Baurecht

Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans und Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans für Doppelhaus

Aktenzeichen  AN 9 K 16.01195

Datum:
16.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 12053
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 31 Abs. 2
BayBO Art. 71

 

Leitsatz

1 Ein Funktionsloswerden planerischer Festsetzung eines Bebauungsplans setzt voraus, dass die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sich die Festsetzung bezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und dass diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für jede Festsetzung ist gesondert zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, dabei kommt es nicht auf die Verhältnisse auf einzelnen Grundstücken an. Danach ist die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, nicht schon dann sinnlos geworden, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3 Je tiefer eine Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung in der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-) Planung möglich ist. Dabei gehören zu den Festsetzungen, die die Grundkonzeption des Bebauungsplans berühren, neben dem Gebietscharakter nach der Art der baulichen Nutzung auch die das Maß der baulichen Nutzung sowie die überbaubare Grundstücksfläche und die Bauweise regelnden Festsetzungen (hier zwecks Sicherung einer lockeren Bebauung im Wohngebiet).  (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erteilung des begehrten und beantragten Vorbescheids, der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 6. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das Begehren des Klägers, von der Beklagten durch Erteilung eines Vorbescheids die planungsrechtliche Zulässigkeit der Erteilung seines bisherigen Grundstücks FlNr. … in zwei Teilgrundstücke sowie die Errichtung zweier Doppelhaushälften mit Stellplätzen auf der bisher unbebauten westlichen Teilfläche zu bestätigen, diesem Zweck dienten auch die gestellten Fragen.
Die Beklagte hat die Erteilung eines Vorbescheids mit diesem Inhalt ohne Rechtsverstoß abgelehnt, da die geplante Grundstücksteilung und das Bauvorhaben gegen die Festsetzungen des Bebauungsplan Nr. … verstößt und ein Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB insoweit nicht gegeben ist.
Der Bebauungsplan Nr. … aus dem Jahr 1968, für den die Baunutzungsverordnung 1962 gilt, setzt für das Baugrundstück als Art der Nutzung allgemeines Wohngebiet sowie hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche ein im östlichen Grundstücksbereich gelegenes Baufenster für ein Hauptgebäude sowie für die Geschosszahl I+D fest, weiterhin ist ein Garagenstandort im rückwärtigen Grundstücksbereich an der nördlichen Grundstücksgrenze sowie eine Zufahrt von dort nach Westen zur … im Planblatt eingezeichnet. Das Baufenster entspricht im Wesentlichen der damals auf dem Baugrundstück vorhandenen Bebauung und geht lediglich mit dem Hauptbaukörper nach Westen um ca. 5 m und nach Norden mit dem Hauptbaukörper um ca. 1 m über den Bestand hinaus, erlaubt also eine maßvolle Erweiterung des Bestands. Das Baufenster insgesamt beträgt im Hauptbaukörper ca. 16 x 10 m zuzüglich eines Vorsprungs nach Süden entlang der östlichen Außenwand um ca. 5 x 4 m sowie im Norden für die Garage eine Fläche von ca. 5 x 5 m. Auch für die damals bereits bebauten Grundstücke FlNrn. …, nördlich an das Baugrundstück angrenzend, sowie … und …, östlich und nordöstlich dieses Grundstücks gelegen, setzt der Bebauungsplan Baufenster fest, die im Wesentlichen die vorhandene Bebauung sichern und eine Erweiterung des Hauptbaukörpers ermöglichen sollen, die Geschosszahl wurde jeweils mit I+D festgesetzt. Nur für das damals unbebaute Grundstück FlNr. … östlich des Baugrundstücks wurde eine zweigeschossige Bauweise festgesetzt sowie ein Baufenster für das Hauptgebäude von ca. 16 x 12 m. Für das Grundstück FlNr. …, das direkt an die … angrenzt und das damals als Tankstelle genutzt wurde, wurden zwei Baufenster, die im Wesentlichen die damals vorhandenen Tankstellengebäude umfassten, in das Planblatt aufgenommen. Auch für die drei Grundstücke östlich der …, die damals ebenfalls bebaut waren, wurden als Geschosszahl I+D sowie Baufenster festgesetzt, die bei den Grundstücken FlNrn. … im Norden und … im Süden im Wesentlichen der vorhandenen Bebauung plus einer Erweiterung entsprachen und auf dem mittleren Grundstück FlNr. … ein den beiden vorgenannten Grundstücken entsprechendes Baufeld festsetzten, so dass die nördlichen und östlichen Baugrenzen bei allen drei Grundstücken in einer Flucht lagen. Demgegenüber wurden für den Bereich westlich der … und südlich der … vom Bebauungsplan Nr. … mit Ausnahme der beiden Tankstellengrundstücke direkt an der … durchgehend zweigeschossige Bauweise sowie größere Baufenster festgesetzt.
Die Kammer geht auf Grund dieser unterschiedlichen Festsetzungen bezogen auf die genannten Bereiche davon aus, dass es sich hinsichtlich des Bereichs westlich der … und des Bereichs mit dem Baugrundstück östlich der … bis zur östlichen Grenze des Baugebiets um unterschiedliche Gebiete handelt, für die die Beklagte im Hinblick auf die unterschiedliche Bebauungssituation bei Erlass des Bebauungsplans unterschiedliche Regelungen getroffen hat.
Der für das Baugrundstück maßgebliche Bereich wird nach Auffassung der Kammer durch die … im Norden, die … im Westen, den östlich abknickenden Teil der … und den diese fortsetzenden Weg im Süden sowie durch die Grenze des Baugebiets im Osten begrenzt. In diesem Bereich sind nach Auffassung der Kammer die Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … zu den überbaubaren Grundstücksflächen, aber auch die sonstigen Festsetzungen weiterhin wirksam und nicht etwa obsolet geworden.
Ein Funktionsloswerden planerischer Festsetzung eines Bebauungsplans setzt voraus, dass die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sich die Festsetzung bezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und dass diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient (BVerwG, B.v. 17.2.1997 – 4 B 16/97 – juris). Nach dieser Entscheidung ist für jede Festsetzung gesondert zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, dabei kommt es nicht auf die Verhältnisse auf einzelnen Grundstücken an. Danach ist die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, nicht schon dann sinnlos geworden, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann.
Im Hinblick auf die hier maßgeblichen Baugrenzen im genannten Bereich ergeben die dem Gericht vorgelegten Pläne, Luftbilder sowie die die jeweiligen Grundstücke betreffenden Bauakten, dass von einem Funktionsloswerden der festgesetzten Baugrenzen in diesem Bereich, insbesondere auch für das Baugrundstück, nicht ausgegangen werden kann. Zwar sind auf den Grundstücken mit der früheren FlNr. …, der früheren Tankstelle, abweichend von den Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche im Bebauungsplan zwei Doppelhäuser nebst Garagen von der Beklagten genehmigt worden, auch wurde eine Teilung dieses Grundstücks in vier Einzelgrundstücke entsprechend den einzelnen Wohngebäuden zugelassen. Nach Auffassung der Kammer führen die genehmigten Bauvorhaben auf dem ursprünglichen Grundstück FlNr. … und dessen Teilung nicht dazu, dass die Festsetzungen der überbaubaren Grundstücksfläche für den gesamten Bereich um das Baugrundstück und für das Baugrundstück selbst obsolet werden. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass das Grundstück FlNr. … (alt) sowohl wegen der Art der Nutzung als Tankstelle als auch wegen der dort festgesetzten zwei Baufenster, die auf die vorhandene Bebauung abstellten, aus dem Rahmen der umgebenden Wohngrundstücke herausfiel, außerdem kommt die Lage dieses Grundstücks unmittelbar an der stark befahrenen … und die Eigenschaft als Eckgrundstück zur … hinzu. Auch das von den Klägervertretern ebenfalls als Bezugsfall angeführte ehemalige Grundstück FlNr. …, auf dem über die vorhandene festgesetzte überbaubare Grundstücksfläche hinaus eine Erweiterung nach Osten und in geringerem Umfang nach Norden zugelassen wurde, sowie die Errichtung von drei Reihenhäusern mit anschließender Grundstücksteilung führt, auch nicht im Zusammenwirken mit dem genannten Grundstück FlNr. …, dazu, dass die Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche und die mit der Planung verfolgten Ziele der Beklagten im hier maßgeblichen Bereich funktionslos geworden sind. Denn zum einen handelt es sich nur um zwei von neun Grundstücken, auf denen vom Umfang her relevante Erweiterungen und Verschiebungen der Baufenster stattgefunden haben, während insbesondere auf den unmittelbar an das Grundstück angrenzenden Grundstücken FlNrn. …, … und … die Festsetzungen nach wie vor eingehalten werden, wie auch bisher auf dem Baugrundstück selbst. Damit ist gerade der von der … gesehen rückwärtige Bereich, was die planerischen Festsetzungen angeht, noch intakt, so dass die bauplanerische Festsetzung hier noch weiter wirkt und die mit der Festsetzung beabsichtigte Regelung der Bebauung weiterhin möglich ist.
Soweit der Kläger auf die Anwesen FlNr. …, …, … und … verweist, so liegen diese nach Auffassung der Kammer außerhalb des hier vergleichbaren Planungsbereichs, für diese Grundstücke galten von vorneherein andere Festsetzungen, so dass ein Abweichen von diesen Festsetzungen auch nicht zu einem Funktionsloswerden der Festsetzungen im hier maßgeblichen Bereich um das Baugrundstück führen kann.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche, da dies die Grundzüge der Planung berührt. Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung in der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist (BVerwG, B.v. 19.5.2004 – 4 B 35/04). Dabei gehören zu den Festsetzungen, die die Grundkonzeption des Bebauungsplans berühren, neben dem Gebietscharakter nach der Art der baulichen Nutzung auch die das Maß der baulichen Nutzung sowie die überbaubare Grundstücksfläche und die Bauweise regelnden Festsetzungen (Ernst/Zinkahn/ Bielenberg-Söfker, Anm. 36 zu § 31 BauGB). Zwar ergibt sich hier aus den textlichen Festsetzungen und aus der Begründung des Bebauungsplans Nr. … nicht ausdrücklich, welchem Ziel die jeweils festgesetzten überbaubaren Grundstücksflächen dienen sollen. Allerdings wird in der Begründung zu den vorgesehenen Festsetzungen des Bebauungsplans unter dem Punkt „Beurteilung der städtebaulichen Situation:“ festgestellt, dass der Ortsteil … auf Grund der bisherigen Entwicklung ein bevorzugtes Wohngebiet darstellt. Die vorhandene Eigenheimbebauung setze sich auch im Bereich des Bebauungsplans fort. Um der Notwendigkeit der Befriedigung der unterschiedlichen Wohnbedürfnisse der Bevölkerung und dem Bedarf nach mehrgeschossiger Wohnhausbebauung gerecht zu werden, solle im Westen des beplanten Gebiets eine Zone mit Geschosswohnungsbau entstehen. In Verbindung mit den planerischen Festsetzungen im Planblatt, bei dem im hier maßgeblichen Bereich im Wesentlichen die vorhandene Wohnbebauung gesichert und eine maßvolle Erweiterung zugestanden werden sollte und im Hinblick auf die im Textteil getroffenen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung geht die Kammer davon aus, dass es Ziel der Planung im hier maßgeblichen Bereich um das Baugrundstück war, die lockere Bebauung mit im Verhältnis zur Grundstücksfläche relativ geringen Grundflächen zu sichern und beizubehalten und so den gehobenen Charakter des Wohngebiets zu bewahren. Eine Bebauung, wie hier vom Kläger geplant, die vollständig außerhalb des Baufenster gelegen wäre und zu einer massiven Verdichtung der Bebauung auf dem ursprünglichen Grundstück führen würde, würde diesem Ziel der Planung entgegenstehen und damit die Grundzüge der Planung berühren. Anders als bei einer maßvollen Erweiterung des Baufensters wie etwa auf dem Grundstück FlNr. … geschehen, würde die Abweichung von der hier festgesetzten überbaubaren Grundstücksfläche, die für die Grundzüge der Planung maßgeblich ist, auch ins Gewicht fallen. Eine solche Bebauung wäre erst nach einer entsprechenden Umplanung zulässig, sie kann nicht im Wege der Befreiung vom Kläger durchgesetzt werden.
Da es somit schon an den Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB fehlt, nachdem die Voraussetzung, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden dürfen, für alle drei Varianten dieser Vorschrift gilt, kommt es auf die Frage, ob das danach bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen eröffnete Ermessen der Beklagten durch die Entscheidung in anderen Fällen gebunden sein kann oder ist, nicht an. Im Übrigen ist die Kammer auch der Auffassung, dass die angeführten Beispielsfälle, soweit sie westlich der … gelegen sind, nicht als Vergleichsmaßstab herangezogen werden könnten, da sie einen anderen Teil des Baugebiets mit anderen Festsetzungen und anderer Grundkonzeption betreffen als das hier gegenständliche Gebiet östlich der … mit dem Baugrundstück. Auch bei den genannten Grundstücken FlNrn. … (alt) sowie … (alt) wäre kein mit dem gegenständlichen Bauvorhaben vergleichbarer Sachverhalt gegeben, da es sich, wie von der Beklagten angeführt, bei dem ursprünglichen Tankstellengrundstück FlNr. … um ein mit eigenständigen Festsetzungen geregeltes besonderes Grundstück handelte, das mit dem Baugrundstück nicht vergleichbar ist, während es bei der Erweiterung des Baufelds nach Osten auf dem ursprünglichen Grundstück FlNr. … nur um eine Erweiterung des Bauraums, nicht aber um ein vollständiges neues Baufenster neben dem bisher vorhandenen handelt.
Insoweit stünde die beabsichtigte Teilung des Grundstücks im Gegensatz zu den Festsetzungen des Bebauungsplans, so dass §§ 19 Abs. 2 BauGB dem entgegensteht und Frage 1 im Vorbescheid zutreffend beantwortet wurde.
Auch die Fragen 2 und 5 wurden von der Beklagten rechtmäßig verneint, auf die übrigen Fragen kam es daneben nicht an, nachdem Ziel des Vorbescheidverfahrens die Klärung der planungsrechtlichen Zulässigkeit des dargestellten Bauvorhabens insgesamt war.
Damit war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 161 Abs. 1 VwGO.
Der Streitwert wurde nach § 52 Abs. 1 GKG festgesetzt, er entspricht dem vorläufig festgesetzten Streitwert, gegen den die Beteiligten keine Einwendungen erhoben haben.

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