Aktenzeichen M 9 K 17.2673
Leitsatz
1. Die Vereinbarkeit eines Bauvorhabens mit einem beschränkt-dinglichen Recht wie einem Geh- und Fahrtrecht ist nicht Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung. Ein derartiges Recht begründet dementsprechend kein Abwehrrecht des Nachbarn gegen die Baugenehmigung. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Geh- und Fahrtrecht stellt sich als “Eigentumssplitter” bzw. als “Ausschnitt aus dem Eigentum” dar, was als Berufungsposition nicht ausreicht, um öffentlich-rechtlich Nachbarschutz zu vermitteln. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Nachbar hat keinen Rechtsanspruch darauf, dass die Bauaufsichtsbehörde von einer Befugnis zur Ablehnung eines Bauantrages wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses Gebrauch macht. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. zu tragen.
Die Beigeladene zu 2. trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtene Baugenehmigung verletzt den Kläger nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung kann nur dann Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln und die im Baugenehmigungsverfahren Prüfungsgegenstand sind, verletzt werden (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20 und 22; VG München, B.v. 7.9.2016 – M 1 SN 16.3556 – juris Rn. 17).
Eine derartige Verletzung drittschützender Vorschriften ergibt sich nicht aus einer Beeinträchtigung des Geh- und Fahrtrechts des Klägers.
Wie bereits durch den gerichtlichen Hinweis (Schreiben vom 29.6.2017, Bl. 35 der Gerichtsakte) auf Art. 68 Abs. 4 BayBO zum Ausdruck gebracht, ist die Vereinbarkeit eines Bauvorhabens mit einem beschränkt-dinglichen Recht, vorliegend: einem Geh- und Fahrtrecht nach der ständigen Rechtsprechung – soweit ersichtlich – aller Obergerichte und insbesondere des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung, was sich aus Art. 68 Abs. 4 BayBO herleitet. Ein derartiges Recht begründet dementsprechend kein Abwehrrecht des Nachbarn gegen die Baugenehmigung (so ausdrücklich BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 18; vgl. bspw. auch BayVGH, B.v. 25.11.2013 – 2 CS 13.2267 – juris; B.v. 1.6.2016 – 15 CS 16.789 – juris und OVG NW, B.v. 10.8.2016 – 7 A 2584/15 – juris Rn. 3). Private Rechte wie das Geh- und Fahrtrecht werden durch die Erteilung einer Baugenehmigung weder berührt noch sagt die Baugenehmigung hierüber etwas aus (BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris; VG München, B.v. 1.8.2016 – M 11 SN 16.2976 – juris Rn. 23). Der Kläger kann deshalb aus dem Geh- und Fahrtrecht keine Einwendungen gegen die Baugenehmigung ableiten. Der Hintergrund dieser ständigen Rechtsprechung ist, dass die §§ 1018ff. BGB von der Baugenehmigungsbehörde nicht geprüft und dementsprechend auch von der Baugenehmigung nicht „abgedeckt“ werden. Die auf die sogenannten subjektiv-öffentlichen Rechte verengte Prüfung im Fall der Anfechtungsklage eines Nachbarn aber hebt stets darauf ab, dass die Baugenehmigung bestimmten „von ihr geprüften“ Normen, die subjektiv-öffentliche Rechte darstellen bzw. begründen und mit denen das Vorhaben von der Baugenehmigung als vereinbar angesehen wurde, nicht gerecht wird, bspw., dass ein Gebäude legalisiert wird, das die von Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BayBO geforderten Abstandsflächen nicht einhält und damit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO verletzt.
Durch die Eintragung im Grundbuch wird die Grunddienstbarkeit, hier das Geh- und Fahrtrecht, nicht zu einem subjektiv-öffentlichen Recht (vgl. hierzu ausführlich VG München, B.v. 21.07.2017 – M 9 SN 17.1897 – juris Rn. 20f. mit zahlreichen Nachweisen). Ein Geh- und Fahrtrecht vermittelt keine Angriffsmöglichkeit auf die Baugenehmigung. Es ist dem Vollrecht Eigentum, das im grundstücksbezogenen öffentlichen Baurecht im Regelfall Grundlage einer Nachbaranfechtung ist, vgl. Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO, nicht vergleichbar: Das Geh- und Fahrtrecht deckt – anders als bspw. ein Nießbrauch, §§ 1030ff. BGB – nur einen geringen Teil der Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks ab (vgl. auch den Gesetzeswortlaut, § 1018 BGB: „in einzelnen Beziehungen“), es stellt sich gleichsam als „Eigentumssplitter“ bzw. als „Ausschnitt aus dem Eigentum“ dar, was als Berufungsposition nicht ausreicht, um öffentlich-rechtlich Nachbarschutz zu vermitteln (vgl. dazu z.B. VG München, U.v. 23.11.2016 – M 9 K 15.4601 – juris; U.v. 24.11.2009 – M 1 K 09.2075 – juris Rn. 30). Im Übrigen besteht das Geh- und Fahrtrecht vorliegend an demselben Grundstück, auf das sich auch die Baugenehmigung bezieht und das somit Gegenstand der Nachbaranfechtung ist, d.h. die vorliegende Konstellation ist nicht mit der Situation vergleichbar, dass bspw. ein Nießbrauchberechtigter am Grundstück „A“ eine das Nachbargrundstück „B“ betreffende Baugenehmigung anfechten möchte. Auseinandersetzungen der vorliegenden Art sind wie auch Auseinandersetzungen, die verschiedenartige private Rechte am selben Grundstück betreffen (z.B.: mietrechtliche Streitigkeit), nicht Gegenstand des Nachbarstreits im öffentlichen Baurecht, sondern unterfallen dem Zivilrechtsweg.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch der Umstand, auf den der Klägerbevollmächtigte mit dem Verweis auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Januar 2017 (Az. 15 B 16.1834) abheben will, nichts am Ergebnis ändert. Dieser Entscheidung lag eine ganz andere Konstellation als der vorliegenden Klage zu Grunde. Dort ging es nicht um die Anfechtungsklage eines Nachbarn, sondern um eine Verpflichtungsklage des Bauherrn wegen der Ablehnung der beantragten Baugenehmigung. Ob sich die Baugenehmigungsbehörde eventuell dafür entscheiden kann – unabhängig davon, dass das bei einem eindeutigen Fall wie hier nicht in Betracht käme -, eine Baugenehmigung wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses abzulehnen, wenn und soweit von ihr wegen entgegenstehender (privater) Rechte Dritter kein Gebrauch gemacht werden kann, begründet ebenfalls keinen subjektiv-öffentlichen Nachbarschutz, da der Kläger keinen Rechtsanspruch darauf hat, dass die Bauaufsichtsbehörde von einer Befugnis zur Ablehnung wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses Gebrauch macht (statt aller VG München, B.v. 1.8.2016 – M 11 SN 16.2976 – juris Rn. 24). Auch die weitere, vom Klägerbevollmächtigten angeführte Entscheidung (B.v. 19.2.2007, Az. 1 ZB 06.92) führt zu nichts; sie besagt gerade, dass die Anfechtung eines Nachbarn in einer Konstellation wie hier von vorneherein nur möglich ist, wenn er das Entstehen eines Notwegerechts zu befürchten hat, was aber gerade nicht der Fall ist, wenn für den Nachbarn eine Dienstbarkeit besteht.
Auch ansonsten verstößt die angefochtene Baugenehmigung unter keinem Gesichtspunkt gegen den Kläger schützende öffentlich-rechtliche Vorschriften, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Auch eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots kommt unter keinem Gesichtspunkt in Betracht. Die Feststellungen im Rahmen des gerichtlichen Augenscheins haben ergeben, dass das klägerische Grundstück FlNr. 724/4 ohne weiteres auch unter Berücksichtigung der Stellplätze erreicht werden kann.
Schließlich führt auch die Absicht, mittels einer Klage gegen eine Baugenehmigung, die keinerlei subjektiv-öffentliche Rechte des Klägers verletzt, Verhandlungsmaterial für eine vergleichsweise Lösung zu schaffen, entweder außergerichtlich oder auch im Rahmen der erhobenen zivilgerichtlichen Klage, nicht zum Erfolg dieser Klage.
Nach alledem wird die Klage abgewiesen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO sowie aus § 161 Abs. 3 VwGO und § 154 Abs. 3 Hs. 1 VwGO. Der Kläger hat auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. zu tragen, da sie einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, weshalb es der Billigkeit entspricht, nach ihrem Obsiegen ihre außergerichtlichen Kosten dem unterliegenden Kläger aufzuerlegen. Die Beigeladene zu 2. trägt ihre außergerichtlichen Kosten dagegen selbst, da sie keinen Antrag gestellt und sich damit selbst keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 ff. ZPO.