Baurecht

Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs durch eine Werbeanlage

Aktenzeichen  Au 4 K 17.1683

Datum:
31.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2953
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 14 Abs. 2, Art. 68 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs wird durch eine Werbeanlage bereits dann konkret gefährdet, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder „bloßer“ Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass durch die Anlage ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird, insbesondere ein Durchschnittskraftfahrer durch sie abgelenkt wird. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Rahmen der dabei erforderlichen prognostischen Einschätzung kommt Stellungnahmen der zuständigen polizeilichen Dienststellen eine besondere Bedeutung zu. Derartige Stellungnahmen sind zwar weder für die Genehmigungsbehörde noch für das Gericht bindend; sie haben jedoch namentlich angesichts der Sach- und Problemnähe der örtlichen (polizeilichen) Dienststellen eine nicht unerhebliche Aussagekraft. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird angewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung. Das Bauvorhaben verstößt gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, auf die sich der Beklagte berufen hat (vgl. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO). Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 13. Oktober 2017 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Der von der Klägerin beantragten Werbetafel steht Art. 14 Abs. 2 BayBO entgegen, wonach die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch bauliche Anlagen nicht gefährdet werden darf. Die Vorschrift ist zwar nicht Gegenstand des hier einschlägigen Prüfprogramms des Art. 59 BayBO. Gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO durfte der Beklagte den Bauantrag jedoch auch wegen der Verletzung von öffentlich-rechtlichen Vorschriften ablehnen, die nicht im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
Die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs wird nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 2 ZB 16.1288 – Rn. 4; B.v. 27.10.2011 – 15 ZB 10.2409 – juris Rn. 6; B.v. 24.2.2003 – 2 CS 02.2730 – juris Rn. 16) bereits dann – konkret – gefährdet, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder – anders ausgedrückt – „bloßer“ Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass durch die Anlage ein Verkehrsunfall verursacht oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird, insbesondere ein Durchschnittskraftfahrer durch sie abgelenkt wird. Der Nachweis, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist oder eine hohe Wahrscheinlichkeit hierfür sind nicht erforderlich. Zur Annahme einer Gefahrenlage genügt daher die Feststellung, dass die konkrete Situation die Befürchtung nahelegt, dass – möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände – irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt. Geht es dabei – wie hier – um die Gefährdung von Leben und Gesundheit, sind an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen.
Bei Anwendung dieser Grundsätze stellt die geplante verfahrensgegenständliche Werbeanlage eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs dar. Im Rahmen der erforderlichen prognostischen Einschätzung kommt Stellungnahmen der zuständigen polizeilichen Dienststellen – hier: der Polizeiinspektion … – eine besondere Bedeutung zu (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 2 ZB 16.1288 – Rn. 5). Derartige Stellungnahmen sind zwar weder für die Genehmigungsbehörde noch für das Gericht bindend; sie haben jedoch namentlich angesichts der Sach- und Problemnähe der örtlichen (polizeilichen) Dienststellen eine nicht unerhebliche Aussagekraft (VG Augsburg, U.v. 16.12.2015 – Au 4 K 15.869 – juris Rn. 41). Die Polizeiinspektion … hat eine Gefährdung der Verkehrssicherheit insbesondere deshalb angenommen, weil es im Bereich der geplanten Werbeanlage zu vermehrten Querungen der …straße durch Fußgänger sowie zu Ausfahrten von Feuerwehr- und Bauhoffahrzeugen komme; diese verkehrliche Situation erfordere die ganze Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer, welcher die geplante Werbeanlage abträglich sei (vgl. Bl. 16 und Bl. 27 des Behördenakts). Diese – vom zuständigen Polizeibeamten in der mündlichen Verhandlung wiederholte – Beurteilung hält die Kammer bei eigener Würdigung der örtlichen und verkehrlichen Verhältnisse für zutreffend. Eine konkrete Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs wird namentlich durch die im gerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse belegt.
Insbesondere angesichts des völlig geraden Verlaufs der …straße und des im Vergleich zur umgebenden Bebauung südlich der …straße vorspringenden Gebäudes, an dem die Werbeanlage angebracht werden soll – gerade dies soll offenbar der Sichtbarkeit und Wirksamkeit der Werbeanlage zu Gute kommen –, wäre die geplante Anlage bereits von weitem aus Richtung Westen sichtbar. Insofern kommt es – was die Ablenkungswirkung der Anlage und darauf beruhende negative Folgen für die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer angeht – nicht allein auf den Bereich unmittelbar in Höhe der Werbeanlage an. Vielmehr ist mindestens auf die verkehrliche Situation ab der Einmündung der Straße „Im …“ von Süden her abzustellen.
Maßgeblich zu berücksichtigen ist damit die Einmündungs- und Querungssituation im Bereich des von Norden in die …straße einmündenden …. Dort befindet sich eine nach den Erkenntnissen der mündlichen Verhandlung gerade morgens stark frequentierte Schulbushaltestelle (insgesamt ca. 160 Schüler). Um zu dieser Schulbushaltestelle zu gelangen, müssen insbesondere die Schüler, die aus der westlich gelegenen Ortsmitte und aus den südlich der …straße gelegenen Wohngebieten kommen, die …straße an der Einmündung des … überqueren. Auf der nördlichen Seite der …straße befindet sich in Richtung Westen kein Gehweg. Selbst der südlich der …straße verlaufende Gehweg ist schmal und bietet Fußgängern wenig Platz. Ein Fußgängerüberweg oder eine sonstige Querungshilfe ist nicht vorhanden, obwohl die …straße jedenfalls für den Bereich des Beigeladenen eine – wie auch die vom Beklagten vorgelegten Zahlen belegen – beachtliche Verkehrsbedeutung hat, stellt sie doch – gerade auch für Touristen und Ausflügler – die Verbindung zum überörtlichen und überregionalen Verkehr sicher, namentlich zur östlich verlaufenden Bundesstraße …. Erneut handelt es sich insoweit um einen Umstand, den sich die Klägerin offenbar durch die Anbringung der Werbeanlage zu Nutze machen möchte, so dass damit eine Ablenkungswirkung der Verkehrsteilnehmer auf der …straße korrespondiert.
Zu der bereits auf Grund der beschriebenen baulichen und verkehrlichen Verhältnisse nicht unproblematischen Querungssituation kommt wegen der Schulbushaltestelle hinzu, dass unberechenbares Verhalten von Kindern in Rechnung gestellt werden muss (vgl. § 3 Abs. 2a StVO); dies gilt insbesondere dann, wenn der Weg zur und von der Schulbushaltestelle in Gruppen – unter entsprechender gegenseitiger Ablenkung – bewältigt wird, sowie insbesondere, wenn die Abfahrt des Busses unmittelbar bevorsteht. Mit unbedachten Querungen der …straße ist gerade dann zu rechnen. Dies erfordert in besonderem Maße, dass Autofahrer an dieser Stelle ihre Konzentration der Beurteilung der Verkehrssituation widmen; eine Ablenkung durch eine Werbeanlage ist damit nicht vereinbar.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Gebäude gegenüber der geplanten Anlage unter anderem von der Feuerwehr und von Rettungsdiensten genutzt wird. Deren Einsatzfahrzeuge werden ebenfalls an der Einmündung des … in die …straße einfahren; sie genießen bezüglich der Einhaltung der StVO Sonderrechte gem. § 35 Abs. 1 bzw. Abs. 5a StVO, so dass für das entsprechende Geschehen im Sicht- und Wirkbereich der Werbeanlage auch insoweit die volle Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer, namentlich der Autofahrer, erforderlich ist. Dies gilt umso mehr, als Einsätze von Feuerwehr und Rettungsdiensten regelmäßig ihrerseits dem Schutz von Leben und Gesundheit anderer dienen, so dass eine Beeinträchtigung dieser Aufgaben durch oder in Folge der Ablenkung einer Werbeanlage auch insoweit nicht hinzunehmen ist.
An dieser Beurteilung ändert nichts, dass die Geschwindigkeit auf der …straße im fraglichen Bereich – bis unmittelbar vor dem geplanten Anbringungsort der Werbeanlage – auf 30 km/h reduziert ist. Vielmehr ist umgekehrt aus der Anordnung einer solchen, auf § 45 Abs. 1 und Abs. 9 StVO gestützten streckenbezogenen Geschwindigkeitsbegrenzung zu folgern, dass eine Gefahrenlage besteht, die auf besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter (insbesondere Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern sowie öffentliches und privates Sacheigentum) erheblich übersteigt. Nur unter diesen Voraussetzungen ist die Straßenverkehrsbehörde befugt, durch eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h eine Beschränkung des fließenden Verkehrs anzuordnen (vgl. VG München, U.v. 23.6.2015 – M 23 K 13.3232 – juris Rn. 38). Insofern bestätigt die bestehende Geschwindigkeitsbegrenzung, dass – gerade im maßgeblichen Bereich vor der Werbeanlage – eine besondere verkehrliche Situation vorliegt, welche eine besondere Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer erfordert. Die Notwendigkeit, von den Stellplätzen der Wohnanwesen …straße …und … rückwärts unmittelbar auf die …straße auszufahren, ist hierbei zusätzlich zu berücksichtigen.
Unerheblich ist, dass der genannte bislang keinen Unfallschwerpunkt bildet. Eine Art Probephase, ob sich bei einer Genehmigung einer Werbeanlage Unfälle mit schwerwiegenden Folgen ereignen können, verbietet sich angesichts der Gefährdung der hochrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit auch in Abwägung mit den wirtschaftlichen Interessen der Klägerin (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.2011 – 15 ZB 10.2409 – juris Rn. 5)
Insofern kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg geltend machen, die vorliegende Situation sei mit derjenigen nicht vergleichbar, über die der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in der im streitgegenständlichen Bescheid zitierten Entscheidung befunden habe. Vielmehr ist eine stets eine Würdigung aller Gesamtumstände des Einzelfalls an Hand der aufgezeigten Maßstäbe zur Auslegung des Art. 14 Abs. 2 BayBO vorzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 2 ZB 16.1288 – Rn. 6); diese ergibt hier aus den dargestellten Gründen eine konkrete Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gem. Art. 14 Abs. 2 BayBO.
Die Klägerin kann auch nichts zu ihren Gunsten daraus herleiten, dass an den Garagen auf den Grundstücken Fl.Nrn., … und … ebenfalls eine Werbetafel angebracht wurde. Zum einen befindet sich diese noch vor der hier besonders zu berücksichtigenden Querungs- und Einmündungssituation im Bereich …straße / …. Zum anderen wurde hierzu seitens des Beklagten in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass diese Werbetafel ohne Genehmigung errichtet wurde und der Beklagte auf deren Beseitigung hinarbeite.
Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da sich der Beigeladene mangels Antragstellung keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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