Aktenzeichen M 8 E 17.2327
Leitsatz
1 Der betroffene Nachbar hat bei Vorliegen eines Verstoßes gegen nachbarschützende Vorschriften gegenüber der Bauaufsichtsbehörde zunächst nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten. Einen Anspruch auf Einschreiten hat der Nachbar grundsätzlich nur, wenn jede andere Entscheidung angesichts der Schwere der Rechtsverletzung auch unter Berücksichtigung der Belange des Bauherrn ermessensfehlerhaft wäre, wenn also das Ermessen zu Gunsten des Nachbarn „auf Null“ reduziert ist. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es sprechen gewichtige Gründe dafür, eine Ermessensreduzierung dann anzunehmen, wenn ein Vorhaben gegen nicht im Prüfprogramm enthaltene drittschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts, namentlich gegen Abstandsflächenvorschriften, verstößt, da ansonsten die Gefahr besteht, den Nachbarn insoweit schutzlos zu stellen. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
3 Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Besonderheit besteht, dass die objektiven Befreiungsvoraussetzungen nach § 31 Abs. 2 BauGB hinsichtlich der Überschreitung der Baugrenze offensichtlich vorliegen und der Bauantragsteller den planungsrechtlichen Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht durch Erteilung einer solchen Befreiung jederzeit im Rahmen einer Tektur-/Änderungsgenehmigung oder auch eines Nachgangsbescheides ausräumen kann, mit der Folge, dass Art. 6 Abs. 1 S. 3 BayBO zur Anwendung kommt. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 3.750,- € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks …str. 25, FlNr. …, Gemarkung … Die Beigeladene ist Eigentümerin des streitgegenständlichen, unmittelbar nördlich benachbarten Grundstücks …str. 27, FlNr. …, Gemarkung …
Mit ihrem Antrag nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) begehrt die Antragstellerin vornehmlich die sofortige Einstellung der Bauarbeiten und die Stilllegung der Baustelle auf dem Grundstück der Beigeladenen.
Die Grundstücke sind Teil einer insgesamt ca. 145 m langen, geschlossenen Bebauung mit viergeschossigen Wohnhäusern entlang der westlichen Seite der …straße, im Norden durch die …straße, im Süden durch die …straße begrenzt. Für die Bebauung ist durch einen Baulinienplan im Osten eine Baulinie, im Westen eine rückwärtige Baugrenze, im Norden eine seitliche Baugrenze und im Süden eine Baulinie festgesetzt.
Die Beigeladene beantragte am 11. Mai 2016 (Eingangsstempel) die Erteilung einer Baugenehmigung für die Erweiterung eines Balkons im 2. Obergeschoss samt neuer Überdachung, die Erweiterung der Terrasse im Erdgeschoss verbunden mit einem Neubau einer Treppe in den Garten sowie den Neubau eines Balkons im 1. Obergeschoss.
Die Antragsgegnerin genehmigte im vereinfachten Genehmigungsverfahren mit Bescheid vom 18. Juli 2016 (Az.: …*) den Bauantrag vom 11. Mai 2016 nach Plan Nr. … mit Handeintragungen vom 5. Juli 2016. Mit den Handeintragungen wurde insbesondere an der Grundstücksgrenze zur Antragstellerin eine Brandwand mit einer Länge entlang der südlichen Grundstücksgrenze von 2 m (vermasst) und einer Breite von 20 cm (vermasst) ergänzt; die Balkone erstrecken sich nun in südlicher Richtung bis zu dieser Brandwand. Die Antragsgegnerin erteilte im Bescheid vom 18. Juli 2016 eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB) wegen Überschreitung der Baulinie durch Balkone und einen untergeordneten Treppenabgang in den Garten.
Der Antragstellerin wurde die Baugenehmigung als Nachbarin laut Zustellungsurkunde am 21. Juli 2016 zugestellt.
Die Antragstellerin ließ durch ihre Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 9. August 2016, beim Verwaltungsgericht München am 11. August 2016 eingegangen, Klage erheben mit dem Antrag die Baugenehmigung vom 18. Juli 2016 aufzuheben. Die Klage, über die noch nicht entschieden ist, wird unter dem Aktenzeichen M 8 K 16.3599 geführt.
Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2017 erklärten die Bevollmächtigten der Antragstellerin die Erweiterung der Klage um einen Hilfsantrag, der darauf gerichtet ist, die Antragsgegnerin zu verpflichten, der Beigeladenen aufzugeben die Bauarbeiten sofort einzustellen und die Baustelle stillzulegen.
Mit demselben Schriftsatz vom 23. Mai 2017 ließ die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigen beantragen,
– die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, umgehend gegen die Verwirklichung des streitgegenständlichen Bauvorhabens der Beigeladenen bauaufsichtlich einzuschreiten und hierbei der Beigeladenen aufzugeben, die mit der Baugenehmigung vom 18. Juli 2016 genehmigten Bauarbeiten sofort einzustellen und die Baustelle stillzulegen;
– bis zur Entscheidung der Kammer über diesen Antrag eine Vorsitzenden-Entscheidung nach § 123 Abs. 2 Satz 3, § 80 Abs. 8, § 80a Abs. 3 VwGO zu treffen.
Zur Begründung des Antrags führen die Bevollmächtigten der Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 23. Mai 2017 aus, dass die Antragstellerin die Antragsgegnerin mehrfach, zuletzt mit Telefax vom 17. Mai 2017, aufgefordert habe, die Vollziehung der Baugenehmigung vom 18. Juli 2016 auszusetzen bzw. bauaufsichtlich gegen das Vorhaben einzuschreiten. Die Antragsgegnerin habe dies jedoch stets abgelehnt. Am 22. Mai 2017 habe die Beigeladene der Antragstellerin mitgeteilt, dass sie am 23. Mai 2017 mit den Bauarbeiten fortfahren wolle. Am 26. Mai 2017 sei direkt an der Grundstücksgrenze zur Antragstellerin Boden an der Stelle ausgehoben worden, an der die Bodenplatte für die „Brandmauer“ zu errichten wäre.
Die Antragstellerpartei meint, dass sich ein Anordnungsanspruch aus der Verletzung ihrer öffentlich-rechtlichen Nachbarrechte ergebe, da die erteilte Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB rechtswidrig sei und daher Art. 6 Abs. 1 Satz 3 Bayerische Bauordnung (BayBO) nicht gelte. Folglich seien die Abstandsflächen nicht eingehalten.
Mit Schriftsatz vom 1. Juni 2016 hat die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 1. Juni 2016 im Wesentlichen aus, dass der Antrag nach § 123 VwGO unbegründet sei, denn die Antragstellerin habe weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch ausreichend glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin könne sich nicht auf die Verletzung abstandsflächenrechtlicher Vorschriften berufen, da Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO hinsichtlich der Grundstücksgrenze der Antragstellerin und der Beigeladenen gelte. Hier sei zwar eine rückwärtige Baulinie vorhanden, welche überschritten werde, eine Befreiung sei aber zu erteilen gewesen, da derartige Überschreitungen im Geviert bereits vorhanden seien (u.a. …str. 31 und 41).
Mit Beschluss vom 30. Mai 2017 wurde die Beigeladene zum Verfahren beigeladen.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 6. Juni 2017 hat die Beigeladene beantragen lassen, den Antrag abzulehnen.
Die Bevollmächtigten tragen vor, dass der Antrag unzulässig sei. Im Übrigen verweisen sie auf ihre Ausführungen im Schriftsatz vom 25. August 2016 im Verfahren M 8 K 16.3599.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte sowie auf das schriftsätzliche Vorbringen und die vorgelegten Lichtbilder in diesem Verfahren und im Hauptsacheverfahren (M 8 K 16.3599) verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet und hat daher keinen Erfolg. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, da das Ermessen der Antragsgegnerin auf Erlass einer Baueinstellungsverfügung nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO jedenfalls nicht auf Null reduziert ist (III. 2.). Es kann daher offen bleiben, ob überhaupt ein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Sinne des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO vorliegt (III.1.).
I.
Das Gericht ist als Gericht der Hauptsache und des ersten Rechtszugs nach § 123 Abs. 2 VwGO zuständig und entscheidet durch Beschluss (§ 123 Abs. 4 VwGO) als Kammer in der Besetzung von drei Richtern ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 5 Abs. 3 VwGO). Eine Dringlichkeit nach §§ 123 Abs. 2 Satz 3, 80 Abs. 8 VwGO ist nicht gegeben.
§ 80 Abs. 8 VwGO setzt – unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetzt – GG) – voraus, dass der Spruchkörper wegen einer bis zum notwendigen Entscheidungszeitpunkt bestehenden Verhinderung nicht mehr in der erforderlichen Zahl von drei ihm zugewiesenen Berufsrichtern zusammentreten und entscheiden kann (Geiger, BayVBl 2007, 225/227; VG Würzburg, B.v. 13.12.2013 – W 4 S. 13.1090 – juris Rn. 29).
Eine solche Dringlichkeit ist vorliegend nicht gegeben und wurde von der Antragstellerin auch nicht substantiiert dargelegt. Allein die Tatsache, dass die Beigeladene mit der Baumaßnahme begonnen hat, begründet jedenfalls nicht die Annahme eines dringenden Falles im Sinne der Vorschrift, da die Baumaßnahme insoweit jederzeit wieder rückgängig gemacht werden kann und die Entscheidung durch die Kammer ebenso schnell erfolgen konnte wie eine Entscheidung durch die Vorsitzende.
II.
Der Antrag ist zulässig.
Eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht in Bezug auf den Streitgegenstand auch schon vor Klageerhebung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach Satz 2 der genannten Vorschrift auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei muss der Antragsteller eine Gefährdung eines eigenen Individualinteresses (Anordnungsgrund) und das Bestehen eines Rechtes oder rechtlich geschützten Interesses (Anordnungsanspruch) geltend und die zur Begründung notwendigen Tatsachen glaubhaft machen (§ 123 Abs. 2 VwGO, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO).
Vorliegend ist zur Geltendmachung des Abstandsflächenverstoßes und des daraus abgeleiteten Anspruchs auf bauaufsichtliches Einschreiten im Eilverfahren ein solcher Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft.
1. Da die streitgegenständliche Baugenehmigung im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO erteilt worden ist und auch Abweichungen von den Abstandsflächenvorschriften weder beantragt noch erteilt worden sind, war das bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht des Art. 6 BayBO nicht im Prüfungsumfang des Baugenehmigungsverfahrens enthalten. Da die Baugenehmigung somit keine Feststellungswirkung zu den bauordnungsrechtlichen Vorschriften des Abstandsflächenrechts enthält, konnte und kann die Antragstellerin ihre diesbezüglichen Bedenken nicht mittels einer Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung geltend machen. Ein Nachbar kann eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und hat der Nachbar Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung des Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244/96 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2132 – juris Rn. 3; B.v. 18.7.2016 – 15 ZB 15.12 – juris Rn. 22). Dieser Rechtsschutz hat in der Hauptsache über eine Verpflichtungsklage zu verfolgen, so dass dementsprechend als einstweiliger Rechtsschutz eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft ist und damit auch nicht der in § 123 Abs. 5 VwGO angeordnete Vorrang eines Verfahrens nach §§ 80, 80a VwGO eingreift.
