Baurecht

Errichtung einer Dachgaube und Ausbau des Dachgeschosses

Aktenzeichen  AN 17 K 20.00484

Datum:
29.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 42053
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 31 Abs. 2
BayBO Art. 83 Abs. 6
BayBO 1962 Art. 2 Abs. 5
BayBO 1998 Art. 2 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Eine bauplanerische Festsetzung kann funktionslos sein, wenn und soweit die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Funktionslosigkeit einzelner Festsetzungen führt nur dann zur Funktionslosigkeit des gesamten Bebauungsplans, wenn die funktionslos gewordene Festsetzung mit den übrigen Festsetzungen in einem „untrennbaren Zusammenhang“ steht, so dass zu prüfen ist, ob die verbleibenden Festsetzungen noch ihre Aufgaben erfüllen können, eine geordnete städtebauliche Entwicklung des Planbereichs zu gewährleisten. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Immer dann, wenn eine Erweiterung zugleich den Bestand der vorhandenen baulichen Anlage verändert, ist eine isolierte Beurteilung der Erweiterung nicht möglich. Ebenso wie bei einer Nutzungsänderung die bauliche Anlage in ihrer geänderten Funktion als Einheit geprüft wird, muss bei einer Änderung einer baulichen Anlage das Gesamtvorhaben in seiner durch die Erweiterung geänderten Gestalt geprüft werden. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Befreiung berührt die Grundzüge der Planung, wenn das Vorhaben in seine Umgebung Spannungen hineinträgt oder erhöht, die nur durch eine Planung zu bewältigen sind. Was den Bebauungsplan in seinen „Grundzügen“, was seine „Planungskonzeption“ verändert, lässt sich nur durch eine Änderung des Bebauungsplans durch die Gemeinde ermöglichen und darf nicht durch einen einzelfallbezogenen Verwaltungsakt der Baugenehmigungsbehörde zugelassen werden. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung  oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden,  wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleiche Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist unbegründet und zwar sowohl hinsichtlich des Hauptantrages als auch bezüglich des Hilfsantrages.
Die Klägerin hat weder einen Rechtsanspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung noch auf erneute Verbescheidung ihres Bauantrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, weil das Bauvorhaben im Widerspruch zu bauplanungsrechtlichen Vorschriften steht, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, 59 BayBO. Die Klägerin wird durch die Ablehnung ihres Bauantrages mit Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2020 nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 5 Satz 1, 2 VwGO.
Das genehmigungspflichtige Vorhaben der Klägerin ist nicht genehmigungsfähig.
Das beantragte Vorhaben ist genehmigungspflichtig, Art. 55 BayBO. Es liegt keine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 c BayBO vor, denn mit dem Bau der Dachgaube wird die Dachkonstruktion und die äußere Gestalt des Gebäudes in genehmigungspflichtiger Weise geändert. Weiter scheidet eine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 2 Nr. 4 BayBO aus, weil es schon an einer entsprechenden Satzung fehlt. Schließlich ist das Vorhaben auch nicht genehmigungsfrei, Art. 58 BayBO, gestellt, denn es widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplanes (siehe hierzu unter 1.).
Jedoch ist die Genehmigungsfähigkeit zu verneinen, Art. 68 Abs. 1 Satz 1, 59 BayBO. Das Vorhaben verstößt gegen Bauplanungsrecht. Es widerspricht den Festsetzungen des maßgeblichen Bebauungsplanes … Eine Befreiung, § 31 Abs. 2 BauGB, kann nicht erteilt werden. Ob das Vorhaben im Übrigen genehmigungsfähig ist, kann dahingestellt bleiben.
1. Das beantragte Vorhaben widerspricht der Festsetzung in § 4 zur zulässigen Anzahl der Vollgeschosse des maßgeblichen qualifizierten Bebauungsplanes … der Stadt …, § 30 Abs. 1 BauGB. Die 1980 erfolgte 1. Änderung des aus dem Jahre 1967 stammenden Bebauungsplanes führte zur Umbenennung des Bebauungsplanes von Nr. … in …, hat die streitentscheidenden Festsetzungen aus 1967 jedoch nicht berührt.
Das beantragte Bauvorhaben ist an § 4 des Bebauungsplanes zu messen. Weder die Regelung in § 4 des Bebauungsplans noch der gesamte Bebauungsplan sind, entgegen der klägerischen Darlegungen, funktionslos geworden.
a) Die Festsetzung in § 4 des Bebauungsplanes, wonach nur ein Vollgeschoss zulässig ist, ist nicht funktionslos geworden. Ebenso wurde der Bebauungsplan nicht insgesamt funktionslos.
