Baurecht

Erforderliche Abstandsfläche einer Balkonerweiterung

Aktenzeichen  M 1 K 15.5513

Datum:
18.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 6 Abs. 1, Abs. 6, Abs. 8, Art. 76 S. 1

 

Leitsatz

Ein Balkon kann das 16 m-Privileg des Art. 6 Abs. 6 S. 1 Hs. 1 BayBO in Anspruch nehmen, wenn die gesamte Hausfassade weniger als 16 m breit ist (vgl. Art. 6 Abs. 6 S. 3 BayBO). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist entgegen dem allein gestellten Verpflichtungsantrag auszulegen als Versagungsgegenklage (§ 88 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO), weil eine ablehnende und aufzuhebende Entscheidung des Landratsamts in dessen Schreiben vom 9. November 2015 zu sehen ist.
Die so ausgelegte Klage hat keinen Erfolg, und zwar weder im Haupt- noch im Hilfsantrag.
1. Die Klage ist zwar zulässig, insbesondere von einem Rechtschutzbedürfnis getragen.
Dem Rechtschutzbedürfnis steht nicht entgegen, dass der Kläger die Baugenehmigung vom 6. August 2015 nicht angefochten hat. Einer Nachbarklage gegen die Baugenehmigung wegen Verletzung abstandsflächenrechtlicher Vorschriften wäre entgegen gehalten worden, dass diese – wenn wie hier eine Abweichung nicht beantragt wurde – im vereinfachten Verfahren nicht geprüft werden (BayVGH, B. v. 19.5.2014 – 9 CS 13.2432 – juris Rn. 12). Die Legalisierungswirkung der Baugenehmigung geht nur so weit wie die inhaltliche Prüfung, so dass die Erteilung einer Baugenehmigung mit reduziertem Prüfprogramm nicht zum Wegfall des Rechtschutzbedürfnisses für eine Klage auf bauaufsichtliches Einschreiten wegen Verstoßes gegen nicht im Prüfprogramm enthaltene Vorschriften führen kann (ebenso VG München, U. v. 19.6.2015 – M 1 K 15.401 – juris Rn. 25; VG Augsburg, U. v. 8.10.2014 – Au 4 K 14.615 – juris Rn. 30). Im Übrigen trägt der Kläger vor, die Balkonerweiterung gehe über den Umfang der Genehmigung hinaus.
2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten noch auf nochmalige Entscheidung über seinen Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Sach- und Rechtslage bei der vorliegenden Verpflichtungs- bzw. Verbescheidungsklage ist dabei grundsätzlich der der mündlichen Verhandlung.
2.1. Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten kann sich aus Art. 76 Satz 1 BayBO ergeben. Nach dieser Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Ein Anspruch des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten erfordert dabei zum einen, dass er durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt ist, zum anderen, dass das Ermessen des Beklagten auf Null reduziert ist. Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, hat der Kläger lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (BayVGH, B. v. 4.7.2011 – 15 ZB 09.1237 – juris Rn. 11).
Im vorliegenden Fall scheitert ein Anspruch des Klägers daran, dass die Balkonerweiterung keine berücksichtigungsfähigen drittschützenden Vorschriften zu seinen Lasten verletzt (2.2.), jedenfalls aber daran, dass eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vorliegt und das Landratsamt sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat (2.3.).
2.2. Die streitgegenständliche Balkonerweiterung verstößt nicht gegen abstandsflächenrechtliche Vorschriften.
Der Balkon löst eine Abstandsflächenpflicht aus, weil von ihm Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO). Die Abstandsflächenpflicht entfällt auch nicht nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO; selbst wenn der einschlägige Bebauungsplan die Bebauung mit Doppelhäusern zulässt und damit nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden darf (str., vgl. Dhom in Simon/Busse, BayBO, Stand Sept. 2015, Art. 6 Rn. 45), betrifft diese Festsetzung ohne entsprechende Ausführungen im Bebauungsplan oder seiner Begründung nicht auch untergeordnete