Aktenzeichen Au 2 K 16.1823, Au 2 K 16.1861, Au 2 K 16.1862, Au 2 K 16.1863, Au 2 K 16.1864
BayKAG Art. 5a, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b, Art. 19 Abs. 2
BayStrWG Art. 6 Abs. 8
BauGB § 132 Nr. 4, § 133 Abs. 3 S. 1, § 873 Abs. 1
AO § 169 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Der Grunderwerb für die Fläche der Erschließungsanlage kann als Merkmal der endgültigen Herstellung iSd § 132 Nr. 4 BauGB festgelegt werden, muss es aber nicht. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch geringfügige (Rest-) Flächen dürfen bei der Prüfung, ob der Grunderwerb abgeschlossen ist, nicht unberücksichtigt bleiben. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die rechtlich gebotene Festlegung der Herstellungsmerkmale verlangt zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten eine eindeutige Regelung, die es dem beitragspflichtigen Bürger ermöglicht, sich ein eindeutiges Urteil darüber zu bilden, wann die sein Grundstück erschließende Anlage endgültig mit der Rechtsfolge hergestellt ist, dass die Beitragspflicht entsteht (wie BayVGH BeckRS 2015, 56422 Rn. 7). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. Den Zeitpunkt der konkreten Geltendmachung der Erhebung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag durch Bescheid bestimmt die Gemeinde – ebenso wie die Frage, ob überhaupt eine Vorausleistung erhoben werden und in welcher Höhe des voraussichtlichen endgültigen Betrags dies geschehen soll – im Rahmen des normalen Geschäftsgangs in der Form eines sog. innerdienstlichen Ermessensakts. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Regelung des Art. 19 Abs. 2 BayKAG ist trotz des insoweit nicht eindeutigen Wortlauts auf die Erhebung einer Vorausleistung anwendbar, da es sich auch bei einer Vorausleistung um einen Beitrag im Sinne dieser Bestimmung handelt. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
6. Der Umstand, dass nach Art. 19 Abs. 2 BayKAG eine Festsetzung des endgültigen Erschließungsbeitrags wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist rechtlich nicht mehr möglich ist und deshalb auch ein endgültiger Beitragsbescheid nicht mehr ergehen kann, steht der Rechtmäßigkeit der Erhebung von Vorausleistungen nicht entgegen. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten der Verfahren zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Gründe
Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
Die Vorausleistungsbescheide der Beklagten vom 27. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 23. November 2016 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, § 114 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 5a Abs. 1 KAG, § 127 Abs. 1 BauGB erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Erschließungsanlagen in diesem Sinne sind u.a. die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB). Beiträge können gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur insoweit erhoben werden, als die Erschließungsanlagen erforderlich sind, um die Bauflächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen (beitragsfähiger Erschließungsaufwand). Nach § 132 BauGB regeln die Gemeinden durch Satzung u.a. die Art und den Umfang der Erschließungsanlagen sowie die Merkmale der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage. Gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB entsteht die Beitragspflicht mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage. Nach § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB können für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag bis zur Höhe des voraussichtlichen endgültigen Erschließungsbeitrags verlangt werden, wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlage begonnen worden ist und die endgültige Herstellung innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist.
Die Vorausleistungsbescheide der Beklagten vom 26. März 2014 finden demzufolge ihre Rechtsgrundlage in Art. 5a KAG i.V.m. § 133 Abs. 3 BauGB und § 10 der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen der Beklagten vom 17. April 2013 (Erschließungsbeitragssatzung – EBS). Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt des Ergehens der letzten Behördenentscheidung (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 3.4.2012 – 6 ZB 11.1919 – juris Rn. 6), hier also der Erlass des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 23. November 2016.