Nach dem strengen Maßstab der Rechtsprechung kann eine bauplanerische Festsetzung funktionslos sein, wenn und soweit die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist für jede Festsetzung gesondert zu prüfen. Dabei kommt es nicht auf die Verhältnisse auf einzelnen Grundstücken an. Entscheidend ist vielmehr, ob die jeweilige Festsetzung geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung i.S.d. § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen wirksamen Beitrag zu leisten. Die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit seine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen vermag, kann von einer Funktionslosigkeit die Rede sein. Das setzt voraus, dass die Festsetzung unabhängig davon, ob sie punktuell durchsetzbar ist, bei einer Gesamtbetrachtung die Fähigkeit verloren hat, die städtebauliche Entwicklung noch in einer bestimmten Richtung zu steuern (BVerwG, B.v. 9.10.2003 – 4 B 85/03 mit weiteren Nachweisen, B.v. 17.2.1997 – 4 B 16/97; BayVGH, B.v. 24.5.2018 – 9 ZB 16.321 – alle juris). Zu betrachten sind dabei nur diejenigen Grundstücke, die im Geltungsbereich der fraglichen Festsetzung liegen (vgl. BayVGH, B.v. 15.3.2011 – 15 CS 11.9 – juris Rn. 12), so dass insbesondere die Grundstücke nördlich/nordöstlich des … (ausgenommen der FlNrn. … und …, welche im Planbereich liegen) nicht zu betrachten sind.
Das Vorhandensein eines Vollgeschosses lässt sich aufgrund der im Plangebiet in weiten Teilen vorherrschenden Hanglage nach dem optischen Eindruck überwiegend nicht zuverlässig feststellen. So finden sich aufgrund der Hanglage mit Nord-Süd-Gefälle auf der Südseite der Gebäude häufig Aufenthaltsräume im aus dem Gelände ragenden Kellergeschoss, ohne dass dieses deshalb ein Vollgeschoss ist. Dieselben Unsicherheiten bestehen hinsichtlich der Frage, ob ein ausgebautes Dachgeschoss (Satteldach) ein Vollgeschoss ist. Richtigerweise sind zur Beurteilung der Vollgeschossigkeit die jeweiligen Bauakten zu Rate zu ziehen. Die Beklagte hat insofern auf entsprechende Nachfrage des Gerichts mit Schriftsatz vom 24. September 2020 detailliert ausgeführt, bei welchen Gebäuden nach den Bauakten ein zweites Vollgeschoss vorhanden ist und wenn ja, ob diesbezüglich eine Befreiung erteilt wurde. Es ist klägerseits weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass diese Angaben unrichtig sind, zumal es sich bei der Beklagten um eine an Recht und Gesetz gebundene Behörde handelt (so auch VG Ansbach, U.v. 7.11.2019 – AN 3 K 19.00607 – juris Rn. 35). Danach sind bei 19 Anwesen zwei Vollgeschosse vorhanden und dies sowohl bei Zugrundelegung der Fassung der BayBO von 1962 als auch nach dem aktuell geltenden Rechtsstand der BayBO. Gebäude mit drei Vollgeschossen sind nicht vorhanden. Bei einem Gebäude (* …*) waren die Bauakten nicht auffindbar. Von den 19 Anwesen haben 12 Anwesen eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes erhalten. Bei vier der Anwesen ohne Befreiung ist das Gebäude bereits vor Inkrafttreten des Bebauungsplanes errichtet worden. Aus den Informationen der Beklagten ergibt sich diesbezüglich nicht eindeutig, ob das zweite Vollgeschoss bereits mit der Errichtung des Gebäudes, also vor Inkrafttreten des Bebauungsplanes, gebaut wurde oder erst bei späteren Erweiterungen/Änderungen. Ob bei der Frage der Funktionslosigkeit des Bebauungsplanes nur auf die Abweichungen abzustellen ist, die sich erst nach Inkrafttreten des Bebauungsplanes ergeben haben (dies regelmäßig bejahend: BVerwG, B.v. 11.12.2000 – 4 BN 58/00 – juris Rn. 3), kann dahingestellt bleiben. Selbst bei Berücksichtigung dieser vier Abweichungen ergibt sich keine Funktionslosigkeit der Festsetzung. Unerheblich ist auch, ob die sieben (maximal acht bei unterstellter Zweigeschossigkeit und unterstellter fehlender Befreiung bezüglich des Anwesens …*) ohne Befreiung errichteten zweiten Vollgeschosse als planabweichend in die Betrachtung einzubeziehen sind (ausführlich zum Meinungsstand VG Würzburg, U.v. 28.5.2019 – W 4 K 