Baurecht

Funktionslosigkeit der Festsetzung einer Baulinie

Aktenzeichen  2 ZB 15.2597

Datum:
23.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 104683
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBauG 1960 § 173 Abs. 3 S. 1
BauGB § 233 Abs. 3

 

Leitsatz

Die Zurückversetzung einer Baulinie, die der Verbreiterung einer Straße dienen sollte, ist funktionslos geworden, wenn seitdem erhebliche straßenbauliche Aktivitäten durch die Gemeinde nicht dargetan werden können. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

8 K 14.3235 2015-07-27 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 35.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung (§§ 124, 124a Abs. 4 VwGO) hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Das Urteil des Erstgerichts vom 27. Juli 2015 begegnet im Ergebnis keinen Zweifeln an seiner Richtigkeit im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Es kann hier dahinstehen, ob der Baulinienplan aus dem Jahr 1952 gemäß § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 i.V.m. § 233 Abs. 3 BauGB wirksam übergeleitet worden ist. Denn das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass der Baulinienplan hinsichtlich der Festsetzung einer straßenseitigen Baulinie jedenfalls funktionslos geworden ist. Die hiergegen von Beklagtenseite vorgebrachten Einwände überzeugen nicht.
Die Frage, ob aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen mit der Realisierung einer planerischen Festsetzung auf absehbare Zeit nicht mehr zu rechnen ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BVerwG, B.v. 14.6.2007 – 4 BN 21.07 – BRS 71 Nr. 3). Dabei führen bloße Zweifel an der Verwirklichungsfähigkeit eines Plans nicht zu seiner Funktionslosigkeit (vgl. BVerwG, B.v. 22.7.2010 – 4 B 22.10 – BauR 2010, 2060). Vielmehr ist darauf abzustellen, ob die Festsetzung bei einer Gesamtbetrachtung die Fähigkeit verloren hat, die städtebauliche Entwicklung in der durch das planerische Konzept vorgegebenen Richtung zu steuern (vgl. BVerwG, B.v. 9.10.2003 – 4 B 85.03 – BauR 2004, 1128).
Entgegen der Auffassung der Beklagten hat das Verwaltungsgericht bei dieser Beurteilung nicht auf einen Zeitraum von zehn Jahren abgestellt, sondern auf den Ablauf von 63 Jahren – nunmehr 65 Jahren – verwiesen. Die Zurückversetzung der Baulinie im Jahr 1952 habe einer Verbreiterung der K …straße im Zusammenhang mit dem Neubau des Hauptbahnhofs dienen sollen. Der erneuerte Hauptbahnhof wurde bekanntlich im Jahr 1960 fertiggestellt. Erhebliche straßenbauliche Aktivitäten in der K …straße seitdem hat die Beklagte nicht dargetan. Selbst im Zulassungsantrag wurde nicht dargelegt, ob und welche Baumaßnahmen in der K …straße in absehbarer Zeit geplant seien.
Insoweit überzeugt auch das Argument nicht, dass bei nur noch vier Grundstücken im Bereich zwischen K … Platz und L …straße die heutige Baulinie nicht eingehalten werde. Aufgrund der verbleibenden Bestandsbebauung wäre trotzdem ein regelmäßiger Straßenlauf nicht möglich. Die Beklagte legt nicht dar, inwieweit sie auf dem Abschnitt K … Straße 2 bis 22 die Verbreiterung der Straße in absehbarer Zeit durchsetzen will. Auch wenn auf dem Anwesen K …straße 12 vor der Baulinie lediglich ein erdgeschossiger Bau mit Flachdach steht, handelt es sich bei den restlichen Anwesen um massive Wohnbebauung, teilweise mit Gewerbe im Erdgeschoss. Insbesondere beim Anwesen K …straße 4 (FlNr. 10244) wird aufgrund der beengten Lage nicht ersichtlich, wie nach einer Durchsetzung der Baulinie noch eine sinnvolle und für den Eigentümer zumutbare Bebauung möglich sein soll. Die Beklagte hat aber auch nicht vorgetragen, dass sie bereit wäre, das gesamte Grundstück zu erwerben bzw. zu enteignen.
