Aktenzeichen 9 NE 17.1222
WHG § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 55 Abs. 1
BayBO Art. 58
VwGO § 47 Abs. 6
BauGB § 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3, § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 3 S. 2, § 215 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Antragsbefugt im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO ist, wer sich auf einen abwägungserheblichen privaten Belang berufen kann. Dies ist gegeben, wenn ein Nachbar des Plangebiets geltend macht, bei Realisierung des Bebauungsplans sei eine Beeinträchtigung seines unmittelbar an das Plangebiet angrenzenden Grundstücks durch aus dem Plangebiet abfließendes Niederschlagswasser zu befürchten. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einer Planung muss eine Erschließungskonzeption zugrunde liegen, nach der das im Plangebiet anfallende Niederschlagswasser so beseitigt werden kann, dass Gesundheit und Eigentum der Planbetroffenen diesseits und jenseits der Plangrenzen keinen Schaden nehmen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Besteht Anlass, einem bestimmten bislang nicht ausreichend erforschten abwägungserheblichen Gesichtspunkt sachverständig nachzugehen, so ist eine ohne diese Aufklärung getroffene Abwägungsentscheidung unter dem Gesichtspunkt eines Ermittlungs- bzw. Bewertungsdefizits im Sinne von § 2 Abs. 3 BauGB fehlerhaft. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die textliche Festsetzung eines Bebauungsplans „Niederschlagswasser von den Dächern darf nicht in die Sammelkanalisation eingeleitet werden, sondern muss über Sickeranlagen dem Grundwasser zugeführt bzw. in Zisternen gesammelt und z.B. zur Gartenbewässerung genutzt werden“, ist nur insoweit durch § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB gedeckt, als sie eine Verpflichtung zur Versickerung des Niederschlagswassers enthält. Hinsichtlich der Verpflichtung zur Zwischenspeicherung des Niederschlagswassers in Zisternen zur Ermöglichung einer Brauchwassernutzung fehlt es mangels eines bodenrechtlichen Bezugs an einer Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 1 BauGB. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der am 17. Dezember 2015 bekannt gemachte Bebauungsplan „S. Weg-L.“ des Antragsgegners wird bis zur Entscheidung in der Hauptsache außer Vollzug gesetzt.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert des Antragsverfahrens wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den am 17. Dezember 2015 bekannt gemachten Bebauungsplan „S. Weg-L.“ des Antragsgegners.
Mit der Planung wird am nordöstlichen Ortsrand von R* … auf einem nach Süden und Südwesten geneigten, bislang landwirtschaftlich als Ackerfläche und Grünland genutzten Hang auf einer Fläche von etwa 4 ha ein allgemeines Wohngebiet festgesetzt, das mit Einzel- und Doppelhäusern bebaut werden kann. Daran angrenzend liegt unterhalb des neuen Baugebiets im Süden das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück FlNr. 2352/1 Gemarkung R. des Antragstellers.
Am 15. Dezember 2016 stellte die damalige Grundstückseigentümerin einen Normenkontrollantrag gegen diesen Bebauungsplan, über den noch nicht entschieden ist (Az. 9 N 16.2544). Nach Erwerb des Eigentums am Grundstücks FlNr. 2352/1 übernahm der Antragsteller den Normenkontrollantrag und stellte mit Schriftsatz vom 26. Juni 2017 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Der Antragsteller beruft sich auf eine Verletzung seines sich aus § 1 Abs. 7 BauGB ergebenden Rechts auf gerechte Abwägung. Angesichts der schlechten Versickerungsfähigkeit des Bodens im Plangebiet bestehe die Gefahr, dass infolge der fortschreitenden Versiegelung des Bodens durch Neubauten Regenwasser nicht mehr schnell genug versickern könne und sein an den räumlichen Geltungsbereich des Plangebiets unmittelbar angrenzendes Grundstück ungebremst erreiche. Die Entwässerungskonzeption des Bebauungsplans gewährleiste keine vollständige und schadlose Beseitigung des Niederschlagswassers. Der Antragsgegner habe entscheidende Informationen bezüglich der Bodensituation und des Entwässerungsbedarfs nicht eingeholt. Insbesondere habe er nicht ermittelt, ob eine breitflächige Versickerung vor Ort überhaupt möglich sei und in welcher Dimensionierung die geplanten Entwässerungsmaßnahmen erforderlich seien. Mangels dieser Ermittlungen leide der Bebauungsplan an beachtlichen Abwägungsfehlern. Angesichts der bevorstehenden Umsetzung des Bebauungsplans drohe die Schaffung irreversibler Tatsachen und – abhängig von der kaum kalkulierbaren Wettersituation – eine erhebliche Schädigung des Eigentums des Antragstellers.
