Aktenzeichen AN 3 S 20.00537
Leitsatz
1. Wird eine endgültig hergestellte Anbaustraße fortgeführt, für welche die sachliche Erschließungsbeitragspflicht bereits entstanden ist, so stellt solch nachträglich erfolgte Verlängerung/Fortführung dieser Straße eine selbständige Erschließungsanlage dar infolge der insoweit voneinander abweichenden Beurteilungszeitpunkte (vgl. BVerwG BeckRS 1984, 31258990). (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer „Bebauungsmassierung“, insbesondere unter Berücksichtigung eines 120 Parkplätze umfassenden Parkhauses und dem davon ausgelösten erheblichen Ziel- und Quellverkehr, ist trotz geringer Länge von 80 m und geradem Verlauf von einer selbständigen Stichstraße auszugehen. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 3.171,14 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus und einer Garage, die nur von der … Straße aus befahrbar ist, bebauten Grundstücks Flurnummer … der Gemarkung … Dieses Grundstück grenzt im Westen an die … Straße an und im Süden an die … Straße (Stich straße westlich der … Straße).
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. Januar 2020 wurde der Antragsteller für die erstmalige endgültige Herstellung der Erschließungsanlage „… Straße – Stich straße westlich der … Straße“ zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 12.684,56 EUR herangezogen. Unter Berücksichtigung der für das Antragstellergrundstück eingreifenden satzungsmäßigen Eckgrundstücksermäßigung wurde von der Gesamtgrundstücksfläche in Höhe von 438 qm eine beitragspflichtige Grundstücksfläche von 292 qm in die Abrechnung eingestellt. Der Beitragssatz beträgt 27,1501499 EUR/qm.
Dieser abgerechnete Teil der … Straße liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. …, welcher seit dem 22. Juni 1994 rechtsverbindlich ist.
Die östlich der … Straße verlaufende … Straße wurde zwischen 1968 und 1970 erstmals hergestellt, mangels Vorhandenseins eines die Straße festsetzenden Bebauungsplanes wurde mit Schreiben der Regierung von Mittelfranken vom 22. August 1968 die Zustimmung gemäß § 125 Abs. 2 BBauG erteilt.
Die … Straße wurde hergestellt zwischen 1965 und 1972, planungsrechtlich gemäß der Festsetzung im einschlägigen Baulinienplan (S. 110 der Verfahrensakte, vgl. Bebauungspläne Nr. … und Nr. …).
Mit Schriftsatz vom 27. Februar 2020 legte der Antragsteller gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. Januar 2020 Widerspruch ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung.
Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, vor Jahren sei angrenzend an sein Grundstück ein Parkhaus mit Zufahrt und Stellplätzen davor errichtet worden. Dieses Parkhaus sei der Stellplatznachweis für die Bebauung großer Teile der früher freien Flächen mit Mehrfamilienhäusern. Die Zufahrt in dieses Parkhaus erfolge über die nun durchgeführte Baumaßnahme. Weiterhin sei in den letzten Jahren eine Nachverdichtung der Bebauung an den noch freien Flächen durchgeführt worden. Auch hier erfolgte die Zufahrt über die durchgeführte Baumaßnahme. Somit diene diese ausschließlich der Zufahrt ins Parkhaus bzw. zum Garagenhof und für die bessere Erreichbarkeit der neu errichteten Gebäude.
Des Weiteren sei anzumerken, dass im Bescheid ein Nutzungsfaktor von 1,6 verwendet worden sei, tatsächlich habe sein Haus aber nur zwei Vollgeschosse, also Faktor 1,3.
Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Sackgasse … Straße sei bereits im Bebauungsplan Nr. …, rechtskräftig seit 22. Juni 1994, festgesetzt gewesen. Der Bebauungsplan Nr. … habe die Grundstücke hinter dem Anwesen des Antragstellers neu überplant und sei am 28. November 2008 in Kraft getreten. Die Stich straße sei wie festgesetzt hergestellt worden. Das Grundstück des Antragstellers grenze an die Stich straße … Straße an, besitze von dieser auch eine tatsächliche Zufahrt, so dass der Antragsteller diese Straße auch tatsächlich nutze. Dass das Grundstück auch an die … Straße angrenze, finde bei der Veranlagung in Form des Abzugs von 1/3 der Grundstücksfläche Berücksichtigung. Gemäß § 7 Abs. 5 der Erschließungsbeitragssatzung gelte als zulässige Zahl der Geschosse die im Bebauungsplan festgesetzte höchstzulässige Vollgeschosszahl, vorliegend demnach für den Bereich des Antragstellergrundstücks drei Vollgeschosse. Daher sei für das Antragstellergrundstück entsprechend der Geschosszahl ein Nutzungsfaktor von 1,6 anzusetzen gewesen.
Mit Schriftsatz vom 22. März 2020 stellte der Antragsteller Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, seit Jahrzehnten befinde sich hinter seinem Grundstück eine große freie Fläche. Sie habe eine der größten Sandgrasnelkenflure Süddeutschlands, welche teilweise sogar unter Naturschutz gestanden habe, beherbergt. Auf diesem Grundstück sei dann vor Jahren direkt angrenzend an sein Grundstück ein Parkhaus errichtet worden. Die Zufahrt in dieses Parkhaus erfolge über die nun durchgeführte Baumaßnahme. Dieses Parkhaus in direkter Nachbarschaft und der Verkehrsstrom der ein- und ausfahrenden Fahrzeuge um sein Grundstück herum stelle eine deutliche Wertminderung seiner Immobilie dar. Deshalb habe er das Vorhaben verhindern wollen. Selbstverständlich wolle er nicht auch noch an den Kosten der nun sanierten Zufahrt in dieses Parkhaus beteiligt werden.
Es wird sinngemäß beantragt,
die aufschiebende Wirkung des mit Schreiben vom 27. Februar 2020 erhobenen Widerspruchs anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt
Antragsablehnung.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Erschließungsanlage sei entsprechend den Bebauungsplänen Nr. … und … errichtet worden. Das Grundstück des Antragstellers grenze als Eckgrundstück sowohl an die … als auch an die … Straße an. Die Garage des Antragstellers befinde sich an der … Straße und sei nur über diese zu erreichen. Aufgrund der mehrfachen Erschließung sei gemäß § 7 Abs. 12 der Erschließungsbeitragssatzung der Antragsgegnerin bei der Abrechnung ein Drittel von der anzurechnenden Grundstücksfläche abgezogen worden.
Der Bebauungsplan Nr. … lasse für das Grundstück des Antragstellers eine dreigeschossige Bebauung zu. Nur auf die zulässige Bebaubarkeit, nicht auf die tatsächliche Bebauung komme es gemäß § 7 Abs. 2 und 5 der Erschließungsbeitragssatzung an, so dass der Nutzungsfaktor korrekt 1,6 betrage.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten Bezug genommen.
II.
Streitgegenstand vorliegenden Antrags ist die aufgrund Gesetzes gegebene sofortige Vollziehbarkeit des Erschließungsbeitragsbescheides der Antragsgegnerin vom 20. Januar 2020 bezüglich des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 27. Februar 2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. Januar 2020 anzuordnen, ist zulässig.
Der Antrag ist statthaft, denn gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben. Erschließungsbeiträge fallen unter diese Bestimmung (BVerwG, NVwZ 1983, 472).
Die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des § 80 Abs. 6 VwGO ist erfüllt, da die Vollstreckung droht (§ 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO). Denn die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 2. März 2020 mitgeteilt, dass der Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt wird.
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage in den Fällen des Abs. 2 Nr. 1 durch Beschluss anordnen. In entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO soll dies dann erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn ein Erfolg des Rechtsmittels mindestens ebenso wahrscheinlich ist, wie ein Misserfolg. Bloße Bedenken sind noch keine ernsthaften Zweifel (Kopp/Schenke, a.a.O., Rn. 116 zu § 80).
