zum Bestandteil des Vorbescheids erklärt worden. Aufgrund § 6 Abs. 4 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans hätten die festgesetzten Baugrenzen Vorrang vor den regulären Abstandsflächen gem. Art. 6 BayBO. Für die Frage, ob durch den streitgegenständlichen Vorbescheid nachbarschützende Rechte der Klägerin verletzt würden, sei die Wirksamkeit des Bebauungsplans Nr. … demnach von entscheidungserheblicher Bedeutung. Die Aussetzung des Verfahrens werde für sachdienlich erachtet, bis über den Normenkontrollantrag entschieden worden sei.
Am 3. April 2018 (Dienstag nach Ostermontag) hat die Beigeladene gegen den ihren Bevollmächtigten am 19. März 2018 zugestellten Aussetzungsbeschluss Beschwerde erhoben, mit der sie beantragt
den Beschluss vom 15. März 2018 aufzuheben.
Sie trägt vor, der Bebauungsplan Nr. … sei für die Anfechtungsklage gegen den Bauvorbescheid nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hätte selbst bei unterstellter Unwirksamkeit des Bebauungsplans die Klage abweisen können und müssen. Fragen 1, 2 und 5, die im Bauvorbescheid auf Basis der Festsetzungen des Bebauungsplans positiv beantwortet worden seien, hätten im Fall der Unwirksamkeit des Bebauungsplans auch auf Basis von § 34 BauGB positiv beantwortet werden müssen. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, inwiefern die Klägerin in eigenen Rechten verletzt sein könnte. Die negative Beantwortung der Frage 4 erwachse gegenüber der Klägerin nicht in Bestandskraft, sodass die diesbezügliche Beantwortung im angefochtenen Bescheid die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen könne. Gleiches gelte für die in der Sache fehlende Antwort auf die Frage 3 zu den Abstandsflächen. Zwar nehme auch hier die Antwort Bezug auf den Bebauungsplan, jedoch werde die Frage weder positiv noch negativ beantwortet. Alle fünf Fragen in Bezug auf den streitgegenständlichen Vorbescheid seien daher nicht vorgreiflich für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Anfechtungsklage. Selbst bei Unterstellung der Unwirksamkeit des Bebauungsplans sei die Klage mangels Verletzung eines drittgeschützten Rechts abweisungsreif. Bei Ausübung des Ermessens nach § 94 VwGO habe das Verwaltungsgericht ferner verkannt, dass sie – die Beigeladene – ein hohes wirtschaftliches Interesse an der Bestandskraft auch einzelner Fragen des Vorbescheids habe, da letztlich die Stellung des Bauantrags und die Weiterplanung des Gebäudes hiervon abhänge. Die Beigeladene erlange auf diese Weise keine Rechtssicherheit. Damit werde der Vorbescheid für sie vorerst und auf nicht absehbare Dauer faktisch wertlos.
Die übrigen Beteiligten haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (unter Einschluss sowohl des beim Verwaltungsgericht anhängigen Klageverfahrens als auch des beim Senat anhängigen Normenkontrollverfahrens 15 N 18.353), der Behördenakten sowie der weiteren von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
II.
Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte, gem. § 147 Abs. 1 VwGO i.V. mit § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 2 ZPO am ersten Werktag nach den Osterfeiertagen rechtzeitig erhobene und auch sonst zulässige Beschwerde der Beigeladenen (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, § 94 Rn. 39) gegen den ihr am 19. März 2017 zugestellten Aussetzungsbeschluss ist begründet.
1. Nach § 94 VwGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Vorgreiflichkeit im Sinne dieser Regelung liegt (nur) dann vor, wenn die Entscheidung im anderweitig anhängigen Verfahren kraft Gesetzes oder rechtslogisch von dem Bestehen oder Nichtbestehen des in dem anderen Verfahren anhängigen Rechtsverhältnisses abhängt (vgl. z.B. NdsOVG, B.v. 23.8.2017 – 7 OB 52/17 – juris Rn. 4; B.v. 9.1.2018 – 5 OB 224/17 – juris Rn. 18). § 94 VwGO ist entsprechend anwendbar, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits im vorgenannten Sinn von der Rechtswirksamkeit einer Norm abhängt, welche ihrerseits Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung ist (vgl. BVerwG, B.v. 16.8.2017 – 9 C 18/16 – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 28.7.2014 – 15 C 14.992 – juris Rn. 12 m.w.N.). Die im Normenkontrollverfahren 15 N 18.353 von der Klägerin angestrebte Entscheidung, die im Fall der Unwirksamkeitserklärung des Bebauungsplans durch den Verwaltungsgerichtshof allgemein verbindlich und damit auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu beachten ist (§ 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO), wäre für die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu treffende Entscheidung nur dann vorgreiflich, wenn die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu prüfende Zulassungsfähigkeit des Vorhabens auch von der Wirksamkeit des Bebauungsplans abhinge.
Im Rahmen der Entscheidung über eine Beschwerde gegen eine Aussetzungsentscheidung hat das Beschwerdegericht grundsätzlich die Würdigung der Sach- und Rechtslage durch das aussetzende Verwaltungsgericht zugrunde zu legen. Da die Entscheidung über die Aussetzung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegt, prüft das Beschwerdegericht lediglich nach, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aussetzung vorlagen und ob Ermessensfehler ersichtlich sind. Bei den Tatbestandsvoraussetzungen erfolgt grundsätzlich keine Überprüfung in vollem Umfang; vielmehr beschränkt sich die Überprüfung darauf, ob die Vorgreiflichkeit auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Ausgangsgerichts bestand. Bei einer vollständigen Überprüfung würde die gesetzliche Reihenfolge der Instanzen dadurch verändert, dass das Beschwerdegericht in einem Zwischenstreit über die Aussetzung des Verfahrens den gesamten Streitstoff beurteilen und dem Ausgangsgericht praktisch sein Urteil in der Hauptsache vorgeben müsste. Damit würden der gesetzlich geregelte Gang der Entscheidungsfindung verletzt und die Selbständigkeit der verschiedenen Instanzen aufgehoben. Eine weitergehende Prüfung der Voraussetzungen erfolgt nur, wenn das Verwaltungsgericht die Sach- und Rechtslage offensichtlich grob fehlerhaft beurteilt hat oder seine Überzeugung erkennbar fehlerhaft nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen hat oder ein Aufklärungsmangel vorliegt (zum Ganzen vgl. BayVGH, B.v. 24.6.2008 – 19 C 08.478 – juris Rn. 3; B.v. 8.6.2010 – 7 C 10.869 – juris Rn. 10; NdsOVG, B.v. 5.7.2017 – 4 OB 160/17 – juris Rn. 13; B.v. 9.1.2018 – 5 OB 224/17 – juris Rn. 16; B.v. 1.2.2018 – OVG 3 L 150.17 – juris Rn. 5; Jacob in Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 94 Rn. 22; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, § 94 Rn. 41 m.w.N.).
Das aussetzende Gericht hat allerdings die Frage, ob die Entscheidung des Rechtsstreits von der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der betroffenen Rechtsnorm abhängt, tatsächlich zu prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 8.7.2003 – 14 C 03.1428 – juris Rn. 8) und in den Gründen des Aussetzungsbeschlusses darzulegen, dass es dieser Verpflichtung nachgekommen ist (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2000 – 1 C 00.469 – juris Rn. 4; B.v. 21.6.2010 – 14 C 10.1443 – juris Rn. 9). Dem Aussetzungsbeschluss muss hinreichend entnommen werden können, ob und welche Überlegungen das aussetzende Verwaltungsgericht zur Frage der Vorgreiflichkeit angestellt hat (BayVGH, B.v. 9.7.2007 – 26 C 06.3297 – juris Rn. 11; Rudisile in Schoch/Schnei-der/Bier, VwGO, Stand: Juni 2017, § 94 Rn. 41, dort Fußnote 100). Denn das Beschwerdegericht kann die Frage, ob von Vorgreiflichkeit auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Ausgangsgerichts auszugehen ist, nur beurteilen, wenn diese Rechtsauffassung im Aussetzungsbeschluss hinreichend erläutert und damit als solche „messbar“ wird.
Im Übrigen ist die nach § 94 VwGO in das Ermessen des Gerichts gestellte Entscheidung, das Verfahren auszusetzen, vom Beschwerdegericht auf Ermessensfehler überprüfbar (BayVGH, B.v. 21.6.2010 – 14 C 10.1443 – juris Rn. 10; B.v. 1.3.2016 – 6 C 15.1364 – juris Rn. 6; NdsOVG, B.v. 25.11.2015 – 12 OB 160/15 – NVwZ-RR 2016,160 = juris Rn. 6; OVG NRW, B.v. 8.10.2015 – 6 E 904/15 – juris Rn. 18). Bei einer Entscheidung nach § 94 VwGO haben die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit das Interesse des Rechtsschutzsuchenden an zügiger und effektiver Durchführung des Verfahrens einerseits und die für eine Aussetzung sprechenden Belange andererseits gegeneinander abzuwägen. Bei dieser Abwägung ist zu berücksichtigen, dass der Anspruch auf möglichst raschen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz durch Art. 19 Abs. 4 GG grundrechtlich und gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK auch supranational verbürgt ist. Andererseits kann eine Aussetzung umso eher angezeigt sein, je mehr die Ziele, deren Wahrung dieses Rechtsinstitut dient, im konkreten Fall bei einer Weiterführung des Rechtsstreits nachteilig betroffen sein können. Zu den Belangen, die § 94 VwGO sichern will, gehören die Vermeidung divergierender Entscheidungen, die Sicherung einer ggf. bestehenden Bindungswirkung der Entscheidung, die am Ende desjenigen Verfahrens steht, im Hinblick auf das eine Aussetzung in Aussicht genommen wird, ferner die Nutzung einer bestehenden besonderen sachlichen Kompetenz der Stelle, der die Entscheidung des Bezugsverfahrens obliegt, sowie ganz allgemein der Gesichtspunkt der Prozessökonomie. Auch wenn das aussetzende Gericht im Allgemeinen nicht die Verpflichtung trifft, hinsichtlich aller nicht von der Aussetzung betroffenen Einzelfallfragen vor der Aussetzung Spruchreife herzustellen und damit für ein höchstmögliches Maß an (voraussichtlicher) Entscheidungserheblichkeit zu sorgen (vgl. BayVGH, B.v. 14.7.2015 – 4 C 15.1090 – juris Rn. 8 ff.), kann eine Gegenüberstellung der o.g. Abwägungsgesichtspunkte dazu führen, dass dem Gebot der bestmöglichen Beschleunigung gerichtlicher Verfahren der Vorrang einzuräumen ist, wenn eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass über die Klage sachlich entschieden werden kann, ohne dass es auf den Ausgang des Normenkontrollverfahrens überhaupt ankommt, wenn eine solche Entscheidung ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich sein dürfte. Eine Beschwerde gegen eine Aussetzungsentscheidung ist daher auch begründet, wenn das Verwaltungsgericht beim Erlass der angefochtenen Entscheidung ausweislich der hierfür gegebenen Begründung einen wesentlichen Gesichtspunkt außer Acht gelassen hat, der dafür sprechen könnte, dem Rechtsstreit den Fortgang zu geben, ohne den Ausgang des als vorgreiflich angenommenen Verfahrens (hier des Normenkontrollverfahrens) abzuwarten. Dies hat zur Folge, dass die Aussetzungsentscheidung aufzuheben ist, das Gericht jedoch befugt bleibt, das Verfahren ggf. erneut auszusetzen, wenn die nach Maßgabe der Gründe der Beschwerdeentscheidung von ihm durchzuführende Prüfung ergeben sollte, dass das Klageverfahren nicht unabhängig vom Ausgang des Normenkontrollverfahrens und ohne aufwändige Beweisaufnahme entscheidungsreif ist. Es ist dem Beschwerdegericht – hier also dem Senat – in einem solchen Fall verwehrt, diese Prüfung im Rahmen einer Beschwerde gegen eine auf § 94 VwGO gestützte Entscheidung selbst durchzuführen. Denn auch insofern ist der Grundsatz zu beachten, dass das Beschwerdegericht in einem Zwischenstreit über die Aussetzung des Verfahrens dem Verwaltungsgericht grundsätzlich nicht praktisch das in der Hauptsache zu fällende Urteil vorgeben darf (vgl. BayVGH, B.v. 2.4.2015 – 22 C 14.2701 – juris Rn. 14 ff.; B.v. 30.6.2017 – 22 C 16.1554 – BauR 2017, 1988 = juris Rn. 21 – 26; auf § 130 Abs. 1 Nr. 2 VwGO abstellend vgl. bereits BayVGH, B.v. 23.5.1984 – 1 C 83 A.1655 – BayVBl 1984, 755 ff.).
2. Im vorliegenden Fall ist das Verwaltungsgericht dem Gebot der hinreichenden Begründung der von ihm angenommenen Vorgreiflichkeit des Ausgangs des anhängigen Normenkontrollverfahrens für die Entscheidung der Nachbaranfechtungsklage gegen den Bauvorbescheid nicht nachgekommen. Der Begründung des mit der Beschwerde angegriffenen Beschlusses kann nicht plausibel entnommen werden, dass das Verwaltungsgericht seiner Obliegenheit zur Prüfung, ob die Entscheidung des Nachbarrechtsstreits von der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des einschlägigen Bebauungsplans abhängt, nachgekommen ist. Zudem hat das Verwaltungsgericht wesentliche Gesichtspunkt außer Acht gelassen, die dafür sprechen könnten, dem Rechtsstreit den Fortgang zu geben, ohne den Ausgang des von ihm als vorgreiflich angenommenen Normenkontrollverfahrens abzuwarten. Das Verwaltungsgericht hätte das Klageverfahren nicht aussetzen dürfen, ohne sich vorher Gewissheit darüber verschafft zu haben, ob die Klage unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans mit Blick auf folgende Fragen abweisungsreif ist:
– Hat der angefochtene Vorbescheid überhaupt mit Feststellungs- und Bindungswirkung eine Aussage zur Vereinbarkeit des Vorhabens mit den Voraussetzungen des Art. 6 BayBO in Richtung des nördlich gelegenen Grundstücks FlNr. … getroffen und ist mithin unter diesem Gesichtspunkt eine Verletzung von Nachbarrechten der Klägerin überhaupt denkbar? [hierzu im Folgenden unter a) ]
– Inwieweit ist die Wirksamkeit des Bebauungsplans auch für die Frage der Verletzung anderer nachbarschützender Normen, etwa unter dem Gesichtspunkt des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots, relevant oder irrelevant? [hierzu b) ]
a) Nach der Begründung des mit der Beschwerde angegriffenen Aussetzungsbeschlusses soll sich die Vorgreiflichkeit der im Normenkontrollverfahren zu klärenden Wirksamkeit des Bebauungsplans Nr. … aus § 6 Abs. 4 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans ergeben. Haben nach dieser Regelung die festgesetzten Baugrenzen Vorrang vor den regulären Abstandsflächen gem. Art. 6 BayBO, bedeutet dies, dass die Wirksamkeit des Bebauungsplans aus Sicht des Verwaltungsgerichts von entscheidungserheblicher Bedeutung sein soll, soweit es um die Beurteilung geht, ob das Bauvorhaben mit Art. 6 BayBO in Widerspruch oder im Einklang steht.
Nach Lage der Akten besteht aber hinreichender Grund zu der Annahme, dass der streitgegenständliche Vorbescheid ganz unabhängig von der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des Bebauungsplans Rechte der Eigentümer des nördlich an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücks aus Art. 6 BayBO nicht verletzen kann. Insbesondere erscheint es – was vom Verwaltungsgericht nicht thematisiert wurde – sehr fraglich, ob der streitgegenständliche Bauvorbescheid überhaupt Rechtsfolgen ausspricht, die die vorgenannten Rechte beeinträchtigen können:
aa) Grundsätzlich kann sich der Eigentümer eines angrenzenden Grundstücks erfolgreich mit der Anfechtungsklage gegen einen Bauvorbescheid wenden, wenn dieser zu Unrecht die Feststellung beinhaltet, dass das Abstandsflächenrecht gem. Art. 6 BayBO auch in Richtung des betroffenen Nachbargrundstücks nicht verletzt ist. Die Qualität des Art. 6 BayBO als Schutznorm zugunsten unmittelbar angrenzender Nachbarn steht grundsätzlich außer Frage (Dohm/Franz/Rauscher, in: Simon/Busse/ Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: März 2018, Art. 6 Rn. 604 ff.). Ein Vorbescheid gem. Art. 71 BayBO beinhaltet die verbindliche Feststellung der Bauaufsichtsbehörde, dass dem Bauvorhaben hinsichtlich der zur Entscheidung gestellten Fragen öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen (Decker in Simon/Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: März 2018, Art. 71 Rn. 95; zur Einordnung des Bauvorbescheid als vorweggenommener Ausschnitt aus dem feststellenden Teil der Baugenehmigung vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1975 – IV C 28.72 – BVerwGE 48, 242 = juris Rn. 15; U.v. 3.2.1984 – 4 C 39/82 – BVerwGE 69, 1 = juris Rn. 10). Insoweit kommt dem Bauvorbescheid für die Dauer seiner Gültigkeit eine gegenüber den am späteren Baugenehmigungsverfahren Beteiligten geltende Bindungswirkung dergestalt zu, dass der vorweg entschiedene Teil der Baugenehmigung im späteren Baugenehmigungsverfahren – vorbehaltlich einer Aufhebung gem. Art. 48, 49 BayVwVfG – nicht mehr von der Bauaufsichtsbehörde zu prüfen ist (Decker a.a.O. Rn. 98 ff.) und dass die vorweggenommene Feststellung im Falle der Bestandskraft des Vorbescheids auch gegenüber im Vorbescheidverfahren beteiligter Nachbarn gilt (Molodovsky in Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Stand: März 2018, Art. 71 Rn. 52; Decker a.a.O. Rn. 108 ff., 115).
