Baurecht

Klage auf Verpflichtung zum bauaufsichtlichen Einschreiten

Aktenzeichen  9 ZB 17.847

Datum:
7.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 23413
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 54
VwGO § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

1 Erscheint das ursprüngliche Gebäude – trotz baulicher Änderungen – nach wie vor als „Hauptsache“, so tritt kein Identitätsverlust bzw. eine wesentliche Änderung einer baulichen Anlage ein. (Rn. 8) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat. Der Beweisantrag ist förmlich spätestens in der mündlichen Verhandlung zu stellen. (Rn. 13) (red. LS Alexander Tauchert)

Verfahrensgang

W 4 K 16.1229 2017-03-07 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahrens wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten zum Erlass einer bauaufsichtlichen Anordnung gegenüber den Beigeladenen. Nach Ansicht der Klägerin muss der Beklagte gegen die den Brandschutzbestimmungen widersprechende grenzständige Außenwand des Gebäudes der Beigeladenen einschreiten. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 7. März 2017 in der Sache ab. Hiergegen richtet sich der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Die Klägerin beruft sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, beurteilt sich im Wesentlichen anhand dessen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
1. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die gegenständliche Grenzwand samt Fenster genieße Bestandsschutz. Deshalb könnten nachträgliche Anforderungen zur Durchführung von Maßnahmen des Brandschutzes nach Art. 54 Abs. 4 BayBO nur gestellt werden, wenn dies zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig sei. Die gegen diese Bewertung gerichtete Kritik der Klägerin führt auf keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils hin.
a) Die Legalisierung der mit Baugenehmigung vom 16. August 1968 zugelassenen Öffnungen (5 Fenster, 1 Tür) in der nach Süden zum Grundstück der Klägerin weisenden Brandwand des rückwärtigen Teil des Gebäudes der Beigeladenen, das als Lager genehmigt wurde, wird nicht dadurch infrage gestellt, dass im vorderen Bereich des Gebäudes eine Wohnnutzung genehmigt wurde.
Die mit Baugenehmigung vom 8. August 2016 zugelassene „Nutzungsänderung von Laden in Wohnungen“ betrifft bauantragsgemäß ausschließlich eine Ladeneinheit im nach Norden weisenden Teil des Gebäudes, die vom südlichen Teil des Gebäudes baulich getrennt ist. Die Nutzung des im südlichen Teil des Gebäudes befindlichen Lagers, das einem anderen Laden zugeordnet ist, bleibt danach unverändert. Bauliche Maßnahmen an der Südwand dieses Lagers wurden mit der Baugenehmigung vom 8. August 2016 auch nicht zugelassen. Der Bauherr bestimmt durch seinen Bauantrag, was Gegenstand der Baugenehmigung sein soll. Innerhalb der Grenzen, die einer Zusammenfassung oder Trennung objektiv gesetzt sind, ist es Sache des jeweiligen Bauherrn, durch seinen Genehmigungsantrag festzulegen, was das Vorhaben und damit der zu beurteilende Verfahrensgegenstand sein soll (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.1980 – 4 C 99.77 – BauR 1980, 921 = juris Rn. 11; BVerwG, B.v. 20.5.2014 – 4 B 21.14 – juris Rn. 13, jeweils m.w.N.). Die Änderung der Nutzung des Ladens in eine abgeschlossene Wohneinheit lässt sich hier nach den konkreten baulichen Gegebenheiten objektiv auch von der hiervon unberührt bleibenden Lagernutzung trennen. Ein die bestandsgeschützte Lagernutzung umfassendes Gesamtvorhaben liegt deshalb nicht vor.
b) Das Vorbringen der Klägerin, die vorgenommenen Änderungen kämen einem Neubau gleich (B.2 der Zulassungsbegründung vom 21.4.2017), zeigt ebenso wenig wesentliche Änderungen auf, die den Bestandsschutz entfallen lassen könnten, wie die Wertung, die Beigeladene habe wesentliche Änderungen an dem Objekt vorgenommen (B.4 der Zulassungsbegründung vom 21.4.2017).
Zum Beleg ihrer Rechtsauffassung nimmt die Klägerin u.a. Bezug auf ihren Vortrag im Schriftsatz vom 3. März 2017 und die hierzu vorgelegten Lichtbilder im erstinstanzlichen Verfahren. Die von der Klägerin eingewandte erhebliche Veränderung der Fassaden an allen drei Seiten des Objekts und die Schaffung eines weiteren Kellerzugangs umfassen keine wesentlichen Änderung im Sinn der vonseiten der Klägerin in Bezug genommenen Rechtsprechung (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 21.3.2001 – 4 B 18.01 – NVwZ 2002, 92 = juris Rn. 11 m.w.N.). Danach tritt ein den Bestandsschutz entfallen lassender Identitätsverlust ein, wenn der mit einer Instandsetzung verbundene Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv ist, dass er die Standfestigkeit des gesamten Gebäudes berührt und eine statische Nachberechnung des gesamten Gebäudes erforderlich macht, oder wenn die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen oder gar übersteigen, oder wenn die Bausubstanz ausgetauscht oder das Bauvolumen wesentlich erweitert wird (vgl. zur Relevanz baulicher Änderungen auch Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Mai 2018 m.w.N.). Dem genügen die von der Klägerin genannten und beschriebenen baulichen Maßnahmen erkennbar nicht. Das ursprüngliche Gebäude erscheint – trotz baulicher Änderungen – vielmehr nach wie vor als „Hauptsache“. Dass ein Identitätsverlust eigetreten wäre oder eine wesentliche Änderung der baulichen Anlage vorgenommen worden wäre, ergibt sich im Übrigen weder aus den im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Fotografien noch wird von der Klägerin substanziiert dargelegt, dass die genannten baulichen Änderungen die Standfestigkeit des gesamten Gebäudes infrage gestellt hätten, die Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen würden oder die Bausubstanz ausgetauscht oder das Bauvolumen wesentlich erweitert worden wäre.
c) In Bezug auf die zugelassenen und noch vorhandenen Öffnungen in der Brandwand hat das Verwaltungsgericht einen (formellen) Bestandsschutz in nicht zu beanstandender Weise der Baugenehmigung vom 16. August 1968 entnommen. Hinsichtlich der Tekturgenehmigung vom 22. April 1969, die das Lager und die darin befindlichen Öffnungen nicht betrifft, hat das Verwaltungsgericht lediglich ergänzend ausgeführt, dass in der Bauvorlage zur Tekturgenehmigung wiederum die Fenster samt der Tür eingezeichnet sind. Dass die streitgegenständliche Grenzwand zum Anwesen der Klägerin von dieser Tektur nicht erfasst wurde, stellt das Verwaltungsgericht aber ausdrücklich fest.
d) Die von der Klägerin behauptete Wohnungsnutzung in der als Lager genehmigten Räumlichkeiten in der Zeit vom 16. Juni 2016 bis 8. Juli 2016 ist – die Richtigkeit dieser Behauptung unterstellt – von derart kurzer Dauer, dass sie den Bestandsschutz für die legalisierte Lagernutzung einschließlich der zugelassenen Öffnungen in der Brandwand nicht infrage stellt.
2. Soweit die Klägerin geltend macht, selbst wenn ein fortbestehender Bestandsschutz anzunehmen wäre, könne die erhebliche Gefahr nicht ohne weiteres abgelehnt werden, das Verwaltungsgericht habe somit aufgrund des Ermittlungsansatzes nach § 86 VwGO die tatsächlichen Risiken des fehlenden Brandschutzes an der Außenwand ermitteln müssen, werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils aus einem Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts hergeleitet (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
In diesen Fällen wird ein Zulassungsgrund nur dann ausreichend dargelegt, wenn dem Darlegungserfordernis der Verfahrensrüge genügt wird. Entspricht das Vorbringen diesen Anforderungen, kommt eine Zulassung nur in Betracht, wenn auch eine entsprechende Verfahrensrüge zu einer Zulassung führen würde. Bei der Geltendmachung eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2015 – 9 ZB 15.944 – juris Rn. 5 m.w.N.). Daran gemessen ergeben sich aus den Darlegungen der Klägerin keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
a) Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat. Der Beweisantrag ist förmlich spätestens in der mündlichen Verhandlung zu stellen. Daran fehlt es. Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren und insbesondere Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2018 – 9 ZB 17.1984 – juris Rn. 19 m.w.N.)
b) Die Klägerin legt auch nicht schlüssig dar, dass das Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zur weiteren Aufklärung hätte sehen müssen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 124a Rn. 75 m.w.N.).
Der Beklagte hatte bereits im Verwaltungsverfahren aber auch im erstinstanzlichen Verfahren darauf hingewiesen, dass der Brandschutz allenfalls hinsichtlich des östlichsten Fensters im Gebäude der Beigeladenen zum Tragen komme, das dem Fenster im Gebäude der Klägerin am nächsten sei, weil der Mindestbrandschutzabstand von 5 m insoweit unterschritten werde und tatsächlich nur ca. 3 m betrage. Da beide Fenster etwa zur gleichen Zeit genehmigt worden seien, könne aber nicht nur eine Partei zur Schließung eines Fensters verpflichtet werden. Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben weder erkennbar sei noch von der Klägerin substanziiert dargelegt werde. Ein Rechtsanspruch der Klägerin auf ein Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde bestehe demnach nicht, ebenso wenig ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung. Diese Bewertung ist angesichts der aktenkundigen Sachlage und auch im Hinblick auf die beiderseitigen Unterschreitungen des Brandgesamtabstands/Schutzabstands von 5 m (vgl. Art. 28 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 6 BayBO) zwischen dem nächstgelegenen Fenster im Gebäude der Beigeladenen und der Fensterfront des klägerischen Gebäudes im Ergebnis nicht zu beanstanden.
3. Verfahrensmängel, die zur Zulassung der Berufung führen könnten (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), liegen nach den obigen Ausführungen ebenfalls nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 und § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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