Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung für Mobilfunkanlage wegen Verletzung eines Geh- und Fahrrechts

Aktenzeichen  M 9 SN 17.1897

Datum:
21.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 149378
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 873 Abs. 1, § 1018
BayBO Art. 68 Abs. 4

 

Leitsatz

Die Vereinbarkeit eines Bauvorhabens mit einem beschränkt-dinglichen Recht (hier einem Geh- und Fahrtrecht) ist nicht Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung, was sich aus Art. 68 Abs. 4 BayBO herleitet. Ein derartiges Recht begründet dementsprechend kein Abwehrrecht des Nachbarn gegen die Baugenehmigung (hier für die Genehmigung einer Mobilfunkanlage. Private Rechte wie das Geh- und Fahrtrecht werden durch die Erteilung einer Baugenehmigung weder berührt noch sagt die Baugenehmigung hierüber etwas aus. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf EUR 3.750 festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen eine für das Nachbargrundstück erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer Mobilfunkstation.
Die Baugenehmigung bezieht sich auf die im Eigentum von Frau B. stehende FlNr. 1033, Gem. O. Die Antragsteller sind Miteigentümer des nördlich angrenzenden Hinterliegergrundstücks FlNrn. 1063/1, Gem. O., das unbebaut und an Herrn K. verpachtet ist. Beide Grundstücke liegen nach Aktenlage und nach einem über BayernAtlas Plus abgerufenen Luftbild im Außenbereich.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 23. März 2017 (Az. 03619-2016-08) erteilte die Beklagte die unter dem 10. Oktober 2016 beantragte Baugenehmigung (Ziff. I des Bescheids) unter Festsetzung diverser Nebenbestimmungen (Ziff. II des Bescheids i.V.m. Ergänzungsblatt).
Die Antragsteller haben gegen diese Baugenehmigung mit Schriftsatz vom 28. April 2017 Anfechtungsklage erhoben. Vorliegend beantragen sie,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. März 2017 anzuordnen.
Die Baugenehmigung sei rechtswidrig, da sie ein Objekt legalisiere, das sich genau an der Stelle befinde, an der sich die durch ein im Grundbuch eingetragenes Geh- und Fahrtrecht abgesicherte Zufahrt zum Grundstück der Antragsteller befinde. Dies bewirke eine Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte, da die Grunddienstbarkeit im Grundbuch eingetragen sei. Der richterliche Hinweis vom 19. Juni 2017, der auf Art. 68 Abs. 4 BayBO hingewiesen hatte, sei überraschend gewesen, da die Kammer im Beschluss vom 25. Oktober 2016, Az. M 9 SN 16.3217 eine andere Ansicht vertreten habe. In Fortführung dieser Rechtsprechung sei zu erwarten gewesen, dass der Umstand, dass vorliegend die Grunddienstbarkeit im Grundbuch eingetragen worden ist, dazu führe, dass das Gericht eine Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte bejahe. Die im gerichtlichen Hinweisschreiben zitierte BayVGH-Rechtsprechung passe nicht auf den vorliegenden Fall. Es gehe auch nicht darum, dass das Geh- und Fahrtrecht durch ein Notwegerecht belastet wäre. Art. 68 Abs. 4 BayBO greife nicht, die Baugenehmigungsbehörde dürfe sich nicht in Widerspruch zum Grundbuch setzen. Den Antragstellern steht ein subjektiv-öffentliches Recht gegenüber der Baubehörde zu, dass eine Baugenehmigung erteilt werde, die im Einklang mit Grundbucheintragungen stehe. Der Hinweis auf Art. 68 Abs. 4 BayBO möge noch angemessen sein, sofern es um eine rein privatrechtliche Vereinbarung gehe und es noch nicht zur Eintragung gekommen sei, hier aber nicht mehr.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Auf den Schriftsatz wird Bezug genommen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtssowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB ganz oder teilweise anordnen. Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung dahingehend, ob das öffentliche und das private Vollzugsinteresse der Bauherrin oder das Aussetzungsinteresse der Antragsteller überwiegt. Die vorzunehmende Interessenabwägung orientiert sich maßgeblich an den summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs.
Die Drittanfechtungsklage wird voraussichtlich erfolglos bleiben.
Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt die Antragsteller nach summarischer Prüfung nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung kann nur dann Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln und die im Baugenehmigungsverfahren prüfungsgegenständlich sind, verletzt werden (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris; VG München, B.v. 7.9.2016 – M 1 SN 16.3556 – juris).
Eine derartige Verletzung drittschützender Vorschriften ergibt sich nicht aus einer Beeinträchtigung des Geh- und Fahrtrechts der Antragsteller.
Wie bereits im gerichtlichen Hinweisschreiben vom 19. Juni 2017 dargelegt, ist die Vereinbarkeit eines Bauvorhabens mit einem beschränkt-dinglichen Recht, vorliegend: einem Geh- und Fahrtrecht nach der ständigen Rechtsprechung – soweit ersichtlich – aller Obergerichte und insbesondere des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung, was sich aus Art. 68 Abs. 4 BayBO herleitet. Ein derartiges Recht begründet dementsprechend kein Abwehrrecht des Nachbarn gegen die Baugenehmigung (so ausdrücklich BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 18; vgl. bspw. auch BayVGH, B.v. 25.11.2013 – 2 CS 13.2267 – juris; B.v. 1.6.2016 – 15 CS 16.789 – juris und OVG NW, B.v. 10.8.2016 – 7 A 2584/15 – juris). Private Rechte wie das Geh- und Fahrtrecht werden durch die Erteilung einer Baugenehmigung weder berührt noch sagt die Baugenehmigung hierüber etwas aus (BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris; VG München, B.v. 1.8.2016 – M 11 SN 16.2976 – juris). Die Antragsteller können deshalb aus dem Geh- und Fahrtrecht keine Einwendungen gegen die Baugenehmigung ableiten. Der Hintergrund dieser ständigen Rechtsprechung ist, dass die §§ 1018ff. BGB von der Baugenehmigungsbehörde schlicht nicht geprüft und dementsprechend auch von der Baugenehmigung nicht „abgedeckt“ werden. Die auf die sog. subjektiv-öffentlichen Rechte verengte Prüfung aber hebt stets darauf ab, dass die Baugenehmigung bestimmten „von ihr geprüften“ Normen, die subjektiv-öffentliche Rechte darstellen bzw. begründen und mit denen das Vorhaben von der Baugenehmigung als vereinbar angesehen wurde, nicht gerecht wird, bspw., dass im Falle eines Sonderbaus ein Gebäude legalisiert wird, das die von Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BayBO geforderten Abstandsflächen nicht einhält und damit Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 BayBO verletzt.
Soweit die Antragsteller vortragen, bei dem Geh- und Fahrtrecht handele es sich um ein subjektiv-öffentliches Recht, weil die Grunddienstbarkeit im Grundbuch eingetragen worden sei, so unterliegt diese Ansicht mehreren Missverständnissen:
1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass ein Geh- und Fahrtrecht überhaupt erst durch Eintragung in das Grundbuch entsteht; jede Belastung eines Grundstücks mit einem Recht, also: jede Begründung eines beschränkt-dinglichen Rechts setzt neben der Einigung (sog. dinglicher Vertrag) als notwendigen Publizitätsakt nach § 873 Abs. 1 BGB auch die Eintragung in das Grundbuch voraus. Dies stellt eine Wirksamkeitsvoraussetzung dar. Eine rein vertragliche Regelung bringt ein Geh- und Fahrtrecht überhaupt nicht zur Entstehung und bindet bspw. auch nicht den Rechtsnachfolger im Eigentum. Nur das stand im von der Bevollmächtigten zitierten Beschluss der Kammer. Die Ansicht, dass der Vorgang der Eintragung eine Zuordnung zum öffentlichen Recht bewirke, geht bereits deshalb fehl, weil ansonsten jedes Grundstücksgeschäft dem öffentlichen Recht zuzuordnen wäre, also bspw. auch der Grunderwerb.
2. Die §§ 1018ff. BGB sind weiter eindeutig privatrechtliche Regelungen. Nach der herrschenden sog. modifizierten Sonderrechtstheorie ist öffentliches Recht das Sonderrecht oder „Amtsrecht“ der öffentlichen Körperschaften. Dem öffentlichen Recht gehört hiernach eine Rechtsnorm an, die auf wenigstens einer Seite ausschließlich einen Träger öffentlicher Gewalt berechtigt oder verpflichtet; demgegenüber ist Privatrecht sog. „Jedermannsrecht“ (Eyermann, VwGO, Stand: 14. Auflage 2014, § 40 Rn. 44). Die §§ 1018ff. BGB wenden sich aber anders als bspw. Art. 68 BayBO nicht einseitig verpflichtend (oder berechtigend) an die Antragsgegnerin; dass Letztere auch „als Private“ handeln und damit bspw. nach § 873 Abs. 1, § 1018 BGB auch Dienstbarkeiten an ihren Grundstücken bestellen kann, ändert daran nichts. Auf Grundlage der § 873 Abs. 1, §§ 1018ff. BGB geschaffene beschränkt-dingliche Rechte sind dann selbstredend auch keine öffentlichen Rechte. Somit fehlt es bereits an der Voraussetzung eines „öffentlichen“ Rechts. Ein den öffentlich-rechtlichen Baulasten – die in den Bauordnungen anderer Bundesländer, vgl. bspw. § 83 BauO NRW, geregelt sind und die in ihrer Wirkungsweise Grunddienstbarkeiten ähneln mögen – vergleichbares Rechtsinstitut sieht die Bayerische Bauordnung nicht vor.
3. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass ein Geh- und Fahrtrecht selbst dann, wenn man es – wie die Bevollmächtigte der Antragsteller es getan hat – als „öffentliches“ Recht ansehen wollte, keine Angriffsmöglichkeit auf die Baugenehmigung vermitteln würde. Es ist dem Vollrecht Eigentum, das im grundstücksbezogenen öffentlichen Baurecht im Regelfall Grundlage einer Nachbaranfechtung ist, vgl. Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO, nicht vergleichbar: Das Geh- und Fahrtrecht deckt – anders als bspw. ein Nießbrauch, §§ 1030ff. BGB – nur einen geringen Teil der Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks ab (vgl. auch den Gesetzeswortlaut, § 1018 BGB: „in einzelnen Beziehungen“), es stellt sich gleichsam als „Eigentumssplitter“ bzw. als „Ausschnitt aus dem Eigentum“ dar, was als Berufungsposition nicht ausreicht, um öffentlich-rechtlich Nachbarschutz zu vermitteln (vgl. dazu z.B. VG München, U.v. 23.11.2016 – M 9 K 15.4601 – juris; U.v. 24.11.2009 – M 1 K 09.2075 – juris). Im Übrigen besteht das Geh- und Fahrtrecht vorliegend an demselben Grundstück, auf das sich auch die Baugenehmigung bezieht und das somit Gegenstand der Nachbaranfechtung ist, d.h. die vorliegende Konstellation ist nicht mit der Situation vergleichbar, dass bspw. ein Nießbrauchberechtigter am Grundstück „A“ eine das Nachbargrundstück „B“ betreffende Baugenehmigung anfechten möchte. Auseinandersetzungen der vorliegenden Art sind wie auch Auseinandersetzungen, die verschiedenartige private Rechte am selben Grundstück betreffen (z.B.: mietrechtliche Streitigkeit), nicht Gegenstand des Nachbarstreits im öffentlichen Baurecht, sondern unterfallen dem Zivilrechtsweg.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch der Umstand, dass sich die Baugenehmigungsbehörde eventuell dafür hätte entscheiden können, die Baugenehmigung wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses abzulehnen, wenn und soweit von ihr wegen entgegenstehender (privater) Rechte Dritter kein Gebrauch gemacht werden kann, ebenfalls keinen subjektiv-öffentlichen Nachbarschutz begründet, da die Antragsteller keinen Rechtsanspruch darauf haben, dass die Bauaufsichtsbehörde von der Befugnis zur Ablehnung wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses Gebrauch macht (statt aller VG München, B.v. 1.8.2016 – M 11 SN 16.2976 – juris). Sonstige Angriffspunkte wurden nicht vorgetragen und sind bei summarischer Prüfung auch nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1, 1.5 Streitwertkatalog.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen