Aktenzeichen RN 6 K 15.1420
Leitsatz
1 Wenn ein Weg nicht straßenrechtlich gewidmet ist, ist das von einem Nachbarn behauptete Recht, die Zufahrt zu seinen Grundstücken bzw. zum öffentlichen Weg über die Hofstelle des Beigeladenen (hier: den Inhaber einer Baugenehmigung) zu nehmen, nicht öffentlich rechtlicher Natur. (Rn. 17) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Ein privates Recht begründet grundsätzlich kein Abwehrrecht des Nachbarn gegen die Baugenehmigung, sondern muss ggf. vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden (vgl. BayVGH BeckRS 2014, 56714). (Rn. 18) (red. LS Alexander Tauchert)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist in Ziffer II vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Baugenehmigungsbescheid des Landratsamts … vom 6.8.2015 verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Wer als Nachbar einen Baugenehmigungsbescheid anficht, kann damit nur Erfolg haben, wenn er gegen die zu prüfenden nachbarschützenden Vorschriften verstößt. Zu diesen gehört auch das partiell nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme. Für den Anspruch eines Nachbarn ist es dagegen nicht maßgeblich, ob die Baugenehmigung in vollem Umfang und in allen Teilen rechtmäßig ist, insbesondere ob die Vorschriften über das jeweilige Verfahren eingehalten wurden.
Die Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind; die Bauaufsichtsbehörde darf den Bauantrag auch ablehnen, wenn das Bauvorhaben gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 BayBO prüft die Bauaufsichtsbehörde die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinn des Art. 81 Abs. 1 BayBO (Nr. 1), beantragte Abweichungen im Sinn des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO (Nr. 2) sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Nr. 3).
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens richtet sich nach § 35 BauGB, wobei sich unter Berücksichtigung der in den Akten befindlichen Stellungnahme des Amtes für Landwirtschaft keine Zweifel hinsichtlich einer Privilegierung des Vorhabens ergeben. Im Übrigen ergäbe sich im vorliegenden Außenbereich auch kein Aufhebungsanspruch des Nachbarn, wenn eine solche nicht vorläge.
Die erteilte Baugenehmigung verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten, insbesondere verstößt die Errichtung des Bauvorhabens nicht gegen das nachbarschützende Rücksichtnahmegebot. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt nach der Rechtsprechung wesentlich von den jeweiligen Umständen ab (vgl. BVerwG, U. v. 28.10.1993 – 4 C 5/93 – juris). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, welcher das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf die Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B. v. 25.10.2010 – 2 CS 10.2137 – juris).
Die landwirtschaftliche Garage wird zweifelsfrei auf dem Grundstück des Beigeladenen errichtet. Das vom Kläger behauptete Recht, die Zufahrt zu seinen Grundstücken bzw. zum öffentlichen Weg über die Hofstelle des Beigeladenen zu nehmen, ist nicht öffentlich rechtlicher Natur. Für den bisher über das Hofgrundstück des Beigeladenen führenden Weg fehlt es an einer straßenrechtlichen Widmung. Diese kann – wie es der Kläger meint – nicht aus dem vorgelegten Schreiben der Gemeinde G … vom 10.12.1993, in dem auf eine faktische Möglichkeit der Überfahrt hingewiesen wird, abgeleitet werden, so dass es sich allenfalls um einen reinen Privatweg handeln könnte. Der Beigeladene weist im Übrigen darauf hin, dass er lediglich ausgewählten Dritten in der Vergangenheit die Durchfahrt gestattete, insofern ist auch nicht von einem sogenannten „tatsächlichen öffentlichen Weg“ auszugehen.
Soweit der Kläger in seiner Klagebegründung auf ein etwaiges Geh- und Fahrtrecht über das Grundstück des Beigeladenen Bezug nimmt, ist dies für die Entscheidung ohne Belang. Die Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit diesem behaupteten Recht ist nicht Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung. Nach Art. 68 Abs. 4 BayBO wird die Baugenehmigung unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt. Eine Baugenehmigung sagt über solche Rechte nichts aus und wirkt sich demnach auf sie nicht aus. Daher begründet ein privates Recht grundsätzlich auch kein Abwehrrecht des Nachbarn gegen die Baugenehmigung, sondern muss ggfs. vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden (vgl. BayVGH, B. v. 29.8.2014, Az. 15 CS 14.615 – beck online Beck RS 2014, 56714 unter Bezugnahme auf Molodovsky in Molodovsky/Famers/Kraus, BayBO, Stand: April 2014, Art. 68 Rn. 63). Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass durch die Umsetzung der angefochtenen Baugenehmigung die wegemäßige Erschließung seines Grundstücks beeinträchtigt werde, da ein behauptetes Überfahrtrecht über das Baugrundstück vereitelt werde, führt dies nicht zu einer Verletzung subjektiver ihn schützender Nachbarrechte. Das klägerische Grundstück wird durch die Baugenehmigung nicht in Anspruch genommen. Die etwaige Beeinträchtigung stellt nur eine mittelbare Folge der Baugenehmigung dar und verschlechtert nach Meinung des Klägers die Benutzbarkeit seiner eigenen Grundstücke. In dieser Konstellation kann eine Rechtsverletzung nicht aus der Betroffenheit des Eigentumsgrundrechts des Art. 14 GG, das allenfalls im Ausnahmefall im öffentlichen Baurecht für eine Rechtsverletzung herangezogen werden kann, hergeleitet werden (so auch BayVGH, B. v. 1.6.2016 Az. 15 CS 16.789). Unabhängig davon ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen keine Anhaltspunkte für ein bestehendes Notwegerecht des Klägers über das Grundstück des Beigeladenen. Ein solches setzt voraus, dass eine Verbindung zu einem öffentlichen Weg oder einer öffentlichen Straße nicht vorhanden ist. Der Kläger hat auch in der mündlichen Verhandlung nicht hinreichend dargetan, dass er nicht von seinem Grundstück auf den öffentlichen Weg gelangen bzw. auf eigenem Grund eine solche Verbindung schaffen könnte. Die Tatsache, dass er dazu nicht bereit sei, weil er beispielsweise Einbußen bei staatlichen Förderungen hinnehmen müsste, wenn er bisher landwirtschaftlich genutzte Flächen befährt, stellt keinen Grund dar, der der Schaffung einer Anbindung auf seinem eigenen Grundstück entgegenstände. Für die Möglichkeit der Anbindung an den Weg über sein Grundstück spricht auch die in der mündlichen Verhandlung geäußerte Befürchtung, dass sein Grundstück nach Fertigstellung der Baumaßnahme durch Dritte unberechtigterweise in Anspruch genommen werden könnte. Hieraus lässt sich ersichtlich keine unmittelbar auf der Baugenehmigung basierende Verletzung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme herleiten. Die abstrakten Befürchtungen des Klägers können insoweit keine Berücksichtigung finden (siehe auch BayVGH, B. v. 26.11.2015, Az. 15 CS 15.2658).
Auf eine etwaige Verletzung der Abstandsflächenvorschriften kann der Kläger sich nicht berufen, weil die Feststellungswirkung der Baugenehmigung gemäß Art. 59 BayBO diese nicht umfasst. Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren ist der Prüfungsumfang gemäß Art. 59 Satz 1BayBO beschränkt. Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben des Beigeladenen über die bereits oben erörterten Gesichtspunkte hinaus im Hinblick auf seine Situierung und seine Höhenentwicklung dem Kläger gegenüber rücksichtslos ist, sind nicht ersichtlich, zumal sich zwischen dem Baugrundstück und dem Grundstück des Klägers noch ein im Eigentum der Gemeinde befindlicher Grundstücksstreifen befindet und das Wohnhaus des Klägers deutlich entfernt ist.
Aus vorgenannten Gründen konnte das Gericht von der vom Kläger angeregten Einnahme eines Augenscheins absehen. Unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort, insbesondere des derzeitigen Zustands des Weggrundstücks, kann der Kläger aus seinem Vortrag keine Verletzung eigener Rechte ableiten. Demnach war die Einnahme eines Augenscheins nicht entscheidungserheblich. Ferner räumt er selbst ein, dass er das Weggrundstück ggfs. auch nach entsprechenden Baumaßnahmen über eigene Grundstücke erreichen kann. Insoweit nimmt er in seinen Ausführungen ausdrücklich darauf Bezug, dass er sich an der Zufahrt nicht aus tatsächlichen Gründen, sondern unter Berücksichtigung der Cross-Compliance-Richtlinien der EU aus rechtlichen Gründen gehindert sehe. Demnach wurde nicht hinreichend dargelegt, welche entscheidungserheblichen Erkenntnisse bei der Durchführung eines Augenscheins gewonnen werden könnten.
Da nach alledem kein Verstoß gegen zu prüfende nachbarschützende Vorschriften vorliegt, musste die Klage mit der gesetzlichen Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abgewiesen werden. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da dieser keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.