Baurecht

Gemeindliches Einvernehmen bei geändertem Bauvorhaben

Aktenzeichen  M 9 K 15.2555

Datum:
27.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 36 Abs. 1, Abs. 2 S. 2
BayBO BayBO Art. 64 Abs. 1 S. 1, Art. 71 S. 4

 

Leitsatz

Wird ein Vorhaben geändert und erhält damit einen anderen Inhalt, so bedarf es eines erneuten Ersuchens an die Gemeinde nach § 36 BauGB. Ein Bauvorbescheid ist allein wegen der fehlenden Beteiligung der Gemeinde zum geänderten Bauantrag rechtswidrig und aufzuheben.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Vorbescheid des Landratsamts Ebersberg vom … Mai 2015 wird aufgehoben.
II.
Der Beklagte und der Beigeladene tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin je zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte aufgrund des Einverständnisses der Parteien gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden.
Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
Der Vorbescheid vom … Mai 2015 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Vorbescheid vom … Mai 2015 wurde ohne das für den verbeschiedenen Antrag erforderliche Einvernehmen der Klägerin erteilt, weshalb diese in ihrer Planungshoheit gemäß Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV als Bestandteil des kommunalen Selbstverwaltungsrechts verletzt wird.
1. Gegenstand des Vorbescheids vom … Mai 2015 ist nach dessen Tenor die Fragestellung vom … Juli 2014 mit Roteintrag (Altenteilerwohnung), die Lageplanzeichnung vom … Juli 2014 sowie das Erschließungskonzept vom … April 2014 und das Aussiedlungskonzept vom … August 2014 (vgl. I.2 und I.3 sowie II. des Vorbescheids vom … Mai 2015). Der Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen vom … März 2014 lag indes die Planfassung vom … Januar 2014 zugrunde. Eine Befassung der Klägerin mit der verbeschiedenen Planfassung und den übrigen Antragsunterlagen, die Grundlage des Vorbescheids sind, fand im Rahmen einer Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen nicht statt. Ob die Klägerin in von der geänderten Planung Kenntnis erlangt hat kann offenbleiben. Jedenfalls hat sie nach der Aktenlage und dem Parteivorbringen nicht ausdrücklich die Möglichkeit erhalten, über die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens zu der geänderten Planung vom … Juli 2014 und der Ergänzung der Altenteilerwohnung mit Antrag vom … Januar 2015 zu entscheiden. Nur ein ausdrückliches Ersuchen der Genehmigungsbehörde erfüllt angesichts der mit diesem verbundenen Fristen (§ 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB) die Anforderungen an eine Beteiligung gem. § 36 Abs. 1 BauGB.
2. Gemäß Art. 71 Satz 4 i. V. m. Art. 64 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist der Vorbe-scheidsantrag schriftlich bei der Gemeinde einzureichen. Diese hat gemäß Art. 71 Abs. 4 i. V. m. Art. 64 Abs. 1 Satz 2 BayBO zu dem Vorbescheidsantrag Stellung zu nehmen. Der Beigeladene ist von dieser Vorgehensweise abgewichen und hat seinen geänderten Antrag unmittelbar dem Landratsamt vorgelegt. Das Landratsamt hätte deshalb schon gemäß Art. 71 Satz 4 i. V. m. Art. 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayBO die Klägerin als Stelle, deren Beteiligung durch Rechtsvorschrift vorgesehen ist, zu dem Bauantrag hören müssen.
Die Einholung des Einvernehmens der Klägerin wäre zu der geänderten Planung vom … September 2014 sowie der Ergänzung des Antrags vom … Januar 2015 (Altenteilerwohnung) gem. § 36 BauGB zwingend erforderlich gewesen.
Wird ein Vorhaben geändert und erhält damit einen anderen Inhalt, so bedarf es eines erneuten Ersuchens an die Gemeinde nach § 36 BauGB (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: Februar 2016, § 36 BauGB, Rn. 13). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Änderung geeignet ist, städtebaulich relevante Belange erstmals oder anders zu berühren. Die Gemeinde ist mit allen Inhalten des Vorhabens zu befassen, die bauplanungsrechtliche Belange neuerlich oder erstmals erheblich betreffen (BVerwG, B. v. 11.8.2008 – 4 B 25/08 – juris Rn. 11 und OVG NRW, U. v. 28.11.2007 – 8 A 2325/06 – juris Rn. 110).
