Aktenzeichen 1 N 16.2190
Leitsatz
Nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ist im Bebauungsplan bei Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung stets die Grundflächenzahl oder die Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen festzusetzen. Fehlt eine solche Festsetzung, führt dies zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplanes. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Erweiterung des Bebauungsplans Nr. 3 „O …“ – Erweiterungsbereich „O …-Süd“ -, bekanntgemacht am 7. Oktober 2016, ist unwirksam.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
Die Erweiterung des Bebauungsplans Nr. 3 „O …“ – Erweiterungsbereich „O … Süd“ – ist unwirksam. Zwar fehlt dem Bebauungsplan nicht die städtebauliche Erforderlichkeit. Er ist aber wegen einer fehlerhaften Festsetzung zum Maß der Nutzung insgesamt unwirksam. Auf die gerügten Ermittlungs- und Abwägungsfehler kommt es daher nicht mehr entscheidungserheblich an.
1. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird. An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es – wie vorliegend – um das Recht auf gerechte Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) eines Eigentümers geht, dessen Grundstück außerhalb des Bebauungsplangebiets liegt. Insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die die fehlerhafte Behandlung eines abwägungserheblichen privaten Belangs als möglich erscheinen lassen. Die Antragsbefugnis ist jedoch dann nicht gegeben, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet. Die Prüfung, ob das der Fall ist, ist allerdings nicht unter Auswertung des gesamten Prozessstoffes vorzunehmen, und sie darf nicht in einem Umfang und einer Intensität erfolgen, die einer Begründetheitsprüfung gleichkommt (vgl. BVerwG, B.v. 12.12.2018 – 4 BN 22.18 – ZfBR 2019, 272; B.v. 10.2.2016 – 4 BN 37.15 – ZfBR 2016, 376; B.v. 11.11.2015 – 4 BN 39.15 – ZfBR 2016, 156; B.v. 8.6.2011 – 4 BN 42.10 – BauR 2011, 1641).
Die Antragsteller haben substantiiert Tatsachen vorgetragen, die es als möglich erscheinen lassen, dass das Interesse der Antragsteller, vor einschränkenden Anforderungen an ihre Betriebsführung zum Schutz der ausgewiesenen Wohnbebauung verschont zu bleiben (vgl. BVerwG, B.v. 2.12.2013 – 4 BN 44.13 – ZfBR 2014, 377), im Hinblick auf das östliche Grundstück (Teilfläche von FlNr. …) fehlerhaft abgewogen wurde. Ob das Immissionsschutzgutachten eine künftige Erweiterung des landwirtschaftlichen Betriebes aufgrund der Angaben der Antragsteller zu großzügig angesetzt hat oder die Berechnungsgrundlagen des Gutachtens zutreffend sind, ist nicht bei der Antragsbefugnis zu prüfen.
2. Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung erforderlich ist. Was in diesem Sinn erforderlich ist, bestimmt sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde. Der Gesetzgeber ermächtigt die Gemeinden, diejenige Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Entwicklungs- und Ordnungsvorstellungen entspricht. Nicht erforderlich sind u.a. Pläne, die einer positiven städtebaulichen Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuches nicht bestimmt sind. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist auch verletzt, wenn ein Bebauungsplan aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen auf Dauer oder auf unabsehbare Zeit der Vollzugsfähigkeit entbehrt. In dieser Auslegung wird der Bauleitplanung eine erste, wenn auch strikt bindende Schranke gesetzt, die lediglich grobe und einigermaßen offensichtliche Missgriffe ausschließt. Für die Einzelheiten einer konkreten planerischen Lösung ist demgegenüber das Abwägungsgebot maßgeblich, das gemäß § 1 Abs. 7 BauGB darauf gerichtet ist, die von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen und unverhältnismäßige oder gleichheitswidrige Belastungen zu vermeiden (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. B.v. 25.7.2017 – 4 BN 2.17 – juris Rn. 3; U.v. 10.9.2015 – 4 CN 8.14 – BVerwGE 153, 16; U.v. 5.5.2015 – 4 CN 4.14 – NVwZ 2015, 1537). Eine Planung, die durch hinreichende städtebauliche Gründe getragen ist, darf auch privaten Interessen dienen und durch private Interessenträger angestoßen sein (vgl. BVerwG, B.v. 30.12.2009 – 4 BN 13.09 – BauR 2010, 569). Die Grenzen der unzulässigen Gefälligkeitsplanung sind erst dann überschritten, wenn die Planung ausschließlich den Zweck hat, private Interessen zu befriedigen (vgl. BayVerfGH, E.v. 18.2.2016 – Vf.5-VII-14 – BayVBl 2017, 153).