Der Antragsteller beantragt,
den Bebauungsplan „S. Weg-L.“ des Antragsgegners vom 23. Oktober 2015 bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag im Verfahren 9 N 16.2544 vorläufig außer Vollzug zu setzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Bebauungsplan sei nicht abwägungsfehlerhaft. Der Antragsgegner habe alle für die Abwägung in Betracht kommenden Belange festgestellt und fehlerfrei abgewogen. Der Bebauungsplan regle hinreichend, dass die Entwässerung des Baugebiets im Trennsystem erfolgen solle und wie das Niederschlagswasser zu beseitigen sei. Die Schutzgüter des Eigentums und der gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse seien berücksichtigt worden. Abgesehen davon lägen keine dem Antragsteller drohenden schweren Nachteile oder andere entsprechende gewichtige Gründe vor, die es erfordern würden, den Bebauungsplan vorläufig außer Vollzug zu setzen. Nach dem Umweltbericht seien keine Rechtsverletzungen des Antragstellers durch bau- oder betriebsbedingten Abgang von Wasser und Erdschichten vom Hang des Baugebiets zu erwarten. Es bestehe keine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich die Situation vor Ort mit der Umsetzung des Bebauungsplans deutlich verschlechtern werde. Es drohe auch keine erhebliche Gefährdungssituation im Falle des nächsten Starkregenereignisses.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Akten des Hauptsacheverfahrens (Az. 9 N 16.2544) sowie der vorgelegten Planaufstellungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der Antrag gem. § 47 Abs. 6 VwGO hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) In der Hauptsache (Az. 9 N 16.2544) hat die damalige Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 2352/1 Gemarkung R. eine nach dem Eigentumserwerb vom Antragsteller übernommene Normenkontrollklage innerhalb der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gegen den Bebauungsplan erhoben, über die noch nicht entschieden wurde. Eine vorläufige Entscheidung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens ist daher noch möglich.
b) Der Antragsteller ist antragsbefugt.
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontroll(eil) verfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Für die Antragsbefugnis ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird (vgl. BVerwG, B.v. 2.3.2015 – 4 BN 30.14 – juris Rn. 3). An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es – wie hier – um das subjektive Recht auf gerechte Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) der Interessen eines Eigentümers geht, dessen Grundstück außerhalb des Bebauungsplangebiets liegt (vgl. BVerwG, B.v. 14.9.2015 – 4 BN 4.15. – juris Rn. 10). Auch insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen (vgl. BVerwG, B.v. 29.7.2013 – 4 BN 13.13 – juris Rn. 4; BVerwG, B.v. 2.3.2015 – 4 BN 30.14 – juris Rn. 3). Wer sich als nicht unmittelbar Betroffener gegen einen Bebauungsplan wendet, muss aufzeigen, dass sein aus dem Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB) folgendes Recht verletzt sein kann. Das setzt zunächst voraus, dass die Planung einen abwägungserheblichen Belang des Antragstellers berührt. Abwägungserheblich sind dabei nur private Belange, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben und schutzwürdig sind. An letzterem fehlt es bei geringwertigen oder mit einem Makel behafteten Interessen sowie bei solchen, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solchen, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (vgl. BVerwG, B.v. 30.11.2016 – 4 BN 16.16 – juris Rn. 7 m.w.N.). Berührt die Planung einen abwägungserheblichen Belang des Antragstellers, dann besteht abstrakt die Möglichkeit, dass die Gemeinde den Belang bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat. Die bloße Bezeichnung eigener Belange und die Behauptung, es liege eine Rechtsverletzung vor, reichen zur Darlegung aber nicht aus (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.1998 – 4 CN 2.98 – BVerwGE 107, 215/218 = juris Rn. 10).
Gemessen hieran ist der Antragsteller, dessen Grundstück außerhalb des überplanten Bereichs liegt, antragsbefugt. Mit dem insbesondere mit der Bodenbeschaffenheit und den topografischen Verhältnissen begründeten Vortrag, bei Realisierung des Bebauungsplans sei eine Beeinträchtigung seines unmittelbar an das Plangebiet angrenzenden Grundstücks durch aus dem Plangebiet abfließendes Niederschlagswasser zu befürchten, hat der Antragsteller einen abwägungserheblichen Belang vorgebracht und hinreichend substantiiert dargelegt, dass dieser Belang bei der Planung möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt worden ist.
2. Der Antrag ist auch begründet. Der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung ist aus einem wichtigen Grund dringend geboten.
Gemäß § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind, jedenfalls bei Bebauungsplänen, zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen Normenkontrollantrages, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn dessen (weiterer) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – juris Rn. 12; B.v. 16.9.2015 – 4 VR 2.15 u.a. – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 8.9.2017 – 9 NE 17.1392 – juris Rn. 23 m.w.N.). Von diesen Maßstäben ausgehend hat der Antrag Erfolg.
a) Bedenken gegen die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags im Hauptsacheverfahren bestehen nicht (vgl. auch vorstehend Nr. 1).
b) Der Antrag im Hauptsacheverfahren hat voraussichtlich Erfolg.
aa) Es ist bereits zweifelhaft, ob der Bebauungsplan ordnungsgemäß ausgefertigt worden ist. Bebauungspläne sind Satzungen (§ 10 Abs. 1 BauGB) und als solche nach Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO auszufertigen, bevor sie gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB in Kraft gesetzt werden. Dies gebietet das in Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 3 Abs. 1 BV verfassungsrechtlich verankerte Rechtsstaatsprinzip (vgl. BayVGH, U.v. 1.7.2014 – 15 N 12.333 – juris Rn. 26 m.w.N.). Hier ist der Bebauungsplan ausweislich der Verfahrensvermerke auf der Originalurkunde am 17. Dezember 2015 sowohl ausgefertigt als auch bekanntgemacht worden. In welcher Reihenfolge dies erfolgt ist, kann weder dieser Urkunde noch den Planaufstellungsakten eindeutig entnommen werden. Ob der Bebauungsplan vor der Bekanntmachung ausgefertigt worden ist, kann daher gegenwärtig nicht beurteilt werden und bedarf weiterer Aufklärung im Hauptsacheverfahren.
bb) Der Bebauungsplan dürfte jedenfalls an einem beachtlichen Ermittlungs- und Bewertungsdefizit (§ 2 Abs. 3 BauGB) oder Abwägungsfehler (§ 1 Abs. 7 BauGB) leiden, weil die sich im Plangebiet stellende Problematik der Beseitigung des dort anfallenden Niederschlagswassers nicht hinreichend bewältigt wurde.
Die Abwasserbeseitigung und damit auch die Beseitigung des Niederschlagswassers gehören zu den Belangen, die nach Lage der Dinge regelmäßig in die nach § 1 Abs. 7 BauGB gebotene Abwägung einzustellen sind (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 1, Nr. 7 Buchst. e BauGB). Abwasser, zu dem auch das Niederschlagswasser gehört (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG), ist so zu beseitigen, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird (§ 55 Abs. 1 WHG). Der Planung muss daher eine Erschließungskonzeption zugrunde liegen, nach der das im Plangebiet anfallende Niederschlagswasser so beseitigt werden kann, dass Gesundheit und Eigentum der planbetroffenen diesseits und jenseits der Plangrenzen keinen Schaden nehmen. Überschwemmungen und Wasserschäden als Folge der Planverwirklichung müssen die Nachbarn des Plangebiets ebenso wenig hinnehmen, die die Bewohner des Plangebiets selbst (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2002 – 4 CN 14.00 – juris Rn. 15).