Die rechtlichen Voraussetzungen für die Erhebung von Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag für die Erschließungsanlage „… (…)“ sind vorliegend erfüllt. Bei der abgerechneten Straße handelt es sich um eine öffentliche zum Anbau bestimmte Erschließungsanlage. Die im Eigentum der Klägerin stehenden zu Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag herangezogenen Grundstücke sind erschlossen im Sinne von § 131 Abs. 1, § 133 Abs. 1 BauGB und gehören somit zum Kreis der beitragspflichtigen Grundstücke. Die Grundstücke Fl.Nr. … und Fl.Nr. … liegen unmittelbar an der Erschließungsanlage „… (…)“ an und sind von der Verkehrsfläche aus über Zufahrten ohne weiteres mit Kraftfahrzeugen erreichbar. Bei den ebenfalls herangezogenen Grundstücken Fl.Nrn. … und … handelt es sich um (auch) von der …straße erschlossene beitragspflichtige Hinterliegergrundstücke, da auf deren gesamter Fläche grundstücksübergreifend ein Autohaus betrieben wird und alle Grundstücke einschränkungslos über bestehende Zufahrten befahren werden können (vgl. z.B. BVerwG, u.v. 15.1.1988 – 8 C 111.86 – DÖV 1988, 789; Hesse, Erschließungsbeitrag, Stand Januar 2017, § 131 Rn. 13b). Sowohl das Abrechnungsgebiet als auch die räumliche Ausdehnung der Erschließungsanlage „… (…)“ von der Einmündung der … Straße bis zur über einen Kreisverkehr erfolgenden Einmündung in die …straße wurden von der Beklagten zutreffend bestimmt. Schließlich wird den Grundstücken der Klägerin durch die Erschließungsanlage „… (…)“ unstreitig auch ein Erschließungsvorteil vermittelt, da diese seit dem Jahr 1986 in bautechnischer Hinsicht vollständig fertiggestellt und nutzbar ist.
Die Erschließungsanlage „… (…)“ ist auch noch nicht endgültig hergestellt, so dass die sachlichen Beitragspflichten bislang noch nicht entstehen konnten. Es fehlt hierfür – nach wie vor – am vollständigen Grunderwerb, den die Beklagte in § 8 Abs. 6 EBS als Herstellungsmerkmal im Sinne von § 132 Nr. 4 BauGB bestimmt hat. Der Eigentumsübergang in Bezug auf die überbaute Straßenfläche von 3 qm im Bereich des Grundstücks Fl.Nr. … ist im Grundbuch (noch) nicht vollzogen.
Der Grunderwerb für die Fläche der Erschließungsanlage kann als Merkmal der endgültigen Herstellung im Sinne des § 132 Nr. 4 BauGB festgelegt werden, muss es aber nicht (vgl. z. B. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 11 Rn. 53 m.w.N.). Die Beklagte hat von der Möglichkeit, den Grunderwerb als Herstellungsvoraussetzung festzulegen, Gebrauch gemacht und in § 8 Abs. 6 EBS bestimmt, dass zu den Merkmalen der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlagen alle Maßnahmen gehören, die durchgeführt werden müssen, damit die Gemeinde das Eigentum oder eine Dienstbarkeit an dem für die Erschließungsanlage erforderlichen Grundstück erlangt. Die in § 8 Abs. 6 EBS getroffene Merkmalsregelung, die den Anforderungen des § 132 Nr. 4 BauGB und dem Bestimmtheitsgebot genügt (vgl. BayVGH, B.v. 24.11.2015 – 6 ZB 15.1402 – juris Rn. 7), stellt auf den vollständigen Abschluss des Erwerbs des Eigentums oder einer Dienstbarkeit nach § 873 Abs. 1 BGB einschließlich der Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch ab und bezieht sich auf die gesamten Flächen der Erschließungsanlage (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2013 – 6 B 12.2097 – juris Rn. 13; U.v. 13.11.2012 – 6 BV 09.1555 – juris Rn. 24 m.w.N.). Das satzungsrechtlich definierte Herstellungsmerkmal des vollständigen Grunderwerbs ist bislang nicht erfüllt, da die Beklagte das Eigentum an der für die Straße zusätzlich erforderlichen Fläche von 3 qm aus dem Grundstück Fl.Nr. … mangels grundbuchrechtlichen Vollzugs des mit notariellem Vertrag vom 23. Mai 2017 mit der Wohnungseigentümergemeinschaft „…, …“ vereinbarten Grundstückstausches noch nicht vollständig erlangt hat.
