Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung für den An- und Umbau eines Einfamilienhauses

Aktenzeichen  1 ZB 18.695

Datum:
20.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 14516
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 31 Abs. 2

 

Leitsatz

Günstige Auswirkungen einer Festsetzung in einem Bebauungsplan auf dem Nachbargrundstück reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes nicht aus (vgl. BayVGH BeckRS 2015, 56177 Rn. 8). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 17.1169 2018-01-24 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1) als Gesamtschuldner. Die Beigeladene zu 2) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Kläger wenden sich als Nachbarn gegen eine dem Beigeladenen zu 1 erteilte Baugenehmigung für den Umbau eines Einfamilienhauses zu einem Zweifamilienhaus auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung A… (im Folgenden: Baugrundstück). Das Grundstück der Kläger grenzt nördlich an das Baugrundstück an. Durch den Umbau wird das bestehende Gebäude auf dem Baugrundstück nach Osten um 4,40 m auf insgesamt 17,89 m verlängert. Die abstandsflächenrelevante Wandhöhe der zum Grundstück der Kläger gerichteten Außenwand beträgt ca. 4 m. Der bestehende Gebäudeabstand zum Grundstück der Kläger von ca. 5,50 m verändert sich nicht. Beide Grundstücke liegen im Bebauungsplan Nr. … “ …“ der Beigeladenen zu 2. Mit Baugenehmigung vom 23. Februar 2017 wurde dem Beigeladenen zu 1 die Baugenehmigung für den Umbau erteilt und hierfür eine Befreiung von der östlichen Baugrenze des Bebauungsplans und von der zulässigen Traufhöhe bezüglich des nach Süden gerichteten Zwerchhauses gewährt. Die von den Klägern gegen diese Genehmigung erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 24. Januar 2018 abgewiesen. Das Bauvorhaben verletze keine drittschützenden Vorschriften. Die Baugrenzen würden nicht dem Schutz des Nachbarn dienen. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme liege nicht vor, da das Vorhaben die gesetzlichen Abstandsflächen zum Grundstück der Kläger einhalte.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), auf dessen Prüfung der Senat beschränkt ist, liegt nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Ernstliche Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
Die Kläger werden, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, durch die erteilten Befreiungen nicht in eigenen Rechten verletzt. Bei einer Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans hängt der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn davon ab, ob die Festsetzungen, von deren Einhaltung befreit wird, dem Nachbarschutz dienen. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung führt jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – BauR 2013, 2011). Bei der Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans hat der Nachbar über den Anspruch auf Würdigung seiner nachbarlichen Interessen hinaus keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – BauR 1998, 1206). Für Festsetzungen eines Bebauungsplans ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob und inwieweit die Festsetzung Drittschutz vermitteln will (vgl. BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84 – NVwZ 1987, 409). Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung und Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien oder Baugrenzen sind in der Regel nicht nachbarschützend, können aber nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträger diese Wirkung haben (vgl. BVerwG, B.v. 23.6.1995 – 4 B 52.95 – NVwZ 1996, 170; B.v. 19.10.1995 – 4 B 215.95 – NVwZ 1996, 888).
Die Kläger tragen schon nicht substantiiert vor, woraus sich eine drittschützende Wirkung der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenze und der Traufhöhe ergeben könnte. Aus dem Umstand, dass die Beigeladene zu 2 dem streitgegenständlichen Bauantrag das Einvernehmen verweigert hat, lassen sich keine Rückschlüsse auf den Willen des Plangebers ziehen. Dieser müsste sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Bebauungsplan, seiner Begründung oder aus sonstigen Unterlagen der Gemeinde (Sitzungsprotokolle etc.) ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2013 – 1 ZB 11.2893 – juris Rn. 4). Günstige Auswirkungen einer Festsetzung auf dem Nachbargrundstück reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes nicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 19.11.2015 – 1 CS 15.2108 – BayVBl 2016, 710). Anhaltspunkte für einen dergestalt dokumentierten Planungswillen werden im Zulassungsantrag nicht genannt.
Soweit vorgetragen wird, die Befreiung sei rechtswidrig, da kein atypischer Fall vorliege und sie städtebaulich nicht vertretbar sei, kommt es hierauf nicht an. Bei der Befreiung von nicht nachbarschützenden Festsetzungen werden Nachbarrechte nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung objektiv rechtswidrig ist, sondern nur dann, wenn der Nachbar infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 1 CS 17.693 – juris Rn. 3).
Unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung von nicht nachbarschützenden Vorschriften die Rechte des Nachbarn verletzt ist nach den Maßstäben zu beantworten, die das Bundesverwaltungsgericht zum drittschützenden Gebot der Rücksichtnahme entwickelt hat (vgl. BVerwG, B. v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – NVwZ-RR 1999, 8). Das Verwaltungsgericht hat diese Maßstäbe zutreffend angewandt. Das Zulassungsvorbringen tritt dem nicht entgegen. Es nennt insbesondere keine Anhaltspunkte, weshalb das geplante Vorhaben trotz Einhaltung der landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Belichtung und Besonnung des Klägergrundstücks führen könnte (vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 7; B.v. 25.3.2013 – 1 CE 13.332 – juris Rn. 5; B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17; vgl. auch BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128.98 – NVwZ 1999, 879).
Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1 zu als Gesamtschuldner zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 159 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Kläger die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1 tragen, da dieser sich am Verfahren beteiligt hat und durch seine Begründung das Verfahren gefördert hat (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 162 Rn. 17 m.w.N.). Da die Beigeladene zu 2 sich nicht geäußert hat, entspricht es der Billigkeit, dass diese ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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