Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung für ein Boardinghouse

Aktenzeichen  M 9 K 15.3096

Datum:
6.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 30, § 34
BauNVO BauNVO § 15

 

Leitsatz

Ein Gebietswahrungsanspruch eines Nachbarn gegen ein Boardinghouse scheidet aus, wenn für das  Vorhabengrundstück durch die Festsetzung Tankstelle eine gewerblichen Nutzung erlaubt ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kostenschuldner dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Die mit Bescheid der Beklagten vom … Juni 2015 erteilte Baugenehmigung verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
Die Anfechtungsklage eines Nachbarn gegen eine Baugenehmigung kann nur dann Erfolg haben, wenn Vorschriften verletzt sind, die dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Die gerichtliche Prüfung beschränkt sich dementsprechend darauf, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, verletzt sind (BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017).
Eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften ist hier nicht ersichtlich. Ein Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch liegt nicht vor. Ein Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot ist ebenso wenig erkennbar.
Die Kläger können sich nicht auf eine Verletzung des sog. Gebietserhaltungsanspruchs berufen. Der Gebietserhaltungsanspruch gibt Eigentümern von Grundstücken, die in demselben Baugebiet liegen, grundsätzlich die Möglichkeit, die Zulassung gebietsunverträglicher Nutzungen abzuwehren, auch wenn keine eigene, subjektive Beeinträchtigung eigener Rechte vorliegt. Der Gebietserhaltungsanspruch gilt nicht nur innerhalb eines durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiets, sondern ist auch für faktische Baugebiete anerkannt (BVerwG, B. v. 11.4.1996 – 4 B 51/96).
Im vorliegenden Fall ist unerheblich, ob und inwieweit der Bebauungsplan funktionslos geworden ist oder seine Festsetzungen weiterhin Gültigkeit haben. Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 30 BauGB. Ansonsten richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 BauGB. Der Bebauungsplan Nr. 103 setzt für das verfahrensgegenständliche Baugrundstück durch Planzeichen eine Nutzung als Tankstelle fest und für das klägerische Grundstück Wohnnutzung. Bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans kommt es nach § 34 BauGB auf die Art der Nutzung der Umgebungsbebauung für die Einordnung des faktischen Baugebiets an. Nach dem Ergebnis des Augenscheins wird das Vorhabensgrundstück gewerblich genutzt. Dies gilt auch für die östlich und westlich benachbarten Grundstücke, diese werden überwiegend gewerblich genutzt. Nördlich daran, von der … Straße aus gesehen in zweiter Reihe, beginnt die Wohnbebauung, die von Norden her erschlossen wird.
In jedem Fall ist das Boardinghaus mit Wohnung und zwei Läden auf dem Vorhabensgrundstück zulässig, ohne dass sich der Kläger auf einen Gebietswahrungsanspruch berufen kann. Bei Wirksamkeit des Bebauungsplans entspricht das Boardinghaus als Beherbergungsbetrieb der auf dem Vorhabensgrundstück durch die Festsetzung Tankstelle erlaubten gewerblichen Nutzung, so dass bereits deshalb ein Gebietswahrungsanspruch gestützt auf den Bebauungsplan ausscheidet. Soweit das Boardinghaus als Wohnnutzung einzuordnen ist, scheidet ein Gebietswahrungsanspruch des in einem Wohngebiet wohnenden Klägers aus. Wenn der Bebauungsplan hinsichtlich seiner Festsetzungen funktionslos geworden ist, fügt sich das Boardinghaus sowohl als Beherbergungsbetrieb als auch hinsichtlich einer Wohnnutzung in die Umgebung ein, da es in einem faktischen Mischgebiet immer und in einem faktischen Wohngebiet als Ausnahme zulässig ist. Ein Gebietswahrungsanspruch kann nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn ein Vorhaben auch nicht ausnahmsweise nach Art der Nutzung zulässig ist.
Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ist nicht erkennbar. Rechtsgrundlage ist § 30 BauGB i. V. m. § 15 BauNVO, ansonsten das Einfügensgebot des § 34 BauGB. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Maß der baulichen Nutzung, ebenso wie im Bebauungsplan festgesetzte Baugrenzen, nicht drittschützend sind. Drittschützende Festsetzungen im Bebauungsplan fehlen; insbesondere kann aus der Festsetzung Tankstelle nicht geschlossen werden, dass dies zum Schutze der daran angrenzenden Wohnbebauung erfolgt ist. Soweit vorgetragen wird, dass eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans für das Bauvorhaben als Beherbergungsbetrieb unterblieb, wird darauf hingewiesen, dass der Nachbar diesbezüglich nur ein Recht auf Würdigung seiner Interessen hat, wenn und soweit er nach den Maßstäben des Rücksichtnahmegebots betroffen ist. Dafür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte, da auch bisher das Grundstück gewerblich genutzt wurde. Eine verschattende oder einmauernde Wirkung ist nach dem Ergebnis des Augenscheins unter Berücksichtigung von Höhe und Länge und Entfernung zum klägerischen Grundstück nicht erkennbar. Immissionen sind beauflagt und werden hinsichtlich des Lärms durch die abschirmende Wirkung gegenüber der Hauptverkehrsstraße deutlich gemindert werden. Immissionen durch Geruch sind nach den Plänen nicht ansatzweise wahrscheinlich. Die Abstandsflächen werden ausweislich der Bauvorlage/Tektur, Abstandsflächenplan vom 3. Mai 2015, eingehalten, so dass auch insoweit ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nicht vorliegt.
Da das angefochtene Bauvorhaben keine Rechte des Klägers verletzt, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen waren ebenfalls den Klägern aufzuerlegen, da sich dieser durch die Stellung eines Antrags in ein Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 VwGO begeben hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 f. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 7.500,00 festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Streitwertkatalog).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen