Aktenzeichen 1 CS 18.1265
Leitsatz
Das Erfordernis der gesicherten planungsrechtlichen Erschließung dient grundsätzlich nur den öffentlichen Interessen und hat keine nachbarschützende Funktion. Eine Ausnahme hiervon ist nur dann gegeben, wenn eine wegen fehlender Erschließung rechtswidrige Baugenehmigung für den Nachbarn eine unmittelbare Rechtsverschlechterung in Richtung auf das Duldenmüssen eines Notwege- oder Notleitungsrechts nach § 917 Abs. 1 BGB bewirkt (vgl. BVerwG BeckRS 9998, 16823; BayVGH BeckRS 2007, 25571). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 11 SN 18.2107 2018-05-16 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750‚- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich als Nachbar gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage. Mit Bescheid vom 30. November 2017 wurde den Beigeladenen die Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren (Art. 59 BayBO) auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung S…, in einem Bereich dieses Grundstücks erteilt, der nach Bauantragstellung und vor Erteilung der Baugenehmigung durch Abmarkung die FlNr. … (Baugrundstück) erhielt. Das Baugrundstück grenzt im Nordwesten an das Grundstück FlNr. …, das im Eigentum des Antragstellers steht. Der Antragsteller hat gegen die Baugenehmigung Klage erhoben (M 11 K 18.81), über die noch nicht entschieden wurde, und einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Letzterer wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 16. Mai 2018 abgelehnt. Die Baugenehmigung verletze voraussichtlich keine Nachbarrechte des Antragstellers, insbesondere sei sie hinreichend bestimmt und es bestehe nicht die Gefahr, dass zu Lasten des Antragstellers ein Notwegerecht entstehe. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots sei ebenfalls nicht ersichtlich.
Der Antragsteller beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 16. Mai 2018 die aufschiebende Wirkung der Klage vom 4. Januar 2018 gegen die Baugenehmigung vom 30. November 2017 anzuordnen.
Das Baugrundstück sei im Genehmigungsbescheid mit der falschen Flurnummer bezeichnet, weshalb der Bescheid unbestimmt sei. Im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung habe weder ein Geh- und Fahrtrecht noch ein Leitungsrecht zugunsten des Baugrundstücks bestanden, weshalb die Entstehung eines Notwegerechts auf dem Grundstück des Antragstellers zu befürchten sei, um eine Zuwegung zum A… zu sichern.
Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Verwaltungsgericht habe zutreffend entschieden. Im Beschwerdeverfahren werde nichts Neues vorgebracht. Der Beschwerde fehle zudem das Rechtsschutzbedürfnis, da das Bauvorhaben schon fast fertiggestellt sei. Durch die notarielle Vereinbarung vom 30. Januar 2018 seien Geh- und Fahrtrechte für alle betroffenen Grundstücke bestellt worden, die eine Zufahrtsmöglichkeit zur H…straße sicherten.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Für einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO fehlt nach Fertigstellung des Rohbaus das erforderliche Rechtsschutzinteresse, soweit er sich gegen die Kubatur und Situierung des Baukörpers richtet. Das mit einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung verfolgte Ziel, die Schaffung vollendeter Tatsachen in Bezug auf den Baukörper und seine Auswirkungen zu verhindern, kann dann nicht mehr erreicht werden. Die Inanspruchnahme des Gerichts durch den Nachbarn stellt sich in einem solchen Fall für seine subjektive Rechtsstellung als unnütz dar (vgl. BayVGH, B.v. 18.12.2017 – 1 CS 17.2337 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 17.11.2015 – 9 CS 15.1762 – juris Rn. 18; B.v. 12.8.2010 – 2 CS 10.20 – juris Rn. 2; B.v. 14.6.2007 – 1 CS 07.265 – juris Rn. 16). Es kann dahinstehen, ob ein Rechtsschutzbedürfnis hier trotz der Rohbaufertigstellung insoweit zu bejahen ist, als der Antragsteller vorträgt, die Baugenehmigung lasse die Entstehung eines Notwegerechts befürchten, da die Beschwerde insoweit jedenfalls unbegründet ist. Die im Beschwerdeverfahren innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist dargelegten Gründe‚ auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO)‚ geben keine Veranlassung‚ die angegriffene Entscheidung zu ändern.
Eine Rechtsverletzung des Antragstellers wegen der behaupteten unzureichenden Erschließung des Baugrundstücks ist nicht ersichtlich. Das Erfordernis der gesicherten planungsrechtlichen Erschließung, das im vorliegenden Fall aus § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB folgt, dient grundsätzlich nur den öffentlichen Interessen und hat keine nachbarschützende Funktion (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2011 – 2 ZB 09.3021 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 29.8.2015 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 17). Eine Ausnahme hiervon ist nur dann gegeben, wenn eine wegen fehlender Erschließung rechtswidrige Baugenehmigung für den Nachbarn eine unmittelbare Rechtsverschlechterung in Richtung auf das Duldenmüssen eines Notwege- oder Notleitungsrechts nach § 917 Abs. 1 BGB bewirkt (vgl. BVerwG, B.v. 11. 5. 1998 – 4 B 45.98 – NJW-RR 1999, 165; BayVGH, B.v. 30.4.2007 – 1 CS 06.3335 – BauR 2008, 496).
Das Verwaltungsgericht ist von dieser Rechtslage ausgegangen und hat zu Recht angenommen, dass infolge der Baugenehmigung kein Notwege- oder Notleitungsrecht auf dem Grundstück des Antragstellers entsteht. Dabei kommt es für die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigung an. Nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherrn sind zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, B.v. 23.4.1998 – 4 B 40.98 – BauR 1998, 995, B.v. 8.11.2010 – 4 B 43.10 – BauR 2011, 499). Für die hier allein vom Prüfumfang der Baugenehmigung gem. Art. 59 BayBO umfasste Sicherung der Erschließung im Sinn des Bauplanungsrechts reicht es aus, wenn das Baugrundstück und das Wegegrundstück im Eigentum der gleichen Person stehen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.1988 – 8 C 111.86 – BVerwGE 79, 1; U.v. 26.2.1993 – 8 C 45.91 – NVwZ 1993, 1208; BayVGH, U.v. 18.12.2001 – 15 N 97.2906 – BayVBl 2002, 761). Dies war hier bis zum Vollzug des Überlassungsvertrages vom 30. Januar 2018 der Fall (vgl. Ziff. XIV des Vertrages; Bl. 67 ff. der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts im Verfahren M 11 K 18.81). Eigentümer des Baugrundstücks und des zur Zuwegung zur H…straße erforderlichen Grundstücks FlNr. … waren die Großeltern der Beigeladenen zu 2. Mit dem genannten Vertrag wurde die Überlassung des Baugrundstücks an die Beigeladene zu 2 und zugleich die Bestellung eines Geh- und Fahrtrechtes sowie eines Ver- und Entsorgungsleitungsrechts zugunsten des Baugrundstücks über das restliche Grundstück FlNr. … vereinbart. Zu keinem Zeitpunkt mangelte es daher an einer ausreichenden rechtlichen Sicherung der Erschließung des Baugrundstücks. Ein Notwegerecht oder ein Notleitungsrecht zulasten des Antragstellers konnte nicht entstehen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen‚ da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, ihm auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen‚ weil die Beigeladenen einen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt haben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG und orientiert sich an Nr. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.