Baurecht

Erfolgreiche Klage auf Erteilung eines Vorbescheids für den Abbruch und den Neubau von zwei Mehrfamilienhäusern

Aktenzeichen  M 8 K 16.3153

Datum:
3.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 3 i.V.m. § 34 BauGB

 

Leitsatz

1. Baurecht bricht Baumschutzrecht.
2. Die nähere Umgebung ist für jedes der in § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB aufgeführten Zulässigkeitsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil die prägende Wirkung der jeweils maßgeblichen Umstände unterschiedlich weit reichen kann (BVerwG BeckRS 9998, 30433). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Übereinstimmung von Vorhaben und Referenzobjekten nur in einem Maßfaktor genügt nicht, weil sie dazu führen könnte, dass durch eine Kombination von Bestimmungsgrößen, die einzelnen Gebäuden in der näheren Umgebung jeweils separat entnommen werden, Baulichkeiten entstehen, die in ihrer Dimension kein Vorbild in der näheren Umgebung haben (BVerwG BeckRS 2016, 113766). (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
4. Für das Kriterium der Bauweise ist allein entscheidend, ob Gebäude mit oder ohne seitlichen Grenzabstand errichtet worden sind. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
5. Sofern ein Vorhaben im Innenbereich bauplanungsrechtlich zulässig ist, muss der Natur- und Baumschutz insoweit im Regelfall zurücktreten. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid vom 23. Juni 2016 (Az. …*) wird hinsichtlich der Beantwortung der Frage 1b), 1c), 1d) und 2 aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verpflichtet, die Fragen 1b), 1c), 1d) und 2 entsprechend des Antrags vom 31. Mai 2016 positiv zu beantworten.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vorläufig vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist auch begründet und hat daher Erfolg. Die Klägerin hat einen Anspruch auf positive Beantwortung der Vorbescheidsfragen 1 b), 1 c), 1 d) und 2 gemäß dem Antrag vom 31. Mai 2016 nach Plan-Nr. … Die negative Beantwortung dieser Fragen ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
I.
Gemäß Art. 71 Satz 4, 68 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) ist ein positiver Vorbescheid im Sinne der positiven Beantwortung der gestellten Vorbescheidsfragen zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben hinsichtlich der gestellten Frage keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Die streitgegenständlichen Vorbescheidsfragen unter 1. bezogen sich auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Errichtung zweier Mehrfamilienhäuser auf den Vorhabengrundstücken. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer baulichen Anlage gehört im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO zum Prüfungsmaßstab und ist damit auch zulässiger Gegenstand eines Vorbescheidsverfahrens.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bestimmt sich vorliegend im Hinblick auf das vorhandene, gemäß § 173 Abs. 3 BBauG und § 233 Abs. 3 BauGB übergeleitete und fortgeltende Bauliniengefüge nach § 30 Abs. 3 BauGB und im Übrigen, da keine weitergehenden bauplanungsrechtlichen Festsetzungen vorhanden sind, nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
Hiernach ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.
Maßgeblicher Beurteilungsrahmen für das Vorhaben ist die nähere Umgebung. Berücksichtigt werden muss hier die Umgebung einmal insoweit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zum anderen insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Welcher Bereich als „nähere Umgebung“ anzusehen ist, hängt davon ab, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die benachbarte Bebauung und sich andererseits diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend auswirken (BayVGH, U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19 m.w.N.). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 122. EL August 2016, § 34 Rn. 45). Diese kann so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinander stoßen (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74/03 – juris Rn. 2). Der Grenzverlauf der näheren Umgebung ist dabei nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) entkoppelt ist. Eine solche Linie hat bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74/03 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 10.6.1991 – BVerwG 4 B 88.91 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 143). Umgekehrt führt ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74/03 – juris Rn. 2). Dies gilt insbesondere in entsprechend differenzierten städtebaulichen Strukturen, etwa in Wohngebieten vor allem bei kleinteiliger Bebauung, oder wenn städtebauliche Strukturen stark wechseln (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 122. EL August 2016, § 34 Rn. 45).