2. Dagegen kann der Nachbar seinen Antrag nach § 123 VwGO, gerichtet auf Baueinstellung nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO, nicht in zulässiger Weise auf die Verletzung von öffentlich-rechtlichen Vorschriften stützen, die von der Feststellungswirkung der Baugenehmigung erfasst werden, mithin die Normen, die vom Prüfungsumfang des Art. 59 BayBO umfasst sind. Insoweit muss der Nachbar die Baugenehmigung nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO anfechten und – will er den Vollzug der Baugenehmigung verhindern – die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gem. § 80a Abs. 3 VwGO beantragen. Dies ergibt sich bereits aus dem Vorrang der Verfahren nach §§ 80, 80a VwGO (§ 123 Abs. 5 VwGO). Rechtsgrundlage für eine Baueinstellung wäre sodann § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 80a Abs. 3 VwGO, wobei dem Rechtsschutzinteresse des Dritten regelmäßig bereits durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen die Baugenehmigung Genüge getan ist, es mithin der Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörde zur Einstellung der Bauarbeiten durch das Gericht nicht bedarf, weil – ohne besondere konkrete Anhaltspunkte – nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Bauherr trotz Anordnung der aufschiebenden Wirkung – illegal – weiterbaut und die Bauaufsichtsbehörde bei illegalem Weiterbau nicht – ohne gerichtlichen Druck – die Bauarbeiten von sich aus einstellen wird (vgl. Decker in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand Januar 2017, Art. 75 Rn. 145 m.w.N.; VG München, B.v. 3.8.2016 – M 1 SN 16.3090 – juris Rn. 43).
III.
Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, da das Ermessen der Antragsgegnerin auf Erlass einer Baueinstellung nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO jedenfalls nicht auf Null reduziert ist (2.). Es kann daher offen bleiben, ob überhaupt ein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Sinne des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO vorliegt (1.).
1. Offen bleiben kann, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen von Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO, die Errichtung einer Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften, vorliegen.
1.1. Im Rahmen des vorliegenden Antrags nach § 123 VwGO kann die Antragstellerin nur den Widerspruch des Vorhabens zu solchen öffentlich-rechtlichen Vorschriften geltend machen, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht geprüft wurden, hier also insbesondere das Abstandsflächenrecht nach Art. 6 BayBO; Bauplanungsrecht ist demgegenüber vorliegend nicht zu prüfen (vgl. bereits oben unter Nr. II.2.). Eine subjektive Rechtsverletzung der Antragstellerin kommt nur durch die an der südlichen Grundstücksgrenze des streitgegenständlichen Grundstücks geplante Brandwand in Betracht.
1.2. Nach § 34 Abs. 1 BauGB darf aber an diese seitliche Grundstücksgrenze gebaut werden, sodass gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO keine Abstandsflächen vor der Brandwand nach Süden hin einzuhalten sind.
1.2.1. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften das Gebäude an die Grenze gebaut werden darf oder gebaut werden muss. Das ist bei einem seitlichen Grenzanbau vor allem dann der Fall, wenn die geschlossene Bauweise (vgl. § 22 Abs. 3 Baunutzungsverordnung – BauNVO) vorliegt.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich nach § 30 Abs. 3 i.V.m. § 34 Abs. 1 BauGB. Das streitgegenständliche Grundstück und das Grundstück der Antragstellerin liegen im Geltungsbereich eines einfachen Bebauungsplans. Für die Grundstücke …str. 19 – 41 ist im Osten eine Baulinie, im Westen eine rückwärtige Baugrenze, im Norden eine seitliche Baugrenze und im Süden eine Baulinie festgesetzt. Somit richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens im Übrigen, also insbesondere hinsichtlich der Bauweise, nach § 34 BauGB (§ 30 Abs. 3 BauGB).
1.2.2. Das Vorhaben fügt sich nach der Bauweise in die Eigenart der näheren Umgebung ein, § 34 Abs. 1 BauGB.
Als „nähere Umgebung“ im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist der das Baugrundstück umgebende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder doch beeinflusst (vgl. aktuell BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – juris Rn. 3). Allerdings lassen sich die Grenzen der näheren Umgebung im Sinne des § 34 BauGB nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Struktur zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Diese kann auch so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedener Bau- und Nutzungsstruktur aneinander stoßen (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 30.1.2013 – 2 ZB 12.198 – juris Rn. 3).
Nach diesen Maßstäben gehören jedenfalls die Grundstücke der …str. 19 – 41 zur näheren Umgebung, da diese Gebäude Teil eines klar begrenzten Bauliniengefüges sind, laut amtlichem Lageplan allesamt über drei Vollgeschosse verfügen und eine einheitliche Bau- und Nutzungsstruktur als Wohnhäuser bilden.
In diese nähere Umgebung fügt sich das Vorhaben mit seiner geschlossenen Bauweise nach der dort vorhandenen geschlossenen Bauweise (vgl. § 22 Abs. 3 BauNVO) ein.
Dabei ist hinsichtlich der geschlossenen Bauweise im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO lediglich zu fordern, dass eine entsprechende Bauweise in der Umgebung (gehäuft) vorzufinden ist; nicht erforderlich ist hingegen die Regelmäßigkeit einer solchen Bauweise (BayVGH, B.v. 29.4.2003 – 20 B 02.1904 – juris Rn. 14; VG München, U.v. 30.7.2012 – M 8 K 11.3775 – juris Rn. 38).
Sonach liegt in der hier maßgeblichen Umgebung gehäuft eine geschlossene Bauweise vor. Denn die Gebäude auf den Grundstücken …str. 21 – 39 – zehn Gebäude inklusive der Grundstücke der Antragstellerin und der Beigeladenen – wurden ohne seitlichen Grenzabstand errichtet. Lediglich die Gebäude auf den beiden Grundstücken …str. 19 und 41 wurden in halboffener Bauweise errichtet, da sie jeweils den Abschluss der Hausgruppe nach Süden und nach Norden hin bilden. Eine offene Bauweise nach § 22 Abs. 2 Satz 2 BauNVO liegt nicht vor, da die westliche Bebauung entlang der …straße mit einer Länge von ca. 145 m deutlich den Grenzwert von 50 m überschreitet.
Da somit nach § 34 Abs. 1 BauGB an die seitliche Grundstücksgrenze im Süden gebaut werden darf, gilt Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO mit der Folge, dass keine Abstandsfläche von der Brandwand nach Süden hin erforderlich ist.
1.3. Umstritten ist zwar, ob es für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit im Sinn von Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO genügt, wenn sich der Grenzanbau hinsichtlich des für die betroffene Grundstücksgrenze maßgeblichen Kriteriums – hier der Bauweise – im Rahmen der vorhandenen Bebauung hält, oder ob es (zusätzlich) erforderlich ist, dass das Gebäude an dem geplanten Standort in jeder Hinsicht § 34 Abs. 1 BauGB entspricht (vgl. BayVGH vom 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 33 m.w.N.; VG München, U.v. 30.7.2012 – M 8 K 11.3775 – juris Rn. 39).Dies kann hier offenbleiben (vgl. nachfolgend unter 2.).
Während ein Einfügen nach der Art und dem Maß der baulichen Nutzung vorliegen dürfte (Wohnen; vergleichbare Grundflächen, Gebäudehöhen und Geschosse jedenfalls hinsichtlich der Grundstücke …str. 21 – 39), bestehen hier hinsichtlich des Einfügens nach der überbaubaren Grundstücksfläche ernsthafte Zweifel, ob die in der Baugenehmigung vom 18. Juli 2016 erteilte Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von der Festsetzung der rückwärtigen Baugrenze auch die Brandwand umfasst. Dies könnte somit einer Anwendung des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO entgegenstehen.
Eine ausdrückliche Befreiung von der Baugrenze wurde für die Brandwand von der Antragsgegnerin nicht erteilt, obwohl die Brandwand die Baugrenze bauplanungsrechtlich nicht einhält. Die Antragsgegnerin hat in der streitgegenständlichen Baugenehmigung der Beigeladenen lediglich eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB wegen Überschreitung der Baulinie – gemeint ist wohl die rückwärtige Baugrenze – durch Balkone und einen untergeordneten Treppenabgang in den Garten erteilt. Weder in der Begründung der Befreiung noch im Befreiungsantrag der Beigeladenen (Schreiben vom 4. Juli 2017) wird die Brandwand erwähnt. Sie dient zudem einem eigenständigen Zweck (Brandschutz), was für ein Bedürfnis nach ausdrücklicher Befreiung sprechen könnte.