Im vorliegenden Fall bestehen bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. A., Rn. 125 zu § 80) keine solchen ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Beitragsbescheides der Antragsgegnerin vom 27. Januar 2020.
Bei summarischer Prüfung ist der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin formell und materiell rechtmäßig.
Er findet, soweit sich dies im einstweiligen Rechtsschutzverfahren beurteilten lässt, in Art. 5a KAG in Verbindung mit der Erschließungsbeitragssatzung (EBS) der Antragsgegnerin vom 12. Juli 1989, zuletzt geändert durch Satzung vom 3. Dezember 2018, seine Rechtsgrundlage.
In einem Eilverfahren, in dem – wie bereits ausgeführt – nur eine überschlägige Prüfung der Sach- und Rechtslage stattfinden kann, ist von der Gültigkeit einer Norm auszugehen, wenn nicht ausnahmsweise Gründe, die die Annahme der Nichtigkeit rechtfertigen, offen zu Tage treten (ständige Rechtsprechung des BayVGH, z.B. Beschluss vom 4.6.1997, 6 ZS 97.1305; vom 15.2.1999, 6 ZS 99.84; so auch der 23. Senat, vgl. Beschluss vom 6.7.1999 – 23 ZS 99.1852 – und vom 25.1.1995, GK 1995, Nr. 138).
Vorliegend bestehen keine Zweifel an der Rechtswirksamkeit der Erschließungsbeitragssatzung der Antragsgegnerin.
Auch im Übrigen sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nicht erkennbar.
1. Bei den abgerechneten Maßnahmen handelt es sich um die erstmalige Herstellung der „… Straße – Stich straße westlich der … Straße“ (im Folgenden: Stich straße … Straße) i.S.d. Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG.
Diese Anlage stellt eine öffentliche, zum Anbau bestimmte Straße dar, mithin eine Anbau straße i.S.d. Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG.
Wie weit eine einzelne Anbau straße reicht und wo eine andere Verkehrsanlage beginnt, bestimmt sich grundsätzlich nach der sogenannten natürlichen Betrachtungsweise, d.h. nach dem Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln.
Abzustellen ist im Regelfall darauf, ob und ggf. inwieweit sich die zu beurteilende Straße „als augenfällig eigenständiges Element des örtlichen Straßennetzes darstellt“, so z.B. BayVGH vom 31. Juli 2014, 6 CS 14.660 – juris m.w.N.. Der insoweit relevante Gesamteindruck hat sich dabei nicht an Straßennamen, Grundstücksgrenzen oder der zeitlichen Abfolge von Planung und deren Ausführung zu orientieren, sondern an Merkmalen wie der Straßenführung, -länge, – breite und -ausstattung (vgl. z.B. BayVGH vom 1.12.2011, 6 B 09.2893 – juris m.w.N.).
Entscheidender Zeitpunkt dabei ist der sich bei Entstehen der sachlichen Beitragspflicht darstellende Zustand.
a) Nach diesen Gegebenheiten spricht nach den dem Gericht vorliegenden Plänen und Fotos sowie infolge der eigenen Ortskenntnisse des Gerichts vorliegend viel dafür, dass die … Straße im streitgegenständlichen Umfange mit dem sich östlich der … Straße befindliche Straßenbereich, der ebenfalls den Straßennamen „… Straße“ trägt, nach natürlicher Betrachtungsweise eine einheitliche Anlage darstellt. Für diese Beurteilung spricht in besonderem Maße, dass sowohl vom Norden als auch vom Süden auf der … Straße sich der … Straße nähernd, sich nicht der Eindruck von zwei von der … Straße abzweigenden Straßen ergibt, sondern sich vielmehr eine Kreuzungssituation darstellt, bei welcher die … Straße als über die … Straße hinwegführend erscheint.
Jedoch ist vorliegend aller Voraussicht nach abweichend von der oben dargestellten natürlichen Betrachtungsweise aus Rechtsgründen unabhängig vom tatsächlichen Eindruck eines durchgehenden Straßenverlaufs bei der streitgegenständlichen Stich straße … Straße vom Vorliegen einer rechtlich selbständigen Erschließungsanlage i.S.d. Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG auszugehen.
