Aktenzeichen 4 ZB 16.372
Leitsatz
1. Bei der Verwendung von Erzeugnissen aus öffentlichen Nutzungsrechten, die “ausschließlich landwirtschaftlichen Zwecken dienen” (Art. 80 Abs. 2 Satz 3 GO), ist der Berechtigte nicht kraft Gesetzes an die zum Zeitpunkt der Begründung des Rechts praktizierten landwirtschaftlichen Betriebsformen oder -abläufe gebunden. (amtlicher Leitsatz)
2 Der auch in der Landwirtschaft stattfindende Strukturwandel, der zur Anwendung immer modernerer Arbeitsmittel und zu grundlegenden Änderungen der Betriebsabläufe geführt hat, war dem Gesetzgeber beim Erlass der Art. 80 ff. GO bekannt. Er hat dem damit verbundenen Erfordernis betrieblicher Umstrukturierungen mit der Bestimmung des Art. 80 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 GO explizit Rechnung getragen und die Aufrechterhaltung der ausschließlich landwirtschaftlichen Zwecken dienenden Nutzungsrechte in Art. 80 Abs. 2 S. 3 GO allein an die Existenz eines landwirtschaftlichen Betriebs geknüpft und nicht an die Fortführung bisheriger Betriebsweisen. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 2 K 15.514 2015-10-28 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I.
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um den Fortbestand eines im 19. Jahrhundert begründeten öffentlichen Nutzungsrechts an Wiesengrundstücken, die im Eigentum der beklagten Gemeinde stehen.
Die Hofstelle, auf der das streitige Wiesennutzungsrecht Nr. 22 ruht, wurde von der Mutter des Klägers 1983 erworben und wird vom Kläger als Pächter bewirtschaftet. Er verwendet das Mähgut aus den Wiesen als Einstreu für seine Schweinemast.
Mit Urteil vom 28. Oktober 2015 stellte das Verwaltungsgericht Würzburg fest, dass das Gemeindenutzungsrecht fortbestehe. Es handle sich nach den vorgelegten Dokumenten um ein mit der Haus- und Hofstelle verbundenes (sog. radiziertes) Gemeindenutzungsrecht, das die Nutzung des Mähguts zu landwirtschaftlichen Zwecken, vor allem für die Tierhaltung oder Gründüngung, zum Inhalt habe und mangels Einstellung des landwirtschaftlichen Betriebs nicht nach Art. 80 Abs. 2 Satz 3 GO erloschen sei. Es werde fortwährend zur Unterstützung der Viehhaltung auf dem berechtigten Anwesen verwendet, wobei es unerheblich sei, dass dies nicht ausschließlich zur Fütterung der Tiere geschehe. Eine solche Einschränkung ergebe sich aus dem Herkommen der Wiesennutzungsrechte nicht; auch früher schon sei Heu und ggf. Gras als Einstreu in Ställen verwendet worden. Im Übrigen habe das zuständige Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in einem Schreiben dargelegt, dass die Einstreu des Mähguts von Wiesen in die Schweineställe als eine dem Tierwohl dienliche Maßnahme anzusehen sei; als „Rauhfutter“ führe es bei den Schweinen zu einem gewissen Sättigungsgefühl und damit zu einem Wohlbefinden. Gras- bzw. Heueinstreu werde von den Schweinen auch gerne als Beschäftigungsmaterial genutzt.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung.
Der Kläger tritt dem Antrag entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II. 1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der von der Beklagten geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils) liegt nicht vor.
Zur Begründung ihres Antrags trägt die Beklagte vor, der Inhalt von Nutzungsrechten könne sich nicht verändern, so dass keine Anpassung an die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Berechtigten oder an den jeweiligen Stand der technischen Nutzungsmöglichkeiten erfolge. Abzustellen sei daher auf das landwirtschaftliche Nutzungsverhalten bei Begründung der Nutzungsrechte im 19. Jahrhundert. Damals hätten Wiesennutzungsrechte den Zweck gehabt, Gras und Heu für die Fütterung von Rindern, Pferden und Kleinvieh zu gewinnen. Schweine benötigten leichtverdauliches Futter und könnten kein Gras verwerten; sie seien hauptsächlich mit Futterrüben, Getreide, Mais, Obst, Kartoffeln und Essensresten gefüttert worden. Die Verwendung von Grasschnitt zur Schweinefütterung sei vom ursprünglichen Zweck des Wiesennutzungsrechts nicht gedeckt; diese Verwendungsart sei das Ergebnis einer radikal veränderten Landwirtschaft und beruhe auf neueren Erkenntnissen, wie sich aus der Stellungnahme des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ergebe.
Diese Ausführungen begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Sie beruhen auf einer unzutreffenden Vorstellung vom Inhalt der Gemeindenutzungsrechte.
Öffentliche Nutzungsrechte nach Art. 80 ff. GO sind dadurch gekennzeichnet, dass die Berechtigten gegenüber der Gemeinde als Eigentümerin der belasteten Gegenstände (z. B. Grundstücke) einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf einen bestimmten Anteil der Nutzungen (§ 100 BGB) haben. Um welche Art von Nutzungen es sich handelt, ist in den jeweiligen Rechtsgrundlagen des Nutzungsrechts bestimmt, also entweder in einem besonderen Rechtstitel oder im sog. rechtsbegründeten Herkommen (Art. 80 Abs. 2 Satz 1, Alt. 1 und 2 GO). Da in jeder Änderung der Nutzung eine – seit dem bayerischen Gemeindeedikt von 1818 nicht mehr zulässige – (partielle) Neubegründung eines solchen Rechts läge, ist der Inhalt der Nutzungsrechte unabänderlich festgelegt; er passt sich also nicht an sich ändernde Nutzungswünsche und -bedürfnisse der Rechtler oder an aktuelle technische Nutzungsmöglichkeiten an (BayVGH, U. v. 5.10.1962 – 75 IV 57 – VGH n. F. 15, 106/111 f. m. w. N.). Ändert sich die bisherige Nutzungsart eines belasteten gemeindlichen Grundstücks grundlegend und dauerhaft, etwa durch Umwandlung einer Wiesen- und Weidefläche in Ackerland oder Wald (U. v. 5.10.1962, a. a. O.), durch Umstellung der Bewirtschaftungsform von Niederwald auf Hochwald (BayVGH, U. v. 8.6.1988 – 4 B 86.03554 u. a. – FSt 1988/292) oder durch Bebauung (BayVGH, U. v. 6.2.1991 – 4 B 88.3429 – n. v.), und kann das öffentliche Nutzungsrecht demzufolge nicht mehr in der herkömmlichen Weise ausgeübt werden, so erlischt es mit Beendigung seiner tatsächlichen Ausübung (BayVGH, a. a. O.; B. v. 11.4.2007 – 4 ZB 06.693 – juris Rn. 5; LT-Drs. 7/3103 S. 37; Vorwerk, Wesen und Inhalt gemeindlicher Nutzungsrechte, 1965, S. 145 f.; Bauer, Die öffentlichen Nutzungsrechte in Bayern, 1993, S. 151 ff.; vgl. auch BVerfG, B. v. 19.6.1990 – 1 BvR 564/89 – juris; BVerwG, B. v. 3.3.1989 – 3 B 70.88 – juris).
