Aktenzeichen 6 ZB 18.1667
Leitsatz
1 Für die Annahme eines straßenausbaurechtlichen Sondervorteils im Sinn von Art. 5 Abs. 1 S. 1 BayKAG sind nach ständiger Rechtsprechung zwei Merkmale entscheidend: zum einen die spezifische Nähe des Grundstücks zur ausgebauten Ortsstraße, wie sie bei Anliegergrundstücken und ihnen aus dem Blickwinkel einer rechtlich gesicherten Inanspruchnahmemöglichkeit grundsätzlich gleich zu stellenden Hinterliegergrundstücken gegeben ist, zum anderen eine Grundstücksnutzung, auf die sich die durch den Ausbau verbesserte Möglichkeit, als Anlieger von der Ortsstraße Gebrauch zu machen, positiv auswirken kann. Den Eigentümern von Flächen‚ bei denen beide Voraussetzungen vorliegen‚ kommt der Straßenausbau in einer Weise zugute‚ die sie aus dem Kreis der sonstigen Straßenbenutzer heraushebt und die Heranziehung zu einem Beitrag rechtfertigt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten zu kompensieren. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 28 K 16.4436 2018-02-20 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 20. Februar 2018 – M 28 K 16.4436 – wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 4.579,07 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Solche Zweifel wären begründet, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 26.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Die Kläger wurden mit Bescheid vom 26. November 2014 als Miteigentümer des Grundstücks FlNr. …/46 vom beklagten Markt für den (Teilstrecken-)Ausbau der P.-straße zu einer Vorauszahlung auf den Straßenausbaubeitrag in Höhe von 4.579,07 € herangezogen. Den vom Kläger erhobenen Widerspruch hat das Landratsamt mit Widerspruchsbescheid vom 18. August 2016 zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 20. Februar 2018 abgewiesen. Es ist zum Ergebnis gelangt, dass der Vorauszahlungsbescheid sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach rechtmäßig sei. Die im Zulassungsantrag dargelegten Einwände, die sich ausschließlich gegen die Höhe des Vorauszahlungsbetrags richten, begründen an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils keine Zweifel, die in einem Berufungsverfahren geklärt werden müssten.
Anwendung findet im vorliegenden Fall nach der Übergangsvorschrift des Art. 19 Abs. 7 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG) in der Fassung vom 26. Juni 2018 (GVBl S. 449) dieses Gesetz in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (der Bek. vom 4.4.1993, GVBl. S. 264, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.12.2016, GVBl. S. 351), weil die Vorauszahlung bereits mit Bescheid vom 26. November 2014 festgesetzt worden war.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass gegen den angefochtenen Vorauszahlungsbescheid der Höhe nach keine rechtlichen Bedenken bestehen.
a) Ohne Erfolg bleiben die Einwendungen der Kläger, dass durch Fehler des Beklagten bei der Verteilung des beitragsfähigen Aufwands auf die Grundstücke im Abrechnungsgebiet eine zu Lasten der Kläger zu hohe Vorauszahlung festgesetzt worden sei.
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Beklagte beim klägerischen Grundstück zu Unrecht nur zwei statt drei Vollgeschosse und lediglich einen Nutzungsfaktor von 1,95 statt richtig 2,4 (3 Vollgeschosse =1,6 + Erhöhung um 50% wegen gewerblicher Nutzung) angesetzt habe. Das Dachgeschoss sei nämlich ein Vollgeschoss, weil nicht auf die innere Raumhöhe abzustellen und die Dachgauben zu berücksichtigen seien. Da weder beim beklagten Markt noch beim Landratsamt ein Bebauungsplan mit einem unterzeichneten Ausfertigungsvermerk vorliege, sei nach § 8 Abs. 9 Nr. 1 ABS auf die Höchstzahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse und nicht auf die Bebaubarkeit nach dem Bebauungsplan abzustellen. Selbst wenn die im Bebauungsplan festgesetzte höchstzulässige Zahl der Vollgeschosse oder die im Einzelfall tatsächlich vorhandene höhere Zahl zu Grunde gelegt werde, ergebe sich im Ergebnis keine zu Lasten der Kläger zu hoch festgesetzte Vorauszahlung. Bislang lägen substantiierte Anhaltspunkte für einen (gemessen am Bebauungsplan) zu geringen Nutzungsfaktor nur für drei Grundstücke (FlNr. …/56,…/57 sowie …/59) vor. Die sich hieraus zugunsten der Kläger ergebende Beitragsreduzierung von rund 230 € erreiche keinesfalls den Betrag der Beitragserhöhung, der sich bei zutreffendem Ansatz von drei Vollgeschossen beim klägerischen Grundstück errechne (860 € bei isolierter bzw. rund 610 € bei saldierter Berechnung). Ohnehin habe der Beklagte nur eine Vorauszahlung von 90% des voraussichtlichen Straßenausbaubeitrags festgesetzt.