Vorbauten. Der Balkon bleibt auch nicht nach Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO bei der Bemessung der Abstandsflächen außer Betracht, weil die dort genannten Maße überschritten werden. Die Tiefe der Abstandsfläche beträgt nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO daher grundsätzlich 1 H, was hier dem Abstand zwischen der natürlichen Geländeoberfläche und der Oberkante des Balkongeländers und damit 3,6 m entspricht. Der Balkon kann jedoch das 16 m-Privileg des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 1 BayBO in Anspruch nehmen, so dass sich die einzuhaltende Abstandsfläche auf den Mindestabstand von 3 m reduziert. Das 16 m-Privileg gilt, weil die gesamte Südfassade der beiden Doppelhäuser weniger als 16 m breit ist (vgl. Art. 6 Abs. 6 Satz 3 BayBO; Dhom in Simon/Busse, a. a. O., Art. 6 BayBO Rn. 358). Diese Abstandsfläche kann aber auf dem Grundstück der Beigeladenen eingehalten werden. Klappt man die östliche, zur natürlichen Geländeoberfläche verlängerte Abschrägung im 90-Grad-Winkel um, kommt die Fläche auf dem Grundstück der Beigeladenen zu liegen. Dies würde selbst dann noch gelten, wenn man eine Abstandsfläche von 1 H und 3,6 m zugrunde legen würde, was sich aus der Bleistiftzeichnung auf dem Abstandsflächenplan ergibt (Behördenakte a.E).
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung ergänzend vorträgt, der Balkon sei auf der ihm zugewandten Seite nunmehr tatsächlich in einer Tiefe von 1,17 m ausgeführt worden, ist eine Änderung der Betondecke auf den vorgelegten Fotos nicht erkennbar. Unabhängig davon hält der Balkon der Beigeladenen – ebenso wie der des Klägers – schon bisher die Abstandsflächen zum jeweiligen Nachbarn nicht ein, was durch eine Erhöhung der Balkontiefe von 1 m auf 1,17 m verschlimmert würde.
2.3. Jedenfalls liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor.
Eine Ermessensreduzierung auf Null und damit ein Rechtsanspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten ist nur dann gegeben, wenn zusätzlich zum Verstoß gegen eine drittschützende Vorschrift eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für wesentliche Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit oder Eigentum besteht und die Abwägung der Beeinträchtigung des Nachbarn mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Überwiegen der Interessen des Nachbarn ergibt (BayVGH, B. v. 20.4.2010 – 9 ZB 08.319 – juris Rn. 3).
Selbst wenn man von einer rechnerischen Verletzung der Abstandsflächenvorschriften ausgehen oder eine solche im Hinblick auf die Erweiterung des Balkons im dem Kläger zugewandten Teil in Betracht ziehen würde, ist eine Ermessensreduzierung auf Null nach den dargestellten Maßstäben zu verneinen. Das Doppelhaus des Klägers verfügt selbst über eine umfangreiche Balkonanlage, die ihrerseits die Abstandsflächen zu den Beigeladenen nicht einhält. Ferner erfolgt die Balkonerweiterung in 3 m Entfernung zum klägerischen Grundstück, so dass ausreichend Rücksicht auf die klägerischen Belange genommen wurde und eine nennenswerte Beeinträchtigung nicht erkennbar ist. Im Übrigen ist es dem Kläger möglich und zumutbar, Beeinträchtigungen nach § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machen (BayVGH, B. v. 25.9.2013 – 14 ZB 12.2003 – juris Rn. 20).
Dem damit nur bestehenden Anspruch des Klägers auf fehlerfreie Ermessensausübung ist das Landratsamt nachgekommen, indem es den Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten abschlägig verbeschieden hat.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladenen einen eigenen Antrag gestellt haben, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhalten (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 7.500,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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