Aktenzeichen Au 3 K 16.1507
VO (EG) Nr. 1370/2007 Art. 3 Abs. 1, Abs. 2
Leitsatz
Wird ein Verkehrsunternehmen vom Aufgabenträger durch öffentlichen Dienstleistungsauftrag mit der Erbringung von Verkehrsleistungen beauftragt und erhält es dafür Ausgleichszahlungen, so ist die Verkehrsleistung nicht eigenwirtschaftlich, sondern gemeinwirtschaftlich. Die Eigenwirtschaftlichkeit ist nur dann gewahrt, wenn die Aufgabenträger den Defizitausgleich im Rahmen einer allgemeinen Vorschrift gewährleisten. Auf den Erlass einer solchen allgemeinen Vorschrift besteht indes kein Anspruch. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Gründe
Die Klage, über die nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung im schriftlichen Verfahren entschieden werden kann, ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).
1. Für die auf Aufhebung der der Beigeladenen zu 1 erteilten Linienverkehrsgenehmigung für das Linienbündel „Wittelsbacher Land 01“ gerichtete Drittanfechtungsklage (Konkurrentenklage) ist die Klägerin klagebefugt, weil sie eine mögliche Verletzung eigener Rechte geltend machen kann (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO). Die Bestimmungen des § 13 PBefG schützen den Bewerber um eine Linienverkehrsgenehmigung, der – wie hier die Klägerin – geltend macht, die Genehmigung habe ihm und nicht dem Konkurrenten erteilt werden müssen (vgl. BVerwG, Urt. v. 6.4.2000 – 3 C 6/99 -, BVerwGE 127, 42, juris). Insoweit weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass sie selbst auch für sämtliche Linien des Linienbündels die Genehmigung beantragt habe und in keinem Fall eine bestandskräftige Ablehnung vorliege.
Dass die Klägerin im konkreten Anhörungsverfahren (eingeleitet durch Emails der Regierung von Schwaben vom 30.6.2015 bzw. 5.8.2015) keine ausdrücklichen Einwendungen gegen den Antrag der Beigeladenen zu 1 erhoben hat, lässt die Klagebefugnis nicht entfallen, denn die Regelung in § 14 Abs. 4 Satz 2 PBefG beinhaltet keine Präklusion. Dies ergibt sich bereits aus dem Vergleich des Wortlauts mit dem von Präklusionsvorschriften wie z.B. § 29 Abs. 4 PBefG oder § 73 Abs. 4 Satz 3 und 4 VwVfG. Denn bei derartigen Präklusionsvorschriften ist ausdrücklich geregelt, dass Einwendungen nach Ablauf der Frist nicht mehr berücksichtigt werden bzw. ausgeschlossen sind. Eine solche Formulierung findet sich bei § 14 Abs. 4 Satz 2 PBefG nicht, so dass die Vorschrift bereits nach ihrem Wortlaut sowie der Intention des Gesetzgebers keinen zwingenden Ausschluss eines während der Frist nach § 14 Abs. 4 Satz 2 PBefG nicht ausdrücklich geltend gemachten Rechtes vorsieht (vgl. VG Sigmaringen, B.v. 28.9.2006 – 5 K 1315/06 -, juris; Heinze, PBefG, 1. Aufl. 2007, § 14 Rn. 9).
2. Die Klage ist jedoch unbegründet, weil der angefochtene Bescheid der Regierung von Schwaben vom 30. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. September 2016 rechtens ist und demgemäß die Klägerin auch nicht in ihren Rechten i.S.d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der von der Genehmigungsbehörde getroffenen (Auswahl-) Entscheidung ist bei personenbeförderungsrechtlichen Konkurrentenklagen grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (hier: Widerspruchsbescheid vom 21.9.2016; vgl. BVerwG, U.v. 6.4.2000 – C 6.99 – und v. 12.12.2013 – 3 C 30.12 – beide juris).