Die hiergegen von den Klägern erhobenen Einwendungen bleiben ohne Erfolg. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts hätte der Beklagte bei korrektem Ansatz von drei Vollgeschossen für das klägerische Grundstück einen um 860 € höheren Vorauszahlungsbetrag festsetzen können. Die Grundstücke FlNr. …/56, …/57 und …/59 hatte das Verwaltungsgericht bei seiner im erstinstanzlichen Verfahren angestellten Vergleichsberechnung bereits mit einem zusätzlichen Vollgeschoss berücksichtigt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zugunsten der Kläger (lediglich) eine Beitragsreduzierung von rund 230 € ergebe. Diese Berechnung greifen die Kläger nicht an. Soweit sie rügen, dass auch die Gebäude auf den Grundstücken FlNr. …/55, …/47 und …/49 tatsächlich mit zwei Vollgeschossen statt mit nur einem bebaut seien, legen sie – über die bloße Behauptung hinaus – keinerlei substantiierte Anhaltspunkte für ihre Annahme dar. Nach der Rotrevision im Schnitt A – A (Beiakt 4 Bl. 27) hat der Beklagte bei der Beurteilung, ob das Dachgeschoss des klägerischen Anwesens ein Vollgeschoss darstellt, nicht – fehlerhaft – auf die innere Raumhöhe, sondern – korrekt – auf die Außenkante der Dachhaut in einer Höhe von 2,30 m über dem Dachfußboden abgestellt; allerdings wurden die für die Beurteilung der Vollgeschosseigenschaft ebenfalls maßgeblichen Dachgauben nicht berücksichtigt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat (vgl. Rauscher/Franz/Dirnberger in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Art. 2 Rn 633). Der Einwand der Kläger, dass der Beklagte vermutlich bei den anderen Gebäuden in der P.-straße fehlerhafterweise die innere Raumhöhe gemessen habe, geht daher fehl. Nach Aktenlage weisen die Grundstücke FlNr. …/55, …/47 und …/49 lediglich ein Vollgeschoss auf (s. Beiakt 3 Bl. 14).
b) Auch die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass bei dem klägerischen Grundstück zu Recht ein Artzuschlag wegen gewerblicher Nutzung und keine Vergünstigung wegen Mehrfacherschließung angesetzt worden seien, zieht der Zulassungsantrag nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Zweifel.
Nach § 8 Abs. 11 Satz 1 ABS sind für Grundstücke, die zu mehr als einem Drittel gewerblich genutzt werden oder genutzt werden dürfen, die nach Absatz 2 zu ermittelnden Nutzungsfaktoren um je 50 v. H. zu erhöhen. Als gewerblich genutzt oder nutzbar im Sinne des Absatzes 11 gilt auch ein Grundstück, wenn es zu mehr als einem Drittel Geschäfts-, Büro-, Verwaltungs-, Praxis-, Unterrichts-, Heilhandlungs- oder ähnlich genutzte Räume beherbergt. Das Verwaltungsgericht hat hierzu – von den Klägern unwidersprochen – festgestellt, dass es sich bei dem klägerischen Grundstück unstreitig um ein zu mehr als einem Drittel gewerblich genutztes Grundstück in diesem Sinn handelt (UA S. 10).