Für die … Straße im östlich der … Straße gelegenen Bereich ist die sachliche Beitragspflicht mit ihrer endgültigen Herstellung zu Anfang der der 1970iger Jahre entstanden (und mit Bescheiden vom 5.7.1971 abgerechnet worden). Die für die Annahme des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht unter anderem nötige Erfüllung des Planerfordernisses ist hier in Gestalt der Zustimmung der Regierung von Mittelfranken gemäß § 125 Abs. 2 BBauG in der damals gültigen Fassung vorgelegen.
Wird eine endgültig hergestellte Anbau straße fortgeführt, für welche die sachliche Erschließungsbeitragspflicht bereits entstanden ist, wie dies vorliegend für den östlichen Teil der … Straße wohl bereits Anfang der 1970iger Jahre der Fall war, so stellt solch nachträglich erfolgte Verlängerung/Fortführung dieser Straße – auch entgegen des sich später nach natürlicher Betrachtungsweise einheitlich darstellenden Straßenverlaufs – eine selbständige Erschließungsanlage dar infolge der insoweit voneinander abweichenden Beurteilungszeitpunkte (vgl. z.B. BVerwG vom 5.10.1984, DVBl 1985, 294 f.; BayVGH vom 27.6.2001, 6 ZB 98.1724 – juris; vom 22.7.2011, 6 B 08.1935 – juris; vom 12.8.2016, 6 ZB 15.461 – juris).
b) Diese rechtliche Situation würde auch bei Annahme, dass es sich beim streitgegenständlich abgerechneten westlichen Bereich der … Straße um eine Stich straße der … Straße handelt, zum gleichen Ergebnis führen im Hinblick darauf, dass diese Stich straße, selbst bei unterstellter Unselbständigkeit, aus Rechtsgründen eine selbständig abrechenbare Anlage darstellen würde (unten aa), es sich aber jedenfalls bei der Stich straße … Straße nicht um eine unselbständige, der … Straße zugehörige Stich straße handelt (unten bb).
aa) Zum Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage … Straße (Bescheide vom 8.4.1974) war die hier streitgegenständliche Stich straße … Straße weder tatsächlich hergestellt noch planungsrechtlich „vorhanden“.
Im heutigen Umfange als Erschließungsanlage wurde sie erstmals im Bebauungsplan Nr. …, rechtskräftig seit 22. Juni 1994, festgesetzt. Das heißt, das Vorliegen einer der … Straße zugehörigen unselbständigen Stich straße würde aller Voraussicht nach – wie oben bezüglich der … Straße dargestellt – infolge der unterschiedlichen Beurteilungszeitpunkte nicht in Frage kommen, vielmehr wäre die Stich straße … Straße selbst dann, wenn sie alle Merkmale für die Annahme einer unselbständigen Stich straße erfüllen würde, als selbständige Anlage und nicht als Teil der … Straße einzuordnen.
bb) Die streitgegenständliche Stich straße … Straße wäre unabhängig von der oben dargestellten Selbständigkeit gegenüber der … Straße aus Rechtsgründen nicht als unselbständige Stich straße der … Straße zu beurteilen.
Ob eine Stich straße eine selbständige Anbau straße ist oder ein bloßes unselbständiges Anhängsel und damit ein Bestandteil der Straße, von der sie abzweigt, ergibt sich aus dem Gesamteindruck eines unbefangenen Beobachters aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse. Dabei kommt es auf die Ausdehnung der Stich straße, die Zahl der durch sie erschlossenen Grundstücke sowie das Maß der Abhängigkeit zwischen ihr und der Straße, von der sie abzweigt, an.