17.366 – juris Rn. 39 f.), denn auch bei ihrer Einbeziehung ändert sich nichts am Ergebnis der nicht vorliegenden Funktionslosigkeit der Festsetzung. Insgesamt befinden sich im Plangebiet rund 60 Grundstücke, die bei einer Worst-Case-Betrachtung in 40 Fällen plankonform bebaut sind bzw. derzeit (noch) nicht bebaut sind. Bei den unbebauten Grundstücken ist plankonforme Bebauung weiter möglich. Dem stehen nach oben Gesagtem im schlimmsten Fall 20 planwidrig bebaute Grundstücke gegenüber, wobei die Verstöße flächendeckend im Plangebiet zu verzeichnen sind. Damit ergibt sich ein Verhältnis von plankonform bebauten zu planwidrig bebauten Grundstücken von rund 3 : 1 und damit ein deutliches Überwiegen der plankonform bebauten (bzw. noch bebaubaren) Grundstücke. Zwar konnte beim Augenscheinstermin festgestellt werden, dass insbesondere bei den neueren Anwesen …, … (Pultdach) sowie … und … (Zeltdach) – allesamt Anwesen mit geringer Dachneigung -, bei denen jeweils eine Befreiung von der Festsetzung in § 4 des Bebauungsplanes erteilt wurde, sich das zweite Vollgeschoss weder im Keller-, noch im Dachgeschoss befindet. Vielmehr ist hier die Zweigeschossigkeit aufgrund der Bauweise optisch eindeutig zu erkennen. Ob die in den Schriftsätzen der Beklagten dargelegten Begründungen zu den erteilten Befreiungen, in denen auf den jeweiligen Grundstückszuschnitt, die flache Topographie und/oder die flache Dachneigung abgestellt wird, zu überzeugen vermag, kann jedoch dahingestellt bleiben. Auch aus eventuell rechtswidrig erteilten Befreiungen kann nicht geschlossen werden, die Bauaufsichtsbehörde hätte das Planungsziel damit aufgegeben, zumal die Planungsbehörde nach ihrem Vortrag explizit am Planungsziel der Eingeschossigkeit festhält. Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass insbesondere auch eine großzügige Befreiungspraxis der Planungsbehörde zu einem Funktionsloswerden von Festsetzungen führen kann. Die hier maßgeblichen zwölf erteilten Befreiungen (bzw. 13 bei unterstellter Zweigeschossigkeit und unterstellter Befreiung hinsichtlich des Anwesens …*) und bei Einbeziehung der sieben (bzw. acht bei unterstellter Zweigeschossigkeit und fehlender Befreiung hinsichtlich des Anwesens …*) illegal errichteten zweiten Vollgeschosse, bei denen die Bauaufsichtsbehörde wohl bislang nicht bauaufsichtlich eingeschritten ist, bei somit maximal 20 planabweichend errichteten Gebäuden kommt die Kammer in einer Gesamtbetrachtung zu der Überzeugung, dass trotz der vorhandenen Verstöße gegen die Vorschrift des § 4 des Bebauungsplanes die Festsetzung zu einem zulässigen Vollgeschoss auch weiterhin geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung beizutragen. Anhand der aktuellen Verhältnisse im Plangebiet weichen die tatsächlichen Verhältnisse noch nicht so massiv und offensichtlich von der Plankonzeption ab, dass dadurch eine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich gemacht und in Zukunft ausgeschlossen wird sowie diese Tatsache für die Planbetroffenen offenkundig ist. Trotz der vorliegenden Verstöße sind ca. 66% des Plangebietes vorschriftsgemäß eingeschossig bebaut bzw. kann diese Vorgabe bei noch unbebauten Grundstücken nach wie vor umgesetzt werden.
Die von der Klägerseite weiter vorgetragenen Abweichungen von anderen Festsetzungen des Bebauungsplanes in § 5 und § 9 des Bebauungsplanes sind für das streitgegenständliche Vorhaben schon deshalb nicht relevant, da sie die Frage der Geschossigkeit nicht betreffen. Auch führen Abweichungen von mehreren Vorgaben des Bebauungsplanes, die jeweils für sich betrachtet nicht zum Funktionsloswerden der Festsetzung führen, nicht etwa in ihrer Summe, sozusagen in einer Gesamtschau, zur Unwirksamkeit eines Bebauungsplanes, denn es ist, wie das Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwG, B.v. 9.10.2003 – 4 B 85/03 – juris) ausführt, gerade für jede einzelne Festsetzung zu prüfen, ob diese aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse funktionslos geworden ist.
Das Funktionsloswerden einzelner anderer Festsetzungen hat nur dann Auswirkungen im Hinblick auf das Vorhaben der Klägerin, wenn das Funktionsloswerden der einzelnen Festsetzung(en) zur Funktionslosigkeit des gesamten Bebauungsplanes führt, was hier ganz eindeutig abzulehnen ist. Die Funktionslosigkeit einzelner Festsetzungen führt nur dann zur Funktionslosigkeit des gesamten Bebauungsplanes, wenn die funktionslos gewordene Festsetzung mit den übrigen Festsetzungen in einem „untrennbaren Zusammenhang“ steht, sodass zu prüfen ist, ob die verbleibenden Festsetzungen noch ihre Aufgaben erfüllen können, eine geordnete städtebauliche Entwicklung des Planbereichs zu gewährleisten (vgl. BVerwG, U.v. 6.7.1984 – 4 C 28.83 – juris; BayVGH, B.v. 13.8.2018 – 2 ZB 16.492 – juris Rn. 9). Dies ist zu verneinen, wenn die Funktionslosigkeit einzelner Festsetzungen das Planungskonzept in seinem Kerngehalt trifft, so dass nur ein Planungstorso übrigbleiben würde (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2018 – 2 ZB 16.492 – juris Rn. 9; BVerwG, B.v. 8.8.1989 – 4 NB 2.89 – juris). Bei einer Funktionslosigkeit der Regelungen in § 5 zur Gestaltung von Garagen und anderen Nebengebäuden bleibt kein Planungstorso zurück, der nicht mehr geeignet wäre, eine geordnete städtebauliche Entwicklung des Gebietes zu gewährleisten. Nichts anderes gilt hinsichtlich der Regelung in § 9 des Bebauungsplanes zur Gestaltung von Vorgartenzäunen. Die weiteren klägerseits vorgetragenen Abweichungen vom Bebauungsplan, wie insbesondere das Vorhandensein eines landwirtschaftlichen Betriebes mit Hofladen, errichtete Garagen mit Satteldach, Carports, Anbauten an den Grundstücksgrenzen, die Aufgabe der Regelungen zu § 6 und zu den Baugrenzen, führen, insbesondere auch nach den im Ortsaugenschein gewonnenen Eindrücken, nicht zu einem Funktionsloswerden der einzelnen Festsetzung und schon gar nicht zur Funktionslosigkeit des gesamten Bebauungsplanes.
b) Das beantragte Vorhaben der Klägerin widerspricht den Vorgaben in § 4 Satz 1 des Bebauungsplanes …, wonach nur ein Vollgeschoss zulässig ist. Zwar wird mit dem Ausbau des Dachgeschosses samt Gaube kein Vollgeschoss geschaffen, dennoch widerspricht das Vorhaben der Klägerin der Vorgabe in § 4 des Bebauungsplanes, denn insofern kann nicht allein auf das streitgegenständliche Vorhaben „Errichtung einer Gaube und Ausbau des Dachgeschosses“ abgestellt werden. Vielmehr ist das Gesamtvorhaben „Anbau an ein Einfamilienhaus“, wie ursprünglich mit Änderungsbauantrag vom 20. Februar 2019 beantragt, zu betrachten.
(1) Mit dem streitgegenständlichen Vorhaben Ausbau des Dachgeschosses samt Neubau einer Schleppgaube wird, entgegen der Annahme der Beklagten, kein Vollgeschoss geschaffen.
Als Vollgeschosse gelten Geschosse, die nach landesrechtlichen Vorschriften Vollgeschosse sind oder auf ihre Zahl angerechnet werden, § 18 BauNVO 1962, ebenso § 20 Abs. 1 BauNVO. Der Gesetzgeber bezieht sich für das Planungsrecht auf einen Begriff aus dem Bauordnungsrecht. Offenbleiben kann, ob es sich hier um eine dynamische Verweisung handelt und damit § 2 Abs. 5 BayBO 1998 i.V.m. Art. 83 Abs. 6 BayBO zur Anwendung kommt oder ob eine statische Verweisung vorliegt, die zur Anwendung des Art. 2 Abs. 5 BayBO 1962 führt. Während bei einer dynamischen Verweisung somit Vollgeschosse Geschosse sind, die vollständig über der natürlichen oder festgelegten Geländeoberfläche liegen und über mindestens 2/3 ihrer Grundfläche eine Höhe von mindestens 2,30 m haben (…), sind bei der statischen Verweisung Vollgeschosse Geschosse, die vollständig über der natürlichen oder von der Kreisverwaltungsbehörde festgelegten Geländeoberfläche liegen und über mindestens 2/3 ihrer Grundfläche die für Aufenthaltsräume erforderliche lichte Höhe haben. Als Vollgeschosse zählen Geschosse, mit einer lichten Höhe von mehr als 1,80 m unterhalb des Dachraums (…).
Die lichte Höhe ist das Maß zwischen Fußbodenoberkante und Deckenunterkante im fertigen Zustand (vgl. Nolte in Simon/Busse, BayBO, 137. EL Juli 2020, Art. 45 Rn. 40), während sich die bei der dynamischen Verweisung erforderliche Höhe von mindestens 2,30 m nach dem Abstand von Oberkante Fußboden zu Oberkante der Dachhaut oder Dachdecke in fertigem Zustand bemisst (vgl. Rauscher/Franz/Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, 137. EL Juli 2020, Art. 2 Rn. 611).
Nach der bereits in der mündlichen Verhandlung erläuterten Auffassung der Kammer ist die in den Bauunterlagen im Plan „Grundriss Dachgeschoss – Ansichten vom 10. Oktober 2019“ genannte „Vollgeschossberechnung BF = 66,98 m2“, welche die Beklagte ihrer Berechnung im streitgegenständlichen Bescheid zugrunde gelegt hat, unrichtig. Vielmehr ergibt sich eine Bruttogrundfläche von 86,03 m2. Die maßgebliche Bruttogrundfläche, Art. 2 Abs. 6 BayBO, bestimmt sich nach DIN 277-1, Ziff. 6.1.2. Die Bruttofläche eines Geschosses ist die Grundfläche des Geschosses einschließlich der konstruktiven Erschließungen wie Wände, Stützen etc. (vgl. Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, 137. EL Juli 2020, Art. 2 Rn. 528 ff.). Maßgeblich sind damit die Außenmaße des Dachs im endgültigen Zustand (vgl. Dirnberger a.a.O, Rn. 626). Die Frage, ob ein Vollgeschoss vorliegt, ist insbesondere auch losgelöst von den Voraussetzungen zu beurteilen, die Aufenthaltsräume bezüglich der Raumhöhe erfüllen müssen (vgl. Spannowsky in BeckOK, Bauordnungsrecht Bayern, 15. Ed. 1.11.2019, Art. 2 Rn. 82), mit der Konsequenz, dass die volle Bruttogrundfläche von Flächen anzusetzen ist, ohne dass Flächen, bei denen bestimmte Höhen nicht eingehalten werden, herauszurechnen sind. Damit ergibt sich eine Bruttogrundfläche von 86,03 m2 ((13,32 m + 13,34 m)/2 x 5,48 m + 6,19 m x (2,08 m + 2,115 m)/2)), wobei der Berechnung die auf Seite 7 der eingereichten Planunterlagen „Bruttorauminhalt nach DIN 277“ genannten Maße zu den Außenabmessungen von Haupthaus und Gaube DG2 zugrunde gelegt wurden, die sich im Übrigen auch aus dem vorgelegten Grundriss Dachgeschoss – Ansichten vom 10. Oktober 2019 ergeben. 2/3 der Bruttogrundfläche von 86,03 m2 sind daher 57,35 m2.
46,69 m2 der Fläche haben eine lichte Höhe von mehr als 1,80 m, wie sich aus der unwidersprochenen Berechnung der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid mit zugrundeliegender Messung aus den eingereichten Planunterlagen (S. 115 der vorgelegten Bauakte) richtigerweise ergibt. Dies ist weniger als 2/3 der Grundfläche von 86,02 m2. Somit liegt bei Annahme einer statischen Verweisung bei dem geplanten Vorhaben im Dachgeschoss kein Vollgeschoss vor.
Doch auch bei Zugrundelegung der dynamischen Verweisung errechnet sich kein Vollgeschoss, denn auch hier ergibt sich eine fast vergleichbare maßgebliche Fläche von 48,02 m2 ((13,32 m + 13,34 m)/2 x 1,7 m + 6,19 m x (2,08 m + 2,114 m)/2 + 2,0 m), die somit ebenso deutlich unter der Grenze von 57,35 m2 liegt. Die von der Planerin genannte Wohnfläche über 2,30 m laut den Planunterlagen „Grundriss Dachgeschoss – Ansichten vom 10. Oktober 2019“ von 39,14 m2 ist insoweit nicht relevant, würde aber auch unter der Grenze liegen.
(2) Zwar wird nach alledem mit dem Ausbau des Dachgeschosses und dem Neubau der Schleppgaube kein Vollgeschoss geschaffen, dennoch widerspricht das Vorhaben der Klägerin der Vorgabe in § 4 des Bebauungsplanes, denn insofern kann nicht allein auf das hier streitgegenständliche Vorhaben „Errichtung einer Gaube und Ausbau des Dachgeschosses“ abgestellt werden. Vielmehr ist das Gesamtvorhaben „Anbau an ein Einfamilienhaus“, wie ursprünglich mit Änderungsbauantrag vom 20. Februar 2019 beantragt, zu betrachten. In diesem Antrag waren u.a. sowohl bauliche Änderungen im Obergeschoss samt Anbau als auch der nunmehr streitgegenständliche Ausbau des Dachgeschosses samt Errichtung der Schleppgaube enthalten. Auf Anraten der Beklagten reduzierte die Klägerin den Bauantrag um das jetzt streitgegenständliche Vorhaben. Für das reduzierte Vorhaben wurde der Klägerin dann mit bestandskräftigem Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2019 eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der zulässigen Anzahl von Vollgeschossen erteilt. Die insoweit erteilte Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB steht einer vorzunehmenden Gesamtbetrachtung indes nicht im Wege. Bei der streitgegenständlich beantragten Baumaßnahme handelt es sich um eine Änderung einer baulichen Anlage. Es handelt sich hier nicht um ein selbständiges, abtrennbares Vorhaben, bei dem eine isolierte Prüfung denkbar erscheint. Vielmehr fehlt es an der Abtrennbarkeit, so dass eine isolierte Betrachtung nicht möglich ist.
Gegenstand der bauplanungsrechtlichen Prüfung nach § 29 BauGB ist nicht nur die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung einer baulichen Anlage, sondern vor allem das vom Bauherrn angestrebte Ergebnis seiner Baumaßnahme. Insoweit kommt es darauf an, ob die geänderte bauliche Anlage den bauplanungsrechtlichen Vorschriften entspricht. Eine Beschränkung auf den hinzukommenden Teil würde außer Acht lassen, dass auch der bereits vorhandene Teil der erweiterten Anlage zur Disposition steht, wenn er in der neuen Gesamtanlage aufgeht. Immer dann, wenn eine Erweiterung zugleich den Bestand der vorhandenen baulichen Anlage verändert, sei es durch einen Eingriff in die bestehende Anlage, sei es wegen der aus der Erweiterung resultierenden Qualitätsveränderung des Bestandes, ist eine isolierte Beurteilung der Erweiterung nicht möglich. Ebenso wie bei einer Nutzungsänderung die bauliche Anlage in ihrer geänderten Funktion als Einheit geprüft wird, muss bei einer Änderung einer baulichen Anlage das Gesamtvorhaben in seiner durch die Erweiterung geänderten Gestalt geprüft werden (vgl. BVerwG, U.v. 17.6.1993 – 4 C 17/91 – juris Rn. 16; BayVGH, U.v. 7.3.2018 -1 B 16.2375 – juris Rn. 18; VG Düsseldorf, U.v. 22.3.2013 – 9 K 6566/11 – juris Rn. 29).
So ist es auch hier. Der nunmehr streitgegenständliche Ausbau des Dachgeschosses mit Neubau der Schleppgaube verändert den Bestand des Wohnhauses der Klägerin in nicht nur geringfügiger Weise. Mit Errichtung der Schleppgaube wird sowohl die Wandhöhe des Gebäudes als auch die Konstruktion und Statik des Daches in nicht unerheblicher Weise verändert. Ebenso ist zu beachten, dass der Klägerin erst durch den nunmehr beantragten Ausbau des Dachgeschosses mit Errichtung der Schleppgaube ein Zugang zu dem bereits errichteten und auf Dachgeschossebene liegenden Balkon auf dem Anbau ermöglicht wird. Der Balkon hat derzeit keinen ordnungsgemäßen Zugang zum Haus. Auch der insoweit nur provisorisch errichtete Bereich zwischen Balkon und Dach bekommt erst mit Errichtung der nunmehr beantragten Gaube seine endgültige und letztlich schon immer geplante Gestalt. Insofern hat die Klägerin mit Mail vom 22. Juli 2019 an die Beklagte selbst vorgetragen, dass durch den unterbrochenen Baufortschritt zusätzliche Dämm- und Abdichtungsarbeiten notwendig seien, die alle wieder zurückgebaut werden müssten, wenn die Gaube errichtet wird. Insoweit handelt es sich bei der streitgegenständlichen Maßnahme keinesfalls um ein selbständiges, abtrennbares Vorhaben, vielmehr liegt hierin eine Änderung der baulichen Gesamtanlage, so dass die Erweiterung nicht isoliert betrachtet werden kann.
Das so definierte Gesamtvorhaben Ausbau des Ober- und Dachgeschosses mit Anbau und Errichtung einer Schleppgaube widerspricht den Vorgaben des Bebauungsplanes, denn es widerspricht den Vorgaben in § 4 des Bebauungsplanes. Mit dem Ausbau und Anbau im Obergeschoss wird ein insoweit nicht zulässiges zweites Vollgeschoss errichtet und zwar sowohl bei einer dynamischen Verweisung auf die BayBO als auch bei einer statischen, wie sich aus den Maßen der vorgelegten Planunterlagen ergibt. Diese Einschätzung wird auch von den Parteien geteilt. So hat die Klägerin eine diesbezügliche Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes beantragt und die Beklagte diese in der Baugenehmigung vom 24. Juni 2019 unter Ziffer II bezüglich der zulässigen Zahl der Vollgeschosse erteilt.
2. Somit bedurfte das Vorhaben einer Befreiung, die nicht erteilt werden kann, § 31 Abs. 2 BauGB. Der Klägerin ist der geltend gemachte Anspruch jedoch nicht bereits deshalb zu versagen, weil zweifelhaft ist, ob hinsichtlich des streitgegenständlichen Vorhabens überhaupt ein Antrag auf Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes eingereicht wurde. Im Ergebnis scheitert der Anspruch jedenfalls an den nicht erfüllten Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB.
a) Der Anspruch der Klägerin auf Erteilung der Baugenehmigung scheitert nicht an einer eventuellen fehlenden Beantragung der erforderlichen Befreiung. Die Klägerin gab im Bauantrag zwar an, dass das Bauvorhaben einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB bedürfe und dass als Anlage ein Antrag auf Ausnahme/Befreiung/Abweichung mit Begründung, § 3 Nr. 9 BauVorlV, beigefügt sei. Ein isolierter Antrag auf Befreiung findet sich in den Akten jedoch nicht. Nach dem Wortlaut des Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO sind unter anderem auch Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans gesondert schriftlich zu beantragen und ist dieser Antrag zu begründen. Allerdings kann sich die Baugenehmigungsbehörde im Rechtsstreit um die Verpflichtung zur Erteilung einer Baugenehmigung nicht auf formale Anforderungen des Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO berufen, soweit es um die nur durch Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen herzustellende Vereinbarkeit des Vorhabens mit bundesrechtlichem oder auf der Grundlage von Bundesrecht erlassenem Planungsrecht, wie es hier der Fall ist, geht (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2018 – 15 ZB 18.764 – juris Rn. 16 ff.).
b) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB sind nicht gegeben. Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, wenigstens einer der in § 31 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 BauGB alternativ genannten Befreiungsgründe vorliegt und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Das von der Klägerin beabsichtigte Gesamtvorhaben berührt die Grundzüge der Planung, § 31 Abs. 2 Hs. 1 BauGB, so dass eine Befreiung von der Festsetzung des § 4 des Bebauungsplanes bereits aus diesem Grund ausscheidet. Mit den Grundzügen der Planung umschreibt das Gesetz in § 31 Abs. 2 BauGB die planerische Grundkonzeption, die den Festsetzungen eines Bebauungsplans zu Grunde liegt und in ihnen zum Ausdruck kommt. Hierzu gehören die Planungsüberlegungen, die für die Verwirklichung der Hauptziele der Planung sowie den mit den Festsetzungen insoweit verfolgten Interessenausgleich und damit für das Abwägungsergebnis maßgeblich sind (vgl. BayVGH, U.v. 14.12.2016 – 2 B 16.1574 – juris Rn. 37). Eine Befreiung berührt die Grundzüge der Planung, wenn das Vorhaben in seine Umgebung Spannungen hineinträgt oder erhöht, die nur durch eine Planung zu bewältigen sind, denn was den Bebauungsplan in seinen „Grundzügen“, was seine „Planungskonzeption“ verändert, lässt sich nur durch eine Änderung des Bebauungsplanes durch die Gemeinde ermöglichen und darf nicht durch einen einzelfallbezogenen Verwaltungsakt der Baugenehmigungsbehörde zugelassen werden (vgl. BayVGH, 15 ZB 16.940 – juris Rn. 10; BVerwG, U.v. 2.2.2012 – 4 C 14/10 – juris Rn. 22). Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2016 – 15 ZB 15.468 – juris Rn. 9).
Ausgehend hiervon scheidet die Erteilung einer Befreiung von der festgesetzten Zahl der Vollgeschosse aus, weil es sich dabei um einen Grundzug der Planung handelt und dieser durch die Befreiung berührt würde.
Bei der Festsetzung der maximalen Zahl der Vollgeschosse von einem handelt es sich um einen Grundzug der Planung im Sinn von § 31 Abs. 2 BauGB. Zwar ist allein aus dem Umstand, dass die Beklagte im Bebauungsplan mit der Festsetzung der Grundflächen und Geschossflächenzahl und der Zahl der Vollgeschosse Mindestfestsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung nach § 16 Abs. 2 BauNVO getroffen hat, noch nicht zwingend zu entnehmen, dass es sich bei diesen Festsetzungen um Grundzüge der Planung handelt. Hinzu tritt jedoch das Planungskonzept der Gemeinde (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 17.11.2016 – 15 ZB 15.468 – juris Rn. 11). Aus der Planbegründung wird deutlich, dass der Bebauungsplan die kommende Bauentwicklung in geordnete Bahnen lenken sollte, nachdem im Plangebiet bereits über 20 Gebäude entstanden waren. Tragendes Ziel war damit die Sicherstellung einer bestimmten Baustruktur und somit eine einheitliche Ortsbildgestaltung. Die „bauliche Struktur“ eines Baugebiets kommt in besonderer Weise gerade auch durch das Nutzungsmaß in seinen verschiedenen Ausprägungen, mithin auch durch die Anzahl der Vollgeschosse zum Ausdruck. Dass die Satzungsgeberin in der Planbegründung die Anzahl der Vollgeschosse als Merkmal einer gewünschten Baustruktur nicht ausdrücklich aufgeführt hat, ist insoweit unerheblich. Auch wenn ein eingeschossiges Gebäude in zulässigerweise mit einem zweiten Nicht-Vollgeschoss versehen werden kann, ohne dass dies nach außen immer einen sichtbaren Unterschied zu einem weiteren Vollgeschoss ausmacht, ist dies nicht geeignet, die Einordnung als Grundzug der Planung zu hindern. Denn mit der Formulierung „Vollgeschosse“ (und nicht nur „Geschosse“) hat die Satzungsgeberin gerade in Kauf genommen, dass ein Bauherr im Rahmen des rechtlich Zulässigen diese Möglichkeit ausschöpft und ein Gebäude mit einem weiteren Nicht-Vollgeschoss versehen wird. Dies gilt dann für sämtliche von dieser Festsetzung betroffenen Gebäude im Plangebiet, sodass die angestrebte Einheitlichkeit des Ortsbildes gewahrt bleibt. Bei der Festlegung der zulässigen Anzahl von Vollgeschossen handelt es sich um einen das äußere Erscheinungsbild anderweitig kennzeichnenden Maßbestimmungsfaktor, der im Wesentlichen durch die nach außen sichtbare Anzahl von Fensterreihen geprägt ist. Die Festsetzung zu der zulässigen Anzahl von Vollgeschossen dient zudem auch der zulässigen Höhenentwicklung im Plangebiet, wenngleich auch nur mittelbar, da – wie bereits ausgeführt – auch durch den Bau eines Nicht-Vollgeschosses das Gebäude eine größere Höhe erreichen kann. Dennoch gibt die zulässige Anzahl von Vollgeschossen einen gewissen Rahmen vor, weil davon auszugehen ist, dass sich ein vernünftiger Bauherr bei der konkreten Festlegung der Höhe der baulichen Anlage an einen gewissen marktüblichen Standard hält und die Höhe der baulichen Anlagen zudem in der Regel durch weitere Faktoren, z. B. Abstandsflächenregelungen, Rücksichtnahmegebot, begrenzt ist (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 17.11.2016 – 15 ZB 15.469 – juris Rn. 13 f.).
Die vorgesehene Bebauung mit einem zweiten Vollgeschoss im Obergeschoss und einem weiteren Nicht-Vollgeschoss im Dachgeschoss berührt diesen Grundzug der Planung, denn es würde ein nicht nur unwesentliches Abrücken von der angestrebten Ortsbildvereinheitlichung, der Sicherstellung einer bestimmten baulichen Struktur bedeuten. Bodenrechtliche Spannungen würden begründet. Auch wenn das Nicht-Vollgeschoss im Dachgeschoss rechnerisch kein Vollgeschoss darstellt, so wirkt sich das Gesamtvorhaben städtebaulich in seiner Ausformung dreigeschossig und dominant überhöhend aus und dies nicht zuletzt auch aufgrund der relativ großen Breite des Anbaus/der Schleppgaube (nahezu ½ der Länge des Hauses). Anders als bei Errichtung eines Zwerchhauses mit Satteldach bzw. eines Giebels mit Satteldach im Dachgeschoss der Klägerin, womit die Beklagte einverstanden wäre, wirkt die geplante Schleppgaube im Dachgeschoss sehr dominant, wozu überdies die so entstehende Wandhöhe des Gebäudes in diesem Bereich, die fast bis an den Dachfirst heranreicht, maßgeblich beiträgt. Dass die Klägerin die Innentreppe zum Dachgeschoss bereits errichtet hat und damit, nach ihren Aussagen, eine Variante mit Satteldach ausscheidet, ist der „scheibchenweisen“ Antragstellung durch die Klägerin geschuldet. Diese konnte gerade nicht darauf vertrauen, dass die Beklagte die Schleppgaube im zweiten Anlauf schon genehmigen werde. Insofern trägt sie auch das finanzielle Risiko von eventuell nötigen Umbaumaßnahmen. Die Erteilung einer Befreiung hätte eine nicht gewünschte Vorbildwirkung und stünde der weiteren Erreichung der städtebaulichen Ziele des § 4 des Bebauungsplanes im Wege. Der Umstand, dass direkt vor dem Haus ein größerer Laubbaum steht, sich das Gebäude in einer Hanglage und im Randbereich des Plangebietes befindet, ändert hieran nichts, denn zum einen ist der Baum nur im Sommer belaubt, zum anderen wäre die Schleppgaube, wie der Ortsaugenschein gezeigt hat, nicht nur von Süden blickend, sondern auch westlich und vor allem östlich des Vorhabengrundstücks, insbesondere vom … aus, zu sehen. Beim Ortstermin hat sich zudem gezeigt, dass bereits die vorhandene Einbrüstung des Balkons im Dachboden von der … aus zu sehen ist, die Schleppgaube wäre dann sogar noch deutlicher zu erkennen. Die Befreiung ist zudem städtebaulich nicht vertretbar, § 31 Abs. 2 BauGB. Weiter führt die Durchführung des Bebauungsplanes nicht zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte, § 31 Abs. 2 Nr. 3 BauGB, auch wenn die Klägerin ausführt, dass eventuell eine der Töchter mit Familie in das Haus ziehen werde und die Klägerin dann die Option habe, das Erdgeschoss des Hauses selbst zu bewohnen. Auch wenn der Klägerin die Baugenehmigung zu dem streitgegenständlichen Vorhaben verwehrt ist, bleiben ihr andere, bauplanungsrechtlich zulässige Möglichkeiten der Wohnnutzung auch des Dachgeschosses. Gründe des Wohls der Allgemeinheit liegen ganz offensichtlich nicht vor.
Da die Klägerin mit ihrem Hauptantrag unterliegt, ist über den Hilfsantrag zu entscheiden. Auch der Hilfsantrag, wonach die Beklagte verpflichtet werden soll, über den Bauantrag der Klägerin vom 26. November 2019 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, hat keinen Erfolg. Da es bereits an den Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB fehlt, kommt es auf eine Ermessensausübung der Beklagten nicht mehr an.
Die Kostentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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