Auch wenn es sich bei der den Gegenstand des Tauschvertrags bildenden Teilfläche lediglich um eine Fläche von 3 qm handelt, kann deren Erwerb nicht als geringfügig oder unerheblich betrachtet und rechtlich außer Acht gelassen werden (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 19.11.1982 – 8 C 39.81 – NVwZ 1998, 473; BayVGH, B.v. 4.3.2013 – 6 B 12.2097 – juris Rn. 14; U.v. 17.12.2004 – 6 B 01.2684 – juris Rn. 24 f. zu einer fehlenden Fläche von 0,37 qm). Bereits der Wortlaut von § 8 Abs. 6 EBS lässt nicht den Schluss zu, dass geringfügige (Rest-)Flächen bei der Prüfung, ob der Grunderwerb im Sinne dieser Bestimmung abgeschlossen ist, außen vor gelassen werden könnten. Auch eine entsprechende Auslegung wäre mit dem Gebot der Bestimmtheit nicht zu vereinbaren (vgl. BVerwG, U.v. 19.11.1982 – 8 C 39.81 – NVwZ 1998, 473; BayVGH, U.v. 17.12.2004 – 6 B 01.2684 – juris Rn. 24 f.). Die rechtlich gebotene Festlegung der Herstellungsmerkmale verlangt zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten eine eindeutige Regelung, die es dem beitragspflichtigen Bürger ermöglicht, sich ein eindeutiges Urteil darüber zu bilden, wann die sein Grundstück erschließende Anlage endgültig mit der Rechtsfolge hergestellt ist, dass die Beitragspflicht entsteht (BayVGH, B.v. 24.11.2015 – 6 ZB 15.1402 – juris Rn. 7).
Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten oder eine Verwirkung des Rechts zur Erhebung von Vorausleistungen wegen des zeitlichen Abstands zwischen dem Beginn der Baumaßnahmen an der Erschließungsanlage „… (…)“ und der (erst) mit Bescheiden vom 27. März 2014 erfolgten Heranziehung der Klägerin zu den streitgegenständlichen Vorausleistungen liegt nicht vor. Den Zeitpunkt der konkreten Geltendmachung der Erhebung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag durch Bescheid bestimmt die Gemeinde – ebenso wie die Frage, ob überhaupt eine Vorausleistung erhoben werden und in welcher Höhe des voraussichtlichen endgültigen Betrags dies geschehen soll – im Rahmen des normalen Geschäftsgangs in der Form eines sog. innerdienstlichen Ermessensakts (vgl. Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand Januar 2016, Rn. 1410). Da § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB für die Erhebung von Vorausleistungen keine Frist vorsieht, ist diese Form der Vorfinanzierung der Herstellungskosten nach dem Gesetzeswortlaut ab dem Beginn der Herstellung der Erschließungsanlagen möglich und bleibt grundsätzlich solange zulässig, bis die sachliche Beitragspflicht entstanden ist. Es stellt keinen Ermessensfehler dar, wenn die Gemeinde erst Jahre nach dem Beginn der Herstellung der Erschließungsanlagen Vorausleistungen erhebt. Aus der gesetzlich eröffneten Möglichkeit, Vorausleistungen bereits ab dem Zeitpunkt des Beginns der Herstellung der Erschließungsanlagen zu erheben, kann nicht geschlossen werden, die Geltendmachung sei rechtswidrig, auch wenn sie kurz vor dem Entstehen der endgültigen Beitragspflicht oder vor dem Ablauf einer Ausschlussfrist erfolgt. Allein durch Zeitablauf kann auch keine Verwirkung eintreten (vgl. BayVGH, B.v. 24.11.2015 – 6 ZB 15.1402 – juris Rn. 10; U.v. 1.6.2011 – 6 BV 10.2467 – BayVBl 2012, 206). Für die Annahme des Vorliegens schutzwürdigen Vertrauens seitens der Beitragspflichtigen darauf, dass keine Vorausleistung (mehr) erhoben werde, reicht es nicht aus, dass der Zeitraum zwischen dem Abschluss der technischen Baumaßnahmen und der Erhebung der Vorausleistung als unangemessen lang empfunden wird. Dies gilt selbst für den Fall, dass die Gemeinde vor Jahrzehnten bereits die Baumaßnahmen für die Herstellung der Erschließungsanlage durchgeführt hat und in der Folgezeit über Jahrzehnte hinweg die Erhebung einer Vorausleistung unterlässt. Auch hier gilt, dass die bloße Untätigkeit der Gemeinde nicht zu einem rechtlich beachtlichen Vertrauensschutz führen kann (vgl. BayVGH, B.v. 24.11.2015 – 6 ZB 15.1402 – juris Rn. 10; Matloch/Wiens a.a.O. Rn. 1127). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt allenfalls dann in Betracht, wenn besondere Umstände vorliegen, die ein schutzwürdiges Vertrauen darauf hätten begründen können, dass die Gemeinde keine Vorausleistung (mehr) erheben wird (BayVGH, U.v. 1.6.2011 – 6 BV 10.2467 – BayVBl 2012, 206). Solche besonderen Umstände sind im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Auch die jahrelange Untätigkeit der Beklagten ist insoweit nicht in der Lage, ein schutzwürdiges Vertrauen darauf entstehen zu lassen, dass sie keine Vorausleistungen mehr erhoben werden. Die Beklagte ist im Übrigen in Bezug auf die Schaffung der Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht nicht gänzlich untätig geblieben, sondern hat sich zumindest ab 2010 um den Erwerb der im Eigentum der Wohnungseigentümergemeinschaft stehenden überbauten Straßenfläche von 3 qm bemüht und entsprechende Aktivitäten zur Umsetzung der Erwerbsabsicht entfaltet (s. hierzu auch VG Augsburg, B.v. 18.7.2014 – Au 2 S. 14.1006 – juris Rn. 20).
Des Weiteren war mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage innerhalb von vier Jahren zu rechnen (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Bei der hierbei anzustellenden Prognose sind die für die Beurteilung der Zeitspanne bis zur endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage zur Verfügung stehenden und belegbaren Anhaltspunkte zugrunde zu legen (vgl. BayVGH, B.v. 14.8.2008 – 6 ZB 07.841 – juris Rn. 5; B.v. 10.12.2009 – 6 ZB 08.3113 – juris Rn. 3). Die Beklagte hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids (vgl. BVerwG, U.v. 12.5.2016 – 9 C 11.15 – juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 13.4.2017 – 6 B 14.2720 – juris Rn. 34) bereits seit längerem Grunderwerbsverhandlungen mit der Wohnungseigentümergemeinschaft aufgenommen und diese weiter mit dem erkennbaren Ziel intensiviert, durch einen Flächentausch das Eigentum an der überbauten Straßenfläche im Bereich des im Eigentum der Wohnungseigentümergemeinschaft stehenden Grundstücks Fl.Nr. … übertragen zu erhalten. Der zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids am 23. November 2016 objektiv gegebene Stand der Erwerbsverhandlungen hat bei der gebotenen prognostischen Betrachtung den Schluss gerechtfertigt, dass die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Gemeinde die Grunderwerbsverhandlungen nur „pro forma“ geführt hat und ohne ernsthafte Absicht, den fehlenden Straßengrund tatsächlich noch erwerben zu wollen, sind nicht erkennbar. Die von der Beklagten unter Vorlage entsprechender Nachweise dargelegten Erwerbsaktivitäten sind auch angesichts der zahlreichen zu beteiligenden Personen auf der Ebene der Wohnungseigentümergemeinschaft vor dem Hintergrund, dass zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht lediglich noch der Erwerb einer Fläche von 3 qm einschließlich des grundbuchrechtlichen Vollzugs fehlt und die Wohnungseigentümergemeinschaft der Beklagten ihre grundsätzliche Bereitschaft signalisiert hat, den Flächentausch umzusetzen, in der Lage, die Prognose zu rechtfertigen, die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage werde innerhalb von vier Jahren abgeschlossen werden können.