Bei einem inmitten eines Wohngebietes gelegenen Vorhaben kann als Bereich gegenseitiger Prägung in der Regel das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite angesehen werden (BayVGH, B.v. 30.1.2013 – 2 ZB 12.198 – juris Rn. 5; B.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4; U.v. 10.7.1998 – 2 B 96.2819 – juris Rn. 25).
Die nähere Umgebung ist dabei für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Zulässigkeitsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil die prägende Wirkung der jeweils maßgeblichen Umstände unterschiedlich weit reichen kann (BVerwG, B.v. 6.11.1997 – 4 B 172.97 –, NVwZ-RR 1998, 539; BayVGH, U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19). Bei den Kriterien Nutzungsmaß und überbaubare Grundstücksfläche ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Nutzungsart (BayVGH, B.v. 16.12.2009 – 1 CS 09.1774 – juris Rn. 21 m.w.N.).
II.
Die Frage 1 b) ist positiv zu beantworten, da sich die geplanten zwei Mehrfamilienhäuser mit Tiefgarage hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB einfügen.
1. Die maßgebliche nähere Umgebung hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung umfasst neben der …straße jedenfalls auch das Grundstück … Straße 7.
1.1 Wie soeben ausgeführt, gehört zum Bereich der gegenseitigen Prägung in der Regel das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straße. Dies ist im vorliegenden Fall das durch die …straße im Süden, die … Straße im Westen, die … Straße im Norden und die …straße im Osten begrenzte Straßengeviert sowie die südlich entlang der …straße situierte Bebauung. Eine Abweichung von dieser grundsätzlichen Annahme ist vorliegend nicht gerechtfertigt. Denn von den streitgegenständlichen Grundstücken besteht – wie sich im Augenschein gezeigt hat – eine deutliche Sichtbeziehung zu dem Anwesen … Straße 7, aber auch z.B. zu den Anwesen … Straße 103/105 und … Straße 97a. Eine irgendwie geartete Trennung zwischen der Bebauung nördlich entlang der …straße (* …straße 2-16) in Gestalt eines Strukturschnitts ist nicht erkennbar. Unterschiedliche Nutzungsstrukturen liegen bereits deshalb nicht vor, weil sich die gesamte, im Augenschein festgestellte Bebauung als Wohnbebauung dargestellt hat. Grundsätzlich unterschiedliche bauliche Strukturen zwischen der Bebauung auf den Anwesen …straße 2-16 und den nördlich hiervon gelegenen Anwesen waren im Augenschein ebenfalls nicht erkennbar. Das Vorhaben wird daher jedenfalls auch von der … Straße 7 geprägt.
1.2 Die nach Ansicht der Beklagten einheitliche Bebauung nördlich und südlich entlang der …straße führt zu keiner anderen Beurteilung. Wie im Augenschein festgestellt wurde, finden sich entlang der …straße zwar in der Regel eingeschossige Gebäude mit zwei Dachgeschossebenen und relativ steil gestellten Satteldächern sowie in etwa vergleichbaren Grundflächen. Von einem einheitlich geprägten Bebauungskomplex, der sich völlig von der übrigen Bebauung in der Umgebung abgrenzt, kann jedoch nicht die Rede sein. Denn das Gericht hat im Augenschein insbesondere festgestellt, dass mehrere Gebäude über zwei massiv ausgebaute Dachgeschossebenen, erkennbar anhand massiver straßenseitiger Gauben oder großer Dachliegefenster, verfügen (v.a. …straße 3 und 6), wohingegen die zweite Dachgeschossebenen anderer Gebäude, erkennbar anhand speichertypischer Fenster, nicht ausgebaut sind (v.a. …straße 5, 7, 9 und 11). Durch die massiven straßenseitigen Gauben auf den Anwesen …straße 3 und 6 wird das im Übrigen einheitliche Erscheinungsbild der Bebauung entlang der …straße so erheblich aufgeweicht, dass sich keine klare Trennung zum nördlichen Teil der Bebauung im Geviert mehr erkennen lässt. Hierfür spricht zudem, dass sich – wie sich aus dem Lageplan ergibt – auch im nördlichen Teil des Gevierts Doppelhäuser (v.a. … Straße 95a/95b) und in Ost-West-Richtung ausgerichtete Gebäude (v.a. … Straße 95a/95b, 97a und 101) befinden.
1.3 Das Gebäude der … Straße 7 ist auch nicht dergestalt als „Ausreißer“ anzusehen, dass es aufgrund seiner Erscheinung als ein sich von der Umgebung absetzender Fremdkörper anzusehen wäre, der diese nicht prägt.
Auszusondern sind insoweit unter anderem solche baulichen Anlagen, die nach ihrer Qualität völlig aus dem Rahmen der sonst in der näheren Umgebung anzutreffenden Bebauung herausfallen. Dies ist namentlich dann anzunehmen, wenn eine singuläre Anlage in einem auffälligen Kontrast zur übrigen Bebauung steht. In Betracht kommen insbesondere solche baulichen Anlagen, die nach ihrer – auch äußerlich erkennbaren – Zweckbestimmung in der näheren Umgebung einzigartig sind. Sie erlangen die Stellung eines „Unikats“ umso eher, je einheitlicher die nähere Umgebung im Übrigen baulich genutzt ist. Trotz ihrer deutlich in Erscheinung tretenden Größe und ihres nicht zu übersehenden Gewichts in der näheren Umgebung bestimmen sie nicht deren Eigenart, weil sie wegen ihrer mehr oder weniger ausgeprägt vom übrigen Charakter der Umgebung abweichenden Struktur gleichsam isoliert dastehen (vgl. BVerwG, U.v. 15.2.1990 – 4 C 23/86 – juris Rn. 15; VG München, U.v. 27.6.2016 – M 8 K 15.2110 – juris Rn. 46).
Vorliegend zeichnet sich das Gebäude … Straße 7 zwar gegenüber den unmittelbar benachbarten Gebäuden durch eine massivere Kubatur aus. Da es aber sowohl die Grundflächen, die Geschossigkeit und die Höhen der Gebäude der Umgebung aufnimmt – vgl. als Bezugsobjekte nur die … Straße 97 und 95c –, erweist es sich in der keineswegs von homogener Baustruktur geprägten Umgebung nicht als so einzig- und andersartig, dass es sich gewissermaßen auf den ersten Blick von dieser abheben würde.
2. In diese maßgebliche nähere Umgebung fügt sich das Vorhaben nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ein.
2.1 Bedeutsam für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung sind nach der obergerichtlichen Rechtsprechung solche Maße, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung zueinander setzen lassen. Ihre absolute Größe nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur Freifläche, prägen das Bild der maßgeblichen Umgebung und bieten sich deshalb vorrangig als Bezugsgrößen zur Ermittlung des Maßes der baulichen Nutzung an (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 17 m.w.N.).
Dabei ist kumulierend auf die absolute Größe der Gebäude nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe abzustellen. Die Übereinstimmung von Vorhaben und Referenzobjekten nur in einem Maßfaktor genügt nicht, weil sie dazu führen könnte, dass durch eine Kombination von Bestimmungsgrößen, die einzelnen Gebäuden in der näheren Umgebung jeweils separat entnommen werden, Baulichkeiten entstehen, die in ihrer Dimension kein Vorbild in der näheren Umgebung haben. Dies widerspräche der planersetzenden Funktion des § 34 Abs. 1 BauGB, eine angemessene Fortentwicklung der Bebauung eines Bereichs zu gewährleisten (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 20).
2.2. Nach diesen Grundsätzen fügt sich das klägerische Vorhaben in die maßgebliche nähere Umgebung ein.
Das auf dem Grundstück …straße 10 geplante Mehrfamilienhaus weist eine Grundfläche von 180,63 m² bei einer Grundstücksgröße von 636,04 m² auf. 28,40% des Grundstücks sind daher mit dem Wohngebäude bebaut. Es ist mit einem Erdgeschoss, einem Obergeschoss und einem Dachgeschoss geplant. Die Wandhöhe beträgt 6 m, die Firsthöhe 11,5 m.
Das auf dem Grundstück …straße 12 geplante Mehrfamilienhaus weist eine Grundfläche von 180,41 m² bei einer Grundstücksgröße von 636,05 m² auf. 28,36% des Grundstücks sind daher mit dem Wohngebäude bebaut. Es ist mit einem Erdgeschoss, einem Obergeschoss und einem Dachgeschoss geplant. Die Wandhöhe beträgt 6 m, die Firsthöhe 11,5 m.
Das Gebäude dem Anwesen … Straße 7 weist laut Baugenehmigung und Bauvorlagen eine Grundfläche von 264,72 m² bei einer Grundstücksgröße von 821 m² auf. 32,24% des Grundstücks sind daher mit dem Wohngebäude bebaut. Es verfügt über ein Erdgeschoss und ein Obergeschoss sowie über zwei ausgebaute Dachgeschossebenen. Die Wandhöhe beträgt 6,65 m (in den Bauvorlagen vermasst), die Firsthöhe 13,51 m (in den Bauvorlagen vermasst).
In allen nach außen wahrnehmbaren Faktoren hält sich das Vorhaben damit im Rahmen der näheren Umgebung in Gestalt des Bezugsobjekts … Straße 7.
Die von der Beklagten angeführten Längen und Breiten der Vorhabengebäude sind dagegen keine tauglichen Kriterien zur Bestimmung des Einfügens nach dem Maß der baulichen Nutzung.
III.