Unter Zugrundelegung dieser Merkmale sind nach der Rechtsprechung (vgl. z.B. BVerwG vom 29.8.2000, 11 B 48.00 – juris; BayVGH vom 13.4.2017, 6 B 14.2729 – juris m.w.N.) solche abzweigenden Straßen als unselbständig einzuordnen, die nach den tatsächlichen Verhältnissen den Eindruck einer Zufahrt vermitteln. Davon ist regelmäßig bei einer Stichstraßenlänge von unter 100 m und geradem Verlauf auszugehen. Jedoch ist diese „Regellänge“ von 100 m keine starre Vorgabe. Bundesverwaltungsgericht und BayVGH fordern eine Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse, bei welcher es nicht allein auf Länge und Verlauf der Stich straße ankommt (BVerwG vom 29.8.2000, a.a.O.; BayVGH vom 30.11.2016, 6 B 15.1835 – juris).
Vorliegend erschließt die ca. 80 m lange, gerade verlaufende Stich straße … Straße als Sack straße 16 Grundstücke, wovon 12 mit Einfamilienhäusern bebaut sind, auf FlNr. … befindet sich ein mit 120 innenliegenden Plätzen genehmigtes Parkhaus.
In Ansehung dieser „Bebauungsmassierung“, insbesondere unter Berücksichtigung des 120 Parkplätze umfassenden Parkhauses und dem davon ausgelösten erheblichen Ziel- und Quellverkehr, ist vorliegend trotz geringer Länge, geradem Verlauf und gegebener Abhängigkeit von der … Straße von einer selbständigen Stich straße auszugehen.
2. Eine Beitragspflicht des Antragstellers entfällt nicht etwa deshalb, weil sein Grundstück bereits durch die … Straße erschlossen ist.
„Erschließungsbeiträge“, so z.B. BayVGH in der Entscheidung vom 12. August 2016, 6 ZB 15.461 – juris, „werden für die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage erhoben, nicht für die erstmalige Erschließung eines Grundstücks“.
Grundstücke können somit nicht nur durch die erste, sondern auch durch weitere hinzukommende Anbaustraßen erschlossen werden, wobei es erschließungsbeitragsrechtlich unerheblich ist, ob der Grundstückseigentümer eine hinzukommende Erschließungsstraße als überflüssig, gar nachteilig empfindet. Ob ein Grundstück durch eine weitere Anlage erschlossen wird, bestimmt sich nach dem gleichen Maßstab, wie er für die Ersterschließung gilt. Dabei ist die dem betreffenden Grundstück durch die bereits vorhandene Anlage vermittelte Bebaubarkeit hinweg zu denken (ständige Rechtsprechung, BVerwG vom 1.3.1996, 8 C 26.94 – juris; BayVGH vom 12.8.2016, a.a.O.).
Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Gegebenheiten ist das Grundstück des Antragstellers aller Voraussicht nach zu Recht zu einem Erschließungsbeitrag herangezogen worden für die erstmalige Herstellung der streitgegenständlichen Anlage.
Auch der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung steht vorliegend der Beitragspflicht für das Grundstück des Antragstellers nicht entgegen. Dadurch wird nämlich nicht etwa eine Beitragspflicht für die Herstellung einer anderen, ebenfalls Erschließungsfunktion innehabenden Anlage ausgeschlossen.
Allerdings sehen die meisten Beitragssatzungen – dies gilt auch für die vorliegend einschlägige Erschließungsbeitragssatzung der Antragsgegnerin – für den Fall einer derartigen Mehrfacherschließung bei der Verteilungsregelung eine Beitragsermäßigung vor (vgl. z.B. BayVGH vom 3.2.2020, 6 ZB 19.2115 – juris).
Nachdem über das oben Erörterte hinaus keine weiteren, zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Erschließungsbeitragsbescheides führenden Gründe zu erkennen sind, insbesondere nach der nicht zu beanstandenden Satzungsregelung des § 7 Abs. 2 und Abs. 5 EBS zu Recht bei der Bestimmung des Nutzungsfaktors auf die planungsrechtlich zulässige Nutzung abgestellt wurde, war der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 3 GKG, wobei nach der Rechtsprechung des BayVGH für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ein Viertel der Beitragshöhe anzusetzen ist.