Ob und gegebenenfalls welche rechtlichen Mittel die Gemeinde zur Beseitigung des im Plangebiet anfallenden Niederschlagswassers einzusetzen hat, hängt von den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall, insbesondere von den abwasserwirtschaftlichen und abwassertechnischen Erfordernissen sowie von den topografischen Gegebenheiten ab. Bei Erlass des Satzungsbeschlusses muss die Gemeinde aber davon ausgehen können, dass das für das Baugebiet notwendige Entwässerungssystem in dem Zeitpunkt tatsächlich vorhanden und funktionstüchtig sein wird, in dem die nach dem Plan zulässigen baulichen Anlagen fertiggestellt und nutzungsreif sein werden (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2002 a.a.O. – juris Rn. 16; BVerwG, B.v. 16.12.2014 – 4 BN 25/14 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 10.5.2016 – 9 N 14.2674 – juris Rn. 37).
(1) Es bestehen bereits Unklarheiten, welches konkrete Konzept zur Beseitigung des im Plangebiet anfallenden Niederschlagswassers dem streitgegenständlichen Bebauungsplan zugrunde liegt.
Nach der Begründung des Bebauungsplans soll die Entwässerung des Baugebiets – abgesehen von den beiden Grundstücken südlich des Wendehammers von Straße E – im Trennsystem erfolgen. Im Sinn einer Regenwasserbewirtschaftung soll das Niederschlagswasser nicht in die geplante Kanalisation eingeleitet werden dürfen, sondern über Sickeranlagen dem Grundwasser zugeführt bzw. in Zisternen gesammelt und z.B. zur Gartenbewässerung genutzt werden. Falls eine private Drainageleitung verlegt wird, soll diese nur in den geplanten Regenwasserkanal, der einem Regenwasserrückhaltebecken zugeführt werden soll, eingeleitet werden dürfen.
Zur Umsetzung dieses Entwässerungskonzepts enthält der Bebauungsplan folgende textliche Festsetzungen:
„Niederschlagswasser von den Dächern darf nicht in die Sammelkanalisation eingeleitet werden, sondern muss über Sickeranlagen dem Grundwasser zugeführt bzw. in Zisternen gesammelt und z.B. zur Gartenbewässerung genutzt werden.
Die Versickerung sollte generell breitflächig und soweit es die Untergrundverhältnisse zulassen, über Vegetationsflächen erfolgen, um die nachgewiesene Reinigungswirkung der aktiven Bodenzone auszunutzen.
Wenn das Niederschlagswasser versickert werden soll, ist vom Grundstückseigentümer ein Fachbüro mit dem Nachweis zu beauftragen, dass durch die Versickerung eine Beeinträchtigung der unterhalb liegenden, vorhandenen Gebäude nicht stattfindet.
Falls eine private Drainageleitung verlegt wird, darf diese nur in den geplanten Regenwasserkanal eingeleitet werden. Das Einleiten von Hang- und Schichtenwasser in den Schmutzwasserkanal ist verboten.
