Baurecht

Erweiterung eines Wohngebäudes

Aktenzeichen  M 1 K 16.3040

Datum:
29.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 34 Abs. 1, § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 5

 

Leitsatz

Es handelt es sich nicht um eine Erweiterung im Sinne des § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 5 BauGB, wenn ein eigenständiges, d.h. ein von dem vorhandenen Wohngebäude konstruktiv unabhängiges und auch selbstständig nutzbares Gebäude geplant ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Versagungsbescheid des Landratsamts vom 14. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da dieser auf die Erteilung der begehrten Baugenehmigung keinen Anspruch hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das vom Kläger beantragte Bauvorhaben, dessen Zulässigkeit im Rahmen des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nach Art. 68 i. V. m. Art. 59 Abs. 1 Nr. 1 BayBO zu prüfen ist, ist bauplanungsrechtlich unzulässig. Es liegt im Außenbereich nach § 35 BauGB (1.) und beeinträchtigt als nicht – auch nicht teilweise – privilegiertes Vorhaben öffentliche Belange (2.).
1. Das Bauvorhaben des Klägers liegt nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB und deshalb im bauplanungsrechtlichen Außenbereich nach § 35 BauGB.
1.1. Ein Bebauungszusammenhang nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt (BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275 – juris Rn. 11, m. w. N.).
Ein Grundstück fällt nicht bereits deshalb unter § 34 Abs. 1 BauGB, weil es von einer zusammenhängenden Bebauung umgeben ist. Erforderlich ist vielmehr, dass das Grundstück selbst einen Bestandteil des Zusammenhangs bildet, selbst also am Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit teilnimmt. Mögliche Bestandteile eines Bebauungszusammenhangs sind zum einen bebaute Grundstücke, soweit die darauf befindliche Bebauung geeignet ist, den Bebauungszusammenhang selbst herzustellen oder an seiner Entstehung mitzuwirken. Ferner können auch unbebaute Grundstücke dem Bebauungszusammenhang angehören, wenn es sich um eine Baulücke im engeren Sinne des Wortes handelt, d. h. um ein zwar unbebautes, aber bebauungsfähiges Grundstück, das trotz der fehlenden Bebauung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit der umgebenden Bebauung nicht stört; dem Fall eines unbebauten Grundstücks gleichzustellen sind Grundstücke mit baulichen Anlagen, die selbst nicht geeignet sind, den Bebauungszusammenhang herzustellen oder an seiner Entstehung mitzuwirken. Bestandteil des Bebauungszusammenhangs können schließlich auch freie Flächen sein, die wegen ihrer natürlichen Beschaffenheit oder wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung einer Bebauung entzogen sind.
Darüber, wo die Grenze des Bebauungszusammenhangs verläuft, ist nicht nach geographischmathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigenden Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden (BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275 – juris Rn. 13 ff., m. w. N.).
1.2. Gemessen an diesen Vorgaben liegt das Grundstück des Klägers nach dem Eindruck, den sich das Gericht im Augenscheintermin von der näheren Umgebung verschafft hat, in keinem Bebauungszusammenhang. Nördlich des Anwesens Haus-Nr. 45 auf der östlichen Seite der K.-Straße und nördlich des Anwesens Haus-Nr. 64 auf deren westlicher Seite liegt weithin unbebautes Gebiet. Insbesondere der ca. 200 m breite Bereich zwischen Haus-Nr. 64 und – nördlich hiervon – Haus-Nr. 58 unterbricht jedenfalls einen – gegebenenfalls bis Haus-Nr. 64 bestehenden – Bebauungszusammenhang von Süden her. Dass man von Haus-Nr. 64 aus das auf dem Anwesen FlNr. 397 stehende villenartige Gebäude (Haus-Nr. 58) sehen kann, wie der Kläger vorträgt, ist für diese Beurteilung unerheblich. Der Bereich zwischen beiden Anwesen ist nach dem Ergebnis des Augenscheintermins auch nicht etwa wegen seiner natürlichen Beschaffenheit oder einer besonderen Zweckbestimmung einer Bebauung entzogen.