Die Frage 1 c) ist positiv zu beantworten, da sich die geplanten zwei Mehrfamilienhäuser mit Tiefgarage hinsichtlich der Bauweise in die nähere Umgebung gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB einfügen.
Die maßgebliche nähere Umgebung hinsichtlich der Bauweise umfasst – wie hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung – neben der …straße jedenfalls auch das Grundstück … Straße 7, da dieses auch hinsichtlich seiner offenen Bauweise (vgl. § 22 Abs. 2 BauNVO) die Vorhabengrundstück prägt.
In diese maßgebliche nähere Umgebung fügt sich das Vorhaben nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ein, da im Geviert sogar vorwiegend die offene Bauweise (z. B. … Straße 7 oder …straße 14-16) vorhanden ist.
Eine weitere Aufteilung des Kriteriums der offenen Bauweise entsprechend der Differenzierung in § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO (Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen) ist im Rahmen des Einfügenskriteriums nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB unzulässig, sodass es hiernach darauf ankommt, ob offene, geschlossene oder gar keine einheitliche Bauweise in der näheren Umgebung vorhanden ist. Denn für dieses Kriterium der Bauweise ist allein entscheidend, ob Gebäude mit oder ohne seitlichen Grenzabstand errichtet worden sind (vgl. § 22 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 BauNVO).
Die von der Beklagten angeführte Stellung der Gebäude (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB) ist keine Frage der Bauweise.
IV.
Die Frage 1 d) hinsichtlich der über- und unterbaubaren Grundstücksfläche ist positiv zu beantworten, da das Vorhaben der festgesetzten vorderen Baugrenze nicht widerspricht.
Offen bleiben kann die Frage, ob das übergeleitete Bauliniengefüge abschließend die überbaubare Grundstücksfläche festsetzt, sodass insoweit § 34 Abs. 1 BauGB nicht zur Anwendung kommt (vgl. zur Diskussion VG München, U.v. 13.5.2013 – M 8 K 12.2534 – juris Rn. 81 ff. m.w.N.).
Denn jedenfalls ist vorliegend keine einheitliche, faktische Baugrenze vorhanden. Eine vordere, straßenseitige, zusätzliche faktische Baugrenze kommt bereits deshalb nicht in Betracht, da selbst die Bebauung nördlich und südlich entlang der …straße – diese Bebauung hält die Beklagte für die maßgebliche Umgebung – unterschiedlich weit von der …straße bzw. von der festgesetzten vorderen Baugrenze situiert ist. Das Vorhaben hielte sich aber auch im Rahmen einer solchen faktischen vorderen Baugrenzen, da die Bebauung südlich entlang der …straße bis an die festgesetzte Baugrenze reicht, das Vorhaben jedoch zu dieser einen Abstand von ca. 7,5 m (abgegriffen aus den Bauvorlagen) einhält.
Dies gilt entsprechend auch für eine mögliche rückwärtige faktische Baugrenze. Hinsichtlich der nördlich entlang der …straße situierten Bebauung würde das Vorhaben aber eine faktische Baugrenze einhalten.
Auch eine einheitliche, faktische Bebauungstiefe (vgl. § 23 Abs. 4 BauNVO) liegt aus denselben Gründen nicht vor. Da die Bebauungstiefe in Bezug auf die jeweilige Erschließungsstraße zu ermitteln ist (vgl. BVerwG, B.v. 16.6.2009 – 4 B 50/08 – juris Rn. 4; VG München, B.v. 6.4.2017 – M 8 SN 17.676 – juris Rn. 93), entspricht das Bauvorhaben aber sogar der Bebauungstiefe der nördlich der …straße gelegenen Bebauung, da die Vorhabengrundstücke – wie z.B. das Nachbargrundstück …straße 14 – bis zu einer Bebauungstiefe von 28,965 m (vermasst), gemessen von der vorderen Grundstücksgrenze, bebaut werden sollen.
V.
Anhaltspunkte für eine bauplanungsrechtliche Rücksichtslosigkeit des Vorhabens sind weder ersichtlich noch von der Beklagten vorgetragen worden.
VI.
Die Frage 2 ist positiv zu beantworten. Sofern ein Vorhaben im Innenbereich bauplanungsrechtlich zulässig ist, muss der Natur- und Baumschutz insoweit im Regelfall zurücktreten (Rechtsgedanke des § 18 Abs. 2 Satz 1 Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG – und Art. 31 Grundgesetz – GG). Auch § 5 Abs. 1 Nr. 1 der Baumschutzverordnung der Beklagten vom 18. Januar 2013 selbst geht von einem solchen Rangverhältnis aus (vgl. dazu grundsätzlich BayVGH, U.v. 27.9.1991 – 1 B 91.738 – juris; VG München, U.v. 28.7.2008 – M 8 K 07.3586 – juris Rn. 40). In engen Ausnahmefällen mag dies anders sein, dafür bietet jedoch der vorliegende Sachverhalt keine Anhaltspunkte.
VII.
Daher war der Klage in vollem Umfang mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

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