bb) Im vorliegenden Fall ist aus Sicht des Senats aber fraglich, ob der von der Klägerin angefochtene Bauvorbescheid überhaupt eine Aussage trifft, dass die Anforderungen des Art. 6 BayBO gerade in Richtung Norden, also im Verhältnis zu dem Nachbargrundstück, an dem die Klägerin beteiligt ist, eingehalten sind.
Die sachliche Reichweite der bindenden Wirkung eines Vorbescheids richtet sich nach dem Inhalt des Vorbescheids; die Bindung erstreckt sich m.a.W. grundsätzlich nicht auf Fragen der Zulässigkeit des Vorhabens, zu denen der Vorbescheid überhaupt nichts aussagt (Molodovsky in Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Stand: März 2018, Art. 71 Rn. 47, 49).
Der Tenor des Bauvorbescheids vom 3. April 2017 enthält keinen ausdrücklichen Ausspruch dahingehend, dass das Vorhaben der Beigeladenen insgesamt den rechtlichen Vorgaben des Art. 6 BayBO nicht widerspricht, sondern lediglich die Feststellung, dass das „Bauvorhaben (…) im Rahmen der Voranfrage nach Maßgabe dieses Bescheides baurechtlich möglich“ ist. Berücksichtigt man im Rahmen der Auslegung des Bauvorbescheids zur Frage der Reichweite der Feststellungswirkung – wie im Wortlaut des Tenors („nach Maßgabe dieses Bescheids“) grundsätzlich angelegt – auch die Antworten auf die konkret im Vorbescheidantrag gestellten Fragen, ergibt sich, dass die auf Art. 6 BayBO bezogene Antwort zu Frage 3 in den Gründen des Bescheids keine eindeutige Aussage darüber enthält, dass das Vorhaben gerade nach Norden die Abstandsflächen einhält. Die Antwort beschränkt sich vielmehr darauf, dass „zu den angrenzenden öffentlichen Grün- und Verkehrsflächen (…) keine Abstandsflächen anfallen“. Es ist vom Wortlaut der Antwort – die (anders als die übrigen Antworten auf die gestellten Fragen) nicht auf „ja“ oder „nein“ ausgerichtet ist – schon grundsätzlich fraglich, ob hiermit nach dem Willen der Bauaufsichtsbehörde überhaupt eine Feststellungswirkung verbunden sein sollte oder ob es sich lediglich um einen unverbindlichen Hinweis auf die durch den Bebauungsplan konkretisierte Rechtslage handelt. Bei im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Vorhaben – also bei Vorhaben, die nicht Sonderbauten i.S. von Art. 2 Abs. 4 BayBO sind – kann im Übrigen nur über die Vereinbarkeit mit den in Art. 59 Satz 1 BayBO aufgeführten Vorschriften entschieden werden (Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer, Die neue Bayerische Bauordnung, Stand: Februar 2018, Art. 71 Rn. 23; Decker in Simon/Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: März 2018, Art. 71 Rn. 14 ff., 69 ff.; Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 4. Aufl. 2012, Art. 71 Rn. 7). Nach gegenwärtiger und noch im Zeitpunkt des Erlasses des Bauvorbescheids geltender Rechtslage gehört das Abstandsflächenrecht, soweit diesbezüglich keine Abweichung Art. 63 Abs. 1 BayBO beantragt wird, aber nur zum Prüfprogramm im Genehmigungsverfahren gem. § 60 BayBO, nicht aber nicht zum Prüfprogramm im vereinfachten Genehmigungsverfahren (vgl. Art. 59 Satz 1, Art. 60 Satz 1 Nr. 2 BayBO). Die Beigeladene hat mit ihrem Vorbescheidantrag vorliegend nicht klären wollen, ob in Bezug auf die geplante Nichteinhaltung von bauordnungsrechtlichen Vorschriften eine Abweichung nach Art. 63 BayBO erteilt werde und hat folglich auch nicht hierüber das bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht zum Bestandteil des Prüfprogramm über Art. 59 Abs. 1 Nr. 2 BayBO erhoben (vgl. Decker a.a.O. Rn. 69). Im vorliegenden Fall ist zudem nicht ersichtlich, warum das von der Beigeladenen geplante Wohngebäude – entgegen der nicht näher begründeten Angabe im Formularantrag zum Bauvorbescheid – die Voraussetzungen eines der in Nr. 1 – 20 des Art. 2 Abs. 4 BayBO reglementierten Alternativen eines Sonderbaus erfüllen könnte; jedenfalls folgt aus dem Aussetzungsbeschluss nicht, dass und ggf. warum das Verwaltungsgericht von einem Sonderbau ausgeht.
Im Übrigen ergibt sich der sachliche Umfang der Bindungswirkung eines Vorbescheids letztlich aus den im Vorbescheidantrag gestellten Fragen und den diesem Antrag zugrundeliegenden Plänen. Nur die im Vorbescheid ausdrücklich im Sinne einer positiven Bescheidung einzelner Fragen geklärten Aspekte der Bauvoranfrage nehmen an der Bindungswirkung des Vorbescheides teil (vgl. auch OVG NRW, B.v. 29.7.2002 – 7 B 831/02 – juris Rn. 7). Den sachlichen Umfang der Bindungswirkung des erteilten Vorbescheides für das anschließende Baugenehmigungsverfahren bestimmt daher zunächst der Bauherr durch seine Angaben in den Antragsunterlagen (Decker in Simon/Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: März 2018, Art. 71 Rn. 103; vgl. auch Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer, Die neue Bayerische Bauordnung, Stand: Februar 2018, Art. 71 Rn. 26). Hiervon geht auch der von der Klägerin angefochtene Vorbescheid vom 3. April 2017 aus, in dessen Gründen es unter „I. Vorbemerkung“ ausdrücklich heißt, dass der Vorbescheid und dessen Bindungswirkung sich nur auf die im Antrag gestellten Fragen beziehen und dass die Beurteilung im Übrigen dem endgültigen Bauantrages vorbehalten bleibt. Hinsichtlich der Vereinbarkeit des Vorhabens mit Art. 6 BayBO hat sich die Beigeladene ausdrücklich auf die Frage begrenzt, ob die „Abstandsflächen, wie im Plan dargestellt, auf städtischen Grund fallen (öffentliche Grünflächen) oder über die Straßenmitte reichen“. Unabhängig davon, ob diese Frage hinreichend konkret auf die Vereinbarkeit des Vorhabens mit einer bestimmten Genehmigungsvoraussetzung gerichtet ist und ob es sich insofern überhaupt um eine im Vorbescheidverfahren prüffähige Frage handelt (Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 4. Aufl. 2012, Art. 71 Rn. 9; Decker a.a.O. Rn. 72), ist weder in der Fragestellung im Antrag der Beigeladenen noch in der Antwort der Beklagten in den Bescheidgründen ein Ansatz ersichtlich, wonach im Vorbescheid festgestellt sein könnte, dass das streitgegenständliche Vorhaben den Anforderungen des Art. 6 BayBO in Richtung N o r d e n – also gerade gegenüber der Eigentümergemeinschaft, an der die Klägerin beteiligt ist – nicht widerspricht. Wenn der Vorbescheid überhaupt eine bindende Feststellung dahingehend beinhalten sollte, dass die Vorgaben des Abstandsflächenrechts eingehalten sind, begrenzte sich diese allenfalls darauf, dass das Bauvorhaben in Richtung der angrenzenden öffentlichen Grün- und Verkehrsflächen, also – entsprechend der Darstellung im Abstandsflächenplan, der dem Antrag beigefügt war – nach S ü d e n, O s t e n und W e s t e n (Südwesten) den Anforderungen des Art. 6 BayBO nicht widerspricht. Gerade aufgrund des Umstands, dass die allgemeine Vereinbarkeit des Vorhabens mit Art. 6 BayBO so nicht Gegenstand der im Antrag gestellten Fragen ist und der Vorbescheid in den Vorbemerkungen der Bescheidgründe ausdrücklich klarstellt, dass sich seine Bindungswirkung auf Aussagen zu den im Antrag gestellten Fragen begrenzt, dürfte die Passage in den Gründen des Bescheids unter „I. Vorbemerkung“, wonach „das Gebäude (…) aufgrund des festgesetzten Vorrangs der Baugrenzen vor regulären Abstandsflächen gemäß Art. 6 BayBO an das nördlich angrenzende Parkhaus angebaut werden kann“, ein bloßer Hinweis auf die Rechtsansicht der Bauaufsichtsbehörde sein, nicht jedoch Bestandteil der feststellenden Regelung. Gegenteiliges ergibt sich jedenfalls nicht ohne weiteres aus dem Bescheid und wäre – maßgeblich in einem Aussetzungsbeschluss – begründungsbedürftig.