Ein Bebauungszusammenhang wird auch nicht – wie der Kläger vorträgt – durch eine Sichtbeziehung zwischen den Anwesen Haus-Nr. 45 und Haus-Nr. 58 vermittelt, da in Anbetracht der Entfernung von 80 m zwischen beiden Anwesen kein Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit besteht. Auch davon hat sich das Gericht im Augenscheintermin einen Eindruck verschafft. Hieran ändert der Umstand nichts, dass die K.-Straße an dieser Stelle (nur) ca. 4 m breit ist und das Anwesen Haus-Nr. 58 neben einem massiven Baukörper auch einen großflächigen, parkähnlichen Gartenbereich aufweist.
1.3. Selbst wenn man, der Argumentation des Klägers folgend, annehmen würde, dass sich dessen Wohnhaus – in einer gedachten Linie der Wohngebäude auf den FlNr. 416/3, 416/2, 416/4 und 416/5 – in einem Bebauungszusammenhang im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB befände, so beträfe das nur das bestehende Wohnhaus selbst, nicht jedoch den Bereich östlich davon bis zur K.-Straße, weshalb das östlich vom Wohnhaus des Klägers geplante Bauvorhaben auch unter dieser Annahme im bauplanungsrechtlichen Außenbereich liegt. Die beiden Nebengebäude auf dem Klägergrundstück sind nicht zum dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmt und deshalb für die Herstellung eines Bebauungszusammenhangs im oben genannten Sinn nicht geeignet.
2. Das nicht nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegierte Wohnbauvorhaben des Klägers ist nicht gemäß § 35 Abs. 4 BauGB teilprivilegiert (2.1.) und beeinträchtigt als sonstiges Vorhaben im Sinne von § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB (2.2.).
2.1. Bei dem Vorhaben des Klägers handelt es sich nicht um eine angemessene Erweiterung des bestehenden Wohnhauses im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB und daher nicht um ein sog. teilprivilegiertes Vorhaben, dem bestimmte öffentliche Belange nicht entgegengehalten werden können. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung (BayVGH, U. v. 12.12.2007 – 14 B 05.2165 – BayVBl. 2008, 668 – juris Rn. 21, m. w. N.) erfasst der Begriff der Erweiterung zwar allgemein die Vergrößerung eines bestehenden Wohngebäudes, findet seine Grenze aber dort, wo diese quantitative Vergrößerung in eine qualitative Veränderung des Gebäudes umschlägt. Das ist u. a. dann der Fall, wenn neben dem bestehenden Wohngebäude – verbunden mit einem Zwischentrakt – räumlich abgesetzt ein zweites Bauwerk als eigenständige bauliche Anlage „erweiternd“ errichtet werden soll (BVerwG, B.v. 16.4.2008 – 4 B 24.08 – ZfBR 2008, 593 – juris Rn. 6). Denn durch die Regelung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB sollen keine neuen Baurechte geschaffen, sondern vielmehr nur Härten und Schwierigkeiten beseitigt werden, um den bereits im Außenbereich Ansässigen in begrenztem Umfang zu begünstigen und diesem eine angemessene Wohnraumversorgung zu gewährleisten (BayVGH, U. v. 12.12.2007 a. a. O. Rn. 21).
Gemessen daran handelt es sich bei dem geplanten Vorhaben nicht um eine Erweiterung im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB, denn entsprechend den Planunterlagen ist ein eigenständiges, d. h. ein von dem vorhandenen Wohngebäude konstruktiv unabhängiges und auch selbstständig nutzbares Gebäude beantragt. Dass der Kläger das Vorhaben als „Wohnhauserweiterung“ bezeichnet, ändert an dieser rechtlichen Bewertung nichts. Die Eigenständigkeit des geplanten Vorhabens kommt u. a. auch dadurch zum Ausdruck, dass zu dessen Errichtung keine grundlegenden Eingriffe in die Bausubstanz des Hauptgebäudes notwendig werden. An dieses Hauptgebäude ist ein gemauerter und überdachter Eingangsbereich angebaut, an den sich das Bauvorhaben anschließen soll. Ferner ermöglichen Art und Weise des geplanten Anschlusses an das vorhandene Wohngebäude über den dazwischen liegenden überdachten Eingangsbereich bei objektiver Betrachtungsweise eine selbstständige Nutzbarkeit des geplanten Vorhabens.