Die mit der Novellierung des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes am 1. April 2014 eingefügte zeitliche Höchstgrenze für die Erhebung eines Beitrags – hier in der Gestalt einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag – wurde vorliegend eingehalten. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG ist die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig. Liegt ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht nach Art. 5 Abs. 2a KAG vor und kann der Beitrag deswegen nicht festgesetzt werden, beträgt die Frist 25 Jahre. Nach der Übergangsvorschrift des Art. 19 Abs. 2 KAG gilt die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG i.V.m. § 169 Abgabenordnung (AO) getroffene Regelung für Beiträge, die – wie hier – vor dem 1. April 2014 durch nicht bestandskräftigen Bescheid festgesetzt sind, mit der Maßgabe, dass die Frist einheitlich 30 Jahre beträgt. Mit dieser Vorschrift, die durch Änderungsgesetz vom 11. März 2014 (GVBl S. 570) in das Kommunalabgabengesetz eingefügt wurde, ist der bayerische Gesetzgeber dem Regelungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen, das die Vorgängerregelung für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG erklärt hatte (BVerfG, B.v. 5.3.2013 – 1 BvR 2457/08 – NVwZ 2013, 1004). Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verlangt das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsgleichheit und -vorhersehbarkeit Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich – wie die hier in Streit stehenden Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag – nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG gewährleistet eine bestimmbare zeitliche Obergrenze in Gestalt einer Ausschlussfrist, die durch den Eintritt der Vorteilslage ausgelöst wird und nach deren Ablauf eine Beitragserhebung zwingend und ausnahmslos ausscheidet, auch dann, wenn die Beitragsschuld noch nicht entstanden ist und deshalb auch noch nicht hätte festgesetzt werden dürfen und folglich auch nicht verjähren konnte. Die Bemessung der Ausschlussfrist mit 20 bzw. 25 Jahren begegnet ebenso wenig verfassungsrechtlichen Bedenken wie die in Art. 19 Abs. 2 KAG für Übergangsfälle einheitlich auf 30 Jahre festgelegte Zeitspanne (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 4.5.2017 – 6 ZB 17.546 – juris Rn. 9; U.v. 24.2.2017 – 6 BV 15.1000 – juris Rn. 29; VG Ansbach, U.v. 1.12.2015 – AN 1 K 14.01740 – juris Rn. 41 ff.).
Gemessen an diesem Maßstab begann die hier maßgebliche in Art. 19 Abs. 2 KAG geregelte Ausschlussfrist von 30 Jahren für Beiträge, die vor dem 1. April 2014 durch nicht bestandskräftigen Bescheid festgesetzt wurden (BayVGH, B.v. 24.11.2015 – 6 ZB 15.1402 – juris Rn. 8; VG Augsburg, U.v. 21.5.2015 – Au 2 K 14.1828 – juris Rn. 30; B.v. 18.7.2014 – Au 2 S. 14.1006 – juris Rn. 21), mit Ablauf des Jahres 1986 zu laufen, da mit der endgültigen technischen Baufertigstellung der Erschließungsanlage „… (…)“ – ohne Rücksicht auf den bislang noch nicht vollständig bewerkstelligten Grunderwerb – die Vorteilslage eingetreten war (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2017 – 6 ZB 17.546 – juris Rn. 10 u. 16), und endete mit Ablauf des Jahres 2016. Der Eintritt der Vorteilslage ist nicht dadurch gehindert worden, dass die Straße – wie die Beklagte meint – aufgrund des noch nicht abgeschlossenen Grunderwerbs nicht vollständig gewidmet ist. Der Begriff der Vorteilslage knüpft an für den Bürger ohne weiteres bestimmbare, rein tatsächliche Gegebenheiten an und lässt rechtliche Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragsschuld, wie etwa die formelle Widmung oder die Wirksamkeit der Beitragssatzung außen vor (vgl. BVerfG, B.v. 5.3.2013 – 1 BvR 2457/08 – NVwZ 2013, 1004; BayVGH, U.v. 24.2.2017 – 6 BV 15.1000 – juris Rn. 30).
Die Regelung des Art. 19 Abs. 2 KAG ist trotz des insoweit nicht eindeutigen Wortlauts auf die Erhebung einer Vorausleistung anwendbar, da es sich auch bei einer Vorausleistung um einen Beitrag im Sinn dieser Bestimmung handelt (a.A. Kolbe, KommP 2014, 166/170). Der Beitragsbegriff umfasst naturgemäß nicht nur den endgültigen Erschließungsbeitrag, sondern auch die Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag. Die Vorausleistung im Sinn von § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB stellt nur eine zeitlich vorgezogene Beitragsleistung dar und teilt damit den Rechtscharakter des eigentlichen Erschließungsbeitrags. Dies wird beispielsweise dadurch erkennbar, dass auch – ohne dass dies ausdrücklich geregelt wäre – die Vorausleistung – wie der Erschließungsbeitrag selbst – gemäß § 134 Abs. 2 BauGB als öffentliche Last auf dem beitragspflichtigen Grundstück ruht (vgl. Driehaus, a.a.O., § 21 Rn. 3; Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, § 133 Rn. 27). Eine differenzierende Betrachtung zwischen endgültigem Beitrag und Vorausleistung ist nur dann veranlasst, wenn dies sachlich geboten oder gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Auch aus den Gesetzgebungsmaterialen lässt sich im Übrigen kein Anhaltspunkt dafür gewinnen, dass der Gesetzgeber die in Art. 19 Abs. 2 KAG normierte einheitliche Ausschlussfrist für Übergangsfälle – trotz vergleichbarer Interessenlage – bei der Erhebung von Vorausleistungen nicht zur Anwendung gelangen lassen wollte (s. hierzu LT-Drs. 17/370 S. 18 f.).
Schließlich dringt die Klägerin mit ihrem Einwand, die Erhebung der Vorausleistungen sei rechtsmissbräuchlich, weil diese wieder zurückerstattet werden müssen, da endgültige Erschließungsbeitragsbescheide wegen des Ablaufs der 30jährigen Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 2 KAG nicht mehr ergehen können, nicht durch. Der Erlass der Vorausleistungsbescheide durch die Beklagte am 27. März 2014, also ein Jahr und neun Monate vor dem Ablauf der Ausschlussfrist, stellt unter Berücksichtigung der Umstände des Falles und der nachweislich unternommenen Grunderwerbsbemühungen kein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten dar (so bereits VG Augsburg, B.v. 18.7.2014 – Au 2 S. 14.1006 – juris Rn. 21).
Im Übrigen dürften durch den Ablauf der in Art. 19 Abs. 2 KAG geregelten Ausschlussfrist auch keine Rückzahlungsansprüche der Klägerin entstanden sein, da die Beklagte die vereinnahmten Vorausleistungen trotz des Umstands, dass eine Festsetzung des endgültigen Erschließungsbeitrags nicht mehr zulässig ist, aus Rechtsgründen behalten darf (vgl. BVerwG, B.v. 5.9.1975 – IV CB 75.73 – NJW 1976, 818; U.v. 26.1.1996 – 8 C 14.94 – NVwZ-RR 1994, 465; BayVGH, U.v. 23.3.2006 – 6 B 02.1975 – juris Rn. 39 ff.; ThürOVG, B.v. 30.5.2003 – 4 EO 206/96 – juris Rn. 42; VG Stuttgart, U.v. 20.9.2007 – 2 K 3332/07 – juris Rn. 18 f.; offengelassen BayVGH, B.v. 17.1.2011 – 6 CE 10.2875 – juris Rn. 12; Quaas in Schrödter, BauGB, § 133 Rn. 30; IMS v. 12.7.2016 – Az. IB4-15221-1-25 – Erläuterungen zum Vollzug des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 8. März 2016, S. 25 f.). Der Umstand, dass nach Art. 19 Abs. 2 KAG eine Festsetzung des endgültigen Erschließungsbeitrags wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist rechtlich nicht mehr möglich ist und deshalb auch ein endgültiger Beitragsbescheid nicht mehr ergehen kann, steht der Rechtmäßigkeit der Erhebung von Vorausleistungen nicht entgegen. Zwar ist die Gemeinde grundsätzlich verpflichtet, den endgültigen Erschließungsbeitrag selbst dann durch einen Beitragsbescheid festzusetzen, wenn er bereits durch Verrechnung mit der gezahlten Vorausleistung getilgt worden ist. Dies ist erforderlich, um mit der dem Bescheid eigenen Unanfechtbarkeits- und Bestandskraftwirkung zu bestimmen, in welcher Höhe die Beitragsforderung als zur Tilgung geeignet entstanden ist und in welchem Umfang die Beitragsforderung der Gemeinde noch nicht befriedigt oder durch eine zu hohe Vorausleistung etwa übererfüllt ist (BayVGH, B.v. 17.1.2011 – 6 CE 10.2875 – juris Rn. 12; Driehaus a.a.O. § 21 Rn. 37).