Nach diesen Maßgaben liegt ein Verstoß gegen das Gebot der städtebaulichen Erforderlichkeit der Bauleitplanung nicht vor. Bei der durch hinreichende städtebauliche Gründe getragenen Planung der Antragsgegnerin handelt es nicht um eine Gefälligkeitsplanung. Aus der Begründung des Bebauungsplans und den Beschlüssen des Antragsgegners ergibt sich das städtebauliche Ziel, eine Baulandausweisung vorrangig für die ortsansässige Bevölkerung vorzunehmen. Es solle eine maßvolle Entwicklung von Außenbereichsflächen erfolgen, die verkehrliche Erschließung liege durch den K …weg bereits vor. Dieses städtebauliche Ziel (§ 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB) ist nachvollziehbar (vgl. auch die Stellungnahme des Kreisbaumeisters vom 26.11.2014). Die Gemeinderatsbeschlüsse vom 7. Mai 1991 (Neuausweisung von Bauflächen für den örtlichen Bedarf) und vom 6. Mai 2003 (Konzentration der baulichen Entwicklung der Gemeinde vorrangig auf die Gebiete nördlich der B …) stehen der Planung nicht entgegen. Aus der Begründung des Bebauungsplans ergibt sich, dass vier Baugrundstücke durch Dienstbarkeitsbestellung für den Eigenbedarf zu sichern sind, was der geltenden Modellregelung für Einheimischengrundstücke entspricht (vgl. Gemeinderatsbeschluss vom 18.2.2014, Bindung der Grundstückseigentümer mit einem Anteil von 2/3 bzw. 50%), und auch entsprechend umgesetzt wurde (vgl. die notarielle Ansiedlungsmodell-Vereinbarung). Ob das städtebauliche Ziel mit dem vorliegenden Bebauungsplan umgesetzt werden konnte, ist keine Frage der Erforderlichkeit der Bauleitplanung, sondern betrifft das Ermittlungs- und Abwägungsgebot.
3. Gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ist im Bebauungsplan bei Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung stets die Grundflächenzahl oder die Größe der Grundflächen der baulichen Anlagen festzusetzen. Dabei muss die zulässige Grundfläche für alle Anlagen, die bei der Ermittlung der Grundfläche mitzurechnen sind, festgesetzt werden (vgl. BayVGH, U.v. 10.8.2006 – 1 N 04.1371 u.a. – NVwZ-RR 2007, 447). Bei der Festsetzung des Maßes der baulichen Nutzung darf auf die Festsetzung der Grundflächenzahl oder der Größe der Grundfläche der baulichen Anlagen auch dann nicht verzichtet werden, wenn die überbaubare Grundstücksfläche gemäß § 23 BauNVO festgesetzt wird. Während die Festsetzung der zulässigen Grundfläche oder Grundflächenzahl in erster Linie dazu dient, eine übermäßige Nutzung des Grundstücks zugunsten des Bodenschutzes zu vermeiden, regelt die Festsetzung zur überbaubaren Grundstücksfläche mit einer anderen städtebaulichen Zielsetzung den räumlich beschränkten Teilbereich des Grundstücks, auf dem die baulichen Anlagen errichtet werden dürfen (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.1995 – 4 NB 36.95 – NVwZ 1996, 894; BayVGH, U.v. 10.3.2014 – 1 N 13.1104 – juris Rn. 18). Wird gegen § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauBNVO verstoßen, hat dies die Unwirksamkeit der getroffenen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung zur Folge (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.1995 a.a.O.; BayVGH, U.v. 4.4.2006 – 1 N 04.2709 – juris Rn. 46).
Die vorliegend fehlende Festsetzung der Grundflächenzahl oder der Größe der Grundfläche der baulichen Anlagen führt zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans. Die Unwirksamkeit einzelner Festsetzungen führt nur dann nicht zur Gesamtunwirksamkeit eines Bebauungsplans, wenn die übrigen Festsetzungen für sich betrachtet noch eine den Anforderungen des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken können und außerdem hinzukommt, dass die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch einen Plan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2015 – 4 CN 4.14 – NVwZ 2015, 1537 m.w.N.). Die Unwirksamkeit der Regelungen zum Maß der baulichen Nutzung betrifft einen zentralen Teil des Planungskonzepts. Es ist schon fraglich, ob der verbleibende Teil der Festsetzungen noch eine den Anforderungen des § 1 BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken kann. Jedenfalls ist nicht anzunehmen, dass der Antragsgegner den Bebauungsplan auch ohne Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung beschlossen hätte, da es dem Antragsgegner entscheidend auf eine maßvolle Ausweisung von Außenbereichsflächen ankam und die Wandhöhen auch im Hinblick auf die mögliche Sichtbeeinträchtigung der Anlieger nördlich des K …weges ein wesentlicher Abwägungsgesichtspunkt war (vgl. Gemeinderatsbeschlüsse vom 6.10.2015 und vom 24.5.2016).
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 BauGB. Es entspricht der Billigkeit (§ 162 Abs. 3 VwGO), dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 ZPO.
5. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
6. Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO hat der Antragsgegner die Entscheidung in Nr. I der Urteilsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise zu veröffentlichen wie den angegriffenen Bebauungsplan (§ 10 Abs. 3 BauGB).