Park- und Stellplätze, Grundstückszufahrten sowie Fußgängerwege sind wasserdurchlässig zu gestalten (z.B. humus- oder rasenverfugtes Pflaster).“
Mit diesen Festsetzungen wird zwar nicht in Frage gestellt, dass die Entwässerung des Plangebiets im Trennsystem erfolgen soll. Wie der Antragsteller allerdings zu Recht vorbringt, ist damit aber nicht absehbar, welche Menge an Niederschlagswasser aus dem Plangebiet letztlich über den geplanten Regenwasserkanal abgeleitet werden wird. Nach der Begründung des Bebauungsplans dürfte es zwar den planerischen Vorstellungen des Antragsgegners entsprechen, dass das Niederschlagswasser von den Dächern überwiegend nicht über den geplanten Regenwasserkanal abfließen, sondern versickert oder in Zisternen zur Brauchwassernutzung gesammelt werden soll. Allerdings hat bereits der Marktgemeinderat des Antragsgegners bei seiner Abwägung im Rahmen der Beschlussfassung über den Bebauungsplan insoweit einschränkend darauf abgestellt, dass eine vollständige Versickerung des Regenwassers nicht erwartet wird und der Überlauf der Zisternen an den Regenwasserkanal angeschlossen werden kann (vgl. TOP 3 der Sitzung des Marktgemeinderats vom 23.10.2014 i.V.m. Nr. 11 der Abwägungsempfehlung des Büros r. … vom 23.10.2014). Unabhängig davon wird neben der Versickerung aber auch – ohne Einschränkungen – die Verlegung von privaten Drainageleitungen nicht ausgeschlossen, die nur in den geplanten Regenwasserkanal eingeleitet werden dürfen. Es bleibt jedoch unklar, in welchem Verhältnis zueinander diese in den textlichen Festsetzungen aufgezählten drei Möglichkeiten zur Niederschlagswasserbeseitigung stehen. Ein Vorrangverhältnis zwischen den Festsetzungen ist nicht ersichtlich. Eine bauplanerische Festsetzung von Maßnahmen zur Regenwasserversickerung löst auch keine unmittelbare Verpflichtung der Grundstückseigentümer aus, solche Maßnahmen durchzuführen (vgl. BVerwG, U.v. 30.8.2001 – 4 CN 9/00 – juris Rn. 25).
(2) Es erscheint zudem zweifelhaft, ob die vom Antragsgegner vorgesehene Lösung der Niederschlagswasserproblematik auf hinreichend abgesicherten Annahmen und Ermittlungen beruht. Insbesondere lässt sich den Planaufstellungsakten nicht ohne weiteres entnehmen, auf welche sachverständigen Vorarbeiten sich der Antragsgegner gestützt hat.
Soweit der Antragsgegner vorträgt, bezüglich der Entwässerungskonzeption seien sowohl Baugrundgutachten als auch eine tiefbauliche Erschließung mit Berechnungs- und Planunterlagen erstellt worden, sind diese in den Planaufstellungsakten nicht enthalten. In der Abwägungsempfehlung des Büros r. … vom 23. Oktober 2014, der vom Marktgemeinderat des Antragsgegners im Rahmen der Beschlussfassung über den Bebauungsplan gefolgt wurde, findet sich lediglich zur Frage der Entwässerung des Außeneinzugsgebiets des Bebauungsplans ein Hinweis auf eine Prüfung durch das tiefbautechnische Büro K. (vgl. Nr. 29 zur Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamts und Nr. 6 zur Stellungnahme von Herrn W.). Auch der Aktennotiz dieses Büros vom 11. März 2014 zur tiefbaulichen Erschließung des Baugebiets „S. Weg-L.“ lässt sich bezüglich der Kanalisation nur entnehmen, dass für ein Regenrückhaltebecken für das geplante Baugebiet die Variante 1 (Installation auf den Grundstücken FlNr. 2190 und 2191 Gemarkung R.) aus wirtschaftlichen Gründen weiter verfolgt werden soll (Nr. 1.2) und geplant ist, einen Regenwasserkanal für einen dreijährigen Berechnungsregen auszulegen (Nr. 1.7). Die dort weiter genannten Kanalberechnungen unter Berücksichtigung eines fünfjährigen Berechnungsregens sind in den Planaufstellungsakten nicht enthalten.