Die Baugenehmigung vom 18. Juli 2016 würde sich demnach derzeit als rechtswidrig darstellen.
2. Die Frage nach dem Umfang der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen gemäß § 34 BauGB im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO muss jedoch nicht abschließend beantwortet werden, da die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch hinsichtlich der Rechtsfolgenseite jedenfalls nicht glaubhaft gemacht hat, da das der Antragsgegnerin nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO zustehende Ermessen nicht auf Null reduziert ist.
2.1. Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten der Antragsgegnerin, genauer auf vorläufige Einstellung der Baumaßnahmen auf dem Grundstück der Beigeladenen und Stilllegung der Baustelle, kann sich grundsätzlich aus Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO ergeben. Ein Anordnungsanspruch eines Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten setzt jedoch voraus, dass das Vorhaben gegen nachbarschützende Vorschriften verstößt und das behördliche Ermessen ausnahmsweise auf Null reduziert ist. Denn grundsätzlich würde ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften, als Rechtsfolge des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO der Bauaufsichtsbehörde ein Ermessen eröffnen, ob und wie sie einschreitet. Entsprechend hat der betroffene Nachbar bei Vorliegen eines Verstoßes gegen nachbarschützende Vorschriften gegenüber der Bauaufsichtsbehörde zunächst nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten (Schwarzer/König, 4. Aufl. 2012, BayBO, Art. 54 Rn. 20). Einen Anspruch auf Einschreiten hat der Nachbar grundsätzlich nur, wenn jede andere Entscheidung angesichts der Schwere der Rechtsverletzung auch unter Berücksichtigung der Belange des Bauherrn ermessensfehlerhaft wäre, wenn also das Ermessen zu Gunsten des Nachbarn „auf Null“ reduziert ist (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2002 – 2 ZB 00.780 – juris Rn. 2; BayVerfGH, E.v. 3.12.1993 – Vf. 108-VI-92 – juris Rn. 26 m.w.N.; BVerwG, U.v. 4.6.1996 – 4 C 15/95 – juris Rn. 17).
2.2 Zwar sprechen gewichtige Gründe dafür, eine Ermessensreduzierung dann anzunehmen, wenn ein Vorhaben gegen nicht im Prüfprogramm enthaltene drittschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts, namentlich gegen Abstandsflächenvorschriften, verstößt, da ansonsten die Gefahr besteht, den Nachbarn insoweit schutzlos zu stellen. Als Kompensation für den Wegfall der präventiven Prüfung des Abstandsflächenrechts durch die Herausnahme aus dem bauaufsichtlichen Prüfprogramm ist dem Nachbarn bei einer mehr als nur geringfügigen Verletzung des nachbarschützenden Abstandsflächenrechts ein Anspruch auf ein repressives bauaufsichtliches Einschreiten zuzuerkennen, sofern der Verstoß nicht anderweitig ausgeräumt werden kann (vgl. VG München, B.v. 11.11.2014 – M 8 E1 14.4665 – juris Rn. 43 m.w.N.).
2.3. Hier besteht jedoch die Besonderheit, dass die objektiven Befreiungsvoraussetzungen nach § 31 Abs. 2 BauGB hinsichtlich der Überschreitung der Baugrenze durch die Brandwand offensichtlich vorliegen und die Antragsgegnerin den planungsrechtlichen Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht durch Erteilung einer solchen Befreiung jederzeit im Rahmen einer Tektur-/Änderungsgenehmigung oder auch eines Nachgangsbescheides ausräumen kann, mit der Folge, dass Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO zur Anwendung kommt.
Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
1. Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, die Befreiung erfordern oder
2. die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder
3. die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
2.3.1. Durch die Erteilung der Befreiung hinsichtlich der Brandwand werden die Grundzüge der Planung (§ 31 Abs. 2 BauGB) nicht berührt.
Mit dem Begriff der Grundzüge der Planung bezeichnet das Gesetz die durch die Hauptziele der Planung bestimmte Grundkonzeption eines Bauleitplans. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich jeweils nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Kommune. Unter welchen Voraussetzungen die Grundzüge der Planung berührt werden, lässt sich nicht allgemeingültig formulieren; maßgeblich ist die jeweilige Planungssituation. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwider läuft. Je tiefer die Befreiung in den mit der Planung gefundenen Interessenausgleich eingreift, desto eher liegt es nahe, dass das Planungskonzept in einem Maße berührt wird, das eine (Um-)Planung erforderlich macht. Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein (vgl. zusammenfassend BayVGH, B.v. 17.11.2016 – 15 ZB 15.468 – juris Rn. 9 m.w.N. und aktuell BayVGH, B.v. 8.5.2017 – 15 ZB 14.122 – juris Rn. 23).
Unter Zugrundlegung dessen sind die Grundzüge der Planung durch die Errichtung der Brandwand außerhalb der Baugrenzen nicht berührt, da die Überschreitung von ca. 1 m nicht erheblich ist. Ein tiefer Eingriff in das Planungskonzept ist damit nicht verbunden. Dass derartige Überschreitungen die Planung unberührt lassen, zeigt sich auch an der Regelung des § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO. Zudem wird kein Bedürfnis einer (Um-)Planung ausgelöst, wenn im Rahmen einer Gesamtbebauung entlang der …straße von ca. 145 m eine 20 cm breite Brandwand 1 m über die Baugrenze hinausragt. Dies muss umso mehr gelten, als dem Vorhaben keine Vorbildwirkung zukommt; vielmehr existieren bereits Vorbilder für ein Überschreiten der Baugrenze, allen voran auf dem streitgegenständlichen Grundstück selbst und zudem jedenfalls auf dem Grundstück …str. 41, FlNr. …
2.3.2. Außerdem ist die Abweichung städtebaulich vertretbar (§ 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB).
Befreiungen können unter dem Gesichtspunkt der städtebaulichen Vertretbarkeit dann in Betracht kommen, wenn die Befreiung für sich oder im Hinblick auf ihre Auswirkungen nach den materiell-rechtlichen Anforderungen der Bauleitplanung (§§ 1, 1a BauGB) städtebaulich vertretbar ist. Das bedeutet, dass jede Abweichung möglich wäre, die nach den materiell-rechtlichen Anforderungen an die Bauleitplanung auch Gegenstand von Festsetzungen des Bebauungsplans sein könnte (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand Februar 2017, § 31 Rn. 47).
Hier wäre die Festsetzung einer anderen, tieferen Baugrenze nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB ohne weiteres bauplanungsrechtlich möglich.
2.3.3. Die Abweichung ist schließlich auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar.
2.3.3.1. Hinsichtlich des Nachbarschutzes im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB ist danach zu unterscheiden, ob von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit wird oder von nicht drittschützenden Festsetzungen. Weicht ein Bauvorhaben von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans ab, so hat der Dritte einen Rechtsanspruch auf Einhaltung der jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB (vgl. grundlegend BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – NVwZ-RR 1999, 8; BayVGH, B.v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101 – juris Rn. 3). Bei einer Befreiung von nicht drittschützenden Festsetzungen kann der Nachbar lediglich eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme geltend machen. Alle übrigen denkbaren Fehler einer Befreiung machen diese und die auf ihr beruhende Baugenehmigung dann zwar objektiv rechtswidrig, vermitteln dem Nachbarn aber keinen Abwehranspruch, weil seine eigenen Rechte nicht berührt werden (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – NVwZ-RR 1999, 8; BayVGH, B.v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101 – juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 22).
2.3.3.2. Die Baumraumfestsetzungen sind hier nicht drittschützend.
Ob eine Festsetzung (zumindest auch) dem Schutz der Nachbarn dienen soll, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln (BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – NVwZ 1996, 888 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 25), wobei sich ein entsprechender Wille aus dem Bebauungsplan selbst, aus seiner Begründung oder auch aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung ergeben kann (BayVGH, B.v. 29.7.2014 – 9 CS 14.1171 – juris Rn. 15; Söfker in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 23 BauNVO Rn. 55 ff.). Letztlich ausschlaggebend ist eine wertende Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs (BayVGH, B.v. 29.7.2014 – 9 CS 14.1171 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Dabei entspricht es ständiger Rechtsprechung (BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 21.11.2008 – 15 CS 08.2683 – juris Rn. 8), dass auch den Festsetzungen eines Bebauungsplans zur überbaubaren Grundstücksfläche grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion zukommt, sondern vielmehr im Einzelfall zu ermitteln ist, ob sie nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus städtebaulichen Gründen oder ausnahmsweise (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinn eines Austauschverhältnisses dienen sollen.
Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Bauraumfestsetzungen nachbarschützenden Charakter haben sollen.
2.3.3.3. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots liegt ebenfalls nicht vor.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U .v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U. v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris Rn. 15: Drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; BayVGH, B. v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 23; B .v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21; BayVGH, B. v. 9.02.2015 – 2 CS 15.17 n.v.). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind unter anderem die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B. v. 19.03.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 31; BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Vorliegend haben weder die vortretende Brandwand noch die Balkone eine abriegelnde oder einmauernde Wirkung gegenüber dem Grundstück der Antragstellerin.
Denn die geplante Brandwand dient zum einen gerade auch den eigenen Interessen der Antragstellerin. Sie verbessert den Brandschutz im Vergleich zur ursprünglich geplanten Bauvorhaben und verhindert Einsichtnahmemöglichkeiten vom Grundstück der Beigeladenen auf das Grundstück der Antragstellerin. Letztgenannter Aspekt ist ein wesentliches Kriterium im Abstandsflächenrechts, mit dem (auch) der nachbarliche „Wohnfrieden“ gesichert werden soll (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2015 – 15 ZB 13.2384 – juris Rn. 11 m.w.N.). Zum anderen ist bereits jetzt eine geschlossene Bebauung im Geviert vorhanden, die durch Anbauten, Erker, massive Balkone im rückwärtigen Bereich gekennzeichnet ist. Hierdurch existieren unterschiedliche Bebauungstiefen. In einem solchen innerstädtischen Bereich muss eine hohe Bebauungsdichte hingenommen werden. Dies gilt umso mehr als das streitgegenständlichen Grundstück im südlichen Bereich die zulässige Grenze der Bebauung derzeit noch nicht erreicht hat und mit dem Vorhaben um nur ca. 1 m überschreitet – wie auch bisher schon im nördlichen Bereich des streitgegenständlichen Grundstücks.
Das Vorhaben ist bei Erteilung einer Befreiung für die Überschreitung der Baugrenze somit ohne weiteres genehmigungsfähig, ohne dass drittschützende Rechte der Antragstellerin verletzt werden. Auch im Übrigen stellt sich das Vorhaben nach § 30 Abs. 3 i.V.m. § 34 BauGB nach Aktenlage als genehmigungsfähig dar. Bei dieser Fallkonstellation – einer objektiven Befreiungslage nach § 31 Abs. 2 BauGB – kann von einer Ermessensreduzierung auf Null im Sinne der von Antragstellerseite begehrten Baueinstellung und Baustellenstilllegung nicht mehr ausgegangen werden (vgl. VG München, B.v. 17.8.2010 – M 8 SN 10.3509 – juris Rn. 55 ff.).
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es billigem Ermessen, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
V.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. in Verbindung mit Nr. 1.5 und 9.7.1. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.