Selbst wenn man jedoch das geplante Vorhaben als Erweiterung eines Wohnhauses ansehen wollte, handelte es sich jedenfalls nicht um eine „angemessene“ Erweiterung im Sinne von § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 Buchst. b BauGB. Angemessen ist eine solche Wohnhauserweiterung nur dann, wenn sie ausgehend von den objektiven Verhältnissen des Eigentümers und seiner Familie – d. h. ohne Berücksichtigung der selbstbestimmten Bedürfnisse der Bewohner – der angemessenen Wohnraumversorgung der Familienangehörigen zu dienen bestimmt ist. Zur Orientierung ist dabei auf die Bestimmungen zur Wohnraumförderung abzustellen (BayVGH, U. v. 12.12.2007 – 14 B 05.2165 – BayVBl. 2008, 668 – juris Rn. 23, m. w. N.).
Hiervon ausgehend ist die Einschätzung des Landratsamts, es fehle an einer Angemessenheit unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse der vierköpfigen Familie des Klägers, nicht zu beanstanden. Denn orientiert man sich dabei an den Regelungen des zum 31. Dezember 2001 aufgehobenen (vgl. Art. 2 des Gesetzes zur Reform des Wohnungsbaurechts vom 13.9.2001 BGBl I 2376) Zweiten Wohnungsbaugesetzes (§ 39 Abs. 1 und 2, § 82 II. WoBauG; BVerwG, B.v. 31.5.1988 – 4 B 88.88 – NVwZ 1989, 355 – juris Rn. 4), wird der dort angegebene Rahmen von ca. 130 m² (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 1.8.2016, § 35 Rn. 159) vorliegend – ohne Berücksichtigung des geplanten Vorhabens (74,5 m² Wohnfläche) – schon von dem bestehenden Wohngebäude (216 m² Wohnfläche) deutlich überschritten.
2.2. Das somit nicht teilprivilegierte Vorhaben beeinträchtigt öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB.
Das Vorhaben widerspricht zum einen nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB der Darstellung „Fläche für Landwirtschaft“ im Flächennutzungsplan der Beigeladenen, die entgegen der Auffassung des Klägers auf der Halbinsel … nicht gegenstandslos geworden ist, wie der Augenschein ebenfalls ergeben hat. Dafür sprechen vor allem die großflächigen, beim Augenschein sichtbar gewordenen, unbebauten Bereiche entlang der K.-Straße. Ferner beeinträchtigt das Bauvorhaben als einem dem Außenbereich wesensfremden und ihn störenden Bauwerk die natürliche Eigenart der Landschaft nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB.
Schließlich steht dem klägerischen Vorhaben der öffentliche Belang nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB entgegen. Nach dieser Vorschrift liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange insbesondere dann vor, wenn das Vorhaben die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt. Aufgrund des beim Augenschein gewonnenen Eindrucks geht das Gericht davon aus, dass es sich beim Wohnhaus des Klägers sowie bei den Wohngebäuden auf den angrenzenden Nachbargrundstücken nicht um eine organische Siedlungsstruktur, sondern um eine unorganische Streubebauung im Sinne eines Siedlungssplitters handelt.
Das Bauvorhaben des Klägers lässt aufgrund seiner Größe die Verfestigung dieser Splittersiedlung und eine unerwünschte Zersiedelung des Außenbereichs befürchten. Für diese Sichtweise spricht vor allem der Umstand, dass es sich bei dem beabsichtigten Vorhaben bei objektiver Betrachtungsweise um einen vom Hauptgebäude trennbaren, erweiterbaren sowie – aufgrund seiner Größe – eigenständig nutzbaren Baukörper handelt. Darüber hinaus führt das geplante Vorhaben aber auch zu einer Erweiterung des bestehenden Siedlungssplitters, weil es östlich der vorhandenen Bebauung errichtet werden soll und somit eine räumliche Ausdehnung des bisher von den bestehenden Gebäuden in Anspruch genommenen Bereichs zur Folge hat.
3. Aus diesen Gründen ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt und sich keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, ist es angemessen, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 ff. ZPO.

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