2.1 Einer Entscheidung über die konkrete Klage steht nicht entgegen, dass das Verwaltungsgericht zwar über die Klagen in den Verfahren Au 3 K 13.2063 und Au 3 K 14.34, die die am 5. Juni 2013 beantragte Genehmigung für den Betreib der Linie 305 und den am 27. März 2013 gestellten „gestaffelten“ Tarifantrag betreffen, jedoch noch nicht über die Klagen in den antragsgemäß ruhend gestellten und bislang nicht wieder aufgerufenen Verfahren Au 3 K 13.2064 (Linie 306), Au 3 K 13.2065 (Linie 314), Au 3 K 13.2066 (Linie 315), Au 3 K 13.2067 (Linie 316), Au 3 K 13.2068 (Linie 317), Au 3 K 15.1116 (Linie 227), Au 3 K 15.1117 (Linie 227AST) und Au 3 K 15.1118 (Linie 305, „neuer“ Antrag vom 3.3.2014) entschieden hat. Zwar sind die in den genannten Verfahren zur Entscheidung gestellten Fragen (Anspruch der Klägerin auf Erteilung der Linienverkehrsgenehmigungen und auf Zustimmung zu den „gestaffelten“ Tarifanträgen) im vorliegenden Fall streitentscheidend, doch kann das Verwaltungsgericht hierüber inzident entscheiden; durch den Verzicht auf mündliche Verhandlung haben sich die Beteiligten damit konkludent einverstanden erklärt.
2.2 Die von der Klägerin gestellten Anträge auf Erteilung der von ihr reklamierten Linienverkehrsgenehmigungen stünden der streitgegenständlichen, der Beigeladenen zu 1 erteilten Genehmigung nur dann entgegen, wenn die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigungen hätte. Da (nur) dem Beigeladenen zu 1 von den Aufgabenträgern ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag zur Erbringung von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen erteilt wurde, könnte die Klägerin mit der Klage nur dann durchdringen, wenn sie in der Lage wäre, die Verkehrsleistungen eigenwirtschaftlich zu erbringen, denn nur dann hätte sie einen (vorrangigen) Anspruch auf Erteilung der begehrten Genehmigungen (§ 8 Abs. 4 Satz 1 PBefG). Dies war und ist jedoch nicht der Fall.
2.2.1 Soweit sich die Klägerin auf die von ihr mit Schreiben vom 28. März 2013 und 5. Juni 2013 beantragten Linienverkehrsgenehmigungen (mit einer begehrten Gültigkeitsdauer über den 31.12.2015 hinaus) bezieht, verweist das Gericht auf die Darlegungen in den Entscheidungsgründen seines Urteils vom 24. März 2015, Az. Au 3 K 13.2063, Au 3 K 14.34. Mit diesem Urteil hat die Kammer – bezogen auf die Linie 305 – die begehrte Verpflichtung des Beklagten abgelehnt, der Klägerin eine eigenwirtschaftliche Linienverkehrsgenehmigung zu erteilen oder die bis zum 31. Dezember 2015 befristete gemeinwirtschaftliche Genehmigung über einen darüber hinausgehenden Zeitraum (bis zur möglichen Höchstdauer) zu „verlängern“. Auch wenn sich dieses Urteil, wie dargelegt, nur auf die Linie 305 bezieht, gelten die Entscheidungsgründe in Bezug auf die Linien 306, 314, 315, 316 und 317, die ebenfalls Bestandteile des Linienbündels „Wittelsbacher Land 01“ sind, entsprechend.
2.2.2 Soweit sich die Klägerin auf die mit Schreiben vom 3. März 2014 („hilfsweise“) gestellten Anträge bezieht, hilft ihr dies nicht weiter.