Wie sich den Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamts vom 24. Januar 2013 und 14. Januar 2014 entnehmen lässt, hat das Wasserwirtschaftsamt zwar keine Einwendungen gegen die geplante Abwasserbeseitigung erhoben, ist jedoch davon ausgegangen, dass die Entwässerung des Baugebiets weitgehend im Mischsystem vorgesehen ist. Zur vorgesehenen dezentralen Regenwasserbewirtschaftung hat es lediglich auf die grundsätzliche Notwendigkeit der Beachtung der einschlägigen DWA-Merkblätter und der Niederschlagswasserfreistellungsverordnung (NWFreiV) verwiesen. Soweit der Antragsgegner schließlich bezüglich der Regenwasserbewirtschaftung auf den – dem Senat nicht vorliegenden – Erläuterungsbericht von Dezember 2016 des tiefbautechnischen Büros K. GmbH verweist, kann dieser einen Ermittlungsfehler nach § 2 Abs. 3 BauGB bereits deswegen nicht beseitigen, weil für die Abwägung nach § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Satzung, die hier bereits am 23. Oktober 2014 erfolgt ist, maßgebend ist.
Es ist deshalb nicht ohne weiteres nachvollziehbar, aus welchen Gründen von einer ausreichenden Versickerungsfähigkeit des Bodens ausgegangen wurde, obwohl der im Plangebiet vorhandene Lehm- oder Tonboden nach dem Umweltbericht des Büros F. GbR vom 29. Juli 2014 schlechte Drainageeigenschaften aufweist und zur Staunässe neigt (Nr. 5.2) und dort nur als mäßig bis mittel wasserdurchlässig bewertet wurde (Nr. 5.3). Unklar bleibt auch, ob diese bestehenden Zweifel an einer ausreichenden Versickerungsfähigkeit auch bei der Dimensionierung des im Plangebiet geplanten Regenwasserkanals berücksichtigt wurden. Dies gilt umso mehr, als der Marktgemeinderat des Antragsgegners bei seiner Abwägung – wie schon oben ausgeführt wurde – darauf abgestellt hat, dass jedes Grundstück im Plangebiet einen Anschluss an den Regenwasserkanal enthält und eine vollständige Versickerung des Regenwassers nicht erwartet wird (vgl. Nr. 11 der Abwägungsempfehlung des Büros r.… … vom 23. Oktober 2014).
Besteht – wie hier – Anlass, einem bestimmten, in seiner Tragweite bislang nicht ausreichend erforschten abwägungserheblichen Gesichtspunkt sachverständig nachzugehen, so ist eine ohne diese Aufklärung getroffene Abwägungsentscheidung unter dem Gesichtspunkt eines Ermittlungsbzw. Bewertungsdefizits im Sinn von § 2 Abs. 3 BauGB fehlerhaft. Das gilt auch für die Ableitung von Niederschlagswasser (vgl. BayVGH, U.v. 14.12.2016 – 15 N 15.1201 – juris Rn. 58). Wie sich den Schreiben des Antragstellers vom 5. Februar 2014 und vom 1. November 2014 an den Antragsgegner entnehmen lässt, wurde dieser womöglich problematische Gesichtspunkt während des Planaufstellungsverfahrens von ihm hinreichend deutlich vorgebracht.
(3) Das der Planung zugrundeliegende Entwässerungssystem kann in seiner Gesamtheit auch nicht im Einklang mit den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans umgesetzt werden, weil nicht alle diesbezüglichen Festsetzungen durch eine der in § 9 Abs. 1 BauGB abschließend aufgeführten Festsetzungsmöglichkeiten gedeckt sind. Die textliche Festsetzung des streitgegenständlichen Plans „Niederschlagswasser von den Dächern darf nicht in die Sammelkanalisation eingeleitet werden, sondern muss über Sickeranlagen dem Grundwasser zugeführt bzw. in Zisternen gesammelt und z.B. zur Gartenbewässerung genutzt werden“, ist nur insoweit durch § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB gedeckt, als sie eine Verpflichtung zur Versickerung des Niederschlagswassers enthält. Demgegenüber fehlt es hinsichtlich der Verpflichtung zur Zwischenspeicherung des Niederschlagswassers in Zisternen zur Ermöglichung einer Brauchwassernutzung (z.B. zur Gartenbewässerung) mangels eines bodenrechtlichen Bezugs an einer Rechtsgrundlage in § 9 Abs. 1 BauGB (vgl. BVerwG, U.v. 30.8.2001 – 4 CN 9/00 – juris Rn. 13 und 19; BayVGH, U.v. 20.11.2007 – 25 N 06.3273 – juris Rn. 16).
(4) Im Hinblick auf diese Vielzahl von Unklarheiten konnte der Antragsgegner bei Erlass des Satzungsbeschlusses auch nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass das für das Plangebiet notwendige Entwässerungssystem in dem Zeitpunkt tatsächlich vorhanden und funktionstüchtig sein wird, in dem die nach dem Plan zulässigen baulichen Anlagen fertiggestellt und nutzungsreif sein werden. Zwar wird ein spezieller Festsetzungsbedarf in aller Regel nicht bestehen, wenn die (vorhandene oder) vorgesehene Regenwasserkanalisation so dimensioniert ist, dass sie das aus dem Plangebiet ablaufende Regenwasser gefahrlos abführen kann. Reicht die Kapazität des Kanalsystems hierzu nicht aus, kann eine ausreichende Erschließung gesichert sein, wenn die Gemeinde als Trägerin der Erschließungslast (§ 123 Abs. 1 BauGB) vor Erlass der Satzung den Beschluss fasst, das Kanalsystem in dem erforderlichen Umfang auszubauen oder die sonstigen zuständigen Erschließungsträger erklärt haben, dass sie die notwendigen Maßnahmen rechtzeitig durchführen werden (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2002 – 4 CN 14/00 – juris Rn. 16). Hierfür ist aus den Planaufstellungsakten nichts ersichtlich.
(5) Diese vom Antragsteller rechtzeitig gerügten Abwägungsfehler (§ 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB) sind gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 214 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB beachtlich, denn sie sind nach den Planunterlagen offensichtlich und auf das Ergebnis von Einfluss gewesen. Es besteht auch die konkrete Möglichkeit, dass ohne den Mangel die Planung anders ausgefallen wäre (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 4 CN 1.11 – Rn. 16). Dies liegt bei einem unvollständigen Entwässerungskonzept auf der Hand (vgl. BayVGH, U.v. 10.5.2016 – 9 N 14.2674 – juris Rn. 41).
Die Abwägungsfehler haben die Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge, da das Entwässerungskonzept das gesamte Plangebiet betrifft.
c) Nachdem der Normenkontrollantrag im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach zulässig und begründet ist, spricht bereits indiziell überwiegendes dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.2017 – 9 NE 17.1392 – juris Rn. 39 m.w.N.).
Im Übrigen ist angesichts der schon gestellten und noch zu erwartenden Bauanträge für das Plangebiet zu befürchten, dass zahlreiche durch den Plan zugelassene Vorhaben in Kürze im Freistellungsverfahren nach Art. 58 BayBO errichtet werden und dadurch die Gefahr besteht, dass irreversible bzw. nur schwer korrigierbare Fakten in Bezug auf die Entwässerung des Baugebiets geschaffen werden, die planbedingte Schäden durch abfließendes Niederschlagswasser am Anwesen des Antragstellers zur Folge haben könnten, ohne dass der Antragsteller hiergegen in zumutbarer Weise im bauaufsichtlichen Verfahren vorgehen kann. Der weitere Vollzug des Bebauungsplans lässt somit Nachteile befürchten, die auch unter Berücksichtigung der Interessen u.a. der bauwilligen Planbegünstigten so gewichtig sind, dass die vorläufige Außervollzugsetzung des Bebauungsplans „S. Weg-L.“ des Antragsgegners nach Auffassung des Senats unaufschiebbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 8 GKG i.V.m. Nr. 9.8.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVWZ-Beilage 2013, 57).
Entsprechend § 47 Abs. 5 Satz 2 HS 2 VwGO ist die Nr. I der Entscheidungsformel allgemein verbindlich und muss vom Antragsgegner in derselben Weise veröffentlicht werden wie der angegriffene Bebauungsplan.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).