Baurecht

Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch Errichtung einer Werbeanlage

Aktenzeichen  Au 5 K 16.1472

Datum:
13.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 34 Abs. 2
BayBO BayBO Art. 14 Abs. 2, Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 2

 

Leitsatz

1 Nach Art. 14 Abs. 2 BayBO darf die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch bauliche Anlagen und deren Nutzung nicht gefährdet werden. Die Anwendung des Art. 14 Abs. 2 BayBO erfordert eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs. (Rn. 27 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
2 Dabei liegt eine konkrete Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch eine bauliche Anlage bereits dann vor, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder „bloßer“ Wahrscheinlichkeit ein Verkehrsunfall oder doch eine Verkehrsbehinderung in überschaubarer Zukunft zu erwarten ist (hier bejaht). (Rn. 27 – 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der von ihr beantragten Baugenehmigung.
1. Zutreffend hat die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid vom 10. November 2016 festgestellt, dass die hinterleuchtete zweiseitige Werbeanlage nicht gegen Bauplanungsrecht (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO) verstößt. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen werden.
2. Dem Vorhaben steht jedoch die Vorschrift des Art. 14 Abs. 2 BayBO entgegen, wonach die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch bauliche Anlagen nicht gefährdet werden darf.
Die vorbezeichnete Vorschrift ist zwar nicht Gegenstand des hier einschlägigen vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach Art. 59 BayBO. Gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO durfte die Beklagte den Bauantrag jedoch auch wegen der Verletzung von öffentlich-rechtlichen Vorschriften ablehnen, die nicht im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
Nach Art. 14 Abs. 2 BayBO darf die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch bauliche Anlagen und deren Nutzung nicht gefährdet werden.
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erfordert die Anwendung des Art. 14 Abs. 2 BayBO eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs.
Für eine solche konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs ist jedoch nicht die überwiegende oder hohe Wahrscheinlichkeit erforderlich, dass durch die Werbeanlage ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird. Vielmehr liegt eine konkrete Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch eine bauliche Anlage bereits dann vor, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder „bloßer“ Wahrscheinlichkeit ein Verkehrsunfall oder doch eine Verkehrsbehinderung in überschaubarer Zukunft zu erwarten ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.2011 – 15 ZB 10.2409 – juris).
Geht es um die Gefährdung von Leben und Gesundheit als hochrangige Rechtsgüter, sind an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen (vgl. VG Augsburg, U.v. 16.12.2015 – Au 4 K 15.869 – juris).
Bei Verwirklichung des Bauvorhabens der Klägerin ist mit einer solchen hinreichenden, bloßen Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Verkehrsunfalls oder einer Verkehrsbehinderung in überschaubarer Zukunft zu rechnen.
Nach den Erkenntnissen des Ortsaugenscheins vom 11. April 2017 soll die Werbeanlage unmittelbar in einem Kreuzungsbereich auf Höhe einer Lichtzeichenanlage angebracht werden. Bei der, in deren Verlauf die Werbeanlage platziert werden soll, handelt es sich im streitgegenständlichen Bereich um eine vierspurig ausgeführte Straße, die ein erhebliches Verkehrsaufkommen aufweist. Wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid zutreffend aufgezeigt hat, handelt es sich um eine maßgebliche Verbindungsachse zwischen *-West und *-Ost. Hinzu kommt das erhebliche Verkehrsaufkommen durch den in unmittelbarer Nähe des Standortes liegenden gewerblichen Großbetrieb der *. Hier findet insbesondere in den Morgen- und Abendstunden intensiver Verkehr durch die in den dortigen Betrieben Beschäftigen statt. Weiter gilt es zu berücksichtigen, dass beidseits der * ein stark frequentierter Radweg verläuft, der insbesondere auf der östlichen Seite die Zufahrt zum * Park am unmittelbaren Standort der Werbeanlage quert. Dies erfordert die erhöhte Aufmerksamkeit des jeweiligen Kfz-Führers. Weiter tritt hinzu, dass auch an den Wochenenden der entsprechende Bereich erhebliche eine Verkehrsbelastung aufweist, da mehrere Vergnügungsstätten (beispielsweise *) sich in unmittelbarer Nähe befinden. Auch die Polizeiinspektion * hat in ihrer Stellungnahme vom 14. April 2016 darauf hingewiesen, dass an der Einmündung ein starker Abbiegeverkehr in das Industriegebiet (Gewerbepark *) und zu den unmittelbar anliegenden Vergnügungsstätten bestehe.
Das Gericht ist der Auffassung, dass das Aufstellen der Werbeanlage in geringem Abstand und auf unmittelbarer Höhe der vorhandenen Lichtzeichenanlage mit mindestens hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verkehrsgefährdung führt. Es ist damit zu rechnen, dass die Ablenkung durch die Anlage derart extensiv ist, dass ein Schadenseintritt und eine Gefahr für Leib und Leben von Personen nahe liegen. Dies insbesondere auf Grund der komplexen Verkehrssituation im unmittelbaren Kreuzungsbereich durch die vierspurige Verkehrsführung, die beiden parallel zur Fahrbahn verlaufenden Radwege und den querenden Fußgängerverkehr. Beim Ablenkungseffekt durch die Werbeanlage tritt hinzu, dass es sich bei der geplanten Ausführung um eine beidseitig hinterleuchtete Anlage handeln soll, die häufig wechselnde Motive zeigt. Damit geht von der Anlage auch zu Nachtzeiten ein erhebliches Ablenkungspotential aus. Die Auffälligkeit der Anlage wird durch den häufigen Wechsel der gezeigten Motive (5 Stück je Ansichtsfläche) noch unterstrichen.
Gerade die Komplexität und das hohe Verkehrsaufkommen im streitgegenständlichen Bereich durch Kfz-, Radfahr- und Fußgängerverkehr verlangt vorliegend nach den beim Ortsaugenschein gewonnenen Erkenntnissen die gesamte Aufmerksamkeit des jeweiligen Verkehrsteilnehmers. Die Errichtung der beantragten Außenwerbeanlage auf unmittelbarer Höhe der Lichtzeichenanlage lässt befürchten, dass diese Anlage, zumal sie hinterleuchtet ist, die Verkehrsteilnehmer von kritischen Verkehrssituationen und der Lichtzeichenanlage – und zwar gerade unmittelbar im Kreuzungsbereich bzw. kurz davor – ablenkt.
Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ist auf Grund der Beleuchtung der Werbeanlage und der häufigen Plakatwechselfrequenz zu erwarten, dass der Reiz, den die Lichtzeichenlage dem Verkehrsteilnehmer senden soll, stark beeinträchtigt und abgeschwächt wird.
Für die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Verkehrsunfalls oder einer Verkehrsbehinderung ist es nicht erforderlich, dass der Konzentration erfordernde Verkehrsbereich bereits einen Unfallschwerpunkt darstellt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt zu dieser Frage aus, dass eine Art Erprobungsphase, ob sich bei einer Genehmigung einer derartigen Werbeanlage, wie sie die Klägerin plant, Unfälle mit schwerwiegenden Folgen ereignen können, sich angesichts der Gefährdung der hochrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit, auch in Abwägung mit den wirtschaftlichen Interessen der Klägerin verbiete (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.2011 – 15 ZB 10.2409 – juris).
Nach allem hat die Beklagte die Erteilung einer Genehmigung für die streitgegenständliche Werbeanlage im angefochtenen Bescheid vom 10. November 2016 zu Recht versagt. Die Klägerin besitzt keinen Anspruch auf die von ihr beantragte Baugenehmigung.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

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