Baurecht

Erschließungsbeitrag

Aktenzeichen  B 4 K 15.5

Datum:
28.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 132056
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BauGB § 127 Abs. 1, § 131 Abs. 2, Abs. 3, § 132 Nr. 2

 

Leitsatz

1 Für die Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands muss die jeweilige Erschließungsbeitragssatzung der Gemeinde einen geeigneten Maßstab enthalten, der den Anforderungen von § 131 Abs. 2 und 3 BauGB und überdies den Grundsätzen der konkreten Vollständigkeit und der Normenklarheit entspricht. Die satzungsmäßige Verteilungsregelung muss eine annähernd vorteilsgerechte Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands in allen Gebieten ermöglichen, die in der betreffenden Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses der Satzung vorhanden sind oder deren Entstehen aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu erwarten ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Da der Begriff der „zulässigen Geschossfläche“ als solcher nicht eindeutig ist, sondern unterschiedlich definiert werden kann, ist es nach dem Grundsatz der Normenklarheit erforderlich, dass die Satzung bestimmt, wie die zulässige Geschossfläche zu ermitteln ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Bescheide der Beklagten vom 12.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberfranken vom 25.11.2014 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
3. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässigen Klagen sind begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 12.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberfranken vom 25.11.2014 waren aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind und die Kläger in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 127 Abs. 1 BauGB erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag.
Für die Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands muss die jeweilige Erschließungsbeitragssatzung der Gemeinde einen geeigneten Maßstab enthalten (vgl. § 132 Nr. 2 BauGB), der den Anforderungen von § 131 Abs. 2 und 3 BauGB und überdies den Grundsätzen der konkreten Vollständigkeit und der Normenklarheit entspricht. Die satzungsmäßige Verteilungsregelung muss eine annähernd vorteilsgerechte Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands in allen Gebieten ermöglichen, die in der betreffenden Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses der Satzung vorhanden sind oder deren Entstehen aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu erwarten ist (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl., § 18 RdNr. 8). Diesen Anforderungen genügt die Verteilungsregelung in § 4 der Erschließungsbeitragssatzung (EBS) der Beklagten vom 30.11.1993, zuletzt geändert am 18.12.2000 weder hinsichtlich des Maßes (a.) noch hinsichtlich der Art (b.) der baulichen Nutzung (§ 131 Abs. 2 Nr. 1 BauGB).
a. Gemäß der Regelung in § 4 Abs. 1 EBS erfolgt die Verteilung des beitragsfähigen Aufwands auf die erschlossenen Grundstücke nach dem Verhältnis der Summen aus den Grundstücksflächen und den zulässigen Geschossflächen (Geschossflächenmaßstab). Der Begriff der „zulässigen Geschossfläche“ ist als solcher nicht eindeutig, sondern kann unterschiedlich definiert werden. Deshalb erfordert der Grundsatz der Normenklarheit, dass die Satzung bestimmt, wie die zulässige Geschossfläche zu ermitteln ist (Driehaus, a.a.O., RdNr. 41).
Die Kammer folgt der Argumentation der Beklagten (vgl. Ziff. 3a im Schriftsatz vom 25.08.2016) nicht, § 4 Abs. 1 EBS regle bereits hinreichend das Maß der baulichen Nutzung für Grundstücke mit einer im Bebauungsplan festgesetzten Geschossflächenzahl (GFZ), weil der Begriff „zulässige Geschossfläche“ dann eindeutig definiert sei, ohne dass dies in der Satzung näher beschrieben werden müsse. Ein solcher Schluss ergibt sich mit der erforderlichen Klarheit weder für den Satzungsanwender noch für die Beitragspflichtigen. Es genügt auch nicht, dass ohne nachvollziehbaren Zusammenhang in § 2 EBS (Art und Umfang der Erschließungsanlagen) unter Absatz 4 lediglich die Definition der Geschossflächenzahl enthalten ist. Wie die zulässigen Geschossflächen zu ermitteln sind, regelt die Satzung vielmehr in § 4 Abs. 2 Satz 1 EBS. Danach