cc) Vor diesem Hintergrund bleibt die Erwägung des Verwaltungsgerichts, die eingereichten Pläne, die die Lage des Bauvorhabens unmittelbar entlang der Grundstücksgrenze zum nördlich angrenzenden Grundstück FlNr. … festlegten, seien im Ganzen zum Bestandteil des Vorbescheids erklärt worden, zur Begründung des Aussetzungsbeschlusses in Bezug auf eine Nachbarrechtsverletzung der Klägerin aus Art. 6 BayBO und eine diesbezügliche Vorgreiflichkeit des Normenkontrollverfahrens 15 N 18.353 unklar. Das Verwaltungsgericht hat jedenfalls nicht ausgeführt, warum der Bauvorbescheid – obwohl ihm nach dessen Ausspruch und Begründung gerade keine Feststellungs- / Bindungswirkung hinsichtlich der Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrecht in Richtung Norden zukommen dürfte – im Fall der Unwirksamkeit des Bebauungsplans dennoch Rechte der Eigentümer des nördlich an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücks aus Art. 6 BayBO verletzen können soll. Es ist weder ersichtlich, ob das Verwaltungsgericht überhaupt eine diesbezügliche Prüfung vorgenommen hat noch welche Rechtsansicht das Verwaltungsgericht zu dieser Frage hat.
b) Das Verwaltungsgericht hat es ferner unterlassen, in der Begründung des Aussetzungsbeschlusses auszuführen, inwiefern aus seiner Sicht die im Normenkontrollverfahren zu klärende Wirksamkeit des Bebauungsplans Auswirkungen auf die Begründetheit der Anfechtungsklage gegen den Bauvorbescheid unter dem Gesichtspunkt anderer nachbarschützender Normen – in Betracht kommt insofern ggf. das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme – hat.
Inwiefern die Aussetzung des erstinstanzlichen Klageverfahrens eventuell damit begründet werden k ö n n t e, dass die Frage der Wirksamkeit des Bebauungsplans vorgreiflich für die Beurteilung einer sonstigen Nachbarrechtsverletzung (außerhalb von Art. 6 BayBO) wäre, ist im Rahmen der Beschwerde vom Senat nicht zu hinterfragen. Denn insoweit hat das Verwaltungsgericht, das nach § 94 VwGO bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen hat, im Aussetzungsbeschluss keine erkennbaren Erwägungen angestellt. Dies gilt maßgeblich für Fragen rund um das im Aussetzungsbeschluss nicht thematisierte bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Zwar kann das konkrete Maß der baulichen Nutzung in Ausnahmefällen gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen, etwa bei besonders hohen / wuchtigen Gebäuden aufgrund einer „erdrückenden“ oder „einmauernden“ Wirkung gegenüber dem Nachbarbaustand. Ein Automatismus dergestalt, dass ein – hier im Fall der Unwirksamkeit des Bebauungsplans anzunehmender (vgl. Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO) – Verstoß gegen Art. 6 BayBO immer oder regelmäßig einen Verstoß gegen das nachbarschützende bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot begründe, ist aber nicht anzunehmen. Vielmehr kommt es auch im Fall der Nichteinhaltung eines bauordnungsrechtlichen Grenzabstands darauf an, inwieweit gleichzeitig aufgrund der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls die Nutzung des Nachbargrundstücks tatsächlich unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 17 ff.; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 26 ff.; B.v. 6.4.2018 – 15 ZB 17.36 – juris Rn. 23 ff.; B.v. 13.4.2018 – 15 ZB 17.342 – juris Rn. 13 ff.; B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 34). Hierauf hat aber das Verwaltungsgericht in der Begründung des Aussetzungsbeschlusses nicht abgestellt. Erwägungen, welche nachbarschutzrelevanten und daher vorgreiflichen Auswirkungen die Entscheidung über den beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Normenkontrollantrag unter dem Gesichtspunkt des Rücksichtnahmegebots oder sonstiger Schutznormen außerhalb des Art. 6 BayBO haben könnte, finden sich im Aussetzungsbeschluss vom 15. März 2018 nicht. Der Senat kann weder anhand des Aussetzungsbeschlusses noch anhand der erstinstanzlichen Gerichtsakte Au 5 K 17.655 erkennen, ob das Verwaltungsgericht hierzu überhaupt eine rechtliche Prüfung durchgeführt und ob es sich hierzu eine Rechtsmeinung gebildet hat.
3. Ergänzend weist der Senat – ohne dass dies für die Begründetheit der Beschwerde noch entscheidungserheblich ist – darauf hin, dass nach dem Beschwerdevortrag der Beigeladenen vom 2. Juli 2018 (Seite 3) die Klägerin an dem nördlich an das Bauvorhaben angrenzenden Grundstück FlNr. … und dem dort vorhandenen Gebäude über Sondereigentum verfügt. Insofern dürfte sich im Anfechtungsrechtsstreit zusätzlich die Frage stellen, ob und inwieweit die Klägerin aufgrund des Umstands, dass an diesem Grundstück Wohnungs- bzw. Teileigentum gebildet ist, überhaupt als Einzelklägerin potenzielle Nachbarrechtsverletzungen geltend machen kann. Mit Blick auf § 1 Abs. 5, § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG ist bei gebildetem Sondereigentum am Nachbargrundstück in Form von Wohnungseigentum (§ 1 Abs. 2 WEG) und / oder Teileigentum (§ 1 Abs. 3 WEG), für das die Vorschriften über das Wohnungseigentum entsprechend gelten (§ 1 Abs. 6 WEG), schon die Antragsbefugnis eines klagenden einzelnen Sondereigentümers im Verhältnis zur Eigentümergemeinschaft kritisch zu prüfen. Vorliegend ist weder der Begründung des Aussetzungsbeschlusses noch den Akten zu entnehmen, ob sich das Verwaltungsgericht eine Rechtsmeinung darüber gebildet sowie tatsächlich geprüft hat, inwieweit mögliche Rechtsbeeinträchtigungen am Nachbargrundstück nur von der Gemeinschaft aller Wohnungs- / Teileigentümer klageweise geltend gemacht werden können (wenn es nur um die Betroffenheit von Nachbarrechten geht, die im gemeinschaftlichen Eigentum für das gesamte Grundstück wurzeln) oder aber ob die Klägerin (etwa wenn auch eine konkrete Beeinträchtigung ihres Sondereigentums im Raum steht) alleine für eine Anfechtungsklage gegen den Bauvorbescheid klagebefugt ist (vgl. zum Ganzen BVerwG‚ U.v. 20.8.1992 – 4 B 92.92 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 8.7.2013 – 2 CS 13.807 – NVwZ 2013, 1622 = juris Rn. 5 ff.; B.v. 24.7.2014 – 15 CS 14.949 – juris Rn. 12; B.v. 24.11.2016 – 1 CS 16.2011 – juris Rn. 3 ff.; B.v. 27.7.2017 – 1 CS 17.918 – juris Rn. 3; B.v. 1.3.2018 – 1 CS 17.2539 – juris Rn. 3 m.w.N.; vgl. auch Molodovsky/Waldmann, in: Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Stand: März 2018, Art. 6 Rn. 17).
4. Einer Kostenentscheidung bedarf es für das – wie hier – erfolgreiche Beschwerdeverfahren nicht, weil die Kosten dieses nichtstreitigen Zwischenverfahrens, in dem sich die Beteiligten nicht als Gegner gegenüberstehen, von den Kosten des Rechtsstreits in der Hauptsache erfasst werden und Gerichtskosten gemäß Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nur im Falle der Verwerfung bzw. Zurückweisung der Beschwerde entstehen (vgl. NdsOVG, B.v. 9.1.2018 – 5 OB 224/17 – juris Rn. 22 m.w.N.; i.E. ebenso BayVGH, B.v. 25.10.2010 – 6 C 10.2262 – juris Rn. 9; abw. in Sonderkonstellationen BayVGH, B.v. 16.3.2000 – 1 C 00.469 – juris Rn. 5; B.v. 8.7.2003 – 14 C 03.1428 – juris Rn. 10).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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