Baurecht

Geltungsdauer einer auf einem Vergleich beruhenden Zusicherung auf Erteilung einer Baugenehmigung

Aktenzeichen  M 9 K 18.184

Datum:
5.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 11947
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 106 S. 1, § 113 Abs. 5 S. 1
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, Nr. 5 und Nr. 7
BayVwVfG Art. 38
BayBO Art. 69 Abs. 1
BGB § 133, § 157

 

Leitsatz

1. Zusicherungen i.S.v. Art. 38 BayVwVfG können auch im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vertrages (hier Prozessvergleich) gegeben werden.(Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Zusicherung, eine Baugenehmigung zu erteilen, entfaltet nicht länger Wirkungen als die Baugenehmigung selbst.(Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird die Sach- und Rechtslage durch einen Prozessvergleich  angepasst, so werden dadurch materiell-rechtlich die Beziehungen zwischen den Beteiligten neu geordnet und richtet sich beispielsweise die Vollstreckung im Folgenden ausschließlich danach. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, weder auf Basis des Vergleichs (1.) noch nach heutiger Rechtslage, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO (2.).
1. Die Klägerin hat keinen aus Ziff. I des Prozessvergleichs vom 10. Juni 1999 folgenden Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung.
a) Dazu wird vorab Folgendes klargestellt:
Dass Zusicherungen auch im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vertrags – sog. Doppelnatur des Prozessvergleichs, § 106 Satz 1 VwGO – gegeben werden können, ist in Rechtsprechung und Literatur ebenso geklärt wie der Umstand, dass die Voraussetzungen des Art. 38 BayVwVfG im Grunde übertragbar sind (BVerwG, B.v. 4.11.1987 – 1 B 112/87 – NJW 1988, 662, 663; OVG MV, U.v. 27.11.2002 – 2 L 90/01 – NJW 2003, 3146, 3147 f.; VGH BW, U.v. 21.4.1999 – 9 S. 2653-98 – NVwZ-RR 1999, 636, 637; Guckelberger, DÖV 2004, 357, 363 f.; Fehling u. a., Verwaltungsrecht, Stand: 4. Auflage 2016, § 38 Rn. 16; zweifelnd, aber mit Gesamtdarstellung: Mann u. a., VwVfG, Stand: 1. Auflage 2014, § 38 Rn. 43).
Hinsichtlich letztgenannter Annahme ist aber darauf hinzuweisen, dass die Regelung des Art. 38 Abs. 3 BayVwVfG als einschneidendste Folge vorliegend mangels Änderung der Sach- und Rechtslage ohnehin nicht zur Anwendung gebracht werden kann/soll, womit es im Grunde unerheblich ist, ob Art. 38 BayVwVfG auf die gegebene Zusicherung anwendbar ist oder nicht.
Nicht nachvollziehbar sind jedenfalls die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten dazu, dass Art. 38 BayVwVfG zwar nicht anwendbar sein soll, die übrigen Beteiligten aber durch Art. 38 Abs. 3 BayVwVfG geschützt seien, was für seine Lesart des Vergleichs streite.
Weiter ist klarzustellen, dass es bei vorliegenden Streitfragen nicht darum geht, dem gerichtlichen Vergleich „die Wirkung abzusprechen“, sondern darum, die Geltungsdauer der einzelnen in ihm enthaltenen (Selbst-) Verpflichtungen zu bestimmen (ebenso bspw. OVG NW, B.v. 19.5.1998 – 10 A 4731/97 – juris Rn. 10). Auch bspw. ein Kaufvertrag, § 433 BGB, wird nicht „unwirksam“, wenn der einzelne Anspruch bspw. wegen Verjährung nicht mehr durchsetzbar ist.
b) Die Zusicherung – hier: Ziff. I des Prozessvergleichs -, eine Baugenehmigung zu erteilen, entfaltet nicht länger Wirkungen als die Baugenehmigung selbst (vgl. für Letztere Art. 69 Abs. 1 BayBO), ohne dass es dafür einer ausdrücklichen Befristung im Vergleich bedurft hätte. Ihre Geltungsdauer ist damit auf vier Jahre begrenzt.
Dies entspricht der völlig einheitlichen obergerichtlichen Rechtsprechung und der weitaus überwiegenden Lehrmeinung (BayVGH, B.v. 23.7.2012 – 15 ZB 10.3131 – BeckRS 2012, 56221; U.v. 10.4.1978 – 68 XIV 75 – BauR 1979, 230; OVG NW, B.v. 19.5.98 – 10 A 4731/97 – juris; OVG SH, U.v. 04.09.1996 – 1 L 191/95 – BeckRS 1996, 10292; Boeddinghaus u. a., BauO NW, Stand: 51. Update 1/2019, § 77 Rn. 5; Große-Suchsdorf u. a., NBauO, Stand: 9. Aufl. 2013, § 71 Rn. 16; Johlen/Oerder, MAH Verwaltungsrecht, Stand: 4. Auflage 2017, § 2 Rn. 147ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Stand: 19. Auflage 2018, § 38 Rn. 38; Molodovsky u. a., BayBO, Stand: 42. Update Februar 2019, Art. 69 Rn. 7, Art. 54 Rn. 164; Stelkens u. a., VwVfG, Stand: 9. Auflage 2018, § 38 Rn. 26).
Nach Ansicht des Gerichts ergibt sich dies zwanglos aus folgenden Gründen:
aa) Nur insofern besteht ein – durch Auslegung, § 133, § 157 BGB, zu ermittelnder – Bindungswille der Behörde (dazu BVerwG, U.v. 4.4.2012 − 4 C 8/09, 4 C 9/09, 4 C 1/10, 4 C 2/10, 4 C 3/10, 4 C 4/10, 4 C 5/10, 4 C 6/10 – NVwZ 2012, 1314, 1316). Das Argument, der Vergleich bzw. die Zusage des Beklagten hätte sich, um nur befristete Wirkung zu zeitigen, ausdrücklich zu einer solchen Befristung äußern müssen, ist einseitig: Bei neutraler Betrachtung bedarf es einer ausdrücklichen Befristung der Zusage nicht – diese ist konkludent getroffen -, wenn die Geltungsdauer des zugesagten Verwaltungsakts gesetzlich befristet ist, denn dann spricht nichts dafür, dass der Bindungswille der Behörde im Rahmen einer Zusicherung, ebendiesen Verwaltungsakt zu erlassen, weiter gehen sollte als die gesetzliche Frist des zugesagten Verwaltungsakts. Davon hat der Empfänger der Zusage bei verständiger Würdigung auch auszugehen (ausdrücklich z. B. OVG NW, B.v. 19.5.1998, a. a. O.; Stelkens u. a., a. a. O.). Dafür streiten entgegen der Meinung des Klägervertreters schon die Umstände der Abgabe: Die Baugenehmigung konnte vorliegend in der mündlichen Verhandlung vom 10. Juni 1999 nicht erlassen werden – um den Bau freizugeben und die 4-Jahres-Frist, damals noch in Art. 77 Abs. 1 BayBO a. F. geregelt, anlaufen zu lassen -, da sie u. a. von entsprechenden Bauvorlagen (Lageplan etc.) abhing, die die Klägerseite erst noch einzureichen hatte. Wegen dieser Zwänge, die vom Landratsamt nicht beeinflussbar sind, werden in derartigen Situationen – in denen ohne Vorlauf und auf Vorschlag des Gerichts Entscheidungen verlangt werden, die Sachentscheidung aber (noch) nicht möglich ist – Zusicherungen abgegeben (statt aller Kingler/Krebs, JuS 2010, 1059). Dass diese Zusicherung dann aber längerfristig gelten solle als die Baugenehmigung selbst, macht bei verständiger Würdigung keinen Sinn und würde der Klägerseite einen Vorteil verschaffen, der so im System der BayBO nicht angelegt ist.
bb) Wollte man dies anders sehen – wie nicht – und einen entsprechenden, konkludenten Bindungswillen verneinen, so gilt Folgendes:
Es war der Klägerseite dann jedenfalls erkennbar, dass sich der Beklagte überhaupt nicht zur Laufzeit der Bindung geäußert oder gar zu einer unbefristeten Laufzeit verpflichtet hat, womit die Geltungsdauer selbstständig zu bestimmen ist – wollte man Art. 38 BayVwVfG nicht übertragen, schlicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung. Dabei ist mangels anderer Maßstäbe auf die Geltungsdauer des zugesagten Verwaltungsakts zurückzugreifen, für die Baugenehmigung also auf Art. 69 Abs. 1 BayBO (ausdrücklich bspw. BayVGH, U.v. 10.4.1978, a. a. O.). Alles andere wäre auch insofern unverständlich, als eine Zusicherung dem Begünstigten generell jedenfalls keine stärkere Rechtsposition einräumen kann als es der zugesagte Verwaltungsakt selbst vermag und als die Zusicherung denselben materiellen Rechtsmäßigkeitsvoraussetzungen – und damit bspw. auch Befristungen – unterliegt wie der zugesicherte Verwaltungsakt (BVerwG, B.v. 4.11.1987 – 1 B 112/87 – NJW 1988, 662; OVG NW, B.v. 4.10.2013 – 6 B 1081/13 – juris; BayVGH, U.v. 10.4.1978, a. a. O.; BeckOK VwVfG, Stand: 43. Ed. 1.4.2019, § 38 Rn. 29; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Stand: 19. Auflage 2018, § 38 Rn. 23; Kingler/Krebs, JuS 2010, 1059, 1062).
Die Baugenehmigung vermittelt dementsprechend – wie auch die Klägerseite erkennt – im Vergleich zur reinen Zusicherung generell die stärkere Rechtsposition, sie setzt sich bspw., anders als die Zusicherung, so lange gegen eine Veränderungssperre durch, wie sie gültig, d. h. vor allem noch nicht erloschen ist (Brügelmann, BauGB, Stand: 70. Lfg., April 2009, § 14 Rn. 77). Würde man nun aber eine unbefristete Laufzeit der Zusicherung annehmen, würde dieses „Kräfteverhältnis“ zwischen Zusicherung und Baugenehmigung, was den Zeithorizont angeht, ins Gegenteil verkehrt.
Das Ergebnis ist auch nicht unbillig: Niemand hat die Klägerseite daran gehindert, von der Zusicherung und/oder von der auf Vorlage der Antragsunterlagen erteilten Baugenehmigung Gebrauch zu machen. Wie die Beigeladenenbevollmächtigte zu Recht anmerkt, standen ihr für die Verwirklichung ihres Baurechts somit insgesamt immerhin acht Jahre zur Verfügung.
cc) Bei alledem gilt: Dass die Beigeladene durch die Zusicherung in ihrer Bauleitplanung nicht gebunden ist – der Erlass einer Veränderungssperre und/oder eines Bebauungsplans stellt eine Änderung der Sach- und Rechtslage dar, weswegen die Bindung an die Zusicherung entfällt, Art. 38 Abs. 3 BayVwVfG, Brügelmann, a. a. O.) – spricht nicht gegen das Bisherige, da es um den Bindungswillen des Landratsamtes bzw. um das Verhältnis von Zusicherung und zugesichertem Verwaltungsakt geht.
2. Auch losgelöst vom Prozessvergleich besteht kein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO.
Das Bauvorhaben liegt nach dem Ergebnis des Augenscheins – was mittlerweile auch zwischen den Beteiligten unstrittig ist, vgl. Niederschrift, S. 4 – im Außenbereich. Es beeinträchtigt § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 5, 7 BauGB.
In diesem Zusammenhang wird auf Folgendes hingewiesen:
Die positive Entscheidung der Kammer vom 10. September 1997, Az. M 9 K 96.4905, erging nur aufgrund der vorab erteilten Teilungsgenehmigung, vgl. Umdruck, S. 10:
Die vom Gesetzgeber mit der Teilungsgenehmigung beabsichtigten Schutzzwecke – Sicherung der Ortsplanung und Schutz eines möglichen Grundstückserwerbers – führen dazu, daß die Bindungswirkung einer Teilungsgenehmigung die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens, soweit sie anhand der eingereichten Unterlagen geprüft werden konnte, insgesamt umfaßt. Unabhängig davon, ob das Grundstück der Klägerin nach seiner geografischen Lage dem Außenbereich zuzuordnen ist oder gemäß der Ortsabrundungssatzung der beigeladenen Gemeinde im Innenbereich liegt, kann eine Baugenehmigung damit jedenfalls nicht aus bauplanungsrechtlichen Gründen mit der Begründung versagt werden, das Grundstück sei unbebaubar.
Der 1999 folgende Vergleich stellt dann aber, anders als der Bevollmächtigte meint, eine Zäsur dar, da hiermit u. a. der auf dem Bescheidungsurteil fußende Vollstreckungsantrag, Az. M 9 V 98.2940, zurückgenommen wurde (Ziff. V des Vergleichs) und da dem Bauvorhaben aufgrund der damals noch als offen beurteilten Erfolgsaussichten eine andere Gestalt gegeben wurde (Ziff. I des Vergleichs). Mit Letzterem ist gemeint, dass das Bauvorhaben gegenüber dem Bauantrag vom 6. März 1996, auf dem noch das Bescheidungsurteil basierte, übereinstimmend verändert wurde – Verschiebung des Baukörpers nach Norden usw. -. Wird die Sach- und Rechtslage durch einen Prozessvergleich aber angepasst, so werden dadurch materiell-rechtlich die Beziehungen zwischen den Beteiligten neu geordnet und richtet sich bspw. die Vollstreckung i. F. ausschließlich danach (BayVGH, B.v. 17.2.1987 – Nr. 15 CE 86.03680 – BayVBl 1987, 308, 309; Eyermann, VwGO, Stand: 15. Aufl. 2019, § 168 Rn. 14).
Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat sich durch Antragstellung in ein Kostenrisiko begeben, weshalb es billig ist, der Klägerin auch ihre außergerichtlichen Kosten aufzubürden. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 708ff. ZPO.

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