Die Klägerin ist offensichtlich nicht in der Lage, die beantragten Linienverkehre (auf Dauer, d.h. bis zum Fahrplanwechsel 2023/2024) eigenwirtschaftlich unter Beachtung der von den zuständigen Aufgabenträgern definierten Anforderungen, wozu u.a. die Anwendung des Gemeinschaftstarifs und des Verbundfahrplans gehört, zu betreiben. Ihr entstünde nach eigenem Bekunden beim Betrieb der Linien unter Beachtung der genannten Vorgaben ein jährliches Defizit, d.h. ein nicht durch Einnahmen (Fahrpreise, sonstige Erlöse etwa durch Fahrzeugwerbung) gedeckter Betriebskostenfehlbetrag von erheblich mehr als einer halben Million Euro. Um die „Auskömmlichkeit“ der Linienverkehre (einschließlich eines angemessenen Betriebsgewinns) sicherzustellen und damit einen Betrieb auf Dauer zu gewährleisten, wäre die Klägerin – wollte sie die von den Aufgabenträgern definierten Anforderungen erfüllen – zwingend auf Ausgleichsleistungen der zuständigen Aufgabenträger, der Beigeladenen zu 2 bis 4, angewiesen. Ausgleichszahlungen der Aufgabenträger zur Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung, wie von den Aufgabenträgern gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 PBefG definiert, können nach § 8a Abs. 1 Satz 1 und 2 PBefG, Art. 3 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 entweder durch eine allgemeine Vorschrift i.S.d. Art. 2 Buchst. l VO (EG) Nr. 1370/2007 oder durch einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag i.S.d. Art. 2 Buchst. i VO (EG) Nr. 1370/2007 geregelt werden. Wird ein Verkehrsunternehmen vom Aufgabenträger durch öffentlichen Dienstleistungsauftrag mit der Erbringung von Verkehrsleistungen beauftragt und erhält es dafür Ausgleichszahlungen, so ist die Verkehrsleistung nach der Legaldefinition in § 8 Abs. 4 Satz 2 PBefG (im Gegensatz zur bis zum 31. Dezember 2012 gültigen Rechtslage) nicht eigenwirtschaftlich, sondern gemeinwirtschaftlich. Die Eigenwirtschaftlichkeit der die mehrfach genannten Anforderungen einhaltenden Verkehrsleistungen wäre somit nur dann gewahrt, wenn die Aufgabenträger den Defizitausgleich im Rahmen einer allgemeinen Vorschrift gewährleisten würden. Die Aufgabenträger haben jedoch zu keiner Zeit eine allgemeine Vorschrift erlassen, die die Linien des Linienbündels „Wittelsbacher Land 01“ erfasst; vielmehr haben sie das „Finanzierungsinstrument“ des öffentlichen Dienstleistungsauftrags gewählt und lehnen den Erlass einer allgemeinen Vorschrift ab. Die Klägerin hat auch keinen diesbezüglichen Rechtsanspruch gegen die Aufgabenträger (vgl. OVG NW, U.v. 25.8.2016 – 13 A 788/15 -; VG Augsburg, U.v. 24.3.2015 – Au 3 K 13.2063, Au 3 K 14.34 – und – Au 3 K 15.79 -; VG Stade, U.v. 30.6.2016 – 1 A 1432/14 -; sämtliche juris). Soweit die klägerischen Anträge somit in Verbindung mit bzw. unter dem Vorbehalt des Erlasses einer allgemeinen Vorschrift stehen (siehe einzelne Hilfsanträge des in die Genehmigungsanträge einbezogenen „gestaffelten“ Tarifantrags), können sie wegen des Fehlens einer solchen Vorschrift nicht genehmigt werden.
Soweit die Klägerin die Verkehrsleistungen auf den streitgegenständlichen Linien entsprechend dem „gestaffelten“ Tarifantrag einschließlich der zahlreichen Hilfsanträge in Kombination mit einer Erhöhung des Verbundtarifs oder Einführung eines Haustarifs und/oder einer Einschränkung des Verkehrsleistungsangebots erbringen möchte, fehlt es ebenfalls an der Genehmigungsfähigkeit. Sämtliche Alternativen sind mit den von den Aufgabenträgern definierten Anforderungen an eine ausreichende Verkehrsbedienung, die unstreitig auch Gegenstand der Vorabbekanntmachung nach Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 waren, nicht vereinbar. Die Aufgabenträger haben auch nicht ihr Einvernehmen mit den Abweichungen erklärt (vgl. § 13 Abs. 2a Satz 2 PBefG).
2.3 Die angefochtene streitgegenständliche Genehmigung ist auch im Übrigen, d.h. unabhängig von der Frage der (nicht bestehenden) Genehmigungsfähigkeit der klägerischen Anträge, rechtmäßig. Bedenken gegen ihre Rechtmäßigkeit in formeller oder materieller Hinsicht, die zu einer Verletzung subjektiver Rechte der Klägerin führen könnten, werden insoweit weder von der Klägerin geltend gemacht noch sind solche sonst ersichtlich.
3. Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Da die Beigeladenen eigene Klageabweisungsanträge gestellt und sich damit nach § 154 Abs. 3 Satz 1 VwGO einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt haben, entspricht es der Billigkeit, der unterlegenen Klägerin auch die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
4. Die Berufung wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen.