Aktenzeichen M 9 K 17.1012
BayBO Art. 81 Abs. 1 Nr. 1
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1, § 124, § 124 a Abs. 4
WAS § 4 Nr. 3
GG Art. 14 Abs. 1
RDGEG § 3, § 5
Leitsatz
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts Pfaffenhofen a.d.Ilm vom 3. Februar 2017 verpflichtet, der Klägerin die mit Bauantrag vom 30. August 2016 beantragte Baugenehmigung für die Errichtung einer doppelseitigen, beleuchteten Plakatanschlagtafel auf Monofuß zu erteilen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage hat Erfolg.
Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO.
Das genehmigungspflichtige Vorhaben ist genehmigungsfähig. Dem Vorhaben stehen weder Bauplanungsrecht, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO i.V.m. §§ 29 ff. BauGB (nachfolgend unter 1.), noch Bauordnungsrecht in Gestalt der örtlichen Bauvorschrift Werbeanlagensatzung der Beklagten, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO, entgegen (nachfolgend unter 2.).
1. Die beantragte Werbeanlage ist bauplanungsrechtlich zulässig.
Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens ist nach § 34 BauGB zu beurteilen, das Baugrundstück liegt zwar im bebauten Ortsbereich der Beigeladenen, aber nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. Die Eigenart der näheren Umgebung entspricht einem faktischen Mischgebiet (§ 34 Abs. 2 Hs. 1 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO). Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig (vgl. Sitzungsprotokoll Seite 2) und entspricht dem Eindruck des Gerichts im Augenschein. Ob es sich um ein Mischgebiet handelt, in dem das Gewebe dominiert (vgl. § 3 Nr. 1 WAS), kann offen bleiben, da jedenfalls kein Mischgebiet vorliegt, in dem das Wohnen dominiert, vgl. die entsprechende Feststellung im gerichtlichen Augenschein.
Im Übrigen wird, obwohl es darauf für die Entscheidung nicht ankommt, darauf hingewiesen, dass die Formulierung in § 3 Nr. 1 WAS „sowie in Mischgebieten (§ 6 BauNVO), wenn das Mischgebiet durch Wohnnutzung geprägt ist“, wegen nicht ausreichender Bestimmtheit unwirksam ist. Nahezu jedes Mischgebiet dürfte, schon begriffsnotwendig, zumindest auch durch Wohnnutzung geprägt sein. Gemeint ist mit dieser Formulierung wohl, dass in Mischgebieten, in denen das Wohnen überwiegt bzw. vorwiegend Wohnnutzung anzutreffen ist, die Zulässigkeit von Werbeanlangen für Fremdwerbung ausgeschlossen werden soll. Das kommt in der gewählten Formulierung jedoch nicht ausreichend zum Ausdruck.
In einem Mischgebiet ist eine Werbeanlage gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO allgemein zulässig, was vom Beklagten auch nicht bestritten wird. Auch die übrigen Einfügungsmerkmale des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB sind erfüllt.
2. Auch die Regelungen der Werbeanlagensatzung der Beigeladenen (WAS) stehen dem Vorhaben nicht entgegen. Die Regelung in § 4 Nr. 3 Satz 1 WAS, welche der Beklagte der streitgegenständlichen Werbeanlage entgegenhält, ist, bezogen auf den von der Klägerin gestellten Bauantrag, unwirksam (im Folgenden 2.1). Daher kann offenbleiben, ob, wie die Klägerin meint, die Satzung der Beklagten etwa in Gänze unwirksam ist (im Folgenden 2.2).
2.1. Der Beklagte hält die streitgegenständliche Werbeanlage wegen eines Verstoßes gegen § 4 Nr. 3 Satz 1 WAS – die streitgegenständliche Werbeanlage (eine 18/1 Großfläche) hat nach den zur Genehmigung gestellten Bauvorlagen eine Größe bezogen auf die reine Werbetafel von 9,842 m2, die Satzungsbestimmung erlaubt höchstens 4m2 – für unzulässig. Im Übrigen soll die WAS dem Bauvorhaben nicht entgegenstehen.
Nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c BayBO ist im hier anzuwendenden vereinfachten Baugenehmigungsverfahren auch die Übereinstimmung mit den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO zu prüfen. Die WAS der Beigeladenen stellt eine solche örtliche Bauvorschrift dar. Nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BayBO können die Gemeinden durch Satzung örtliche Bauvorschriften erlassen über besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen zur Erhaltung und Gestaltung von Ortsbildern (Nr. 1) sowie über das Verbot der Errichtung von Werbeanlagen aus ortsgestalterischen Gründen (Nr. 2).
Der Ausschluss einer, wie hier streitgegenständlich, großflächigen Fremdwerbeanlage auf der Grundlage der angeführten Vorschrift der Satzung (§ 4 Nr. 3 Satz 1 WAS) ist, soweit es den hier streitgegenständlichen Standort der Plakatwerbetafel betrifft, unwirksam.
Ein Verbot der Errichtung von Werbeanlagen durch den Satzungsgeber auf der Grundlage sowohl von Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO als auch von Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO ist nur dort gerechtfertigt und somit verhältnismäßig, wo die vom Gesetzgeber genannten ortsgestalterischen Gründe ein entsprechendes Verbot tatsächlich erfordern (vgl. Decker in: Simon/Busse, BayBO, Art. 81 Rn. 138 m.w.N.). Ob und inwieweit das der Fall ist, beurteilt sich jeweils nach der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des jeweiligen Bereiches.
Die Regelung in § 4 Nr. 3 Satz 1 WAS, die Werbeanlagen hinsichtlich ihrer Werbefläche auf 4 m2 beschränkt, ist aber in jedem Fall nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung unwirksam (VG München, U.v. 3.12.2015 – M 11 K 15.3066 – juris Rn. 29 und 32 m.w.N.). Denn diese Größenbeschränkung ist sowohl auf der Grundlage von Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO als auch insbesondere auf der Grundlage von Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO jedenfalls für ein, wie hier, faktisches Mischgebiet unverhältnismäßig. Denn bei Geltung dieser Größenbeschränkung, die, wie der gerichtliche Augenschein ergeben hat und was auch keiner der Beteiligten bestreitet, ortsgestalterisch für den Vorhabenstandort nicht durch besondere Umstände gerechtfertigt ist (dazu sogleich), wäre in jedem Fall jegliche Fremdwerbung im gängigen, sogenannten Euroformat komplett ausgeschlossen, was einen nicht gerechtfertigten Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG darstellt.
Bestimmte ortgestalterische Gründe bzw. eine städtebaulich bedeutsame Prägung liegen nach den Feststelllungen des Gerichts im gerichtlichen Augenschein nicht vor; sie werden weder vom Beklagten noch von der Beigeladenen behauptet. Zwar sind Anforderungen an Art, Größe und Anbringungsort in Satzungen nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO grundsätzlich möglich, auch insoweit bedarf es jedoch einer besonderen Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit (BayVGH, B.v. 21.11.2012 – 15 ZB 10.1796 – juris Rn. 10 f.). Erforderlich wäre dafür beispielsweise eine besondere Gestaltung und Erhaltung baulicher Anlagen in einem historischen Ortskern, das Ziel einer Erhaltung oder Verbesserung des Erscheinungsbildes eines historischen Ortskerns oder beispielsweise von Fachwerkbauten (vgl. HessVGH, U.v. 23.01.1981 – V. OE 132/77 – BRS 38 Nr. 146). Davon kann vorliegend keine Rede sein. Die in der Klageerwiderung genannten Gerichtsentscheidungen (jeweils BayVGH, B.v. 12.1.2015 – 15 ZB 13.1896 und B.v. 21.11.2012 – 15 ZB 10.1796) sind für den streitgegenständlichen Fall nicht einschlägig, da hier gerade keine Rechtfertigung für eine derartige Regelung nach den konkreten örtlichen Gegebenheiten ersichtlich ist (wie übrigens in den Fällen, die den genannten Entscheidungen zu Grunde liegen, ebenfalls nicht).
2.2. Ob die WAS der Beigeladenen insgesamt unwirksam ist, kann bezogen auf den Streitgegenstand nach dem oben Dargelegten offen bleiben, da jedenfalls die Regelung, die zum Ausschluss der streitgegenständlichen Werbeanlage führen würde, unwirksam ist.
Nach alledem wird der Beklagte verpflichtet, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen. Dieses Urteil ersetzt das zu Unrecht verweigerte gemeindliche Einvernehmen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO sowie aus § 161 Abs. 3 VwGO und § 154 Abs. 3 Hs. 1 VwGO; die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst, da sie keinen Antrag gestellt und sich damit selbst keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.