Aktenzeichen 15 ZB 17.56
Leitsatz
Eine auf Höhe des ersten Stocks errichtete Balkonanlage (6 m²) mit einer Breite von 3 m und einer Tiefe von 2 m, die bis auf 0,80 m an die Grundstücksgrenze heranreicht, ist kein untergeordneter Vorbau mehr und darf bei der Bemessung der Abstandsflächen nicht außer Betracht bleiben. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 5 K 16.850 2016-11-17 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen eine von der Beklagten erlassene Beseitigungsanordnung hinsichtlich einer Balkonanlage (Bescheid vom 21.4.2016).
Das Verwaltungsgericht Augsburg hat die auf Aufhebung des Bescheids vom 21. April 2016 gerichtete Klage mit Urteil vom 17. November 2016 abgewiesen. Die Balkonanlage sei formell und materiell illegal. Sie verstoße gegen das Abstandsflächenrecht (Art. 6 BayBO) und gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme in Bezug auf den östlich angrenzenden Nachbarn. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung macht die Klägerin im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens geltend, an der Richtigkeit des Urteils bestünden ernstliche Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Rechtssache weise außerdem besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf und habe grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO). Die Balkonanlage sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts genehmigungsfähig, weil sie weder gegen Abstandsflächenrecht noch gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstoße. Die Fensteröffnungen des Nachbargebäudes seien durch die vorhandene Bebauung bereits vollständig verschattet. Auch handele es sich nicht um „notwendige“ Fenster, weil sich dahinter keine Aufenthaltsräume, sondern lediglich Bad und Toilette befänden. Zudem seien die Fenster in „Milchglas“ ausgeführt „bzw. mit undurchsichtiger Folie beklebt“. Ferner sei die Balkonbrüstung in „satiniertem Glas“ ausgeführt. Eine ausreichende Belichtung des Nachbargebäudes sei damit gewährleistet. Ebenso sei eine ausreichende Belüftung gegeben, weil der Balkon von den Fenstern des Nachbargebäudes noch etwa 80 cm entfernt sei und sich diese vollständig öffnen ließen. Im Übrigen seien die Fensteröffnungen im Nachbargebäude baurechtlich ohnehin nicht zulässig, weil die an der Grenze gebaute Wand des Nachbargebäudes als Brandwand (ohne Öffnungen) auszuführen sei. Der Bescheid der Beklagten leide außerdem an einem Ermessensfehler, weil die Beklagte die Belange des Nachbarn „überbewertet“ und die Belange des Klägers sowie die öffentlichen Belange nach Modernisierung und sinnvoller Nutzung des bestehenden Wohnraums „unterbewertet“ habe. Der Nachbar habe durch den Bau seines Gebäudes an die Nachbargrenze hingegen seinen „Anspruch auf sozialen Abstand weitestgehend aufgegeben“. Mit der Balkonanlage sei schließlich die ohnehin vorhandene Einsichtsmöglichkeit in die gegenüberliegenden Fenster eher verringert worden, weil es nunmehr notwendig sei, sich über die Balkonbrüstung zu beugen, um Einsicht nehmen zu können. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin vom 3. Februar 2017 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. An der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Beseitigungsanordnung (Art. 76 Satz 1 BayBO) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die ohne Baugenehmigung errichtete streitgegenständliche Balkonanlage ist nicht genehmigungsfähig, weil sie gegen das bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht und auch gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Der Senat folgt den ausführlichen Gründen des angefochtenen Urteils und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin im Zulassungsverfahren zu bemerken:
Die nähere Umgebung des Baugrundstücks (Teil der Altstadt) ist durch jeweils an die Grundstücksgrenze errichtete Wohngebäude geprägt. Dies gilt für das Nachbargebäude ebenso, während das klägerische Wohngebäude nur teilweise (entlang eines Durchgangs) unmittelbar an das Nachbargebäude angrenzt und im weiteren Gebäudeverlauf von der Grundstücksgrenze etwa 2,80 m Abstand hält. Die auf Höhe des ersten Stocks errichtete Balkonanlage (6 m²) mit einer Breite von 3 m und einer Tiefe von 2 m reicht somit bis auf 0,80 m an die Grundstücksgrenze und die dort auf gleicher Höhe vorhandenen Fenster des Nachbargebäudes heran. Mit diesen Ausmaßen ist der Balkon – zwischen den Parteien unstreitig – kein untergeordneter Vorbau mehr und darf bei der Bemessung der Abstandsflächen nicht außer Betracht bleiben (Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO).
Der Balkon verringert – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt – den Abstand zwischen dem klägerischen Wohngebäude und dem Nachbargebäude, welcher dem geltenden Abstandsflächenrecht und damit dem Willen des Gesetzgebers nach ausreichender Belichtung und Belüftung der Gebäude bereits (seit langer Zeit) nicht entspricht, nochmals zulasten des Nachbargebäudes deutlich. Dabei ist es für die gerichtliche Entscheidung der mangelnden Genehmigungsfähigkeit der baulichen Anlage unerheblich, ob die Fensteröffnungen des Nachbargebäudes durch die vorhandene Bebauung bereits „vollständig verschattet“ sind, es sich hierbei um „notwendige Fenster“ handelt oder diese in „Milchglas“ ausgeführt „bzw. mit undurchsichtiger Folie beklebt“ sind oder sich die Fenster trotz der bis auf 80 cm heranrückenden Balkonanlage (mit einer Ausführung in „satiniertem Glas“) noch öffnen lassen. Denn für das Nachbargebäude ist eine weitere Verringerung der Abstandsfläche zum klägerischen Gebäude und damit ein noch weitergehendes Abweichen von den geltenden Abstandsflächenvorschriften mit der daraus resultierenden Verschlechterung der Wohnsituation (Belichtung und Belüftung) ausschließlich zu ihren Lasten nicht zumutbar. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Einwand der Klägerin, die Fensteröffnungen im Nachbargebäude seien baurechtlich nicht zulässig. Denn für die Beurteilung der Balkonanlage ist auf die im Altstadtbereich bestehende tatsächliche bauliche Situation abzustellen, die nicht nur in Bezug auf das Nachbargebäude, sondern gerade auch in Bezug auf das klägerische Gebäude von aktuell geltenden baurechtlichen Vorschriften (seit langer Zeit) abweicht.
Nicht begründet ist ferner der Einwand der Klägerin, der Bescheid der Beklagten leide an einem Ermessensfehler. Die Beklagte hat bei ihrer Ermessensentscheidung weder die Belange des Nachbarn „überbewertet“ noch die Belange des Klägers oder öffentliche Belange „unterbewertet“. Verfehlt ist auch der Einwand, der Nachbar habe durch den – im Übrigen der Umgebungsbebauung entsprechenden – Bau seines Gebäudes an die Nachbargrenze seinen „Anspruch auf sozialen Abstand weitestgehend aufgegeben“. Denn auch baulicher Altbestand hat im Hinblick auf neu zu errichtende bauliche Anlagen Anspruch auf Einhaltung der geltenden baurechtlichen Vorschriften. Schließlich vermag der Senat auch dem Einwand nicht zu folgen, dass sich die Errichtung der Balkonanlage deshalb positiv auswirke, weil es nunmehr notwendig sei, sich über die Balkonbrüstung zu beugen, um Einsicht in die Fenster des Nachbargebäudes nehmen zu können.
2. Die Rechtssache weist nach alledem weder besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf noch hat sie grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 3 und § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
4. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).