Neben den schon in der Planfassung vom … Januar 2014 dargestellten Gebäuden hat der Beigeladene durch die Ergänzung seines Antrags vom … Januar 2015 über die bisherigen Nutzungen hinaus den Einbau einer Altenteilerwohnung mit Garagen neu aufgenommen. Insbesondere diese Erweiterung des Antrags durch eine zusätzliche Wohneinheit, aber auch die völlig neue Anordnung der bereits im Plan vom … Januar 2014 dargestellten Gebäude machen eine erneute Entscheidung über das Einvernehmen erforderlich, da durch diese Änderungen städtebauliche Belange in anderer Form berührt sein können.
Mit der Ergänzung des Antrags durch die Altenteilerwohnung wird über die Planung vom … Januar 2014 hinaus im Vorbescheid eine zusätzliche Wohneinheit im Außenbereich für bauplanungsrechtlich zulässig erklärt. Die zusätzliche Wohneinheit berührt insbesondere den Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB. Die Frage, ob eine solche Wohneinheit einem landwirtschaftlichen Betrieb gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB dient, erfordert regelmäßig eine ausführliche bauplanungsrechtliche Beurteilung. Die Gemeinde muss Gelegenheit haben, diese Prüfung in Rahmen der Entscheidung über das Einvernehmen durchzuführen (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: Februar 2016, § 36 BauGB, Rn. 30). Sie kann das Fehlen der Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB selbst geltend machen (BVerwG, B. v. 24.06.2010 – 4 B 60.09, ZfBR 2010, 797) und muss daher im Rahmen des Einvernehmens eine eigene Entscheidung treffen können (VG München, U. v. 16.2.2016 – M 1 K 15.5309 – juris Rn. 23).
Gleiches gilt für die von dem Antrag vom … Januar 2014 abweichende Gebäudestellung. Es handelt sich hierbei nicht nur um eine geringfügige Abweichung bzw. Verschiebung der Gebäude. Vielmehr werden die Gebäude in der dem Vorbescheid zugrunde liegenden Planfassung vom … Juli 2014 an vollkommen anderen Standorten situiert als in der Planfassung, die der Entscheidung über das Einvernehmen der Klägerin zugrunde lag. Gerade die Situierung der Gebäude ist für die Frage, ob dem Vorhaben in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB genannten Belange von erheblicher Bedeutung sein. Auch insofern hätte die Klägerin die Möglichkeit haben müssen, die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit zu beurteilen.
3. Der Vorbescheid vom … Mai 2015 ist allein wegen der fehlenden Beteiligung der Klägerin zum geänderten Antrag rechtswidrig und aufzuheben. Einer materiell-rechtlichen Verletzung der Planungshoheit der Klägerin bedarf es darüber hinaus nicht (BVerwG, B. v. 5.3.1999 – 4 B 62/98 – juris Rn. 13).
Nachdem es nicht darauf ankommt, ob die gemeindliche Planungshoheit auch materiell-rechtlich verletzt ist (BVerwG, B. v. 11.8.2008 – 4 B 25.08 – juris Rn. 6, 9 f.) kann die zwischen den Parteien strittige Frage, ob die wegemäßige Erschließung gesichert ist, offen bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO.
Dem Beigeladenen waren die Hälfte der Gerichtskosten sowie der außergerichtlichen Kosten der Klägerin aufzuerlegen, da er sich durch eine Antragstellung in ein Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 VwGO begeben hat. Aufgrund der Interessenlage war der Beigeladene, der das vorrangige Interesse an der Erteilung des Vorbescheids hat, zu 50% an den Kosten zu beteiligen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 15.000,00 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Nr. 9.10 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit analog).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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