Auf die weiter von Beklagtenseite zugunsten der Baulinie vorgebrachten Argumente, soweit sie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen wurden, ist das Erstgericht eingegangen. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um vorübergehende Nebeneffekte, die – wie weniger Lärm und Feinstaub sowie mehr Grün – bei einer tatsächlichen Verbreiterung der Straße wieder weitgehend entfielen. Sicherlich würden auch Radfahrer und Fußgänger von einer größeren Straßenbreite profitieren, aber richtig nur bei regelmäßigem Straßenverlauf und Nichtverbreiterung der Fahrbahn zugunsten der Kraftfahrzeuge. Welche Kosten die Ummarkierungen im fraglichen Bereich der K …straße zugunsten der Radfahrer tatsächlich verursacht haben, kann hier dahinstehen. Jedenfalls ist die Aktion zugunsten der Radfahrer im Straßenbestand ein weiteres Indiz für die Nichtdurchführung erheblicher Straßenbaumaßnahmen. Nachdem bereits während eines sehr langen Zeitraums nichts zugunsten der geplanten Verbreiterung der Straße unternommen wurde, wurden über 60 Jahre nach Zurückversetzung der Baulinie im Jahr 2013 lediglich einige Ummarkierungen zugunsten der Radfahrer vorgenommen. Diese allein sind aber kontraproduktiv, insofern es um die Verbreiterung der Straße geht. Seitdem ist jedoch nichts weiter geschehen. Ein weiterführendes Konzept der Beklagten wurde nicht vorgetragen und ist auch nicht zu erkennen. Damit ist die Feststellung des Erstgerichts, dass die im Jahr 1952 zurückversetzte Baulinie im strittigen Bereich der K …straße zwischen K … Platz und L …straße funktionslos geworden ist, rechtlich nicht zu beanstanden.
2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
Eine mögliche abstrakte Fehleranfälligkeit wegen der besonderen Schwierigkeiten der Sachbehandlung (vgl. Berkemann DVBl 1998, 446/456) ist hier weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht gegeben. Es handelt sich nicht um einen besonders unübersichtlichen oder kontroversen Sachverhalt, bei dem noch nicht abzusehen ist, zu welchem Ergebnis ein künftiges Berufungsverfahren führen wird. Ebenso wenig ist vorliegend aus einem unterbliebenen Begründungsaufwand des Erstgerichts bzw. daraus, dass es auf bestimmte tatsächliche oder rechtliche Aspekte nicht eingegangen wäre, ausnahmsweise eine besondere Schwierigkeit der Rechtssache zu ersehen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, § 124 Rn. 9). Dass das Erstgericht in seinem Urteil nicht die seit dem Jahr 1952 eingetretenen tatsächlichen Veränderungen in Bezug auf den Gebäudebestand gewürdigt hätte, ist nicht ersichtlich. Auf die ursprünglich im Jahr 1952 vorhandene Bebauung geht das Verwaltungsgericht vielmehr auf Seite 13 des Urteils ein und einen Eindruck vom aktuellen Baubestand hat es sich am Tag der mündlichen Verhandlung durch die Einnahme eines Augenscheins verschafft. Dass das Erstgericht diese beiden Baubestände im Urteil nicht dezidiert einander gegenüber gestellt hat, führt dagegen nicht auf eine besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeit der Rechtssache. Das übrige Vorbringen der Beklagten zu diesem Zulassungsgrund erschöpft sich in einer Urteilskritik, ohne dabei herauszuarbeiten, worin die besondere oder tatsächliche Schwierigkeit der Rechtssache liegen soll.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG. Nachdem die Beklagte das erstgerichtliche Urteil hinsichtlich der untergeordneten Vorbescheidsfrage 3 bezüglich der straßen- und hofseitigen Dachgauben nicht angegriffen hat, war der Streitwert gegenüber dem für die erste Instanz angemessen zu reduzieren.

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