Auch wenn dies im Fall des Eintritts der Festsetzungsverjährung und des dadurch ausgelösten Erlöschens der Beitragsforderung (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO) ausgeschlossen sein mag (vgl. OVG NW, B.v. 30.6.2009 – 15 B 524/09 – KStZ 2009, 154 m.w.N.), begründet dies hier nicht zwingend das Entstehen eines Rückzahlungsanspruchs, da vorliegend die rechtmäßigen Vorausleistungsbescheide den Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Vorausleistungen darstellen (so auch Ruff, DWW 2011, 209/211 m.w.N.). Art. 19 Abs. 2 KAG regelt in Bezug auf den hier gegebenen Fall zugunsten der Beitragspflichtigen lediglich, dass die Gemeinde infolge des Ablaufs der Ausschlussfrist keinen Beitrag mehr festsetzen und (nach) erheben kann. Es wird damit jedoch nicht ausgeschlossen, dass bei dem auch noch nach Ablauf der Ausschlussfrist möglichen und hier auch alsbald zu erwartenden Entstehen der sachlichen Beitragspflicht die ipso facto erfolgende Tilgungswirkung in Bezug auf die erhobenen Vorausleistungen eintritt (s. hierzu BVerwG, U.v. 26.1.1996 – 8 C 14.94 – DVBl 1996, 1046/1048). Die Konstellationen, dass ein endgültiger Erschließungsbeitrag nicht mehr entstehen kann, weil die Gemeinde die hierfür erforderlichen Aktivitäten endgültig aufgegeben hat oder aufgrund einer geänderten Grundstückssituation kein Erschließungsbeitrag mehr entstehen kann (vgl. hierzu z.B. BVerwG, U.v. 13.8.1993 – 8 C 36.91 – KStZ 1994, 136/139), bzw. die Vorausleistung zurückverlangt werden kann, weil die Beitragspflicht sechs Jahre nach Erlass des Vorausleistungsbescheids noch nicht entstanden ist (§ 133 Abs. 3 Satz 3 BauGB), liegen nicht vor. Hier ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die sachliche Beitragspflicht mit dem grundbuchrechtlichen Vollzug des schuldrechtlich abgeschlossenen Grunderwerbsgeschäfts, der in den nächsten Monaten erfolgen dürfte, (noch) entstehen wird. Darf ein endgültiger Beitragsbescheid nicht mehr ergehen, ist die Gemeinde auch nicht mehr verpflichtet, einen solchen Bescheid zu erlassen. Die Klärung der Frage, in welcher Höhe ein endgültiger Erschließungsbeitrag entstanden ist, in welchem Umfang sich dieser und die Vorausleistung gegenüberstehen und ob ein Rückzahlungsanspruch besteht, hat dann – wie etwa bei einer auf vertraglicher Grundlage vereinbarten Beitragsleistung – auf anderem Weg als durch Erlass eines endgültigen Erschließungsbeitragsbescheids zu erfolgen, etwa durch ein informelles Abrechnungsschreiben.
Da weitere rechtliche Mängel der Vorausleistungserhebung weder dargelegt wurden, noch solche sonst ersichtlich sind, erweisen sich die angegriffenen Vorausleistungsbescheide vom 27. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 23. November 2016 insgesamt als rechtmäßig und die Klagen als unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).