Aktenzeichen AN 9 K 16.01159
Leitsatz
1 Nach Art. 14 Abs. 2 BayBO darf die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch bauliche Anlagen und deren Nutzung nicht gefährdet werden. Die Anwendung des Art. 14 Abs. 2 BayBO erfordert eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs. Dafür ist aber nicht die überwiegende oder hohe Wahrscheinlichkeit erforderlich, dass durch die Werbeanlage ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine konkrete Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch eine bauliche Anlage liegt vielmehr bereits dann vor, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder bloßer Wahrscheinlichkeit ein Verkehrsunfall oder doch eine Verkehrsbehinderung in überschaubarer Zukunft zu erwarten ist (hier verneint für unbeleuchtete statische Werbeanlage). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 30. Mai 2016 der Klägerin die begehrte Baugenehmigung zu erteilen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist in Ziffer 2) vorläufig vollstreckbar; die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin in gleicher Höhe vor Vollstreckung Sicherheit leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin hat Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung, der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 30. Mai 2016 ist rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten.
Da es sich bei dem gegenständlichen Bauvorhaben nicht um einen Sonderbau handelt, ergibt sich der Prüfungsmaßstab für die Behörde und das Gericht aus Art. 59 BayBO. Soweit nach Art. 59 Nr. 1 BayBO das Bauplanungsrecht zu prüfen ist hat die Beklagte selbst angegeben, bauplanungsrechtlich sei die geplante Werbeanlage zulässig, etwas Entgegenstehendes hat sich auch im Augenschein und in der mündlichen Verhandlung nicht ergeben. Da die gegenständliche Werbeanlage keiner straßenverkehrsrechtlichen Genehmigung bedarf, die durch die Baugenehmigung ersetzt wird, erweitert Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO den Prüfungsumfang hier nicht. Allerdings kann die Behörde nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz BayBO einen Bauantrag auch ablehnen, wenn das Bauvorhaben gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. Dies hat die Beklagte getan, indem sie sich auf die Vorschrift des Art. 14 Abs. 2 BayBO gestützt und einen Verstoß gegen diese Regelung dem Ablehnungsbescheid zugrunde gelegt hat. Allerdings ist das Gericht insbesondere nach dem Ergebnis des Augenscheins der Auffassung, dass die Voraussetzungen für den von der Beklagten behaupteten Verstoß gegen diese Vorschrift hier nicht vorliegen.
Nach Art. 14 Abs. 2 BayBO darf die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch bauliche Anlagen und deren Nutzung nicht gefährdet werden. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs erfordert die Anwendung des Art. 14 Abs. 2 BayBO eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs. Dafür ist aber nicht die überwiegende oder hohe Wahrscheinlichkeit erforderlich, dass durch die Werbeanlage ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird, vielmehr liegt eine konkrete Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch eine bauliche Anlage bereits dann vor, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder bloßer Wahrscheinlichkeit ein Verkehrsunfall oder doch eine Verkehrsbehinderung in überschaubarer Zukunft zu erwarten ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.2011 – 15 ZB 10.2409). Da es hier um die Gefährdung von Leben und Gesundheit als hochrangige Rechtsgüter geht, sind an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen (vgl. VG Ansbach, U.v. 4.5.2016 – AN 3 K 16.00277).
Nach diesen Grundsätzen ist das Gericht der Auffassung, dass bei Verwirklichung des Bauvorhabens der Klägerin nicht mit einer solchen hinreichenden bloßen Wahrscheinlichkeit der Eintritt eines durch die Werbeanlage bedingten Verkehrsunfalls oder einer Verkehrsbehinderung durch diese in überschaubarer Zukunft zu erwarten ist. Die … verläuft ab der Ortseinmündung von Westen kommend nach … zunächst ca. 250 m geradeaus, dann folgt eine Rechtskurve, an die sich wieder eine Linkskurve anschließt. Das Bauvorhaben liegt dabei im Bereich der Rechtskurve, wobei der Standort der Werbeanlage mehrere Meter von der nördlichen Fahrbahnbegrenzung nach Norden versetzt senkrecht zur Fahrtrichtung liegt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Werbeanlage von einem nach … von Westen einfahrenden Fahrer auf der linken Seite wahrgenommen werden kann, wobei in der näheren Umgebung des geplanten Vorhabens eine Vielzahl anderer Werbeanlagen, wenn auch mit kleinerem Umfang, vorhanden ist. Allerdings ist die Verkehrssituation auf der … im Bereich des geplanten Bauvorhabens nach Auffassung des Gerichts weder unübersichtlich noch gefährlich, es handelt sich um eine innerörtliche gut ausgebaute und gut einsehbare Ortsdurchfahrt, die lediglich durch die Rechtskurve eine gewisse Aufmerksamkeit des Fahrers erfordert. Inwiefern in dieser Situation für einen von Westen kommenden Fahrer angesichts der bereits seit ca. 250 m geltenden innerörtlichen Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 km/h und des deutlich sichtbaren Kurvenverlaufs eine Gefährdung durch die geplante Werbeanlage bewirkt werden sollte, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich zum einen um eine unbeleuchtete Werbeanlage ohne Bildwechsel handelt, die im innerörtlichen Bereich für den Verkehrsteilnehmer eine gewohnte und unproblematische Anlage darstellt, deren Ablenkungsgefahr sehr gering einzuschätzen ist. Hinzu kommt noch, dass die Aufstellung der Werbeanlage an der geplanten Stelle einem von Westen kommenden Fahrer ähnlich wie die aufgestellten Richtungshinweise deutlich machen würde, dass die Fahrbahn nicht geradeaus weiterverläuft, sondern abknickt, so dass von einer Erhöhung einer Gefahr für die Sicherheit des Verkehrs nicht ausgegangen werden kann. Die vorhandenen Richtungspfeile werden auch durch die Werbeanlage weder verdeckt noch in ihrer Wirkung beeinträchtigt.
In einem innerörtlichen, auch gewerblich geprägten Bereich sind Verkehrsteilnehmer an das Vorhandensein von Werbeanlagen gewohnt (VGH, B.v. 30.7.2012 – 9 ZB 11.2280). Werbeanlagen werden insbesondere dann wahrgenommen, wenn der Verkehr stockt oder gar vollständig zum Erliegen kommt, eine gewisse Ablenkungswirkung von Werbeanlagen mag immer bestehen, angesichts der erlaubten Fahrgeschwindigkeit innerorts von 50 km/h ist die Sicherheit des Verkehrs grundsätzlich nicht merklich beeinträchtigt. Wenn ein der Straßenverkehrsordnung nicht entsprechendes Verhalten der Verkehrsteilnehmer, beispielsweise die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, erfolgt, kann dies bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhabens nicht zugrunde gelegt werden (vgl. VG München, U.v. 17.3.2016 – M 11 K 15.2618).
Da die Werbeanlage nur einseitig Richtung Westen errichtet werden soll, ist sie für aus östlicher Richtung kommende Fahrzeuge auf der … ohnehin nicht erkennbar. Aber auch für die aus der nördlichen Zufahrts Straße zur … kommenden Verkehrsteilnehmer bedeutet sie keine Sicherheitsgefährdung. Denn anders als von der Beklagten angeführt, hat der Augenschein ergeben, dass eine Sichtbeeinträchtigung durch die Werbeanlage für in die … einbiegende Fahrzeuge nicht gegeben sein wird, denn zum einen ist die Werbeanlage soweit vom Fahrbahnrand zurückversetzt, dass für abbiegende Fahrzeuge ein uneingeschränktes Sichtfeld sowohl nach Westen wie nach Osten vorhanden ist, zum anderen ist auf Grund der vorhandenen dichten Begrünung im Bereich des Baugrundstücks der Standort der geplanten Werbeanlage bereits jetzt für von Norden kommende Fahrzeuge nicht nach Osten einsehbar.
Das Gericht ist auch auf Grund des Augenscheins nicht der Auffassung, dass die Werbeanlage im Hinblick auf die Benutzung des vorhandenen Verkehrsspiegels zu einer nachteiligen Auswirkung auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs führen könnte. Zum einen ist dieser Verkehrsspiegel auf Grund der erkennbaren Beschädigung ohnehin nur im geringen Umfang funktionsfähig, darüber hinaus kann dieser eine Funktion allenfalls für von der gegenüberliegenden Straßenseite aus in die … einfahrende Fahrzeuge erfüllen, diese werden aber durch die nach Westen gerichtete Werbeanlage in keiner Weise berührt, zumal diese auch unbeleuchtet ist. Von einer Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch die Werbeanlage kann somit nach Überzeugung des Gerichts hier nicht ausgegangen werden.
Nachdem sonstige nicht prüfpflichtige Vorschriften des öffentlichen Rechts, etwa Art. 8 BayBO, hier von der Beklagten nicht geprüft wurden, sind sie auch im Gerichtsverfahren nicht Prüfungsgegenstand. Ob die Beklagte die beim Augenschein festgestellte Großflächenwerbetafel auf dem Grundstück FlNr. … genehmigt hat oder seit der Aufstellung duldet, spielt deshalb hier keine Rolle, ebenso wie die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit oder der Auswirkungen der sonstigen im Umfeld des Bauvorhabens vorhandenen Werbeanlagen, da eine störende Häufung hier nicht zu prüfen ist.
Damit hat die Klägerin Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung, da das Bauvorhaben nicht gegen im Rahmen der Erteilung der Baugenehmigung prüfpflichtiges Recht verstößt und die von der Beklagten im Rahmen des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz BayBO angeführten Ablehnungsgründe nicht vorliegen.
Damit war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Streitwert wurde nach § 52 Abs. 1 GKG festgesetzt, wobei die Kammer bei unbeleuchteten Großflächenwerbetafeln regelmäßig von einem Streitwert von 3.000,00 EUR ausgeht, während der in der Streitwerttabelle vorgeschlagene Wert von 5.000,00 EUR für beleuchtete Großflächenwerbetafeln angesetzt wird.