ergeben sich die „zulässigen Geschossflächen der einzelnen Grundstücke aus den zulässigen Grundrissflächen der Gebäude, vervielfacht mit der Anzahl der zulässigen Geschosse“. Woraus sich die Grundrissflächen ergeben, ist wiederum nicht geregelt. Aus den Festsetzungen des Bebauungsplans sind sie nicht unmittelbar zu entnehmen. Auch in der Baunutzungsverordnung findet sich dieser Begriff nicht. Die Beklagte hat die Grundrissfläche für Grundstücke mit der Festsetzung GFZ 1,2 so errechnet, dass sie anhand der GFZ die zulässige Geschossfläche ermittelt und diese durch die Anzahl der zulässigen Geschosse geteilt hat (Spalte 4 der Berechnungstabelle, Bl. 155 der Beiakte I) Für die Berechnung der zulässigen Geschossfläche hat sie die so ermittelte Grundrissfläche wieder mit der Anzahl der zulässigen Geschosse multipliziert; ein rechnerischer „Umweg“, wie die Beklagte im Schriftsatz vom 25.08.2016 einräumt. Dass § 4 Abs. 2 Satz 1 EBS nur in den Fällen anwendbar sein soll, in denen öffentlich-rechtliche Baubeschränkungen ein Ausschöpfen des vom Bebauungsplan vorgesehenen Maßes der zulässigen baulichen Nutzung verhindern, wie die Beklagte vorträgt, lässt sich aus dem Wortlaut „die zulässigen Geschossflächen der einzelnen Grundstücke“ nicht entnehmen. Die Regelung erweckt vielmehr den Eindruck, dass sie den „Normalfall“ für die Ermittlung der zulässigen Geschossfläche darstellt.
Somit lässt sich mangels klarer Berechnungsformel das Maß der baulichen Nutzung für Grundstücke ohne Baumassenzahl aus § 4 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 EBS nicht entnehmen. Für Grundstücke mit festgesetzter Baumassenzahl ergeben sich die zulässigen Geschossflächen gemäß § 4 Abs. 2 Satz 6 EBS aus den Grundstücksflächen vervielfacht mit der Baumassenzahl, geteilt durch 3,5. Diese Regelung ist eindeutig und nicht zu beanstanden.
b. Auch hinsichtlich der nach § 131 Abs. 3 BauGB erforderlichen Differenzierung nach der Art der Nutzung entspricht die Satzung der Beklagten nicht den Anforderungen der konkreten Vollständigkeit und Normenklarheit. Sie stellt damit keine taugliche Grundlage für die Verteilung des umlagefähigen Aufwands auf die durch unterschiedliche Intensität der Nutzung geprägten erschlossenen Grundstücke dar.
Ein Artzuschlag wird gemäß § 4 Abs. 2 Sätze 2 und 3 EBS für Grundstücke, auf denen eine Wohn- und Gewerbenutzung bzw. eine überwiegende gewerbliche Nutzung zulässig ist, dadurch festgesetzt, dass die nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EBS zu ermittelnden zulässigen Geschossflächen erhöht werden, indem die Grundrissflächen mit einer um ein oder zwei Geschosse höheren Geschosszahl vervielfacht werden.
Für Grundstücke, für die im Bebauungsplan eine Baumassenzahl festgesetzt ist, bestimmt § 4 Abs. 2 Satz 6 EBS zwar eine Umrechnungsformel für die Ermittlung einer (fiktiven) zulässigen Geschossfläche, es fehlt an dieser Stelle der Satzung aber eine auf solche Grundstücke abgestimmte Regelung für die Erhebung eines Artzuschlags.
Die Vorgehensweise der Beklagten, die auf die Regelung des § 4 Abs. 2 Sätze 2 und 3 EBS für Grundstücke ohne Baumassenzahl zurückgreift, widerspricht bereits der Struktur der Verteilungsregelung, weil ein Hinweis auf eine entsprechende Anwendung der Sätze 2 und 3 in Satz 6 fehlt. Zum anderen bedürfte es einer speziellen Umrechnungsformel, weil in § 4 Abs. 2 Satz 6 EBS, anders als in § 4 Abs. 2 Satz 1 EBS, die Anzahl der zulässigen Geschosse keine Rolle spielt. Die Rechenmethode der Beklagten, die die ermittelte zulässige Geschossfläche durch die Anzahl der zulässigen Geschosse teilt und mit der erhöhten Zahl der Geschosse multipliziert, findet in der Satzung keinen Niederschlag.
Somit fehlt es an einer eindeutigen und vollständigen satzungsmäßigen Regelung für die Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands auf die erschlossenen Grundstücke.
c. Nachdem die angefochtenen Beitragsbescheide bereits wegen der Unwirksamkeit der Verteilungsregelung des § 4 EBS aufzuheben ist, kommt es auf die Klärung weiterer Fragen (maßgebliche Anlage, Abrechnungsgebiet, beitragsfähiger Aufwand) nicht mehr entscheidend an.
2. Die Kostenentscheidung, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.

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