Der Einwand der Klägerseite, dass der durch die gewerbliche Nutzung verursachte Ziel- und Quellverkehr nicht über die abgerechnete P.-straße, sondern allein über die B.-K.-Straße erfolge, greift nicht durch. Für die Annahme eines straßenausbaurechtlichen Sondervorteils im Sinn von Art. 5 Abs. 1 S 1 KAG sind nach ständiger Rechtsprechung zwei Merkmale entscheidend: zum einen die spezifische Nähe des Grundstücks zur ausgebauten Ortsstraße, wie sie bei Anliegergrundstücken und ihnen aus dem Blickwinkel einer rechtlich gesicherten Inanspruchnahmemöglichkeit grundsätzlich gleich zu stellenden Hinterliegergrundstücken gegeben ist, zum anderen eine Grundstücksnutzung, auf die sich die durch den Ausbau verbesserte Möglichkeit, als Anlieger von der Ortsstraße Gebrauch zu machen, positiv auswirken kann. Den Eigentümern von Flächen‚ bei denen beide Voraussetzungen vorliegen‚ kommt der Straßenausbau in einer Weise zugute‚ die sie aus dem Kreis der sonstigen Straßenbenutzer heraushebt und die Heranziehung zu einem Beitrag rechtfertigt (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 9.8.2017 – 6 ZB 17.1099 – juris Rn. 8; B.v. 12.12.2016 – 6 ZB 16.1404 – juris Rn. 8; U.v. 30.6.2016 – 6 B 16.515 – juris Rn. 6 m.w.N.). Anders als im Erschließungsbeitragsrecht genügt bei der Erhebung eines Straßenausbaubeitrags zur Annahme eines Sondervorteils bereits die qualifizierte Inanspruchnahmemöglichkeit einer vorhandenen‚ lediglich erneuerten oder verbesserten Ortsstraße als solche. Diese kommt im Grundsatz jeder sinnvollen und zulässigen‚ nicht nur der baulichen oder gewerblichen Nutzung zugute, soweit sie rechtlich gesichert ausgeübt werden kann (BayVGH, B.v. 12.12.2016 – 6 ZB 16.1404 – juris Rn. 8; U.v. 8.3.2010 – 6 B 09.1957 – juris Rn. 18). Dabei kommt es nicht auf eine tatsächliche Inanspruchnahme an, sondern es wird grundstücksbezogen nur eine Inanspruchnahme ermöglicht, wobei der Vorteil durch Beiträge abgeschöpft wird, selbst wenn tatsächlich keinerlei Inanspruchnahme erfolgt. Bereits in der bloßen Möglichkeit der Inanspruchnahme der ausgebauten Straße liegt der besondere Vorteil für die anliegenden Grundstücke (BayVGH, U.v. 5.2.2007 – 6 BV 05.2153 – juris Rn. 40).
Gemessen an diesem Maßstab hat das Grundstück der Kläger durch den Ausbau der P.-straße zweifellos einen besonderen Vorteil, weil das Grundstück unmittelbar an dieser Straße anliegt und bebaut ist; damit besteht eine qualifizierte Inanspruchnahmemöglichkeit der P.-straße. Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass im Nordwesten des klägerischen Grundstücks Parkplätze bestehen, die von der P.-straße angefahren werden können, sowie eine Tiefgaragenausfahrt. Der Einwand der Klägerseite, dass die Parkplätze und die Tiefgarage ausschließlich dem privaten Verkehr dienten und der durch die gewerbliche Nutzung verursachte Ziel- und Quellverkehr allein über die B.-K.-Straße abgewickelt werde, kann schon deshalb nicht überzeugen, weil es im Straßenausbaubeitragsrecht nicht auf die tatsächliche Inanspruchnahme ankommt (BayVGH, U.v. 5.2.2007 – 6 BV 05.2153 – juris Rn. 40). Die von den Klägern herangezogene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Januar 1998 (8 C 12.96) betrifft eine anders gelagerte Fallgestaltung im Erschließungsbeitragsrecht.
2. Es liegt kein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Dem Verwaltungsgericht musste sich eine Aufklärung der Anzahl der Vollgeschosse von weiteren Gebäuden im Abrechnungsgebiet nicht aufdrängen.
Ein Gericht verletzt seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die eine anwaltlich vertretene Partei nicht ausdrücklich beantragt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerwG, B.v. 16.4.2012 – 4 B 29.11 – BayVBl 2012, 640; BayVGH, B.v. 9.3.2016 – 6 ZB 15.622 – juris Rn. 15). Die anwaltlich vertretenen Kläger hätten in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag (§ 86 Abs. 2 VwGO) zu Protokoll stellen können (vgl. § 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO); das ist jedoch ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 20. Februar 2018 nicht geschehen. Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten zu kompensieren.
Die Tatsache‚ dass ein Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt wurde‚ wäre nur dann unerheblich‚ wenn sich dem Gericht auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsermittlung hätte aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge ist jedoch nur dann erfolgreich‚ wenn sie schlüssig aufzeigt‚ dass das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zur weiteren Aufklärung hätte sehen müssen. Es muss ferner dargelegt werden‚ welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Beteiligten günstigeren Entscheidung hätte führen können (BVerwG‚ B.v. 14.9.2007 – 4 B 37.07 – juris Rn. 2 f. m.w.N.; B.v. 10.2.2015 – 5 B 60.14 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 13.6.2016 – 6 ZB 14.2404 – juris Rn. 23). Diese Anforderungen erfüllt das Vorbringen der Kläger nicht. Sie zeigen, wie unter 1. ausgeführt, nicht schlüssig auf, warum sich dem Verwaltungsgericht – über die bereits berücksichtigten Grundstücke FlNr. …/56, …/57 und …/59 hinaus – hinsichtlich der Grundstücke FlNr. …/55, …/47 und …/49 eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).