Aktenzeichen M 9 K 18.5818
Leitsatz
1. Ein Wohnheim zeichnet sich dadurch aus, dass diesbezüglich eine Regelung der Voraussetzungen und der Berechtigung zum Wohnen besteht und dies durch einheitliche Verträge mit dem Heimbetreiber geregelt ist. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird ein Bauwerk, das für einen nach § 35 Abs. 1 BauGB im Außenbereich privilegierten Zweck genutzt worden ist, für einen anderen Zweck genutzt, liegt darin nicht nur eine Nutzungsänderung, sondern zugleich auch eine Funktionsänderung, die zu einer Entprivilegierung führt. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid des Beklagten vom 31. Oktober 2018,
Az: 4.1-0056/18/N, wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte und die Beigeladenen je zur Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Nach Anhörung und mit Zustimmung der Beteiligten konnte durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da nach dem Ergebnis des Augenscheins, der mündlichen Verhandlung und der weiteren vorgelegten Unterlagen die Sach- und Rechtslage hinreichend geklärt und einfach ist, § 84 Abs. 1 VwGO.
Die zulässige Klage hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 2018 war aufzuheben, da er die Klägerin in ihren eigenen Rechten als Trägerin der Planungshoheit verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich unzulässig. Die Klägerin durfte daher das gemeindliche Einvernehmen verweigern. Die Ersetzung des Einvernehmens im Baugenehmigungsbescheid war rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten als Trägerin der Planungshoheit.
Nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB kann das Landratsamt als die nach Landesrecht zuständige Behörde das nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB erforderliche Einvernehmen der Gemeinde ersetzen, wenn es von dieser rechtswidrig verweigert worden ist. Die Gemeinde darf ihr Einvernehmen nur aus den in § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB genannten Gründen versagen. Deshalb sind die Voraussetzungen der §§ 31, 33 bis 35 BauGB im Rahmen einer Anfechtungsklage der Gemeinde in vollem Umfang nachzuprüfen, wobei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des zugrundeliegenden Verwaltungsakts maßgeblich ist (BVerwG, U.v. 09.08.2016 – 4 C 5.15).
Da im vorliegenden Fall eine Nutzungsänderung auf der Grundlage des § 35 BauGB für ein Vorhaben im Außenbereich genehmigt wurde, bestehen gegen die Zulässigkeit der auf Verletzung der bauplanungsrechtlichen Planungshoheit gestützten Klage gegen die Ersetzung des Einvernehmens keine rechtlichen Bedenken.
Das Landratsamt hat das gemeindliche Einvernehmen im verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 31. Oktober 2018 zu Unrecht ersetzt, da es die Klägerin aus Gründen, die sich aus § 35 BauGB ergeben, versagen durfte. Die genehmigte Nutzungsänderung ist nicht nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB teilprivilegiert.
Unstrittig handelt es sich um ein Außenbereichsvorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB. Die beabsichtigte Nutzungsänderung des Wohn- und Altenteilhauses in drei Wohnungen mit Gemeinschaftseinrichtungen für insgesamt 19 Personen ist nach der Betriebsbeschreibung allerdings kein Wohnheim, sondern ein Boardinghouse, dessen Zuordnung als Wohnnutzung oder als Beherbergungsbetrieb vom Nutzungskonzept abhängt. Im vorliegenden Fall steht für die potentiellen Bewohner nicht die eigenständige Haushaltsführung und unabhängige Gestaltung des häuslichen Wirkungskreises im Vordergrund, sondern die vorübergehende Unterbringung in vollausgestatteten Einheiten mit einigen hoteltypischen Serviceleistungen. Bettwäsche wird bei Bedarf gestellt. Sanitäreinrichtungen und Küche werden täglich geputzt. Die Küche ist mit Geschirr voll ausgestattet. Benutzerkreis und Aufenthaltsdauer sind variabel und auf einen vorübergehenden Aufenthalt ausgelegt. Die Gestaltung eines häuslichen Wirkungskreises ist nur sehr eingeschränkt möglich (VGH Baden-Württemberg v. 17.01.2017 – 8 S 1641/16 (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 26.04.2019 – OVG 5 S 24.18). In Abgrenzung dazu liegt Wohnen dann vor, wenn nach Ausstattung und Nutzungskonzept in einem privaten Rahmen die Gesamtheit der mit der Führung des häuslichen Lebens und des Haushalts objektiv verbundene Tätigkeiten möglich sind. Die eigenständige Haushaltsführung und unabhängige Gestaltung des häuslichen Wirkungskreises „wie zu Hause“ muss möglich sein. Davon kann hier nicht ausgegangen werden, da dem jeweiligen Bewohner nur sein vollständig möbliertes Zimmer als private Sphäre zur Verfügung steht und er im Übrigen die Gemeinschaftseinrichtungen mit ihm unbekannten Personen teilen muss. Die Einordnung als Wohnheim für 19 Personen in drei Wohneinheiten ist unzutreffend, da der Benutzerkreis sowie Zweck und Dauer des Aufenthalts beliebig ist. Ein Wohnheim zeichnet sich dadurch aus, dass diesbezüglich eine Regelung der Voraussetzungen und der Berechtigung zum Wohnen besteht und dies durch einheitliche Verträge mit dem Heimbetreiber geregelt ist (Hornemann in Spanowski/Hornemann/Kemper, BauNVO, § 3 Rn. 96 f). Losgelöst von der Bezeichnung ist deshalb im vorliegenden Fall eine Nutzungsänderung nicht zu Wohnzwecken, sondern nach der Betriebsbeschreibung als Boardinghouse zu gewerblichen Zwecken eines Beherbergungsbetriebs geplant.
Das Vorhaben ist nicht nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB teilprivilegiert, da das Bestandsgebäude bereits vor Aufgabe der Landwirtschaft nicht mehr nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert war. Nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 setzt die Teilprivilegierung voraus, dass die bisherige Nutzung eines Gebäudes im Sinne des Abs. 1 Nr. 1 geändert werden soll. Gebäude im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB sind nur solche, die einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dienen. Ein Betriebsleiter- und Altenteiler-Wohnhaus dient einem landwirtschaftlichen Betrieb.
Im vorliegenden Fall hat die Beendigung der Nutzung als Altenteilerhaus durch den Vater des Voreigentümers im Jahre 2008 zu einer dauerhaften Entprivilegierung als Altenteilerhauses geführt. Wird, wie hier ein Bauwerk, das für einen nach § 35 Abs. 1 BauGB im Außenbereich privilegierten Zweck genutzt worden ist, für einen anderen Zweck genutzt, liegt darin nicht nur eine Nutzungsänderung, sondern zugleich auch eine Funktionsänderung, die zu einer Entprivilegierung führt (BVerwG, B.v. 09.09.2002 – 4 B 52/02 m.w.N.). Diese Entprivilegierung fand bereits 2008 statt. Der Vater des Voreigentümers ist Ende 2008 ins Pflegeheim gekommen und hat dieses nicht mehr verlassen. Es handelte sich hier auch nicht um eine lediglich vorübergehende Unterbrechung der genehmigten Nutzung als Altenteilerhaus, da eine entsprechende Nutzung tatsächlich und rechtlich nicht wieder aufgenommen werden kann und konnte. Zum einen befand sich auf der Hofstelle nach Angaben der Beteiligten eine weitere Wohneinheit, die von der Mutter des Voreigentümers als Altenteil genutzt wurde; eine zweite Altenteilerwohneinheit ist nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB als der Landwirtschaft dienend privilegiert. Zum anderen ist als Folge der Betriebsaufgabe eine erneute Nutzung als Altenteilerhaus auch zukünftig nicht mehr möglich. Es gibt vor Ort seit Jahren keinen Landwirt mehr, der nach der Hofübergabe an den Nachfolger dort einziehen könnte.
Da seit 2008 die privilegierte Nutzung entfallen ist, besteht wegen dieser Funktionsänderung nur noch die genehmigte Nutzung als Wohnhaus fort, die ausweislich der Baugenehmigungen vom 14. Januar 1976 damals ausdrücklich mitgenehmigt wurde. Die Nutzung als Wohnhaus unterliegt dem Bestandsschutz, da es sich um eine rechtmäßige Nutzung nach Art und Umfang wie genehmigt handelt (BVerwG, a.a.O.). Keinen Bestandsschutz hat wegen der Funktionsänderung die ursprüngliche Genehmigung als Altenteilerhaus, da diese Nutzung nach Art und Umfang bereits vor Aufgabe des landwirtschaftlichen Betriebs nicht mehr bestand.
Die bestandsgeschützte Nutzung als Wohnhaus ist nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB als Betriebsleiterwohnung privilegiert, da sich auf der landwirtschaftlichen Hofstelle FlNr. … bereits eine genehmigte Betriebsleiterwohnung befand, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass jemals eine entsprechende Privilegierung im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB vorlag. Eine baurechtlich genehmigte Wohnnutzung im Außenbereich, die keinem landwirtschaftlichen Betrieb dient, fällt nicht unter den Teilprivilegierungstatbestand des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB.
Vorliegend fehlt es außerdem an der Voraussetzung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e BauGB, wonach das Gebäude im räumlich-funktionalem Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs stehen muss. Dahinstehen kann vorliegend, ob – wie es der Wortlaut darlegt – der landwirtschaftliche Betrieb noch existieren muss (offengelassen BayVGH, U.v. 27.07.2018 – 15 B 17.1169) oder ob dies auch gilt, wenn der ursprüngliche landwirtschaftliche Betrieb vollständig aufgegeben wurde (OVG Koblenz, U.v. 27.02.2018 – 8a 11535/17). Im vorliegenden Fall fehlt der räumlich-funktionale Zusammenhang zwischen dem zur Nutzungsänderung vorgesehenen Gebäude und der Hofstelle des landwirtschaftlichen Betriebes bereits deshalb, weil die privilegierte Nutzung als Altenteilerhaus bereits vor der Aufgabe der Landwirtschaft nicht mehr bestand. Nach Aktenlage wurde die Landwirtschaft durch den heutigen Eigentümer der FlNr. …, Josef B., bis spätestens 2013 aufgegeben und besteht seitdem auch als Nebenerwerbslandwirtschaft nicht mehr fort. Von der ursprünglich genehmigten und vorhandenen Hofstelle ist nichts mehr übrig. Die Existenz einiger Hühner und die Bewirtschaftung einer Wiese genügen dafür nicht. Bereits 2004 wurde mit Bescheiden vom 7. September 2004 eine Nutzungsänderung der drei landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäude in Lager genehmigt. Ausweislich eines Schreibens des Landratsamtes vom 16. November 2017 (Bl. 149 GA) wurde seit 2013 im Hinblick auf die nördliche Maschinenhalle eine Nutzungsuntersagung geprüft, da die genehmigte Nutzung geändert worden war; die Genehmigung dieser faktisch seit mehreren Jahren bestehenden Nutzungsänderung erfolgte mit Bescheid vom 3. Januar 2019 in eine Lagerhalle für Bauelemente (Fenster). Die verbleibenden untergeordneten Anbauten bzw. Bereiche der drei ehemaligen landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäude, für die keine Nutzungsänderung genehmigt wurde, rechtfertigen nicht die Einschätzung einer verbleibenden Hofstelle eines Nebenerwerblandwirts. Eine Hofstelle im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB setzt außerdem ein Wohnhaus voraus, das vom Landwirt als Betriebsleitergebäude bewohnt wird. Der Eigentümer Josef B. ist mit Hauptwohnung unter einer anderen Adresse gemeldet. Ausweislich der Angaben der Beteiligten erledigt er im ehemaligen alten Wohnhaus ab nachmittags lediglich die Büroarbeiten für den Betrieb; dies genügt nicht. Unter Berücksichtigung dessen, dass sowohl das Betriebsleiterwohnhaus als auch die drei Wirtschaftsgebäude nicht mehr einem landwirtschaftlichen Betrieb im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB dienen, besteht die landwirtschaftliche Hofstelle spätestens seit Aufgabe der Nutzung der Maschinenhalle im Norden seit 2013 nicht mehr.
Da im vorliegenden Fall ab 2004 die drei (einzigen) landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäude in Lagerhallen umgenutzt wurden, an der Hofstelle auf FlNr. … bereits ein Wohnhaus vorhanden war, die Mutter des heutigen Eigentümers ein Altenteil auf der Hofstelle FlNr. … bewohnte, der Eigentümer selbst dort nicht mehr seinen Hauptwohnsitz hatte und ab Ende 2008 die Nutzung des hier verfahrensgegenständlichen Bestandsgebäudes als Altenteilerhaus mit dem endgültigen Auszug des Vaters Peter B. aufgegeben wurde, liegen die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für eine teilprivilegierte Nutzungsänderung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB nicht vor. Die Baugenehmigung als Altenteilerhaus ist funktionslos geworden und die miterteilte Genehmigung als weiteres Wohnhaus nimmt an der Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB nicht teil.
Die Klägerin durfte nach dieser Sachlage die Erteilung des Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 BauGB versagen. Bei der Nutzungsänderung in drei Wohneinheiten für insgesamt 19 Personen mit Gemeinschaftseinrichtungen handelt es sich um ein sonstiges Vorhaben im Außenbereich nach § 35 Abs. 2 BauGB, dem mangels einer Teilprivilegierung nach Abs. 4 BauGB die Beeinträchtigung öffentlicher Belange entgegengehalten werden kann. Vorliegend ist dies insbesondere die Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft und die Entstehung bzw. Verfestigung einer Splittersiedlung, § 35 Abs. 3 Nr. 5 und Nr. 7 BauGB.
Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, § 159 VwGO stattzugeben.
Die Beigeladenen haben sich aufgrund ihrer Antragstellung in ein Kostenrisiko begeben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 f. ZPO.