Nicht zu verwechseln mit dieser kraft Gesetzes bestehenden Unabänderlichkeit des Inhalts der öffentlichen Nutzungsrechte ist die Frage, ob die gezogenen Nutzungen nur für festgelegte Zwecke verwendet werden dürfen (vgl. Bauer, a. a. O., S. 83 f.). Sie betrifft nicht den zulässigen Umfang des Zugriffs auf das belastete („dienende“) Gemeindegrundstück, sondern die Art der wirtschaftlichen Verwertung der dort gewonnenen Erzeugnisse. Ob ein Nutzungsberechtigter, also bei einem an die Haus- oder Hofstelle gebundenen (sog. radizierten) Nutzungsrecht der Inhaber des „herrschenden“ Grundstücks bzw. Anwesens, mit der gezogenen Nutzung nach Belieben oder nur in bestimmter Weise verfahren darf, ist im Gesetz an keiner Stelle geregelt. Auch der aus Art. 80 Abs. 2 Satz 3 GO abzuleitende Umkehrschluss, wonach ein ausschließlich der Landwirtschaft dienendes Nutzungsrecht nur solange fortbesteht wie der entsprechende (Haupt- oder Nebenerwerbs-)Betrieb des Berechtigten, zwingt keineswegs zu der Annahme, dass solche Nutzungen nur im jeweils eigenen landwirtschaftlichen Betrieb verwendet werden dürften. Da mit der Vorschrift lediglich die vorangegangene geschichtliche Entwicklung nachgezeichnet werden sollte (LT-Drs. 12/6130 S. 14), ist es den Inhabern rein landwirtschaftlicher Nutzungsrechte auch nach Einfügung des Art. 80 Abs. 2 Satz 3 GO – entsprechend der schon früher herrschenden Auffassung – nicht verwehrt, die auf den Grundstücken der Gemeinde gewonnenen Erzeugnisse wie z. B. Getreide, Heu, Stroh oder Brennholz auf andere Weise als im eigenen Anwesen zu verwenden und insbesondere zu verkaufen, soweit Titel oder Herkommen nichts anderes bestimmen (vgl. BayVGH, U. v. 19.10.1960 – 77 IV 57 – VGH n. F. 13, 112/113; Vorwerk, a. a. O., S. 90; Bauer, a. a. O., S. 83 f.).
Gelten demnach für die ausschließlich landwirtschaftlichen Zwecken dienenden Nutzungsrechte keine gesetzlichen Verwendungs- bzw. Verwertungsbeschränkungen, so besteht erst recht keine Bindung an bestimmte Zweige der Landwirtschaft oder an tradierte landwirtschaftliche Betriebsweisen. Die im Zulassungsantrag geäußerte Auffassung, das landwirtschaftliche Nutzungsverhalten zum Zeitpunkt der Begründung der Nutzungsrechte im 19. Jahrhundert sei für deren heutige Ausübung noch immer maßgebend, findet im geltenden Recht keine Grundlage. Der seit dem Beginn des Industriezeitalters auch in der Landwirtschaft stattfindende Strukturwandel, der zur Anwendung immer modernerer Arbeitsmittel und zu grundlegenden Änderungen der Betriebsabläufe geführt hat, war dem Gesetzgeber beim Erlass der Art. 80 ff. GO bekannt. Er hat dem damit verbundenen Erfordernis betrieblicher Umstrukturierungen mit der Bestimmung des Art. 80 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 GO explizit Rechnung getragen und die Aufrechterhaltung der ausschließlich landwirtschaftlichen Zwecken dienenden Nutzungsrechte in Art. 80 Abs. 2 Satz 3 GO allein an die Existenz eines landwirtschaftlichen Betriebs geknüpft und nicht an die Fortführung bisheriger Betriebsweisen. Änderungen in der Art des Betriebs oder in den Bewirtschaftungsmethoden führen daher erst dann zum Erlöschen des Nutzungsrechts, wenn infolgedessen der Begriff der Landwirtschaft (§ 201 BauGB) nicht mehr erfüllt ist. Dies ist aber bei dem Schweinezuchtbetrieb des Klägers nach der Auskunft des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 23. Oktober 2015 nicht der Fall. Es bestehen auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass das auf dem Herkommen beruhende Wiesennutzungsrecht nach dem Willen der ursprünglich Beteiligten auf Dauer nur einer bestimmten Art von Landwirtschaft oder gar innerhalb der landwirtschaftlichen Tierhaltung nur der Futtergewinnung für einzelne Nutztierarten zu dienen bestimmt war. Dass das aus dem Wiesennutzungsrecht gewonnene Mähgut von dem heutigen Betriebsinhaber – entgegen einer (möglicherweise feststellbaren) früheren Praxis – nurmehr als sog. Rauhfutter und Beschäftigungsmaterial für die Schweine(haltung) verwendet wird, stellt daher den Fortbestand dieses Rechts nicht in Frage.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG (vgl. BayVGH, B. v. 17.3.2006 – 4 C 06.471 – juris Rn. 3).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).