Aktenzeichen M 9 K 18.2946
Leitsatz
1 Eine Baugenehmigung muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein, d.h. sie muss Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit die mit dem Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten des Verfahrens nachvollziehbar und eindeutig ist. Dies betrifft insbesondere die mit dem Baugenehmigungsbescheid genehmigten Bauvorlagen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung und Genehmigung ist stets eine bauliche Anlage in ihrer durch die Nutzung bestimmten Funktion als Einheit, d.h. ein konkret funktionsbezogenes Vorhaben. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid vom 14. Mai 2018 wird aufgehoben.
II. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin haben der Beklagte und der Beigeladene je zur Hälfte zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Baugenehmigung verletzt die Klägerin in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Sie ist nachbarrechtsrelevant unbestimmt, Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG, da unklar ist, was „das Vorhaben“ sein soll (1.) und da für den wahrscheinlichsten, aber nicht sicher bestimmbaren Betriebszustand feststünde, dass das Gebot der Rücksichtnahme zulasten der Klägerin verletzt würde (2.).
Eine Baugenehmigung muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein, d.h. sie muss Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit die mit dem Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten des Verfahrens nachvollziehbar und eindeutig ist (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris). Dies betrifft insbesondere die mit dem Baugenehmigungsbescheid genehmigten Bauvorlagen. Ein Nachbar hat zwar keinen materiellen Anspruch darauf, dass der Bauantragsteller einwandfreie und vollständige Bauvorlagen einreicht. Nachbarrechte können aber dann verletzt sein, wenn infolge der Unbestimmtheit einer Baugenehmigung bzw. der Bauvorlagen der Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützende Rechte verstößt. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2016 – 15 B 16.1001 – juris; B.v. 5.7.2017 – 9 CS 17.603 – juris; jeweils m.w.N.).
1. Vorliegend ist unklar, was Gegenstand des „Baugenehmigungs-Bescheids“, Az. 30/602 BV VI 20171157, ist.
Wollte man davon ausgehen, dass das Landratsamt tatsächlich gleichsam nur einen „leeren Container“ genehmigen wollte ohne konkrete Funktions- bzw. Nutzungsweise, so ist das bereits deshalb unzulässig, weil Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung und Genehmigung stets eine bauliche Anlage in ihrer durch die Nutzung bestimmten Funktion als Einheit, d.h. ein konkret funktionsbezogenes Vorhaben ist (statt aller Simon/Busse, BayBO, Stand: 129. EL März 2018, Art. 68 Rn. 14 m.w.N.); für die Klägerin ist – dieses Verständnis zugrunde gelegt – unklar, für welche Zwecke der „Container“ in nächster Nähe zu ihrem Grundstück aufgestellt wird, womit ihr die Prüfung, ob und in welchem Umfang sie durch diese bauliche Anlage betroffen ist, d.h. auch, ob Nachbarrechte tatsächlich verletzt sind/werden, unmöglich gemacht wird.
Im Übrigen sind die Bauvorlagen auch widersprüchlich: Zwar wurde die Vorhabenbezeichnung durch Streichung des Wortfragments „Getränkekühl-“ geändert, der Grundriss aber sieht weiterhin einen „Getränkekühlcontainer“ vor. Es ist somit nach Aktenlage unklar, ob nun ein „leerer Container“ oder ein „Getränkekühlcontainer“ genehmigt werden sollte – diese Unschärfe zieht sich bis in die Klageerwiderung, die für bestimmte Zeiten (Volksfest) wiederum von einem Getränkekühlcontainer spricht. Da ein Getränkekühlcontainer, gerade zu Volksfestzeiten, aber gänzlich anders zu beurteilen ist als ein Container, in dem nur und ausschließlich Gegenstände gelagert werden, führt auch die Widersprüchlichkeit zur Aufhebung der Baugenehmigung.
Ergänzend sei angemerkt, dass es in Zusammenschau mit den Genehmigungsunterlagen des Parallelverfahrens M 9 K 17.3051 (Baugenehmigungsbescheid 30/602 BV VI 20171157) zwar im Bereich des Möglichen liegt, dass nur die Aufstellung eines leeren oder mit Einhausungselementen gefüllten Containers „über’s Jahr hinweg“ – d.h. zu Nichtvolksfestzeiten -, legitimiert werden sollte, quasi als eine Art „Kumulativgenehmigung“: Demnach wäre die Einhausung zur Volksfestzeit nach der dortigen Genehmigungslage zulässig, im Übrigen soll dann wohl auf die „Tekturplanung“ zurückgegriffen werden. Auch diese Überlegungen aber zeigen – unabhängig von einer rechtlichen Zulässigkeit dieses Ansatzes -, dass bereits unklar ist, was das Vorhaben i.S.v. § 29 Abs. 1 BauGB sein soll; außerdem wäre die Tekturgenehmigung dann schlicht überflüssig.
2. Die Baugenehmigung würde für den wahrscheinlichsten, aber nicht sicher bestimmbaren Betriebszustand „Getränkekühlcontainer ohne Einhausung“ das im Zweifel aus § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB (Gemengelage) herzuleitende Gebot der Rücksichtnahme verletzen. Da beide Grundstücke – das Baugrundstück und das der Klägerin – im unbeplanten Innenbereich liegen, erübrigt sich eine weitere Festlegung, ob ein sog. faktisches Baugebiet besteht und ob das Gebot der Rücksichtnahme dementsprechend an § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO festzumachen wäre, da sich die Parameter für die Prüfung – bei Heranziehung von Ziff. 4.4 der Freizeitlärm-RL – dadurch nicht ändern.
Gegenstand der Prüfung ist der auf den „Tekturantrag“ hin ergangene „Baugenehmigungs-Bescheid“, Az. 30/602 BV VI 20180171. Der vorliegend genehmigte Container oder Getränkekühlcontainer ohne Einhausung stellt ein aliud dar zum im Verfahren M 9 K 17.3051 streitgegenständlichen Getränkekühlcontainer mit Einhausung, was bereits – unabhängig davon, dass Tektur- und Änderungsgenehmigungen die ursprünglichen Grundgenehmigungen rechtlich ohnehin bestehen lassen (Simon/Busse, BayBO, Stand: 129. EL März 2018, BayBO Art. 68 Rn. 117) – aus der völlig unterschiedlich zu beurteilenden Immissionsbelastung folgt. Zugleich ist der Streitgegenstand wenigstens insofern abschließend und hinreichend bestimmt festgelegt, als dass die Bereiche B und C nicht Teil der Baugenehmigung sind. Davon zu unterscheiden ist – worauf die Klägerbevollmächtigten mehrfach hingewiesen wurden – die Frage, ob eine immissionsschutzrechtliche Bewertung diese Bereiche ausklammern könnte (siehe dazu sogleich).
Nach den beigezogenen Schallgutachten ist davon auszugehen, dass eine Erweiterung der Halle durch einen Getränkekühlcontainer ohne Einhausung im sog. Bereich A, der alleine streitgegenständlich ist, zu schädlichen Umwelteinwirkungen für die Klägerin führt, § 3 Abs. 1, Abs. 2 BImSchG.
Den Klägerbevollmächtigten ist darin zuzustimmen, dass das Bauvorhaben hinsichtlich der Immissionsbelastung nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit der Halle zu betrachten ist – hier sind auch die Emissionen der Bereiche B und C zu berücksichtigen. Der (Getränkekühl-) Container erweitert die Halle und ist nicht funktional unabhängig von ihr. Wenn das Landratsamt darauf abstellen will, dass der (Getränkekühl-) Container „ganzjährig für alle möglichen Zwecke“ und „nicht nur in Kombination mit der Mehrzweckhalle“ genutzt werden könne, so ergeben sich diese „möglichen Zwecke“ in keiner Weise aus den Genehmigungsunterlagen (siehe auch Ziff. 1) und entsprechen nicht dem Willen des Bauherren (vgl. den Schriftsatz vom 8. Oktober 2018); diese Sichtweise ist im Übrigen realitätsfern. Der Augenschein und die Aussagen in der mündlichen Verhandlung haben die Annahmen der Gutachten und die Stellungnahme des Beigeladenen bestätigt, dass der (Getränkekühl-) Container mit Kühlaggregaten versehen ist, zu Volksfestzeiten als Getränkekühlcontainer betrieben wird und „unter dem Jahr“, d.h. zu Zeiten, in denen kein Volksfest stattfindet, nur zur Lagerung der Einhausungselemente genutzt wird – womit der Container auch vollends „gefüllt“ ist -, die temporär zu Volksfestzeiten u.a. im sog. Bereich A zwischen Halle und Nebenlage angebracht werden. Letzteres entspricht so auch der im Verfahren M 9 K 17.3051 streitgegenständlichen Baugenehmigung. Selbst wenn man der Argumentation des Landratsamts folgen wollte, so kann die Nutzung zu Volksfestzeiten – als Getränkekühlcontainer, vgl. neben den Aussagen des Beigeladenen auch den Grundriss und im Übrigen explizit auch die Klageerwiderung vom 5. Oktober 2018 – nicht als untergeordnet betrachtet werden, da hier gerade die größten Belastungen für die Klägerin zu erwarten sind. Mit der Nutzung als Getränkekühlcontainer aber geht bereits denklogisch eine funktionelle Erweiterung der Halle – Vergrößerung des Ausschankbereichs – einher.
Zur Situation „Getränkekühlcontainer ohne Einhausung“ verhält sich, soweit ersichtlich, nur die Schalltechnische Untersuchung der Fa. abc. vom 30. Mai 2017, Bericht Nr. 1028_4, vom Bevollmächtigten des Beigeladenen vorgelegt als Anlage BG 4 (i.F.: Gutachten BG 4), was sich dadurch erklärt, dass die übrigen Gutachten bzw. Messberichte (fünf weitere Untersuchungen) davon ausgingen, dass der Bereich A eingehaust wird. Im Gutachten BG 4 wird für ein als „Istzustand“ bezeichnetes Szenario (S. 18 i.V.m. S. 28f.) rechnerisch festgestellt, dass bei einem freistehenden Getränkekühlcontainer, verbunden mit der Halle nur über eine kleine Dachfläche – d.h. ohne komplette Überdachung des „Spalts“ zwischen Halle und Container und ohne Seitenwände -, für die Beurteilungssituationen „Volksfest, Showkapelle ab 19 Uhr“ bzw. „Volksfest, Volksmusik“ nachts mit erheblichen Immissionsrichtwertüberschreitungen – 68 db(A) bzw. 73 dB(A) statt nach Freizeitlärm-RL erlaubten 55 dB(A) – zu rechnen ist. Wieso dieses Szenario als „Istzustand“ bezeichnet wird, ergibt sich aus der Bauvorlage, in der als Bestand ein etwas weiter südwestlich aufgestellter Container mit einem kleinen Vordach über dem Hallenrolltor dargestellt ist. Dass die Ergebnisse des Gutachtens BG 4 auf die jetzige Genehmigungslage übertragbar sind, folgt daraus, dass der (Getränkekühl-) Container nur um 2,40 m nach Nordwesten verschoben wird und das Vordach entfällt; an der Situierung des Rolltors (Hallenöffnung) ändert sich nichts. Wollte man dagegen vertreten, dass die Gutachteninhalte BG 4 zur Betriebsweise „Istzustand“ nicht übertragbar sind, so liegt überhaupt keine immissionsschutzrechtliche Bewertung für das Szenario „Getränkekühlcontainer ohne Einhausung“ vor.
Das Gericht ist bei alledem nicht gehalten, weitergehend „herauszusuchen“, welche Emissionen nun tatsächlich vom nicht eingehausten Bereich A ausgehen und welche von den Bereichen B und C. Eine selektive Betrachtung der Lärmemissionen scheidet aus, wenn insgesamt ein lärmrelevanter „Freizeitbereich“ gegeben ist (vgl. nur VGH BW, U.v. 26.6.2002 – 10 S 1559/01 – juris, bestätigt von BVerwG, B.v. 19.11.2002 – 7 B 137/02 – BeckRS 2003, 20110, dort so beurteilt selbst für mehrere unabhängige Gebäude: Jugendhaus, Stadthalle). Bei einer technischen Nebenanlage wie dem Getränkekühlcontainer macht eine gesonderte Bestimmung isoliert „seiner“ Emissionen – und daraus folgend: „seines“ Immissionsbeitrags – keinen Sinn.
Ergänzend ist anzumerken, dass auch angesichts der E-Mail vom 9. Mai 2018 (Bl. 28 d. BA) unter Geltung hiesiger Genehmigungslage klar beabsichtigt ist, die Kühlaggregate während der Volksfestzeiten weiter zu betreiben; der „juristische Winkelzug“, mit dem Letztere im Hinblick auf Brandschutzfragen ausgeklammert werden sollten, spielt für die Immissionsbewertung keine Rolle.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Gerichtskosten und außergerichtliche Kosten waren getrennt auszuweisen, da der Beklagte ansonsten teilweise außergerichtliche Kosten des Beigeladenen zu tragen gehabt hätte. Dass sich der Beigeladene billigerweise an der Kostentragung im Übrigen zu beteiligen hat, folgt daraus, dass er sich durch Antragstellung in ein Kostenrisiko begeben hat. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708ff. ZPO.